European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00077.20G.0812.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.216,34 EUR (darin enthalten 369,39 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin ist ein österreichisches Unternehmen mit Sitz in Wien, das Elastomer-Werkstoffe und flexible Gummi-/Metallkomponenten, insbesondere sogenannte „M1‑Komponenten“, entwickelt und herstellt, die in Schienenfahrzeugen verwendet werden.
Die Erstbeklagte ist eine europäische Normungsorganisation mit 34 Mitgliedern, bei denen es sich um die nationalen Normungsorganisationen europäischer Staaten handelt; zu ihnen gehören die Zweit- und die Drittbeklagte.
Die Erstbeklagte ist auf europäischer Ebene (auf der Grundlage sekundärrechtlicher Bestimmungen) für die Ausarbeitung harmonisierter technischer Normen (unter anderem) für den Brandschutz in Schienenfahrzeugen zuständig. Dazu hat sie die aktuell gültige Norm EN 45545‑2 „Bahnanwendungen-Brandschutz in Schienenfahrzeugen“ ausgearbeitet; Teil 2 dieser Norm enthält die Anforderungen an das Brandverhalten von Materialien und Komponenten. Im Rahmen der turnusmäßigen Normenrevision erstellte die Erstbeklagte nunmehr den überarbeiteten Entwurf „prEN 45545‑2“. Nach mehrheitlich positiver Umfrage bei den Mitgliedern und entsprechender Beschlussfassung im Komitee steht als nächster Schritt die Erstellung und Versendung des endgültigen Entwurfs an die Mitglieder der Erstbeklagten zur formellen Abstimmung bevor. Eine Prüfung des revidierten Entwurfs durch die Europäische Kommission hat noch nicht stattgefunden.
Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen – auf § 1 Abs 1 Z 1 UWG (insbesondere Rechtsbruch wegen Verstoßes gegen unionsrechtliche Normungsvorschriften und kartellrechtliche Bestimmungen) gestützten – Unterlassungsanspruchs beantragte die Klägerin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Erstbeklagten jegliches Verhalten verboten werden soll, das auf eine Abschwächung der Brandschutzanforderungen der EN 45545‑2 für M1‑Komponenten abzielt, insbesondere den Text des Normentwurfs prEN 45545‑2 oder einen sinngleichen Text an ihre Mitglieder zur formellen Abstimmung zu verteilen oder zu veröffentlichen oder bereitzustellen. Die von der Erstbeklagten angestrebte Normenänderung sei unzulässig, weil damit eine Absenkung der Brandschutzanforderungen für M1‑Komponenten in Schienenfahrzeugen und damit des Sicherheitsniveaus einhergehe. Dies sei für die Klägerin mit erheblichen Nachteilen verbunden, weil ihr technischer Vorsprung, der sie exklusiv zur Einhaltung der bisherigen Vorgaben befähige, dadurch verloren gehe. Die angestrebte Normenänderung widerspreche den sicherheitstechnischen Zielsetzungen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu fördern. Die Absenkung des Brandschutzniveaus erfolge zu Gunsten der anderen Hersteller von Schienenfahrzeugen, die in den Gremien der Erstbeklagten vertreten seien und auf diese einwirkten. Dadurch werde der Wettbewerb unlauter beeinflusst. Das Verhalten der Erstbeklagten begründe auch einen Kartellrechtsverstoß.
