European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00204.19G.0330.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Der Beklagte ist Augenarzt und gleichzeitig 50 %‑Gesellschafter einer GmbH, die an derselben Adresse einen Optikerbetrieb führt. Auch betreibt dort eine weitere GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagte (der eine Gewerbeberechtigung als Kontaktlinsenoptiker besitzt) ist, ein Kontaktlinseninstitut. Die Ordinationsräumlichkeiten des Beklagten grenzen unmittelbar an das Optikergeschäft. Auf der Straße gibt es keinen Hinweis auf das Optikergeschäft, sondern nur auf die Augenarztordination und das Kontaktlinseninstitut. Die Ordination und der Optikerbetrieb verfügen im Haus über zwei getrennte Eingänge, allerdings kann man aus dem Anmelde- bzw Wartebereich der Augenarztordination ungehindert in Richtung der Räumlichkeiten des Augenoptikbereichs blicken und auch direkt dorthin gelangen, ohne die Ordination durch die Eingangstür zu verlassen. Zwischen der Augenarztordination und dem Bereich der Augenoptik sind am Fußboden und an der dem Eingang gegenüberliegenden Wand drei cm große blaue Punkte aufgeklebt. Möchte ein Patient die Toilette benutzen, kann er durch den Augenoptikbereich durchgehen, er könnte auch die Ordination durch die Eingangstür verlassen, dann im Gang durch die Tür mit der Aufschrift des Optikerbetriebs hineintreten und die Toilette aufsuchen. In der Arztordination werden keine Brillen verkauft. Der Beklagte betreibt eine Website, auf der am 2. 9. 2018 unter anderem zu lesen war „… Neue Brillen und Kontaktlinsen [vom Beklagten] ...“ Nach Übermittlung der gegenständlichen Klage an den Beklagten wurde eine Änderung der Homepage dahin durchgeführt, dass sie nun keinerlei Hinweise mehr auf einen Brillenverkauf enthält.
Der klagende Wettbewerbsschutzverband begehrt im Wesentlichen, dem Beklagten zu untersagen, als Facharzt Werbung für den Augenoptikbetrieb und/oder für den Kontaktlinsenoptikbetrieb zu machen. Der Beklagte verstoße gegen das in § 3 der VO „Arzt und Öffentlichkeit“ 2014 (idF 21. 12. 2015) enthaltene Verbot der Werbung, aber auch gegen ÄrzteG, MPG, den ärztlichen Verhaltenskodex, den Gesamtvertrag samt Zusatzprotokoll und gleichlautenden Standesregeln und das UWG, weil er seine Patienten durch das Anbieten einer kompletten Versorgung in die psychische Drucksituation bringe, sich von ihm nicht nur untersuchen zu lassen, sondern auch gleich die Sehhilfen bei ihm zu beziehen. Er behindere dadurch unlauter den Wettbewerb unter den übrigen Optikern.
Das Erstgericht verneinte die geltend gemachten Lauterkeitsrechtsverstöße und wies die Klage ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, indem es die Auslegung des Erstgerichts als vertretbar erachtete, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zwar zur Beurteilung einer konkreten Ausgestaltung einer Kombination von ärztlicher Ordination und Optiker auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei, es aber geboten erscheine, die zum standesrechtlichen Werbeverbot für Ärzte gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten durch höchstgerichtliche Rechtsprechung abzugrenzen.
Der Kläger beantragt mit seiner – vom Beklagten beantworteten – Revision, der Klage stattzugeben; in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Bei der Zulässigkeit der Revision gilt beim Tatbestand des unlauteren Rechtsbruchs der „doppelte Vertretbarkeitsstandard“: Hat das Berufungsgericht eine Auslegung als vertretbar erachtet und die Klage deswegen abgewiesen, führt nur eine unvertretbare Beurteilung der Vertretbarkeit zur Zulässigkeit der Revision (RS0124004). Das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof ist daher nicht schon bei Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur „richtigen“ Auslegung der angeblich übertretenen Norm zulässig, sondern nur dann, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Vertretbarkeitsfrage überschritten hat (RS0124004 [T2]).
2.1. In Frage kommt hier ein Verstoß gegen die Werbe-Verordnung 2014 der Österreichischen Ärztekammer, die verbindliches Standesrecht normiert. Ist das dem Beklagten vorwerfbare standeswidrige Verhalten geeignet, dem Beklagten einen sachlich nicht gerechtfertigten Vorsprung vor seinen Mitbewerbern zu verschaffen, so begründet es einen Verstoß gegen § 1 UWG (RS0089508; RS0078057). Eine Verletzung standesrechtlicher Werberegeln ist nur dann unlauter, wenn sie auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht. Für die Beurteilung dieser Frage sind der Wortlaut der jeweiligen Bestimmung und die Praxis der für deren Auslegung primär zuständigen Organe maßgebend (RS0130682). Die Marktteilnehmer müssen auch im Zusammenhang mit standesrechtlichen Werberegelungen ihr Verhalten nicht von vornherein an der strengsten Auslegung der maßgebenden Regelungen orientieren (RS0130682 [T1]). Der Unterlassungsanspruch setzt ferner voraus, dass das beanstandete Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen (RS0123239).
