European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00215.21B.1216.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme der gebrauchten Zurückweisungsgründe aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Gesamtrechtsvorgängerin des Beklagten – im Folgenden wird zwischen ihr und dem Beklagten nicht differenziert – erbrachte für die Klägerin im Rahmen eines Werkvertrags Bauarbeiten. In einem Vorprozess machte der Beklagte als dort klagende Partei eine Werklohnforderung von zuletzt 63.524,54 EUR geltend. Die Klägerin als dort beklagte Partei hielt der Klagsforderung eine Gegenforderung von 85.754,56 EUR für Bauschäden aufrechnungsweise entgegen. Weiters behielt sie sich die selbständige Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs von 514.608,39 EUR wegen Baukostenüberschreitung vor. Zur Abwehr des gegen sie geltend gemachten Anspruchs holte die Klägerin während des Vorprozesses ein Privatgutachten eines Bausachverständigen ein. Die Streitteile schlossen im Vorprozess (mit umgekehrten Parteirollen) schließlich folgenden Vergleich:
„1. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger … den Vergleichsbetrag 7.500 EUR zu bezahlen.
2. Der Kläger verpflichtet sich, der Beklagten … 26.264,38 EUR … an Kostenersatz zu bezahlen.
3. Mit Rechtswirksamkeit dieses Vergleichs sind sämtliche streitgegenständlichen Ansprüche der Streitteile ein für alle Mal bereinigt und verglichen, dies mit Ausnahme der im Punkt 4. explizit genannten vorprozessualen Kosten, dies im Sinne eines Generalvergleiches.
4. Der Kläger erklärt, im Falle der selbstständigen Geltendmachung der vorprozessualen Kosten … von 7.986 EUR USt durch die Beklagte, auf den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtsweges sowie auch auf den Einwand der Verjährung zu verzichten. Auf den Einwand der Verjährung wird jedoch nur verzichtet, sofern die Klage bis längstens 31.12.2021 eingebracht wird.
5. Es wird ein Aufrechnungsausschluss der Forderung zu 4. mit 1. sowie 2. vereinbart.“
[2] Mit ihrer im November 2020 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin den (anteiligen) Ersatz der Kosten des Privatgutachtens. Sie habe das Gutachten eingeholt, um ihren Prozessstandpunkt zu untermauern bzw die unberechtigten Ansprüche des Beklagten im Vorprozess abzuwehren. Dieses Gutachten sei jedenfalls zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Das Gutachten habe zum Vergleich geführt. Es sei aber nicht bloß prozessbezogen gewesen, sondern habe auch über den Vorprozess hinaus Bedeutung. Die Kosten der Beiziehung des Privatgutachters könnten zudem auch als eigener Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden.
[3] Der Beklagte wandte ein, dass die Klägerin das Privatgutachten nur zur Abwehr der Klagsansprüche im Vorprozess beigezogen habe. Das Gutachten sei für die Prozessführung aber nicht notwendig gewesen. Die Tätigkeit des Privatgutachters habe nicht dazu gedient, den Vorprozess zu beschleunigen bzw Prozessthemen und die Beweisaufnahme einzuschränken.
[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es ging davon aus, dass das von der Klägerin eingeholte Privatgutachten prozessbezogen und zweckentsprechend gewesen sei; es habe im Vorprozess als Beweismittel gedient, das auch zu einer vergleichsweisen Regelung wesentlich beigetragen habe. Wegen des im Vorprozess abgeschlossenen Vergleichs habe die Klägerin die vorprozessualen Kosten für das Privatgutachten geltend machen können, weil die Streitteile auf den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs verzichtet hätten.
[5] Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung des Beklagten das Ersturteil einschließlich des diesem vorangegangenen Verfahrens als nichtig auf und wies die Klage zurück. Es ging davon aus, dass der Vergleich den Vorprozess noch nicht abschließend beendet habe, weil die Parteien die Kosten des Privatgutachtens vom Vergleich ausgenommen hätten. Die Klägerin habe im Vorprozess noch die Möglichkeit, einen Fortsetzungsantrag zu stellen, damit dort über ihre vorprozessualen Kosten entschieden werde. Damit stehe der gegenständlichen Klage zum einen das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit entgegen.
