European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:0040OB00215.10M.0323.000
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden teilweise abgeändert, sodass die Entscheidung ‑ unter Einschluss des bestätigten und des in Rechtskraft erwachsenen Ausspruchs ‑ insgesamt zu lauten hat:
„1. Die beklagte Partei ist ab sofort schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, für 'Heute' einen Reichweitenvorsprung gegenüber periodischen Druckwerken von Mitbewerbern zu behaupten, zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten, wenn dieser nicht außerhalb der jeweils maßgeblichen statistischen Schwankungsbreite liegt und auf diesen Umstand nicht gleichermaßen auffällig hingewiesen wird, insbesondere dem Druckwerk 'Heute' unter Verweis auf die Media-Analyse 08/09 in der Kategorie der Leser in Wien, Altersgruppe der 30‑ bis 39‑jährigen, ohne jegliche Aufklärung über die fehlende statistische Signifikanz einen Vorsprung gegenüber der Tageszeitung 'Kronen Zeitung' zuzuschreiben oder zuschreiben zu lassen.
2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei ab sofort schuldig, es zu unterlassen, zu Zwecken des Wettbewerbs für Mitbewerber der Tageszeitung 'Österreich' einen Reichweitenvorsprung gegenüber 'Österreich' zu behaupten, zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten, wenn dieser nicht außerhalb der jeweils maßgeblichen statistischen Schwankungsbreite liegt und auf diesen Umstand nicht gleichermaßen auffällig hingewiesen wird, insbesondere der Tageszeitung 'Österreich' unter Verweis auf die Media‑Analyse 08/09 in der Kategorie der Leser in Wien, Altersgruppe der 14‑ bis 19‑jährigen, ohne jegliche Aufklärung über die fehlende statistische Signifikanz einen Rückstand gegenüber der Tageszeitung 'Kronen Zeitung' zuzuschreiben oder zuschreiben zu lassen, wird abgewiesen.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, den stattgebenden Teil des Spruchs dieser Entscheidung binnen 14 Tagen im redaktionellen Teil des periodischen Druckwerks 'Heute' im Umfang einer halben Seite in einem Kasten mit Fettdruckumrandung unter der in Fettbuchstaben gedruckten Überschrift 'Im Namen der Republik' mit gesperrt und fettgedruckten Namen der Prozessparteien, im Übrigen in Normalschrift, auf ihre Kosten zu veröffentlichen.
4. Das Mehrbegehren auf Veröffentlichung im Umfang einer ganzen Seite wird abgewiesen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 444,50 EUR anteilige Barauslagen binnen 14 Tagen zu ersetzen; im Übrigen werden die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „Österreich“. Die Beklagte ist Medieninhaberin des gratis abgegebenen periodischen Druckwerks „Heute“. Zwischen beiden Streitteilen besteht ein Wettbewerbsverhältnis.
Im Verfahren 10 Cg 132/08d des Handelsgerichts Wien schlossen die Streitteile einen Vergleich mit ‑ soweit hier maßgeblich ‑ folgendem Wortlaut: „Die [Beklagte] verpflichtet sich, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, 1. die Leserzahlen und/oder Reichweiten der periodischen Druckwerke 'Heute' und/oder von anderen Druckwerken mit den Leserzahlen und/oder Reichweiten von 'Österreich' zu vergleichen, so nicht zugleich in gleich auffälliger Form darauf hingewiesen wird, wer die entsprechenden Leserzahlen in welchem Zeitraum mit welcher Stichprobengröße und Schwankungsbreite erhoben hat. [...]“
In der Zeitung der Beklagten war am 5. 10. 2009 folgende Eigenwerbung veröffentlicht:
In der unteren Hälfte dieser Veröffentlichung befinden sich folgende Grafiken:
Die Klägerin begehrte, der Beklagten aufzutragen, es zu unterlassen,
1. im geschäftlichen Verkehr für „Heute“ einen Reichweitenvorsprung gegenüber periodischen Druckwerken von Mitbewerbern zu behaupten, zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten, wenn dieser nicht außerhalb der jeweils maßgeblichen statistischen Schwankungsbreite liegt und auf diesen Umstand nicht gleichermaßen auffällig hingewiesen wird, insbesondere dem Druckwerk „Heute“ unter Verweis auf die Media‑Analyse 08/09 in der Kategorie der Leser in Wien, Altersgruppe der 30‑ bis 39‑jährigen, ohne jegliche Aufklärung über die fehlende statistische Signifikanz einen Vorsprung gegenüber der Tageszeitung „Kronen Zeitung“ zuzuschreiben oder zuschreiben zu lassen;