Die Erstbeklagte versäumte die ihr eingeräumte Äußerungsfrist.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch scheitere schon am fehlenden Tatbestandsmerkmal des Handelns im geschäftlichen Verkehr. Die Erstbeklagte nehme ihre europarechtlich verankerte Verpflichtung zur Organisation der europäischen Normung wahr. Dabei handle es sich um eine Aufgabe im öffentlichen Interesse. Die Erstbeklagte verfolge auch kein eigenes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg einzelner Komponentenhersteller, sondern einen statutarischen gemeinnützigen Zweck. Die Vereinheitlichung der Normung auf europäischer Ebene sei ein politisches Instrument zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und verfolge damit eine übergeordnete Zielsetzung. Bei den von der Klägerin beanstandeten Auswirkungen der Normungstätigkeit der Erstbeklagten handle es sich um bloße Reflexwirkungen. Dies ändere nichts daran, dass die Erstbeklagte nicht wirtschaftlich tätig sei und daher kein Handeln im geschäftlichen Verkehr vorliege. Ein Kartellrechtsverstoß sei nicht substantiiert behauptet worden.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine harmonisierte technische Norm eines anerkannten Normungsgremiums, die von der europäischen Kommission angenommen und im Amtsblatt der europäischen Union veröffentlicht werden müsse, sei Teil des Unionsrechts. Damit sei das beanstandete Verhalten der Erstbeklagten Teil eines Rechtsetzungsakts auf europäischer Ebene und kein Handeln im geschäftlichen Verkehr. Das Lauterkeitsrecht biete Unternehmern keine Handhabe, die Fortentwicklung der Rechtslage zu verhindern. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin, der auf eine Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung abzielt.
Mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsrekursbeantwortung beantragen die Beklagten, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
In ihrem Revisionsrekurs führt die Klägerin neuerlich aus, dass die Normungstätigkeit der Erstbeklagten nicht hoheitlich erfolge, sondern eine freiwillige Selbstregulierung und daher privatwirtschaftlicher Natur sei. Der hier beanstandete Revisionsprozess zur EN 45545‑2 sei von der Europäischen Kommission nicht mandatiert und damit nicht hoheitlich initiiert. Unrichtig sei auch, dass es sich bei der EN 45545 um Unionsrecht handle. Die harmonisierten Normen seien nicht bindend, sondern nur rechtlich unverbindliche Empfehlungen. Außerdem gelte die hier relevante Richtlinie 2016/797/EU über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der EU, die auf die EN 45545‑2 verweise, nach ihrem Art 1 Abs 3 nicht für Untergrundbahnen, Straßenbahnen und Stadtbahnfahrzeuge. Für diesen nicht vollharmonisierten Bereich gelte nationales Eisenbahnrecht, weshalb die fragliche EN in diesem Bereich nicht Unionsrecht sein könne. Aus diesem Grund gehe auch der Leitsatz zur Entscheidung 4 Ob 36/18z zu weit. Überdies habe der EuGH in der Rechtssache zu C‑367/10 P, EMC Development , bereits ausgesprochen, dass auf eine von der Erstbeklagten erlassene Norm bzw auf das zugrunde liegende Verfahren das europäische Wettbewerbsrecht nach Art 101 AEUV Anwendung finde. Im Anlassfall liege eine regelwidrige Absenkung der Brandschutzanforderungen für M1‑Komponenten in Schienenfahrzeugen vor, weil der Stand der Technik unterschritten werde. Dies geschehe dadurch, dass die Gremien der Erstbeklagten von Unternehmensvertretern mit konkreten wirtschaftlichen Interessen besetzt seien, die das Normungssystem zu ihrem Vorteil manipulierten. Die Klägerin erleide dadurch einen Nachteil.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
1.1 Anspruchsvoraussetzung für den lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch (hier) auf der Grundlage des § 1 Abs 1 Z 1 UWG ist ein Handeln im geschäftlichen Verkehr. Zum geschäftlichen Verkehr gehört nach ständiger Rechtsprechung jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit; Gewinnabsicht ist nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0077522; RS077485). Dabei handelt es sich allgemein um ein privatrechtliches Handeln mit unternehmerischem Charakter (vgl RS0131475). Ohne marktbezogene wirtschaftliche Tätigkeit, die sich als unternehmerische Teilnahme am Erwerbsleben darstellt, unterliegt ein bestimmtes Handeln keiner lauterkeitsrechtlichen Verhaltenskontrolle, und zwar auch dann nicht, wenn einzelne Unternehmer aus solchen Maßnahmen mittelbar als Reflexwirkung einen Vorteil ziehen (vgl 4 Ob 247/14y; 4 Ob 267/16t).
1.2 Das Hauptargument der Klägerin besteht darin, dass die Erstbeklagte privatrechtlich organisiert sei und privatwirtschaftlich handle, weshalb keine hoheitliche Tätigkeit vorliege und für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung die Grundsätze für das privatwirtschaftliche Handeln der öffentlichen Hand maßgebend seien.