[6] Zum anderen liege die Unzulässigkeit des Rechtswegs vor. Auf dieses amtswegig wahrzunehmende Prozesshindernis könne nicht verzichtet werden. Im Anlassfall sei von einer weit überwiegenden Prozessbezogenheit des Privatgutachtens auszugehen, die einer selbständigen Einklagbarkeit der Kosten für das Privatgutachten entgegenstehe. Aufgrund der strengen Akzessorietät von Prozesskosten liege die Unzulässigkeit des Rechtswegs vor. Solange die Hauptforderung noch (auch nur teilweise) bestehe, können diese nicht gesondert, sondern nur zusammen mit der Hauptforderung eingeklagt werden. Ein Wegfallen der Hauptforderung habe die Klägerin nicht behauptet.
[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass gegen seinen Beschluss der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig sei.
[8] Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben und dem Berufungsgericht eine inhaltliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
[9] Der Beklagte beantragte in seiner Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Rekurs der Klägerin ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands und unabhängig vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne von § 502 Abs 1, § 528 Abs 1 ZPO zulässig (jüngst 6 Ob 175/20h); er ist auch berechtigt.
1. Zum Prozesshindernis der Streitanhängigkeit:
[11] 1.1 Nach § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gerichte ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruches angebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen. Derselbe („nämliche“) Anspruch liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn nicht nur die Parteien ident sind, sondern der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (RS0039347). Streitanhängigkeit besteht nach der Rechtsprechung allerdings auch dann, wenn die Begehren zwar nicht ident sind, aber – regelmäßig bei vertauschten Parteirollen – eines das begriffliche Gegenteil des anderen ist (RS0039246).
[12] 1.2 Der von der Klägerin geltend gemachte Ersatzanspruch für die Kosten des Gutachtens ist weder mit dem vom Beklagten im Vorprozess geltend gemachten Werklohnanspruch ident noch sein begriffliches Gegenteil. Eine derartige inhaltliche Deckung der Ansprüche liegt weder bei den rechtserzeugenden Tatsachen noch beim daraus abgeleiteten Begehren vor. Zwischen dem vom Beklagten im Vorprozess geltend gemachten Werklohnanspruch und dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Kostenersatz des Privatgutachtens besteht daher keine Identität, sodass schon aus diesem Grund das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit nicht vorliegt.
[13] 1.3 Davon abgesehen hat ein Prozessvergleich prozessbeendigende Wirkung, wenn durch ihn der gesamte Streitgegenstand erledigt wird (§ 204 Abs 1 Satz 1 ZPO; Rechberger/Simotta, ZPR9 Rz 681). In einem solchen Fall endet auch die Streitanhängigkeit (2 Ob 133/19a; 4 Ob 60/18d), sodass diese einem späteren Prozess als Hindernis nicht entgegenstehen kann.
[14] 1.3.1 Im Vorprozess wurde die Hauptsache, das ist der vom dortigen Kläger (dem hier Beklagten) geltend gemachte Anspruch, zur Gänze erledigt. Ein Teilvergleich, bei dem die Hauptsache nicht zur Gänze erledigt wird (Klicka in Fasching/Konecny 3 § 206 ZPO Rz 10; M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 47 ZPO Rz 4), lag im Vorprozess nicht vor. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Streitteile die von der Klägerin im gegenständlichen Verfahren begehrten Kosten von der Bereinigungswirkung des Vergleichs ausdrücklich ausgenommen haben: Die prozessbeendigende Wirkung eines Vergleichs hängt nicht davon ab, ob ein uneingeschränkter Generalvergleich vorliegt, sondern nur davon, ob der gesamte Streitgegenstand erledigt wurde, was – wie oben aufgezeigt – im Vorprozess der Fall war. Die Bereinigungswirkung des Vergleichs (und ihr Umfang) ist von der Prozessbeendigungswirkung des Vergleichs zu trennen (vgl Rechberger/Simotta, ZPR9 Rz 681).
