European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00069.22H.0923.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revisionen werdenzurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.157,76 EUR (darin 359,63 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist eine Wirtschaftstreuhandgesellschaft; ihre Nebenintervenientin ist die bundesgesetzlich zur Vertretung der gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder – darunter die Klägerin – berufene Körperschaft öffentlichen Rechts (Kammer der Wirtschaftstreuhänder – § 151 WTBG 2017).
[2] Geschäftsgegenstand der Beklagten ist Arbeitskräfteüberlassung und -vermittlung, Vermittlung von Werkverträgen, Handel mit Waren aller Art, Beteiligungen an Gesellschaften und Werbeagentur.
[3] Der Rechtsvorgänger der Beklagten und dann die Beklagte standen mit der Klägerin seit 2003 bzw 2011 in einer Geschäftsbeziehung, aufgrund deren die Klägerin für die Beklagte die Jahresabschlüsse und Bilanzen erstellte. Dieser Geschäftsbeziehung lagen die – vom Vorstand der Nebenintervenientin zur Anwendung empfohlenen – „Allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftstreuhandberufe (AAB 2011)“ (in der Folge kurz: AAB 2011) zugrunde, die aus „Präambel und Allgemeines“ sowie den Teilen I. bis IV. mit durchnummerierten 31 Zwischenüberschriften bestehen. Auf der ersten von neun Seiten bestehen „Präambel und Allgemeines“ ohne weitere Überschriften aus sechs Absätzen; der letzte Absatz lautet wie folgt (in der Folge: „Klausel“):
„(6) Der Auftraggeber verpflichtet sich, Mitarbeiter des Berufsberechtigten während und binnen eines Jahres nach Beendigung des Auftragsverhältnisses nicht in seinem Unternehmen oder in einem ihm nahestehenden Unternehmen zu beschäftigen, widrigenfalls er sich zur Bezahlung eines Jahresbezuges des übernommenen Mitarbeiters an den Berufsberechtigten verpflichtet.“
[4] Nachdem eine langjährige Mitarbeiterin der Klägerin, von der die Beklagte als Sachbearbeiterin betreut worden war und zu der sie ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte, die Klägerin verlassen hatte, kündigte die Beklagte das Auftragsverhältnis zur Klägerin. Sieben Monate nach Beendigung des Vertrags zwischen den Parteien kündigte eine andere Mitarbeiterin der Klägerin, eine Buchhalterin, ihr Arbeitsverhältnis auf und begann rund 50 Wochen nach Erklärung der Aufkündigung des Auftragsverhältnisses durch die Beklagte für diese zu arbeiten.
[5] Das Berufungsgericht wies das auf die Klausel gestützte und auf Zahlung eines Jahresbezugs der ehemaligen Buchhalterin gerichtete Klagebegehren ab. Die Klausel sei gemäß § 864a ABGB unwirksam und auch nach § 879 Abs 3 ABGB nichtig. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision „angesichts der steten Verwendung“ der AAB 2011 zu.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die – von der Beklagten beantworteten – Revisionen der Klägerin und der Nebenintervenientin sind entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[7] 1. Die Abweisung eines Teils des Klagebegehrens von 22.815,76 EUR sA bereits durch das Erstgericht blieb von Klägerin und Nebenintervenientin unangefochten und ist daher als Teilurteil in Rechtskraft erwachsen. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens waren und sind 31.389,20 EUR.
[8] Soweit die Revision der Nebenintervenientin daher nunmehr unzweifelhaft die Abänderung dahin begehrt, dass dem gesamten Klagebegehren stattzugeben sei, steht dem die Rechtskraft der den Teil des Begehrens von 22.815,76 EUR abweisenden Entscheidung entgegen.
[9] 2. Der Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO wurde geprüft, er liegt nicht vor.
[10] Unsubstanziiertes Bestreiten ausreichenden gegnerischen Vorbringens ist als (schlüssiges) Geständnis anzusehen (RS0039927 [T4]), was insbesondere dort gilt, wo eine Partei bloß einzelnen Tatsachenbehauptungen des Gegners mit einem konkreten Gegenvorbringen entgegentritt, zu den übrigen jedoch inhaltlich nicht Stellung nimmt (RS0039927 [T12]). Hier wäre die Klägerin aber sogar selbst für den Umstand behauptungs- und beweispflichtig gewesen, dass sie auf die Klausel hingewiesen hätte (vgl 7 Ob 78/06f), während den Vertragspartner des Verwenders die Behauptungs- und Beweislast für die Nachteiligkeit und Ungewöhnlichkeit trifft (vgl RS0053244, RS0014607).
