European Case Law Identifier: AT:OGH0002:2023:0040OB00227.22V.0131.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.973,86 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin 662,41 EUR USt) zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit den Baumeisterarbeiten für den Neubau einer Wohnanlage in St. Johann im Pongau. Als Gerichtsstand vereinbarten sie „o hne Rücksicht auf den Streitwert das Bezirksgericht St. Johann im Pongau“.
[2] Bei diesem Gericht brachte die Klägerin daher ihre Klage auf Zahlung von mehr als einer Million Euro Werklohn ein. Nach Abberaumung der ersten Beweisaufnahmetagsatzung im Juli 2022 beantragte sie die Delegierung der Rechtssache an das Landesgericht Salzburg. Die zuständige Richterin sei dauerhaft erkrankt, sodass ein völliger Verfahrensstillstand eingetreten sei.
[3] Das Bezirksgericht St. Johann im Pongau befürwortete die Delegierung. Die Dauer des Krankenstands sei nicht absehbar, ein Vertretungsrichter nicht zugeteilt worden. Die Gerichtsabteilung werde erst mit Mitte November wieder besetzt sein – und dies nur vorübergehend für zwei Monate. Eine Beweisaufnahme in einem komplexen Bauverfahren sei in dieser Zeit nicht möglich.
[4] Die Beklagte sprach sich gegen die Delegierung aus. Die Streitteile hätten in ihrer langjährigen Geschäftsbeziehung bewusst immer dieselbe Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, um eine örtliche Nähe zu Bauvorhaben und handelnden Personen zu gewährleisten. Unvorhergesehene Richterwechsel könnten bei jedem Gericht eintreten.
[5] Das Oberlandesgericht Linz wies den Delegierungsantrag ab. Eine Gerichtsstandsvereinbarung schließe die Möglichkeit einer zweckmäßigen Delegierung grundsätzlich aus. Darüber hinaus könne ein Delegierungsantrag nicht auf Verfahrensverzögerungen gestützt werden. Für Erkrankungen von Richtern würde durch die §§ 65a, 77 RStDG vorgesorgt.
[6] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin mit einem Abänderungsantrag.
[7] Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
[8] Die Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin beteiligte sich im Rekursverfahren nicht.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Rekurs der Klägerin ist nicht berechtigt.
[10] 1. Gemäß § 31 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden.
[11] 2. Die Parteien haben im vorliegenden Fall festgelegt, dass unabhängig vom Streitwert ein (konkret genanntes) Bezirksgericht „ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwertes“ zuständig sein soll. Damit ist im Zweifel kein ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart (RS0046840), sodass die Klägerin ihre Klage wahlweise auch beim für so hohe Streitwerte zuständigen Landesgericht (§ 49 Abs 1 JN) hätte einbringen können.
[12] Dass eine Delegierung von einem Bezirksgericht an ein Landesgericht beantragt wird, führt in diesem speziellen Fall nicht sofort zur Abweisung des Delegierungsantrags, weil das Landesgericht ausnahmsweise im konkreten Fall sachlich zuständig sein könnte und daher als Gericht gleicher Gattung anzusehen ist (vgl RS0046151 [insbes T7]).
[13] 3. Wie schon das Erstgericht richtig ausführte, müssen immer besonders schwerwiegende Gründe vorliegen, um eine Rechtssache gegen den Willen einer Partei dem zuständigen Gericht abzunehmen (RS0046455).
[14] Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung eine Delegierung grundsätzlich ausgeschlossen, wenn – wie hier – die Zuständigkeit eines Gerichts durch Parteienvereinbarung begründet wurde, weil dies ihrem Zweck widerspräche (vgl RS0046198 [T13]). Nur wenn nachträglich Umstände eintreten, auf die bei Abschluss der Vereinbarung nicht Bedacht genommen werden konnte, kann ausnahmsweise dennoch eine Delegierung vorgenommen werden (RS0046198).
[15] 4. Entgegen der Argumentation der Klägerin liegt in einem „Stillstand der Rechtspflege“ wegen Erkrankung der zuständigen Richterin kein solcher Umstand. Nach ständiger Rechtsprechung sind nämlich weder Verfahrensverzögerungen noch die Überlastung eines Gerichts Delegierungsgründe (vgl RS0046192, insbes 3 Ob 569/92 mwN). Zur Geltendmachung einer Säumnis stehen vielmehr andere Rechtsbehelfe zu Gebote (6 Ob 594/91). Die einschlägigen Normen, etwa § 91 GOG, gelten unabhängig davon, ob die entsprechende Gerichtsabteilung aktuell besetzt ist.
[16] 5. Insbesondere ist der hier vorliegende Fall eines Richterwechsels infolge Krankheit des zuständigen Rechtsprechungsorgans kein Delegierungsgrund. Selbstverständlich führt dieser Umstand sowohl für die Verfahrensparteien als auch die Justiz zu einem oft erheblichen Mehraufwand und Verfahrensverzögerungen. Diese können jedoch durch einen Wechsel zu einem anderen Gericht nicht vermieden oder auch nur minimiert werden. Auch bei einem anderen Gericht muss sich das neu zuständige Entscheidungsorgan erst in den Akt einarbeiten, bevor zweckdienliche Verfahrensschritte festgelegt werden können. Auch an einem anderen, größeren Gericht, kann es aus verschiedenen Gründen (erneut) zu einem Richterwechsel kommen, etwa wegen Pensionierung, Karenz, Spartenwechsel oder Bewerbung an ein anderes Gericht.
[17] 6. Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der erfolglose Delegierungswerber hat dem Prozessgegner dessen notwendige Kosten seiner ablehnenden Äußerung zum Delegierungsantrag unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits zu ersetzen (RS0036025).
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