OGH 4Ob3/11m

OGH4Ob3/11m12.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. T***** B*****, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei „W*****“ ***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Gernot Murko und Mag. Christian Bauer, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Unterlassung, Auskunftserteilung und Zahlung (Streitwert im Sicherungsverfahren 30.500 EUR), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 22. Oktober 2010, GZ 2 R 174/10p-10, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 29. Juli 2010, GZ 10 Cg 125/10b-4, bestätigt wurde, folgenden

B e s c h l u s s

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung - unter Einschluss des bestätigten Teils - insgesamt wie folgt zu lauten hat:

„Einstweilige Verfügung

Der beklagten Partei wird bis zur Rechtskraft des Urteils über das Unterlassungsbegehren aufgetragen, es zu unterlassen, Tagebücher des Klägers und/oder ähnliche vertrauliche Aufzeichnungen des Klägers auf eine Weise zu verbreiten, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich werden, insoweit es in den Aufzeichnungen um private Angelegenheiten des Klägers geht, insbesondere um seine Lebenssituation und/oder die Lebenssituation seiner Ehefrau und/oder seiner Kinder und/oder die privaten Zukunftspläne des Klägers und/oder die persönlichen Beurteilungen des Klägers über seine Gesprächspartner.

Das Mehrbegehren, der Beklagten aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des Urteils über das Unterlassungsbegehren ganz allgemein zu unterlassen, Tagebücher des Klägers und/oder ähnliche vertrauliche Aufzeichnungen des Klägers auf eine Weise zu verbreiten, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich werden, wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Hälfte ihrer Kosten vorläufig selbst zu tragen; die halben Kosten hat sie endgültig selbst zu tragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 584,10 EUR (darin 97,35 EUR USt) bestimmten anteiligen Äußerungskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei hat die Hälfte ihrer Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die halben Kosten hat sie endgültig selbst zu tragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.605,42 EUR (darin 267,57 EUR USt) bestimmten anteiligen Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Die Beklagte ist Medieninhaberin der Internet-Website http:/www.w *****.at.

Sie stellte am 8. 7. 2010 einen Artikel unter der Überschrift: „Wann's des Göld hobts, moch ma des“ - Das geheime Tagebuch von T***** B***** auf ihre website, an dessen Ende das „erstmals komplett veröffentlichte Tagebuch“ des Klägers als PDF-Dokument zum Herunterladen angeboten wurde.