[11] Die Beklagte hat in erster Instanz mehrmals konkret behauptet, dass sie auf die Klausel nicht hingewiesen worden sei; dem sind weder die Klägerin – wie schon das Berufungsgericht angemerkt hat – noch deren Nebenintervenientin konkret entgegengetreten. Das Berufungsgericht hat daher seiner rechtlichen Beurteilung ohne Verfahrensfehler im Tatsächlichen zugrunde gelegt, dass die Klägerin auf die Klausel nicht hingewiesen hat.
[12] 3. Der Oberste Gerichtshof ist zur Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht jedenfalls, sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtet hat oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind (vgl RS0121516).Für die Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofs spielen daher weder der Umstand, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zu gleichen oder ähnlichen Klauseln fehlt (RS0121516 [T4]), noch die bloße Häufigkeit der Verwendung strittiger Klauseln (RS0121516 [T38]; RS0042816 [T1]) eine Rolle.
[13] Die Beantwortung der Frage, ob eine Klausel nach § 864a ABGB ungewöhnlich ist, ist nämlich von der Kasuistik des Einzelfalls geprägt und auf die konkrete Rechtsbeziehung zugeschnitten, sodass dieser Rechtsfrage grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RS0122393; RS0014646 [T7]). Als Einzelfallentscheidung ist sie nur dann durch den Obersten Gerichtshof überprüfbar, wenn sie sich nicht im Rahmen der Vorgaben der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bewegt und daher im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigieren ist (10 Ob 13/22t mwN). Das ist hier nicht der Fall:
[14] 3.1. Die umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Geltungskontrolle nach § 864a ABGB – der auch auf Rechtsgeschäfte zwischen Unternehmern anzuwenden ist (vgl RS0014612 [T2]) – lässt sich dahin zusammenfassen, dass eine Klausel dann objektiv ungewöhnlich iSd § 864a ABGB ist, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (10 Ob 13/22t [Rz 14]). Der Klausel muss ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnen (RS0014646; 5 Ob 117/21y [Rz 13] ua). Die Ungewöhnlichkeit hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren (RS0014627 [T3, T15]; 4 Ob 63/21z [Rz 11] ua). Neben ihrem Inhalt ist auch die Stellung der Klausel im Gesamtgefüge des Vertragstextes maßgebend (RS0014646 [T17]), weil sich das Ungewöhnliche einer Vertragsbestimmung vor allem aus der Art ihrer Einordnung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergibt (RS0014659 [insb T2]; 9 Ob 46/21m [Rz 15] ua). Sie dürfen im Text nicht derart „versteckt“ sein, dass sie der Vertragspartner – ein durchschnittlich sorgfältiger Leser – nicht dort vermutet, wo er sie findet, und dort nicht findet, wo er sie vermuten könnte (RS0105643 [T2], RS0014646 [T14]). Erfasst sind alle nachteiligen Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts, mit denen nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde nicht zu rechnen war (RS0105643 ua). Die Ungewöhnlichkeit eines Inhalts ist nach dem Gesetzestext objektiv zu verstehen. Die Subsumtion hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren. Ein Abstellen auf die subjektive Erkennbarkeit gerade für den anderen Teil ist daher ausgeschlossen (RS0014627). Selbst eine weite Verbreitung einer Klausel in einer Branche steht der Geltungskontrolle nicht entgegen, weil nicht die tatsächlichen, sondern die redlichen Verkehrsgepflogenheiten den Prüfungsmaßstab bilden (RS0014646 [T10, T16]). Nur weil bestimmte Klauseln häufig Verwendung finden, sind sie aus Sicht des Vertragspartners noch nicht als im redlichen Verkehr üblich anzusehen (RS0014646 [T15]).