1.3 Die bisherige Judikatur zum „Handeln im geschäftlichen Verkehr“ der öffentlichen Hand bzw staatlicher Einrichtungen bezieht sich auf privatwirtschaftliche Tätigkeiten im Rahmen der Verwaltung. Dabei handelt es sich um eine spezifische Art der Erfüllung staatlicher Aufgaben durch die verfassungsrechtlich dazu berufenen Organe. Maßgebendes Kriterium im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung ist dabei die Verfolgung öffentlicher Interessen.
1.4 Die Besonderheit im Anlassfall besteht darin, dass sich die „privatwirtschaftliche“ Tätigkeit der Erstbeklagten auf eine vorbereitende (Gutachter‑)Tätigkeit zur Schaffung technischer Normen auf unionsrechtlicher Ebene bezieht. Auch mit einer solchen Tätigkeit werden öffentliche Zielsetzungen verfolgt. Bei einer derartigen Zweckausrichtung sind die für privatwirtschaftlichestaatliche Maßnahmen entwickelten Grundsätze verallgemeinerungsfähig, gleichgültig, ob es sich bei der zu beurteilenden Maßnahme um eine echte Vollzugstätigkeit oder eine andere „privatwirtschaftliche“ Tätigkeit handelt. Außerdem gelten diese Grundsätze nicht nur für staatliche Organe bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben, sondern auch für – mit diesen vergleichbare „staatsähnliche“ – Organe supranationaler Organisationen, die ihre im jeweiligen internationalen Übereinkommen vorgesehenen Befugnisse von den einzelnen Vertragsstaaten ableiten.
2.1 Eine Tätigkeit der öffentlichen Hand wird nur dann als Handeln im geschäftlichen Verkehr qualifiziert, wenn sie privatwirtschaftlich erfolgt (RS0077512 [T1]; 4 Ob 59/19h). Dafür ist lauterkeitsrechtlich vorausgesetzt, dass das Verhalten objektiv geeignet ist, fremden Wettbewerb zu fördern. Allerdings greift auch bei Zutreffen dieser Voraussetzung das Lauterkeitsrecht nicht ein, wenn bei objektiver Betrachtung eine andere (öffentliche bzw übergeordnete) Zielsetzung eindeutig überwiegt (4 Ob 40/11b). Dies trifft insbesondere bei der Erfüllung typischer Aufgaben der öffentlichen Hand, etwa im Bereich der Daseinsvorsorge oder der Schaffung von Infrastruktur, zu (4 Ob 59/19h; vgl auch 4 Ob 73/15m).
2.2 Für den Anlassfall folgt daraus, dass keine marktbezogene wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, wenn staatliche oder supranationale Organe in Wahrnehmung ihrer gesetzlichen oder statutarischen Befugnisse ihre typischen Aufgaben erfüllen und die Verfolgung öffentlicher Interessen oder Ziele eindeutig im Vordergrund steht.
3.1 Die Erstbeklagte ist als europäische Normungseinrichtung tätig, die in den unionalen Gesetzgebungsprozess eingebunden ist. Ihrer – von der Klägerin beanstandeten – Normungstätigkeit liegt die Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften (neukodifiziert durch die Richtlinie 2015/1535/EU ) zugrunde. Auf der Grundlage dieser Richtlinie beauftragt die Europäische Kommission eine anerkannte privatrechtliche Normungseinrichtung mit der Ausarbeitung (Vorbereitung) einer harmonisierten technischen Norm (EN). Eine solcherart vorbereitete technische Norm (technische Spezifikation) entfaltet erst dadurch ihre Rechtswirkungen und wird somit erst dadurch zur harmonisierten Norm, dass sie (bzw ihre Fundstelle) von der Europäischen Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union, Teil C, veröffentlicht wird (EuGH C‑613/14, James Elliott Construction, Rn 43). Dafür muss das in der Richtlinie vorgesehene Verfahren eingehalten werden, das sicherstellt, dass die Norm auf Initiative (über Auftrag) und unter der Leitung und Aufsicht der Europäischen Kommission (Vorlage eines Arbeitsprogramms, regelmäßige Berichterstattung, Prüfung und Veröffentlichung durch die Europäische Kommission) erstellt wird. Vor der Veröffentlichung der EN im Amtsblatt hat die Europäische Kommission eine Prüfung des Schlussentwurfs der harmonisierten Norm durchzuführen (EuGH C‑613/14 Rn 45). Mit der Veröffentlichung der Norm wird sie zur unionsrechtlichen Durchführungsmaßnahme der Europäischen Kommission und damit zum (tertiären) Unionsrecht (EuGH C‑613/14 Rn 40; vgl auch 4 Ob 36/18z).