Das vom Kläger verfasste Schriftstück enthält eine Darstellung der Vorbereitung und Abwicklung des Verkaufs von Anteilen an der ehemaligen Kärntner Landesbank, aber auch private Bemerkungen des Verfassers über ihn und seine Familienangehörigen, etwa über private Liegenschaftstransaktionen, seine finanzielle Situation, Ausbildung und Studienorte der Kinder, seine Gesundheitsprobleme und persönliche Werturteile über Dritte.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt der Kläger, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des Urteils über das Unterlassungsbegehren zu unterlassen, Tagebücher des Klägers und/oder ähnliche vertrauliche Aufzeichnungen des Klägers auf eine Weise zu verbreiten, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich werden. Das veröffentlichte Schriftstück sei ein vom Kläger geführtes vertrauliches Tagebuch, das niemals zur Veröffentlichung bestimmt oder freigegeben worden sei. Die Veröffentlichung verletze berechtigte Interessen des Klägers, weil in den privaten Tagebuchaufzeichnungen unter anderem die persönliche und zum Teil nicht sehr vorteilhafte Meinung des Klägers über hochrangige Politiker enthalten sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Das betreffende Schriftstück sei kein urheberrechtlich geschütztes Tagebuch, weil es keine täglichen Eintragungen persönlicher Erlebnisse und Gedanken enthalte, sondern eine nachträglich verfasste Niederschrift des Verfassers sei, die keine einem Tagebuch ähnliche vertrauliche Aufzeichnungen enthalte. Die Bezeichnung „Der Deal“ lasse darauf schließen, dass das Schriftstück nicht zu vertraulichen Zwecken, sondern als Dokumentation für die Öffentlichkeit und für den amtlichen Gebrauch verfasst worden sei. Schon am 28. 6. 2010 hätten Online-Medien berichtet, dass das betreffende Schriftstück bei der Durchsuchung des Büros des Klägers aufgefunden worden sei. Dass der Kläger die Niederschrift - wie er behaupte - für seine Kinder hergestellt habe, fände in ihr keinen Niederschlag. Im Zusammenhang mit dem Verkauf der ehemaligen Kärntner Landesbank seien strafgerichtliche Ermittlungen in Österreich und Deutschland gegen den Kläger anhängig. Das Schriftstück enthalte auf 33 Seiten eine detaillierte Schilderung von Vorgängen und Gesprächen des Klägers mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft, die im Mittelpunkt der strafgerichtlichen Ermittlungen stünden. Einem allenfalls bestehenden berechtigten Geheimhaltungsinteresse des Klägers stehe ein überwiegendes Veröffentlichungsinteresse gegenüber. Auch die Wertungen des § 7 MedienG rechtfertigten die Veröffentlichung, die den Kläger nicht bloßstelle und seinen höchstpersönlichen Lebensbereich nicht betreffe. Das Schriftstück sei Teil eines Gerichtsakts und könne jederzeit im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung verlesen werden. Wiederholungsgefahr bestehe nicht, weil die Beklagte das Dokument nach Aufforderung durch den Rechtsvertreter des Klägers bereits aus dem Netz genommen und aus den Online-Datenbanken gelöscht habe.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Das veröffentlichte Schriftstück sei zwar kein Tagebuch im engeren Sinn, wohl aber ein einem Tagebuch ähnliches vertrauliches Dokument iSd § 77 Abs 1 UrhG. Seine Bezeichnung „Der Deal“ lasse noch nicht auf eine Veröffentlichungsabsicht schließen, zumal der Kläger darin auch private Vorgänge (etwa den Studienort seiner Kinder oder seinen privaten Hauskauf) festgehalten habe. Die berechtigten Interessen iSd § 77 UrhG umfassten den Schutz des Privatbereichs. Da der Kläger in dem Dokument seine teilweise sehr unvorteilhafte Meinung über Geschäftspartner und Persönlichkeiten der Politik und des öffentlichen Lebens schildere, verletze die Veröffentlichung seine berechtigten Interessen. Eine Interessenabwägung zwischen seinem Geheimhaltungsinteresse und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit führe dazu, dass angesichts der Aktualität, Bedeutung und weitreichenden Konsequenz der im Schriftstück geschilderten Vorgänge sowie des Umstands, dass auch öffentliche Mittel in erheblicher Höhe aufzubringen gewesen seien, ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit an näheren Informationen zum Zustandekommen des Unternehmensverkaufs bestehe, zumal der Text keine den Kläger bloßstellende Passagen enthalte.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch beim urheberrechtlichen Briefschutz eine Interessenabwägung vorzunehmen sei. § 77 Abs 1 UrhG diene dem Schutz der Privatsphäre und schütze Aufzeichnungen und Mitteilungen, die nach der Intention des Verfassers nicht an die Öffentlichkeit gelangen bzw nur einem bestimmten Empfängerkreis zugänglich sein sollten. Das von der Beklagten veröffentlichte Schriftstück des Klägers falle als sonstige vertrauliche Aufzeichnung unter die genannte Bestimmung. Der Schutz des § 77 UrhG setze ein berechtigtes Interesse am Unterbleiben der Veröffentlichung voraus; dazu zählten Interessen, die den Schutz des Privatbereichs wie etwa familiäre oder gesundheitliche Tatsachen beträfen. Es ginge viel zu weit, jede ohne Einwilligung des Verfassers vorgenommene öffentliche Mitteilung einer vertraulichen Aufzeichnung auch dann zu verbieten, wenn dessen Verfasser an der Geheimhaltung gar kein Interesse habe oder wenn dem Interesse des Verfassers an der Geheimhaltung überwiegende berechtigte Interessen anderer Personen an der Veröffentlichung entgegenstünden. In einem zweiten Schritt sei sodann zu prüfen, ob das Geheimhaltungsinteresse oder das Veröffentlichungsinteresse überwiege. Bejahe man mit dem Erstgericht ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Klägers an den vertraulichen Aufzeichnungen wegen der nicht immer schmeichelhaften Einschätzung seiner Geschäftspartner und der am Unternehmensverkauf beteiligten Entscheidungsträger, sei eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dass diese zugunsten des Veröffentlichungsinteresses der Beklagten ausfalle, habe das Erstgericht mit überzeugenden Argumenten begründet.

