OGH 4Ob2/16x

OGH4Ob2/16x23.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F***** G*****, 2. W***** G*****, beide vertreten durch Dr. Kurt Lechner, Rechtsanwalt in Neunkirchen, gegen die beklagte Partei J***** G*****, vertreten durch Mag. Klaus Haberler, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen Beseitigung und Herstellung (Streitwert 7.800 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 30. September 2015, GZ 58 R 53/15i‑29, womit das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 30. März 2015, GZ 23 C 287/14g‑22, teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00002.16X.0223.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird, soweit er die Aufhebung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung betrifft, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Rekurs Folge gegeben und das Ersturteil in der Hauptsache wiederhergestellt. Die Entscheidung über sämtliche Kosten des Verfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

 

Begründung:

Die Streitteile sind Eigentümer mehrerer benachbarter Grundstücke. Am 23. November 2012 vereinbarten sie, dass der Beklagte zwischen näher bestimmten Grundstücken einen Maschendrahtzaun auf einbetonierten Eisenstehern errichten soll. Dies tat der Beklagte auch, indem er zwischen den ihm bekannten Vermessungspunkten eine Schnur spannte, auf seiner Seite der Schnur, also auf seinen Grundstücken, Löcher bohrte, sie mit Beton füllte und darin die Zaunsteher aufstellte. Die Betonfundamente liegen zur Gänze unter der Erde und ragen bei einer Grundstücksgrenze zwischen einem und neun und bei einer anderen Grundstücksgrenze zwischen drei und elf Zentimeter in den Raum der (bzw unter die) Grundstücke des Erstklägers. Bei einer weiteren Grundstücksgrenze ragen die gleichartig erstellten Betonfundamente zwischen drei und sechs Zentimeter in das Grundstück beider Kläger.

Die Kläger haben durch das geringfügige Hineinragen der (unterirdischen) Betonfundamente keinen Nachteil, insbesondere ergibt sich dadurch für ihre Grundstücke keine Wertminderung.

Die Kläger begehrten, den Beklagten zur Entfernung der jeweils über die Grundstücksgrenze ragenden Teile der Betonfundamente zu verpflichten. Sie verwiesen auf die Beeinträchtigung ihres Eigentumsrechts und bestritten eine schikanöse Rechtsausübung.

Der Beklagte wendete ein, die allenfalls einige Zentimeter in das Grundstück der Kläger hineinragenden Betonfundamente der Zaunsteher bewirkten für die Kläger keine Beeinträchtigung, keine Einschränkung in der Nutzbarkeit ihrer Grundstücke und keine Wertminderung. Darüber hinaus sei die Rechtsausübung schikanös.

Das Erstgericht wies das Beseitigungsbegehren im Hinblick auf den als berechtigt erkannten Schikaneeinwand des Beklagten ab.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies das Verfahren zur Ergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sei zu prüfen, ob ein nach der Zaunerrichtung geschlossener Schenkungsvertrag einen schlüssigen Verzicht auf allfällige Ansprüche aus dem Hineinragen der Zaunsockel bedeutet habe. Im Übrigen verwarf es den Schikaneeinwand. Darüber hinaus sei das Verfahren für die abschließende Beurteilung der Kostenersatzfrage ergänzungsbedürftig, weil eine hiefür entscheidende Feststellung ungenügend begründet sei.

Den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob die Kläger konkrete Nachteile für ihre Grundstücke hätten behaupten müssen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten, mit dem er die gänzliche Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils anstrebt, ist, soweit er die Aufhebung der Kostenentscheidung und die diesbezügliche Verfahrensergänzung betrifft, nicht zulässig, im Übrigen aber zulässig und auch berechtigt.

1. Wenn ‑ wie hier ‑ das Klagebegehren auf Kostenersatz eingeschränkt wurde, so ist der die Kostenersatzfrage betreffende Aufhebungsbeschluss, auch wenn dessen unmittelbarer Gegenstand nicht eine Kostenfrage ist, ebenfalls eine Entscheidung über den Kostenpunkt im Sinn des § 528 Abs 2 Z 3 ZPO, die Entscheidung der zweiten Instanz darüber ist daher unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0044190, RS0044963 [insbesondere T27]; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 528 ZPO Rz 134 mwN).

