OGH 4Ob26/07p

OGH4Ob26/07p22.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei a***** AG, *****, vertreten durch Bartl & Partner, Rechtsanwalts-KEG in Graz, gegen die beklagte Partei S***** AG *****, vertreten durch Kaan Cronenberg & Partner, Rechtsanwälte in Graz, wegen 1,000.000 EUR sA und Unterlassung (Streitwert 1,000.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 30. November 2006, GZ 6 R 185/06g-19, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 26. Juli 2006, GZ 43 Cg 17/06p-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Parteien entwickeln und produzieren digitale Schaltkreise („Mikrochips"), die auf die Wünsche ihrer Kunden abgestimmt sind. Die S***** AG (in der Folge: S-AG) bezog solche Schaltkreise zunächst von der Klägerin, wechselte dann aber zur Beklagten.

Die Klägerin beantragt, der Beklagten die Ausführung des von ihr mit der S-AG geschlossenen „Entwicklungs- und/oder Vertriebsvertrags" zu verbieten, und begehrt Schadenersatz von 1 Mio EUR. Zwischen der Klägerin und der S-AG habe aufgrund einer „Rahmenvereinbarung" eine exklusive Vertragsbeziehung bestanden, nach der die S-AG verpflichtet gewesen sei, zukünftige Entwicklungsaufträge nur an die Klägerin zu vergeben. Vier im zuständigen Geschäftsbereich der Klägerin beschäftigte Mitarbeiter, darunter dessen Leiter, hätten während aufrechter Dienstverhältnisse die Gründung der Beklagten als Konkurrenzunternehmen geplant und betrieben. Im Oktober 2002 sei die Beklagte über Treuhänder gegründet worden. Parallel dazu habe der Leiter des Geschäftsbereichs ohne Wissen des Vorstands mit der S-AG Gespräche über die Weiterentwicklung eines bestimmten Bauteils geführt und in einem „Letter of Intent" die weitere Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und der S-AG vereinbart. Dafür habe es bei der Klägerin schon umfangreiche Vorarbeiten gegeben. Der Leiter des Geschäftsbereichs und seine Mitarbeiter hätten aber von Anfang an die Absicht gehabt, das Projekt in ihrem eigenen Unternehmen abzuwickeln. Zu diesem Zweck hätten sie in weiterer Folge der S-AG angeboten, die Entwicklung selbst (im Rahmen der Beklagten) durchzuführen. Dadurch hätten sie die S-AG zum Bruch der Rahmenvereinbarung mit der Klägerin verleitet.

Gegen Ende des Klagsvorbringens führte die Klägerin zusammenfassend aus: „Die beklagte Partei hat somit dadurch, dass sie die Geschäftspartnerin der klagenden Partei [...] zum Bruch der Rahmenvereinbarung [...] verleitet hat, diesen Auftrag nunmehr selbst ausführt und der Klägerin damit einen Schaden in der Höhe von mehreren Millionen Euro zufügt, sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG gehandelt." Die Beklagte sei daher verpflichtet, die Ausführung des Auftrags zu unterlassen. Der Schaden der Klägerin betrage allein aus dem Entgang des Entwicklungs- und des Produktionsauftrags viele Millionen Euro. Davon werde vorerst ein Teilbetrag von einer Million Euro geltend gemacht.

In einem weiteren Schriftsatz (ON 5) brachte die Klägerin vor, das Verhalten ihrer ehemaligen Mitarbeiter lasse nur den Schluss zu, dass sie „ihre Sach- und Personenkenntnis und ihre Beziehungen, die sie aus der gemeinsamen Arbeit für die klagende Partei erworben hatten, in rechtswidriger, illoyaler und wettbewerbswidriger Art und Weise für die neu zu gründende und gegründete" Beklagte einsetzen wollten. Sie hätten die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten noch bei der Klägerin, aber schon im Interesse der Beklagten durchgeführt. Insbesondere hätten sie die S-AG über die Möglichkeiten und Absichten der Klägerin getäuscht. Gleichzeitig hätten sie alle Details einer Vertragsbeziehung ausgearbeitet, „um diese dann 1 : 1 von der beklagten Partei übernehmen zu lassen". Die Beklagte sei durch die Verleitung der S-AG zum Bruch der Rahmenvereinbarung begünstigt worden. Verjährung sei nicht eingetreten, da der rechtswidrige Zustand andauere. Zudem habe die Klägerin erst gegen Ende März 2003 von den Vorgängen erfahren, weswegen die im Februar 2006 eingebrachte Klage jedenfalls rechtzeitig sei.