Dem Sicherungsantrag sei auch nicht im Umfang des Eventualrekursantrags stattzugeben, der darauf abziele, eine Veröffentlichung insoweit zu unterlassen, als es in den Aufzeichnungen um private Angelegenheiten des Klägers gehe, insbesondere um seine Lebenssituation und/oder die Lebenssituation seiner Ehefrau und/oder seiner Kinder und/oder die privaten Zukunftspläne des Klägers und/oder die persönlichen Beurteilungen des Klägers über seine Gesprächspartner. Das Schriftstück enthalte nämlich nur ganz am Rande völlig bedeutungslose Informationen zu seinem Privatleben und zu seinen Familienangehörigen (etwa die beiläufige Erwähnung erfolgreich abgeschlossener Immobilientransaktionen und der Studienorte seiner Kinder oder seine Überlegungen, sich in Kärnten niederzulassen), die weder bloßstellend noch kompromittierend seien und keine vom Schutz des Privatbereichs umfassten familiären Tatsachen beträfen. Damit fehle es insoweit schon an einem berechtigten (Geheimhaltungs-)Interesse des Klägers, womit es in Ansehung dieser Inhalte keiner Interessenabwägung mehr bedürfe. Ob die den Eventualantrag betreffenden Umstände als unzulässige Neuerungen unbeachtlich seien, könne deshalb dahingestellt bleiben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne seines Eventualantrags berechtigt.

Der Kläger macht geltend, die Prüfung, ob Rechte aus § 77 Abs 1 UrhG verletzt worden seien, habe sich auf die - von den Vorinstanzen im Anlassfall zutreffend bejahte - Prüfung zu beschränken, ob der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Nichtverbreitung der von ihm verfassten vertraulichen Aufzeichnungen habe; entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sei hingegen nach dem klaren Gesetzeswortlaut keine Interessenabwägung vorzunehmen. Selbst bei gegenteiliger Ansicht beschränke sich das Recht der Beklagten, das vom Kläger stammende Schriftstück zu veröffentlichen, auf jene Textabschnitte, die sich mit dem Erwerb von Unternehmensanteilen der betreffenden Bank befassten. Die über diesen Themenbereich hinausgehenden Textabschnitte beträfen den Privatbereich des Klägers und seiner Familie sowie die persönliche Beurteilung seiner Gesprächspartner, somit sensible Details des Privat- und Familienlebens iSd § 7 Abs 1 MedienG; insoweit bestehe kein überwiegendes Veröffentlichungsinteresse der Allgemeinheit.

1. Nach § 77 Abs 1 UrhG dürfen Briefe, Tagebücher und ähnliche vertrauliche Aufzeichnungen weder öffentlich vorgelesen noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Verfassers oder, falls er gestorben ist, ohne die Veröffentlichung gestattet oder angeordnet zu haben, eines nahen Angehörigen verletzt würden.

2.1. § 77 UrhG ist keine urheberrechtliche Norm, sondern eine persönlichkeitsrechtliche Bestimmung. Sie dient dem Schutz der Privatsphäre des Verfassers, im Fall des Briefes auch des Empfängers (Dillenz/Gutman, UrhG & VerwGesG² § 77 Rz 1; A. Kodek in Kucsko, urheber.recht 1047).

2.2. Der Briefschutz des § 77 UrhG besteht unabhängig davon, ob die Briefe, Tagebücher oder sonstigen Aufzeichnungen urheberrechtlich geschützt sind (§ 77 Abs 4 UrhG), also auch dann, wenn es sich um einfache Mitteilungen und keine Äußerungen von literarischem Wert oder keine eigentümlichen geistigen Schöpfungen handelt. Die Bestimmung normiert einen Persönlichkeits- und Geheimnisschutz, der nicht an die Stelle, sondern ergänzend neben einen allfälligen urheberrechtlichen Schutz tritt und vor einem Missbrauch vertraulicher Aufzeichnungen schützen soll (A. Kodek aaO mwN).