Ihre spezifischen Rechtswirkungen erlangen harmonisierte technische Normen dadurch, dass in (anderen) unionsrechtlichen oder nationalen Rechtsakten (wie zB die Verordnung 305/2011/EU über die Vermarktung von Bauprodukten), die sich auf technische Anforderungen beziehen, auf die harmonisierten Normen verwiesen wird. Die Rechtswirkungen bestehen vor allem darin, dass bei Vorliegen einer Konformitätsbewertung über die Einhaltung der harmonisierten Norm die Einhaltung der in den zugrunde liegenden (verweisenden) Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegten Bestimmungen (technischen Anforderungen) vermutet wird (EuGH C‑613/14 Rn 38). Der Zweck der Richtlinie 98/34/EG (bzw der Richtlinie 2015/1535/EU ) besteht in der Beseitigung von Handelshemmnissen und der Sicherstellung des freien Marktzugangs konformitätsbewerteter Produkte durch die Bestätigung ihrer sicherheitstechnischen „Brauchbarkeit“ (EuGH C‑613/14 Rn 51 und 57).
3.2 Die vorbereitende Tätigkeit der Erstbeklagten im Rahmen des europäischen Rechtsetzungsprozesses unterliegt einem standardisierten Verfahren nach der Richtlinie 98/34/EG (bzw der Richtlinie 2015/1535/EU ) und der Kontrolle der Europäischen Kommission. Sie ermöglicht die Schaffung einheitlicher technischer Standards und den vereinfachten Nachweis der Einhaltung der technischen Anforderungen auf europäischer Ebene. Die vereinheitlichte europäische Normung unter der Ägide der Europäischen Kommission verfolgt ausschließlich öffentliche Zielsetzungen. Damit unterliegt die Normungstätigkeit der Erstbeklagten – mangels eines Handelns im geschäftlichen Verkehr – nicht der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle.
4.1 Mit dem Argument, dass der Revisionsprozess zur EN 45545‑2 von der Europäischen Kommission nicht mandatiert sei, weicht die Klägerin vom bescheinigten Sachverhalt ab. Davon abgesehen wird eine vorbereitete technische Norm erst im Rahmen des Verfahrens nach der Richtlinie 98/34/EG (bzw der Richtlinie 2015/1535/EU ) zur harmonisierten Norm, was überhaupt nur aufgrund eines Mandats der Europäischen Kommission denkbar ist.
4.2 Das weitere Argument der Klägerin, dass die zugrunde liegende, auf die EN 45545‑2 verweisende Richtlinie 2016/797/EU über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der EU für Untergrundbahnen, Straßenbahnen und Stadtbahnfahrzeuge nicht gelte, ändert nichts daran, dass es sich bei der fraglichen EN um eine harmonisierte technische Norm handelt, die nach den Modalitäten der Richtlinie 98/54/EG (Richtlinie 2015/1535/EU ) zustande gekommen ist.
Auch der in diesem Zusammenhang stehende Hinweis der Klägerin, dass es sich in diesem Bereich bei der EN 45545‑2 nur um eine rechtlich unverbindliche Empfehlung an die beteiligten Wirtschaftskreise handeln könne, ist nicht stichhaltig. Eine von der Klägerin angesprochene Ausnahme vom Anwendungsbereich der Interoperabilitätsrichtlinie bedeutet nur, dass die Vermutungswirkung einer Konformitätsbewertung auf der Grundlage der EN 45545‑2 nicht eintritt und die Einhaltung der technischen Anforderungen anderweitig nachgewiesen werden muss. Darüber hinaus kommt auch der Frage nach der rechtlichen Verbindlichkeit einer europäischen Norm keine Bedeutung zu. Für eine harmonisierte Norm ist nämlich typisch, dass die darauf gegründete Konformitätsbewertung nur einen vermutenden und keinen bindenden Charakter hat (EuGH C‑613/14 Rn 51 und 59).