2. zu Zwecken des Wettbewerbs für Mitbewerber der Tageszeitung „Österreich“ einen Reichweitenvorsprung gegenüber „Österreich“ zu behaupten, zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten, wenn dieser nicht außerhalb der jeweils maßgeblichen statistischen Schwankungsbreite liegt und auf diesen Umstand nicht gleichermaßen auffällig hingewiesen wird, insbesondere der Tageszeitung „Österreich“ unter Verweis auf die Media‑Analyse 08/09 in der Kategorie Leser in Wien, Altersgruppe der 14‑ bis 19‑jährigen, ohne jegliche Aufklärung über die fehlende statistische Signifikanz einen Rückstand gegenüber der Tageszeitung „Kronen Zeitung“ zuzuschreiben oder zuschreiben zu lassen. Die Veröffentlichung sei irreführend, weil sie den unwahren Eindruck vermittle, die Zeitung der Klägerin liege in Wien, Altersgruppe 14‑ bis 19-jährige, hinter „Kronen Zeitung“ und Zeitung der Beklagten, in der Altersgruppe der 30‑ bis 39-jährigen liege die Zeitung der Beklagten vor „Kronen Zeitung“, Zeitung der Klägerin und „Kurier“. Die Klägerin begehrte weiters die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung in der Zeitung der Beklagten auf einer ganzen Seite. Die Beklagte verschweige bei ihren Reichweitenvergleichen jeweils die statistische Schwankungsbreite sowie den Umstand, dass die behaupteten prozentuellen Vorsprünge nicht signifikant seien, also nicht außerhalb der Schwankungsbreite lägen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe aus der Media‑Analyse 2008/09 stammende Zahlen korrekt wiedergegeben und grafisch dargestellt, ohne damit eine weitere Wertung zu verbinden. In einer für die gesamte Grafik geltenden Fußnote werde auf die zitierte Quelle verwiesen und erläutert, dass die Leserzahlen in absoluten Zahlen, die Reichweiten in Prozent angegeben seien. Das Fehlen von Angaben über die Schwankungsbreite hätte die Klägerin mit dem im Vorverfahren erwirkten Vergleich verfolgen können, weshalb ihr das Rechtsschutzinteresse fehle. Zum ersten Unterlassungsbegehren sei die Klägerin nicht aktiv legitimiert, weil dieses allein das Verhältnis der Beklagten zu anderen Mitbewerbern betreffe; solche Verstöße könnten nur vom betroffenen Mitbewerber geltend gemacht werden. Die Klägerin beanstande allein eine Grafik; da das Unterlassungsbegehren auch das Verbot umfasse, bestimmte Äußerungen nicht verbreiten zu lassen, sei es zu weit gefasst.
Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren zur Gänze statt und ermächtigte die Klägerin ‑ insoweit blieb das Urteil unangefochten ‑ zur Urteilsveröffentlichung auf einer halben Seite. Werde aufgrund einer Reichweitengegenüberstellung eine Spitzenstellung oder ein Vorsprung gegenüber Mitbewerbern behauptet, müssten diese außerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen und dauerhaft sein. Diese Bedingung sei hier nicht erfüllt, weil beide beanstandeten Grafiken Vorsprünge anzeigten, die innerhalb der statistischen Schwankungsbreite lägen. Diese Aussagen seien grundsätzlich zur Irreführung geeignet. Die Quellenangabe ändere daran nichts, weil sich selbst für einen fachkundigen Anzeigenkunden daraus allein nicht ergäbe, dass die ersichtlichen prozentuellen Vorsprünge als nicht signifikant zu werten seien. Die Klägerin sei für beide Unterlassungsbegehren aktiv legitimiert: Zu Punkt 1. nehme die Beklagte zu Unrecht eine Spitzenstellung in Anspruch, dies sei geeignet, (auch) den Wettbewerb der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin spürbar zu beeinflussen. Zu Punkt 2. werde die Zeitung der Klägerin als nur drittstärkstes Medium und damit nachrangig gegenüber der „Kronen Zeitung“ präsentiert, welcher unrichtige Vergleich geeignet sei, die Nachfrage zugunsten der Beklagten spürbar zu beeinflussen, deren Medium als das führende Gratismedium hingestellt werde. Der bestehende Vergleich befriedige das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht vollständig, weil er sich mit keinem der Unterlassungsbegehren decke.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Schon der Einwand der Beklagten gegen das Rechtsschutzinteresse der Klägerin treffe zu. Der von der Beklagten abgeschlossene Vergleich ermögliche der Klägerin die Exekution auch im Fall der hier beanstandeten Veröffentlichung, weil auch hier Leserzahlen und Reichweiten ohne Hinweis auf die Schwankungsbreite der Reichweitenerhebung miteinander verglichen würden. Der bestehende Exekutionstitel beziehe sich auf einen Vergleich „von Leserzahlen und/oder Reichweiten“, worunter auch Vergleiche fielen, die auf bestimmte Altersgruppen abstellten.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Reichweite des im Vorverfahren abgeschlossenen Vergleichs unzutreffend beurteilt hat; das Rechtsmittel ist teilweise berechtigt.