Die Beklagte bestritt die Vorwürfe. Eine neue Geschäftsführung der Klägerin habe die Tätigkeit des zuständigen Geschäftsbereichs eingeschränkt und die nun bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter aus dem Unternehmen gedrängt. Zuvor hätten sich diese Mitarbeiter aber loyal verhalten; sie hätten den Vorstand über die Verhandlungen mit der S-AG informiert und versucht, ihn zu einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung zu bewegen. Der Vorstand habe aber dagegen entschieden. Die nun von der Beklagten erzeugten Bauteile seien völlig neuartig; sie bauten nicht auf Vorarbeiten im Unternehmen der Klägerin auf. Die Rahmenvereinbarung habe kein Ausschließlichkeitsrecht begründet. Die Ansprüche seien verjährt. Weiters gebe es keinen Vertrag zwischen der Beklagten und der S-AG; die Vertragsbeziehung bestehe vielmehr zwischen dieser und einem „Konsortium", dem die Beklage angehöre. Das Schadenersatzbegehren sei nicht ausreichend konkretisiert und daher unschlüssig. Das Erstgericht beschränkte „das Beweisverfahren" auf die Frage, ob die Rahmenvereinbarung ein ausschließliches Recht der Klägerin auf weitere Entwicklungsaufträge begründet habe. In seinem Urteil verneinte es das Bestehen eines solchen Rechts und wies (allein) auf dieser Grundlage die Klage ab. Die Klägerin habe ihre Ansprüche nur auf die Verleitung zur Vertragsverletzung gestützt. Da die S-AG keinen Vertrag verletzt habe, bestünden die Ansprüche nicht zu Recht. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Klägerin habe ihren Anspruch ausdrücklich auf einen bestimmten Rechtsgrund (die Verleitung zur Vertragsverletzung) gestützt, woran das Erstgericht gebunden gewesen sei. Zudem habe die Klägerin die Beschränkung der Verhandlung auf diesen Streitpunkt nicht nach § 196 ZPO gerügt. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der ordentlichen Revision lägen nicht vor.

Mit ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin geltend, sie habe den von ihr vorgetragenen Sachverhalt zwar möglicherweise falsch qualifiziert, sich aber keinesfalls ausschließlich auf die Verleitung zum Vertragsbruch gestützt. Die Vorinstanzen seien verpflichtet gewesen, das von ihr erstattete Sachvorbringen umfassend zu würdigen. Zudem habe das Berufungsgericht § 196 ZPO zu Unrecht angewendet, da diese Bestimmung Stoffsammlungsmängel nicht erfasse.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen nicht beachtet haben, dass nach der Rsp des Obersten Gerichtshofs im Zweifel keine Beschränkung auf bestimmte Anspruchsgrundlagen anzunehmen ist. Die Revision ist auch berechtigt.

1. Das Gericht ist zwar nicht nur an die klägerischen Sachanträge gebunden, sondern auch an den geltend gemachten Anspruch. Soweit ein bestimmter Rechtsgrund ausdrücklich geltend gemacht wird, darf es der Klage nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben (RIS-Justiz RS0037610, insb T10; 4 Ob 52/95 = SZ 68/178 mwN). Hat sich der Kläger demgegenüber auf keinen bestimmten Rechtsgrund festgelegt, so hat das Gericht den festgestellten Sachverhalt unter Zugrundelegung der beiderseitigen Behauptungen nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (4 Ob 12/02x = ÖBl 2002, 297 - Internationales Kultur- und Filmfestival mwN). Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts ist der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt; eine unrichtige rechtliche Qualifikation wirkt sich nicht zum Nachteil des Klägers aus, wenn er alle anspruchsbegründenden Tatsachen vorgetragen und

unter Beweis gestellt hat (4 Ob 12/02x, 1 Ob 198/02b = SZ 2002/126, 8

Ob 82/03x = SZ 2003/140; RIS-Justiz RS0037610 T37).