Soweit der Rekurs des Beklagten die Aufhebung der Kostenentscheidung betrifft, ist er daher zurückzuweisen.

2. Was die Aufhebung des Ersturteils in Ansehung des klägerischen Beseitigungsbegehrens betrifft, ist die Sache ungeachtet der vom Berufungsgericht für klärungsbedürftig angesehenen Frage eines allfälligen schlüssigen Verzichts auf den Beseitigungsanspruch bereits spruchreif im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens.

Im Gegensatz zu der dem berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss zugrundeliegenden Auffassung, der Schikaneeinwand des Beklagten sei unbegründet, dringt er mit diesem Einwand durch.

Schikane liegt nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des Anderen ein krasses Missverhältnis besteht (RIS‑Justiz RS0026265, RS0026271). Die Behauptungs‑ und Beweislast trifft grundsätzlich denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zu Gunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben (4 Ob 233/02x; Reischauer in Rummel 3,§ 1295 Rz 82 f mwN). Begründet aber der Ablauf eines Geschehens die Vermutung der Schädigungsabsicht, ist es Sache der anderen Partei, einen gerechtfertigten Beweggrund für ihr Verhalten zu behaupten und zu beweisen (1 Ob 134/06x; 4 Ob 87/05f; 4 Ob 139/03z).

Bei einem geringfügigen Grenzüberbau kann der Schikaneeinwand des Bauführers berechtigt sein, wenn eine Verhaltensweise des Grundnachbarn vorliegt, die weit überwiegend auf eine Schädigung des Bauführers abzielt, und die Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund tritt (RIS‑Justiz RS0115858).

Nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen ragen die unter der Erde liegenden Betonfundamente der Zaunsteher jeweils nur wenige Zentimeter auf die Grundstücke der Kläger, die dadurch keine Wertminderung erfahren haben. Auch sonstige objektiv nachteilige Folgen aus dem Über‑(hier besser: Unter‑)bau sind nicht hervorgekommen („Die Kläger haben dadurch keinen Nachteil“) und wurden von den Klägern in erster Instanz auch nicht behauptet.

Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen in Ermangelung eines Sachverhalts, „den ein Vernünftiger als nennenswerten Nachteil empfinden würde“ (1 Ob 169/06v), den Klägern die Behauptungslast dafür aufgebürdet haben, weshalb für sie doch ein konkreter Nachteil bestehen solle. Derartige Behauptungen haben sie im erstinstanzlichen Verfahren nicht aufgestellt. Diesbezüglich ergänzendes Vorbringen im Berufungs‑ oder nunmehrigen Rekursverfahren ist jedenfalls unzulässig und daher eine unbeachtliche Neuerung.

Bereits ausgehend von diesem bislang dargestellten unstrittigen Sachverhalt erweist sich der Schikaneeinwand als berechtigt. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung 8 Ob 39/09g, der ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag; dort ragten die Betonfundamente der Zaunsteher unter der Erdoberfläche sogar 15 bis 20 Zentimeter, also fast doppelt so weit wie im Anlassfall, auf das Nachbargrundstück. Es kommt daher gar nicht mehr darauf an, ob die von den Klägern begehrte teilweise Entfernung des Zaunsockelfundaments insoweit einen zusätzlichen Nachteil für den Beklagten bewirkt, als dadurch der von ihm errichtete und auch weiter zu erhaltende Zaun seine Stabilität verlieren würde. Selbst wenn dies nicht zutreffen sollte, ist das Interesse der Kläger an der Entfernung der unterirdisch geringfügig auf ihr Grundstück ragenden Betonteile als völlig in den Hintergrund tretend zu beurteilen.

Das Argument der Kläger, ihr jedenfalls maßgebliches Interesse an der Beseitigung des Überbaus liege schon darin, eine allfällige Ersitzung von Teilen ihrer Grundstücke zu verhindern, überzeugt nicht, weil sämtliche Grundstücke im Grenzkataster enthalten sind, sodass gemäß § 50 VermG eine Ersitzung ausgeschlossen ist.

Das klageabweisende Ersturteil ist daher (in der Hauptsache) wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten aller Instanzen ist gemäß § 52 ZPO vorzubehalten (unanfechtbarer die Kostenentscheidung betreffender Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts).

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