[15] 3.2. Das Berufungsgericht erachtete die Klausel als iSd § 864a ABGB unwirksam, wobei es zusammengefasst folgende Aspekte hervorhob:
[16] Zwar ist die Klausel als Abs 6 des einleitenden Abschnitts „Präambel und Allgemeines“ auf Seite 1 der AAB 2011 enthalten. Allerdings erwartet der durchschnittlich aufmerksame Leser an dieser Stelle keine Klausel dieses Inhalts, sodass sie als „versteckt“ anzusehen ist. Abs 6 weist auch keinen Zusammenhang zu den übrigen Absätzen „Präambel und Allgemeines“ auf, enthält weder eine eigene Überschrift noch einen Fettdruck oder sonstige Hervorhebungen. Die übrigen Bestimmungen, auf die Abs 1 von „Präambel und Allgemeines“ verweist, enthalten keinen Hinweis auf die Verpflichtung nach deren Abs 6 (sehr wohl aber an mehreren Stellen auf deren Abs 3 und 4). Insbesondere in Passagen der AAB 2011, in denen Pflichten des Auftraggebers näher geregelt werden (zB Pkt II.4 – „Sicherung der Unabhängigkeit“ der Pkt II.11 – „Annahmeverzug und unterlassene Mitwirkung des Auftraggebers“) wäre zumindest eine Erwähnung einer solchen gravierenden Verpflichtung zur Pönalezahlung oder ein Hinweis darauf zu erwarten gewesen, zumal auf andere Bestimmungen von „Präambel und Allgemeines“ wiederholt sehr wohl hingewiesen wird oder besondere Regelungen durch Fettdruck (zB Pkt II.4.2) oder Überschrift hervorgehoben werden. In einer Präambel sind zudem allgemeine, vertragseinleitende Bestimmungen zwischen den Vertragsparteien zu erwarten, nicht aber solche, die für ganze Gruppen von Auftragnehmern wie etwa die zB in Pkt II.4.2 genannten Verbraucher, keine Relevanz haben werden. Außerdem betont das Berufungsgericht die Ungewöhnlichkeit der auch im Verhältnis zur Honorarhöhe unangemessen hohen Pönale hinsichtlich eines Beschäftigungsverbots von Mitarbeitern, ohne dass zwischen den Parteien ein Konkurrenz- und Wettbewerbsverhältnis oder zwischen der Beendigung des Auftragsverhältnisses und der Beschäftigung eines Mitarbeiters ein Zusammenhang erforderlich wäre. Zudem umfasst die Klausel sämtliche Mitarbeiter der Klägerin, die nicht einmal in die Geschäftsbeziehung mit Kunden eingebunden sein müssten oder in anderen Niederlassungen oder Filialen beschäftigt gewesen sein könnten; zu ergänzen ist, dass nach dem Wortlaut sogar erst nach der Beendigung des Auftragsverhältnisses – innerhalb der Jahresfrist – bei der Klägerin angestellte Mitarbeiter erfasst wären. Ungewöhnlich ist die Bestimmung auch insofern, als ein Auftraggeber nicht nur keine Mitarbeiter „aktiv abwerben“ darf, sondern auch weil ein generelles Verbot der Mitarbeiterbeschäftigung unabhängig davon besteht, ob der Mitarbeiter in das Vertragsverhältnis in irgendeiner erkennbaren Form eingebunden wurde oder der Vertragspartner ursächlich für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses des Mitarbeiters war.
[17] 3.3. Diese Überlegungen zum vorliegenden Einzelfall halten sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung.
[18] Woraus die Revision der Nebenintervenientin ableiten will, dass der Klausel eine einer zulässigen Konkurrenzklausel nach § 36 AngG vergleichbare sachliche Einschränkung – insbesondere auf den Geschäftszweig der Klägerin oder auf deren Abwerbeversuchen besonders ausgesetzte Mitarbeiter, die direkt beim Kunden in dessen Geschäftsbetrieb eingesetzt würden – zu entnehmen sein sollte, ist nicht nachvollziehbar. Auch der Hinweis beider Revisionen auf 4 Ob 174/12k, worin festgehalten worden sei, dass eine Klausel branchenüblich sei, weil sie von einer gesetzlichen Interessenvertretung stamme, überzeugt nicht, weil es – wie oben bereits dargelegt – nicht zwingend auf die Üblichkeit oder Verbreitung von Klauseln ankommt. Ob die Beklagte selbst allenfalls gesetzwidrige Klauseln ähnlichen Gegenstands verwendet, ist für die Frage der Unzulässigkeit der vorliegenden Klausel irrelevant.
[19] 4. Da die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vorgeht (RS0037089), und bereits Erstere vertretbar zur Abweisung des Klagebegehrens führte, stellt sich auch in Bezug auf Letztere keine erhebliche Rechtsfrage.
[20] Beide Revisionen waren daher zurückzuweisen.
[21] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revisionen hingewiesen.
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