Ob dem Prozessvorbringen eine Beschränkung auf einen bestimmten

Rechtsgrund entnommen werden kann, ist eine Frage der rechtlichen

Beurteilung (4 Ob 59/90 = ecolex 1990, 493 - Digitaluhr; RIS-Justiz

RS0037610 T31). Ihre Beantwortung hängt von der Auslegung des

Vorbringens im Einzelfall ab und begründet daher, von Fällen einer

groben Fehlbeurteilung abgesehen, keine Rechtsfrage erheblicher

Bedeutung iSv § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0044273, insb T41,

T43, T47, T49). Im Zweifel ist jedoch keine Beschränkung auf einen

von mehreren nach dem Sachvortrag in Betracht kommenden Rechtsgründen

anzunehmen (4 Ob 59/90 = ecolex 1990, 493 - Digitaluhr; 1 Ob 379/98m;

1 Ob 76/04i = JBl 2004, 726; RIS-Justiz RS0037610 T36).

2. Die Auffassung der Vorinstanzen, die Klägerin habe ihre Klage auf den Rechtsgrund der Verleitung der S-AG zum Vertragsbruch beschränkt, trifft zumindest bei Anwendung dieser Zweifelsregel nicht zu. Die Klägerin hat zwar ihr Vorbringen in diesem Sinn rechtlich qualifiziert und zusammengefasst. Der von ihr behauptete Sachverhalt trägt aber auch die Fallgruppe „Ausspannen von Kunden eines Mitbewerbers bei Hinzutreten besonderer Umstände, die den Wettbewerb verfälschen" (4 Ob 374/86 = SZ 59/153 - Montagetechnik; RIS-Justiz RS0116886). Ein solcher Umstand könnte insbesondere in einem inneren „Frontwechsel" der Mitarbeiter noch während ihres Dienstverhältnisses mit der Klägerin liegen (vgl 4 Ob 394/86 = ÖBl 1998, 13 - Tenniskartei). Hätten sie tatsächlich das nun mit der Beklagten realisierte Projekt schon bei der Klägerin mit dieser Absicht vorbereitet und wurde die Beklagte zur Ausnutzung dieses Verhaltens gegründet (vgl 4 Ob 32/06v = wbl 2006, 490), so wäre Sittenwidrigkeit iSv § 1 UWG auch ohne Verletzung einer (hier nicht behaupteten) Konkurrenzklausel zu bejahen.

3. Es kann zumindest im Zweifel nicht angenommen werden, dass die Klägerin einen nach ihrem Sachvorbringen Erfolg versprechenden Rechtsgrund ausdrücklich nicht geltend machen wollte. Die Vorinstanzen sind daher - insofern auf dem Boden einer auffallenden Fehlbeurteilung - zu Unrecht davon ausgegangen, die Klage sei ausschließlich auf eine Verleitung zum Vertragsbruch gestützt gewesen. Das Fehlen von Feststellungen zum (weiteren) Klagsvorbringen begründet daher sekundäre Feststellungsmängel.

Aus diesem Grund kann auch § 196 ZPO die Entscheidung der Vorinstanzen nicht tragen. Diese Bestimmung ist nach stRsp nicht auf Stoffsammlungsmängel anzuwenden (RIS-Justiz RS0037055, RS0037041). Daran ist zumindest für den Fall festzuhalten, dass die Mängel - wie hier - auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des Vorbringens beruhen (Fucik in Rechberger3 § 196 ZPO Rz 2; Burgstaller, Zur Rügelast nach § 196 ZPO, BeitrZPR I [1982] 59, 69). Ob § 196 ZPO - ungeachtet der mit der ZVN 2002 angestrebten Konzentration des Zivilprozesses (vgl 4 Ob 50/06s = RZ 2006, 231) - auch bei primären Stoffsammlungsmängeln unanwendbar ist, muss hier nicht entschieden werden (für eine in solchen Fällen bestehende Rügeobliegenheit Burgstaller aaO; aA Schragel in Fasching/Konecny2 II/2 § 196 ZPO Rz 3).

4. Diese Erwägungen führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen. Da das Verfahren bisher auf die Verleitung zum Vertragsbruch beschränkt war, ist derzeit nicht auf die weiteren Streitpunkte einzugehen (Unschlüssigkeit des Unterlassungsbegehrens mangels Bestehens eines Vertrags zwischen der Beklagten und der S-AG; Unschlüssigkeit des Schadenersatzbegehrens; Verjährung). Das Erstgericht wird die vorbereitende Tagsatzung insofern zu ergänzen haben. Danach wird es gegebenenfalls weitere Beweise aufzunehmen haben.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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