2.3. Der vom Gesetz verwendete Ausdruck „Briefschutz“ ist zu eng. Schutzgegenstand sind nämlich nicht nur Briefe, sondern auch Tagebücher und ähnliche vertrauliche Aufzeichnungen (Dittrich, Der Schutz der Persönlichkeit nach österreichischem Urheberrecht, ÖJZ 1970, 533, 535). Vertraulich sind Aufzeichnungen und Mitteilungen, die nach der Intention des Verfassers nicht an die Öffentlichkeit gelangen bzw nur einem bestimmten Empfängerkreis zugänglich sein sollen (Gassauer-Fleissner, Geheimhaltung, Offenbarung und Veröffentlichung von Daten in Informations-Netzwerken, ecolex 1997, 102).

3.1. Die Vorinstanzen haben mit zutreffender Begründung bejaht, dass durch die Veröffentlichung des vom Kläger verfassten Schriftstücks, das als vertrauliche Aufzeichnung seiner Art nach unter den Schutz des § 77 UrhG fällt, berechtigte Interessen des Verfassers verletzt werden.

3.2. Berechtigt im Sinne der auszulegenden Bestimmung ist ein Interesse nämlich dann, wenn es bei objektiver Prüfung des Einzelfalls als schutzwürdig anzusehen ist (Peter, Das österreichische Urheberrecht § 77 Anm 6; Dittrich aaO 536; vgl RIS-Justiz RS0078088 zu § 78 UrhG), wobei zu den schutzwürdigen Interessen auch der Schutz des Privatbereichs zählt. Familiäre Umstände oder persönliche Meinungen des Verfassers (hier: etwa über Geschäftspartner und Politiker) sollen in aller Regel nur mit Zustimmung des Betroffenen bekannt werden (zum besonderen Schutz der Privatsphäre vgl RIS-Justiz RS0122148).

3.3. Auch § 7 Abs 1 MedienG ahndet Verletzungen des höchstpersönlichen Lebensbereichs, wenn auch nur in den dort genannten qualifizierten Fällen. Der Anwendungsbereich des offener gefassten § 77 UrhG ist gegenüber dieser Bestimmung daher weiter, doch liegt beiden Bestimmungen dieselbe Wertung zugrunde, dass der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen ohne Zustimmung des Betroffenen nur ausnahmsweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden darf.

4.1. Im Zusammenhang mit dem Bildnisschutz des § 78 UrhG erkennt der Senat in langjähriger Rechtsprechung, dass das schutzwürdige Interesse des Abgebildeten an der Verhinderung einer Verbreitung seines Bildnisses die Verbreitung grundsätzlich unzulässig macht; behauptet allerdings auch derjenige, der das Bildnis verbreitet, ein Interesse an dieser Verbreitung, dann müssen die beiderseitigen Interessen gegeneinander abgewogen werden (4 Ob 4/91 - Betriebsratskaiser mwN). In solchen Fällen kann daher die Bildnisveröffentlichung nur durch ein im Rahmen einer Interessenabwägung gewonnenes höhergradiges Veröffentlichungsinteresse des Bildverbreiters gerechtfertigt sein (vgl RIS-Justiz RS0077767; zur Interessenabwägung vgl auch RS0104569, RS0108482).

4.2. Mangels kasuistischer Regelung durch den Gesetzgeber, in welchen Fällen Bildnisse verbreitet werden dürfen, ist somit nach einem flexiblen Interessenprinzip in zwei Stufen die Rechtswidrigkeit einer Bildnisveröffentlichung zu beurteilen: Als erster Schritt ist stets zu prüfen, ob im Einzelfall durch die Veröffentlichung überhaupt ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt worden ist. Wenn ja, ist in einem zweiten Schritt die Interessenlage auf beiden Seiten zu beurteilen und abzuwägen (Frick, Persönlichkeitsrechte, 111).

5.1. Diese Überlegungen gelten - entgegen der Auffassung des Klägers - auch im Bereich des Briefschutzes nach § 77 UrhG.

5.2. Dies folgt sowohl aus systematischen als auch aus teleologischen Gründen. Die Bestimmungen der §§ 77, 78 UrhG bilden gemeinsam den dritten Abschnitt des zweiten Hauptstücks des UrhG, regeln jeweils Persönlichkeitsrechte und sind mehrfach aufeinander bezogen (Abs 2 und 4 von § 77 UrhG gelten gemäß § 78 Abs 2 UrhG beim Bildnisschutz entsprechend). Beide Vorschriften verfolgen denselben Zweck eines Interessenausgleichs zwischen den Interessen einer Person und jenen der Allgemeinheit.