2.2. § 3 der geltenden Fassung der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die Art und Form zulässiger ärztlicher Informationen in der Öffentlichkeit (WerbeV 2014) lautet:
Unzulässig ist die Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller und Vertreiber. Zulässig ist die sachliche, wahre und das Ansehen der Ärzteschaft nicht beeinträchtigende Information über Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige Medizinprodukte sowie über deren Hersteller und Vertreiber in Ausübung des ärztlichen Berufes.
2.3. Nach § 4 Z 5 WerbeV 2014 ist die Information über gewerbliche Leistungen oder Gewerbebetriebe zulässig, sofern sie im Zusammenhang mit der eigenen Leistung stehen.
3. Zur räumlichen Gestaltung:
3.1. In der Entscheidung 4 Ob 352/76 (ÖBl 1977, 35) wurde die Kooperation eines Augenarztes mit einem im selben Haus tätigen Optiker in der Weise, dass dem Optiker Patientenrezepte über Rohrpost zugeleitet wurden, als unlauter beurteilt.
3.2. Der Oberste Gerichtshof befasste sich in der Entscheidung 4 Ob 34/14z, Shop in Ordination, mit einer räumlichen Kooperation von Augenarzt und Optiker. Dieser Entscheidung lag noch die alte Werberichtlinie 2004 zugrunde, die den Begriff „zulässige Information“ über gewerbliche Leistungen oder Gewerbebetriebe noch nicht kannte. Nach dem dortigen Sachverhalt befanden sich die Betriebsstätten des erstbeklagten Augenarztes und Kontaktlinsenoptikers sowie des zweitbeklagten Augenoptikers in derselben Zimmerflucht eines Hauses, die über getrennte Eingänge, die in ihrer Beschriftung auf Zugänge zu verschiedenen Unternehmen hinweisen, verfügen. Es bestand eine Durchgangsmöglichkeit aus dem Optikerraum in den Wartebereich der Ordination sowie eine gemeinsame Nutzung der Refraktionseinheit. Diese räumliche Nähe zwischen Arzt und Optiker wurde nicht als Werbemaßnahme beurteilt. Die Raumsituation ließ auch nicht zu, von einer „gemeinsamen Praxis“ der Beklagten aus Sicht der Kunden/Patienten zu sprechen, zumal etwa ein gemeinsamer Empfang/Sekretariat oder ein gemeinsamer Außenauftritt fehlte. Gleichzeitig stellte diese Entscheidung klar, dass der Ratschlag der Ordinationshilfe des Arztes, sich mit bestimmten Fragen an einen konkreten Optiker zu wenden, als Empfehlung und somit als standesrechtlich unzulässige Werbung für diesen verstanden werden kann (kritisch hierzu Appl, Zur Kooperation von Augenärzten und Optikern, ÖBl 2014, 267 [271]).
3.3. Im hier gegebenen (durchaus vergleichbaren) Fall liegen folgende Besonderheiten bei der räumlichen Anordnung vor: Es gibt keinen Hinweis auf den Optikerbetrieb von der Straße aus, im Stiegenhaus oder im Eingangsbereich des Hauses. Auch kann man aufgrund der mangelnden räumlichen Trennung aus dem Anmelde- bzw Wartebereich der Ordination in die Optikerräumlichkeiten einsehen. Zwischen dem Bereich der Augenarztordination und dem Bereich der Augenoptik sind lediglich am Fußboden und an der Wand kleine blaue Punkte aufgeklebt. Vom Gang aus sind die beiden Bereiche durch zwei unterschiedliche Türen zu erreichen.
3.4. In der zuvor genannten Entscheidung 4 Ob 34/14z bestand keine gesellschaftsrechtliche Beteiligung des Augenarztes am Betrieb des Optikers. Dass es sich im Anlassfall jedoch um dieselbe Person handelt, die sowohl Facharzt für Augenheilkunde als auch Gesellschafter einer im Bereich der Augenoptik bzw Kontaktlinsenoptik tätigen GmbH ist, führt allerdings zu keinem strengeren Maßstab als im Fall der Kooperation von Augenarzt und Optiker ohne personelle Verbindung, da es beim ärztlichen Werbeverbot nicht darum geht, Ärzten weitere Tätigkeiten zu verbieten, sondern darum, den lauteren Wettbewerb zu schützen.