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers zu verneinen ist ‑ mag auch das Prozesshindernis der entschiedenen Sache wegen des anders gestalteten Ausgangssachverhalts nicht vorliegen ‑, wenn er über einen rechtskräftigen Exekutionstitel verfügt, mit dem er auch wegen des neuen Sachverhalts Exekution führen kann (RIS-Justiz RS0079417). Bildet das im ersten Verfahren bereits erwirkte Gebot einen tauglichen Exekutionstitel zur Abstellung auch des gesamten im zweiten Verfahren behaupteten Verhaltens, fehlt dem Kläger insoweit das Rechtsschutzbedürfnis (RIS‑Justiz RS0079417 [T6]; zuletzt 4 Ob 179/10t).
2.1. Das Berufungsgericht ist von dieser Rechtsprechung abgewichen, wenn es das Rechtsschutzinteresse mit der unzutreffenden Begründung verneint hat, der Klägerin stehe mit dem im Vorverfahren abgeschlossenen Vergleich ein Exekutionstitel zur Verfügung, der sich auch zur Abstellung des gesamten im Anlassfall behaupteten lauterkeitswidrigen Verhaltens eigne.
2.2. Stellt man die vom Unterlassungsbegehren im Anlassfall umfassten Behauptungen schlagwortartig dem nach dem Exekutionstitel verbotenen Verhalten gegenüber, bietet sich folgendes Bild:
Begehren 1:
Reichweitenvorsprung für „Heute“ gegenüber Mitbewerbern, der nicht außerhalb statistischer Schwankungsbreite liegt, ohne entsprechenden Hinweis;
Begehren 2:
Reichweitenvorsprung für Mitbewerber gegenüber „Österreich“, der nicht außerhalb statistischer Schwankungsbreite liegt, ohne entsprechenden Hinweis
Vergleich:
Vergleich von Leserzahlen und/oder Reichweiten von „Heute“ und/oder Mitbewerber gegenüber „Österreich“ ohne Hinweis (ua) auf die Schwankungsbreite
2.3. Daraus ist ersichtlich, dass der Vergleich zwar die Exekutionsführung wegen eines mit dem zweiten Unterlassungsbegehren beschriebenen Verhaltens ermöglicht, nicht aber wegen eines Reichweitenvergleichs ohne Hinweis auf die Schwankungsbreite von zwei Mitbewerbern der Klägerin untereinander (hier zB: „Heute“ gegenüber „Kronen Zeitung“), wie er Gegenstand des ersten Unterlassungsbegehrens ist. Im aufgezeigten Umfang kann der Klägerin im Umfang dieser „Titellücke“ ein Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden.
3.1. Das in der beanstandeten Veröffentlichung verwirklichte und vom ersten Unterlassungsbegehren umschriebene Verhalten verstößt gegen § 2 UWG.
3.2. Wird mit scheinbar genauen Leserzahlen geworben, so entsteht der unrichtige Eindruck, diese Zahlen seien präzise festgestellt und nicht bloß das Ergebnis statistischer Verfahren, die Schwankungsbreiten aufweisen. Daher ist ein damit werbendes Medienunternehmen zu einer entsprechenden Aufklärung verpflichtet (RIS‑Justiz RS0113425). Für den Vergleich von Reichweitenergebnissen (etwa im Rahmen eines Reichweitenvergleichs mehrerer Medien) gilt nichts anderes; auch hier muss die Relativierung eindeutig sein (vgl RIS-Justiz RS0078834 [T5]; 4 Ob 21/06a). Andernfalls liegt eine Irreführung darin, dass der Eindruck eines zahlenmäßig bestimmten Reichweitenabstands erweckt wird, der jedoch unter Berücksichtigung der verschwiegenen Schwankungsbreiten deutlich geringer sein kann (4 Ob 184/08z). Deshalb muss zur Vermeidung eines unrichtigen Eindrucks auf die Schwankungsbreiten von Mediadaten-Erhebungen mit hinreichender Deutlichkeit hingewiesen werden (4 Ob 279/02m mwN).
3.3. Für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung macht es in dieser Frage keinen Unterschied, ob der (Reichweiten‑)Vergleich zwischen Medien der Parteien des Verfahrens oder Medien der Beklagten und einem Mitbewerber erfolgt. Wird nämlich die Beklagte in ihrem Markterfolg gegenüber einem Mitbewerber mit einem Vorsprung ausgewiesen, den sie in der genannten präzisen Form in Wahrheit nicht besitzt, ist dies geeignet, die Nachfrage für ihr Medium bei Lesern und Inseratenkunden zu steigern, die sich bei einer Auswahlentscheidung zwischen den verglichenen Medien für jenes Medium entscheiden könnten, dessen Erfolg ‑ wegen der unvollständigen Darstellung ‑ in seinem Ausmaß nicht richtig wiedergegeben ist. Für den Fall eines direkten Vergleichs der Medien der Streitteile gilt nichts anderes.
4. Die Kostenentscheidung ist in § 43 Abs 1 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO begründet. Die Klägerin war mit einem von zwei gleich hoch bewerteten Unterlassungsbegehren erfolgreich. Die Kosten sind daher gegeneinander aufzuheben; die Pauschalgebühren trägt jede Partei zur Hälfte.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)