5.3. Es ist daher auch im Fall des § 77 UrhG bei einander widerstreitenden Interessen das Gewicht beider Interessenlagen nach billigem Ermessen gegeneinander abzuwägen. Eine Verletzung des Briefschutzes kann nur durch ein im Rahmen einer Interessenabwägung gewonnenes höhergradiges Veröffentlichungsinteresse des Verletzers gerechtfertigt sein (in diesem Sinne auch Dittrich, Der Schutz der Persönlichkeit nach österreichischem Urheberrecht, ÖJZ 1970, 536; Peter, Das österreichische Urheberrecht § 77 Anm 6; Mitteis, Grundriss des österreichischen Urheberrechtes 145; A. Kodek in Kucsko, urheber.recht 1047).

6.1. Das höhergradige Veröffentlichungsinteresse ist als Rechtfertigungsgrund vom Verletzer zu behaupten und zu beweisen (vgl zum Bildnisschutz 4 Ob 338/83 = RIS-Justiz RS0077785).

6.2. Soweit das von der Beklagten veröffentlichte Schriftstück die Vorbereitung und Abwicklung des Verkaufs von Anteilen an der ehemaligen Kärntner Landesbank zum Gegenstand hat, liegt das überwiegende Veröffentlichungsinteresse angesichts der aus diesem Verkauf resultierenden strafrechtlichen Verfolgungshandlungen und dem Umstand, dass letztlich nur das Einschreiten der öffentlichen Hand in Form einer Notverstaatlichung den Fortbestand der Bank sicherstellen konnte, auf der Hand; auch der Kläger behauptet in dritter Instanz nichts Gegenteiliges.

6.3. Das Schriftstück enthält aber darüber hinaus auch private Bemerkungen des Verfassers über ihn und seine Familienangehörigen, wie etwa Anmerkungen über private Liegenschaftstransaktionen, seine finanzielle Situation, Ausbildung und Studienorte der Kinder, seine Gesundheitsprobleme, sowie persönliche Werturteile über Dritte. Bei diesen Textabschnitten handelt es sich um eine Beschreibung von Umständen des Privat- und Familienlebens, deren Kenntnis für das Verständnis der Allgemeinheit vom zuvor geschilderten Verkauf von Unternehmensanteilen nicht notwendig ist. In diesem Umfang besteht daher kein überwiegendes Veröffentlichungsinteresse und damit kein Rechtfertigungsgrund für die Rechtsverletzung, ohne dass es - wie das Rekursgericht unzutreffend meint - darauf ankommt, welchen Umfang die das Privat- und Familienleben betreffenden Textabschnitte im Rahmen des gesamten Schriftstücks einnehmen, ob es sich um „bedeutungslose Informationen“ handelt, und ob sie geeignet sind, den Kläger im Fall einer Veröffentlichung bloßzustellen oder zu kompromittieren.

7. Die tragenden Gründe dieser Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

§ 77 UrhG ist eine persönlichkeitsrechtliche Bestimmung, die dem Schutz der Privatsphäre dient. Ihr liegt - ebenso wie § 7 Abs 1 MedienG - die Wertung zu Grunde, dass der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen ohne Zustimmung des Betroffenen nur ausnahmsweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden darf. Eine Verletzung des § 77 UrhG kann nur durch ein im Rahmen einer Interessenabwägung gewonnenes höhergradiges Veröffentlichungsinteresse des Verletzers gerechtfertigt sein, das vom Verletzer zu behaupten und zu beweisen ist.

8. Dem Revisionsrekurs ist teilweise Folge zu geben und die Veröffentlichung im aufgezeigten Umfang vorläufig zu untersagen.

9. Die Entscheidung über die Kosten des Klägers beruht auf § 393 Abs 1 EO; jene über die Kosten der Beklagten auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 43, 50 ZPO. Der Kläger hat den Sicherungsantrag zu weit gefasst; mangels anderer Anhaltspunkte sind Obsiegen und Unterliegen je mit der Hälfte des Begehrens zu bewerten (4 Ob 95/98v; 4 Ob 3/05b uva).

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