[15] 1.3.2 Nach der Judikatur sind die Parteien zwar berechtigt, bei einem Vergleich in der Hauptsache die Kostenentscheidung durch das Gericht vorzubehalten (RS0035866). Auch ein solcher Vorbehalt wurde im Vorprozess aber nicht vereinbart. Vielmehr sind die Parteien einvernehmlich davon ausgegangen, den Vorprozess zur Gänze zu beenden, ohne dass der Klägerin damit eine selbstständige Geltendmachung der Kosten für das Gutachten verwehrt werden sollte. Auch hier ändert der eingeschränkte Umfang der Bereinigungswirkung nichts an der prozessbeendenden Wirkung des Vergleichs.
[16] 1.4 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass das Berufungsgericht zu Unrecht vom Prozesshindernis der Streitanhängigkeit ausgegangen ist.
2. Zum Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs:
[17] 2.1 Der Beklagte hat im Vorprozess im Zusammenhang mit der nun klagsgegenständlichen Forderung auf den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs verzichtet. Das Berufungsgericht hat dazu zutreffend die Ansicht vertreten, dass der amtswegigen Prüfung des Prozesshindernisses ein solcher Verzicht nicht entgegensteht. Der Umstand, dass der Beklagte das Vorliegen eines Prozesshindernisses mittels Prozesseinrede geltend machen kann (§ 239 Abs 3 Z 1 ZPO), ändert nichts daran, dass Prozessvoraussetzungen (bzw Prozesshindernisse) von Amts wegen zu prüfen (bzw wahrzunehmen) sind (vgl § 42 JN, § 230 Abs 2 und 3 ZPO). Die gegenteilige Ansicht hätte die Disponibilität der Zulässigkeit des Rechtswegs bzw der Akzessorietät des Kostenersatzanspruchs zur Folge, was abzulehnen ist (Trenker, Einvernehmliche Parteidisposition im Zivilprozess [2020] 317 ff mwN).
[18] 2.2 Die Klägerin hat hervorgehoben, dass das Gutachten deshalb eingeholt worden sei, um die Ansprüche des Beklagten abzuwehren. Es habe letztendlich auch zum Vergleich geführt und diente damit der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Wenn das Berufungsgericht daran anknüpfend darauf hingewiesen hat, dass auch nach dem klägerischen Vorbringen die Prozessbezogenheit des Privatgutachtens im Zentrum steht, ist das nicht zu beanstanden. Zu teilen ist auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass solche vor-(bzw: außer-)prozessuale Kosten eines Privatgutachtens solange nicht selbständig eingeklagt werden können, als ein Hauptanspruch besteht. (RS0053826; 5 Ob 212/05w).
[19] 2.3 Allerdings wurde von der zweiten Instanz ausgeblendet, dass die Klägerin den Wegfall der Akzessorietät durch ihren Hinweis auf den Inhalt des Vergleichs hinreichend deutlich vorgebracht hat. Vom (im Vorprozess abgeschlossenen und auch so bezeichneten) „Generalvergleich“ waren nur die klagsgegenständlichen Kosten des Privatgutachtens ausgenommen. Damit ist aber der Klägerin gegen den Beklagten jegliche Geltendmachung eines „Hauptanspruchs“ im Zusammenhang mit dem Werkvertrag verwehrt, seien es Ansprüche wegen Bauschäden, einer Baukostenüberschreitung oder jegliche andere (ebenfalls verglichenen) Ansprüche im (werksvertraglichen) Verhältnis zum Beklagten (arg „...sämtliche streitgegenständlichen Ansprüche der Streitteile ein für alle Mal bereinigt und verglichen.“). Damit steht einer selbständigen Einklagung der vorprozessualen (bzw außerprozessualen) Kosten nichts mehr entgegen.
[20] 2.4 Das Berufungsgericht hat daher zu Unrecht die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs für das Klagebegehren angenommen und die Nichtigkeit des Ersturteils darauf gestützt.
[21] 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts war daher aufzuheben. Das Berufungsgericht hat über die Berufung des Beklagten unter Abstandnahme der gebrauchten Zurückweisungsgründe zu entscheiden.
[22] 4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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