3.5. Die Entscheidung 4 Ob 133/16m befasste sich mit der Abgrenzung von Werbung und einer bloßen Information über gewerbliche Leistungen oder Gewerbebetriebe, sofern sie iZm der eigenen Leistung stehen. Der beklagte Facharzt für Augenheilkunde hat dort auf Nachfrage von Patienten nicht den klagenden Optiker, sondern andere Optiker am Ort empfohlen. Der Beklagte bezog dabei keinen Vorteil aus seinen Empfehlungen. Der Senat erachtete eine solche Empfehlung als zulässig. Der Schutzzweck des Werbeverbots besteht in erster Linie in der Erhaltung der Entscheidungsfreiheit des Patienten: Der Arzt befindet sich gegenüber dem Patienten regelmäßig in einer Autoritätsposition, die er nicht ausnutzen soll, um bestimmte Gewerbetreibende oder Freiberufler zu empfehlen, die die von ihm verordneten Produkte anbieten. Wenn der Patient allerdings ausdrücklich eine Empfehlung wünscht, besteht (vorbehaltlich anderslautender Entscheidungen der für die Auslegung der WerbeV primär zuständigen Organe) kein Anlass, jede diesbezügliche Auskunft von vornherein als standeswidrig anzusehen. Die Grenze zur jedenfalls unzulässigen „Werbung“ wird erst bei einem ungefragten Empfehlen bestimmter Betriebe oder bei sachfremden Motiven – insbesondere bei einem finanziellen Interesse – überschritten.
3.6. Die Entscheidung 4 Ob 66/17k beschäftigte sich mit zwei Fachärzten für Augenheilkunde, die gemeinsam unter der Bezeichnung „Augenzentrum“ eine Ordination betrieben. Ein weiters beklagter Optikermeister betrieb an derselben Adresse ein Optikergeschäft. Die beklagten Ärzte haben es nach dieser Entscheidung zu unterlassen, für den Optikerbetrieb auf Klebefolien an den Ordinationsfenstern zu werben. Auch die Klebefolien auf den Fahrzeugen, welche sowohl für die Ordination als auch für den Optikerbetrieb warben, wurden als Verstoß gegen die ärztlichen Werbebeschränkungen untersagt, ebenso wie die Anbringung eines Plakats mit dem Logo des Optikerbetriebs und ein Schaukasten mit Brillen im Warteraum der Ordination. Diese Umstände legten eine Identifikation der Ärzte mit dem beworbenen Unternehmen nahe, auch wenn sie nicht selbst als Werbeträger auftraten. Unzulässig ist auch das Auflegen von Werbefoldern eines einzigen Optikers (es wurde nicht festgestellt, dass auch Werbefolder anderer Optiker aufgelegt waren) am Infodesk in der Ordination, wobei zumindest fallweise von Mitarbeitern der Ordination in diese Folder die gefalteten augenärztlichen Rezepte eingelegt wurden.
Den Internetauftritt sah der Senat in der genannten Entscheidung als nach § 4 Z 6 WerbeV 2014 erlaubte Gemeinschaftshomepage ohne unsachliche oder reklamehafte Anpreisung der Leistungen der Ärzte oder des Optikers an, ebenso zulässig war die Beschilderung im Haus, welche der Orientierung diente.
3.7. In der Entscheidung 4 Ob 118/17g wurde die Beurteilung der Vorinstanzen, das beanstandete Verhalten des beklagten Augenarztes (Werbung mittels Schaukastens in der Ordination und ungefragte Empfehlung eigener Produkte im Anschluss an das Patientengespräch) verstoße gegen die genannten Bestimmungen der WerbeV 2014, als vertretbar erachtet.
3.8. Die hier angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts folgt den Grundsätzen der referierten Rechtsprechung, indem sie die Verneinung des Lauterkautsrechtsverstoßes durch das Erstgericht als vertretbar erachtet. Der Senat hält diese Beurteilung für nicht unvertretbar, zumal die (bloße) räumliche Nähe zwischen Arzt und Optiker im Allgemeinen keine Werbemaßnahme des einen für den anderen darstellt.
4. Zur Website:
4.1. Die Frage, ob nach den besonderen Umständen des jeweiligen Falles Wiederholungsgefahr anzunehmen ist, hat grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RS0031891; RS0042818).
4.2. Nach der Beurteilung des Berufungsgerichts wurde die Website vom Beklagten aus eigenem Antrieb geändert und er hat sich bereits 2012 dazu entschieden, Ankündigungen über Brillen betreffende Optikerleistungen auf der Website zu unterlassen. Daher hat das Berufungsgericht auch diesbezüglich vertretbar die Verneinung des Vorliegens einer irreführenden Geschäftspraktik gebilligt.
5. Aggressive Geschäftspraktik:
5.1. Soweit der Rechtsmittelwerber auch eine aggressive Geschäftspraktik gemäß § 1a UWG behauptet, ist ihm entgegenzuhalten, dass keine Umstände vorliegen, welche die Rationalität oder Freiheit der Entscheidung der Verbraucher vollständig in den Hintergrund treten ließen (vgl RS0130684). Solche Umstände werden auch in der Revision nicht vorgebracht.
5.2. Aus der bloßen Patientenstellung und aus dem Vertrauensverhältnis zum Arzt resultiert grundsätzlich keine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Patienten (vgl 4 Ob 66/17k; 4 Ob 34/14z).
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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