4.3 Die Ansicht der Klägerin, dass eine harmonisierte Norm als bloße Empfehlung nicht Unionsrecht sein könne, lässt zum einen die spezifischen Rechtswirkungen einer Konformitätsbewertung (Vermutungswirkung) außer Acht und ignoriert zum anderen die dargelegte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
4.4 Auch das Argument der Klägerin, dass eine harmonisierte Norm bzw das ihr zugrunde liegende Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen einer kartellrechtlichen Prüfung unterliegen kann, hilft ihr nicht weiter. Kartellrechtsverstöße können im UWG‑Verfahren nur als Rechtsbruch nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG geltend gemacht werden, was – wie bereits ausgeführt wurde – ein Handeln im geschäftlichen Verkehr der jeweils in Anspruch genommenen beklagten Partei voraussetzt.
4.5 Die Frage, ob der revidierte Entwurf der Erstbeklagten zur EN 45545‑2 den Stand der Technik missachtet, bezieht sich nicht auf das Tatbestandsmerkmal des Handelns im geschäftlichen Verkehr und ist daher unbeachtlich. Das Gleiche gilt für die von der Klägerin neuerlich geltend gemachten angeblichen sekundären Feststellungsmängel.
5.1 Schließlich erweist sich auch das Argument der Klägerin, dass die Gremien der Erstbeklagten durch Unternehmensvertreter mit bestimmten wirtschaftlichen Interessen besetzt seien, die die Sicherheitsanforderungen zu ihrem Vorteil manipulierten, als nicht zielführend.
5.2 Im Rahmen der privatwirtschaftlichen Vollzugstätigkeit der öffentlichen Hand, insbesondere eines öffentlichen Unternehmens, ist auch bei der primären Verfolgung öffentlicher Ziele eine lauterkeitsrechtliche Kontrolle unter Umständen dann denkbar, wenn aus völlig sachwidrigen Motiven und damit missbräuchlich eine gezielte Förderung fremden Wettbewerbs erfolgt (vgl 4 Ob 247/14y).
Auf einen gesetzgeberischen Akt auf unionsrechtlicher oder nationaler Ebene ist dieser Ansatz allerdings nicht übertragbar, weil ein solcher Rechtsakt demokratisch legitimiert ist und nur mit den in der jeweiligen Rechtsordnung dafür vorgesehenen Mechanismen bekämpft werden kann. Eine harmonisierte technische Norm (EN) setzt eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union durch die Europäische Kommission voraus und ist eine Durchführungsmaßnahme der Europäischen Kommission, die aufgrund einer Ermächtigung im Sekundärrecht von dieser erlassen wird. Der Durchführungsrechtsakt ist damit der Europäischen Kommission zuzurechnen. Bei behaupteter Rechtswidrigkeit kommt allenfalls eine unionsrechtliche Organhaftung, aber keine lauterkeitsrechtliche Verhaltenskontrolle in Betracht.
6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die vereinheitliche europäische Normung auf der Grundlage der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften, neukodifiziert durch die Richtlinie 2015/1535/EU , durch anerkannte europäische Normungsorganisationen unter der Ägide der Europäischen Kommission ausschließlich öffentliche Zielsetzungen verfolgt und als Teil des unionalen Rechtsetzungsprozesses mangels eines Handelns im geschäftlichen Verkehr nicht der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle unterliegt.
Davon ausgehend haben die Vorinstanzen den Sicherungsantrag zu Recht abgewiesen. Dem Revisionsrekurs der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.
Der Anregung der Klägerin auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH war nicht näherzutreten, weil die relevanten unionsrechtlichen Fragestellungen geklärt sind und dazu keine Zweifel bestehen (RS0082949).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO, §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.
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