OGH 4Ob133/16m

OGH4Ob133/16m30.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O* KG, *, vertreten durch Prof. Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Dr. R* H*, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler, Rechtsanwälte in Neusiedl am See, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 33.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 14. April 2016, GZ 1 R 24/16f‑26, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 7. Dezember 2015, GZ 18 Cg 1/15x‑22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E115725

 

Spruch:

 

I. Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird in ihrem nicht rechtskräftigen Teil dahin abgeändert, dass insgesamt das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.801,60 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 1.362 EUR Barauslagen, 906,84 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

II. Die Urkundenvorlage der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin betreibt in F* das Optikergewerbe, der Beklagte ist dort Facharzt für Augenheilkunde. Fragen ihn Patienten nach einem Optiker für die von ihm verordneten Brillen, empfiehlt er nicht die Klägerin, sondern in der Regel einen anderen Optiker im Ort. Hat er den Eindruck, dass die Patienten nur begrenzte Mittel für eine neue Brille ausgeben wollen oder können, rät er ihnen, zu einem „billigeren Optiker“ zu gehen, was die Patienten meist auf eine bestimmte Optikerkette beziehen. Auch einen von der Klägerin beauftragten Detektiv verwies er auf dessen Frage, wo er „am besten“ hingehe, auf den anderen Optiker im Ort.

Die Vorinstanzen konnten nicht feststellen, dass sich der Beklagte jemals negativ über die Klägerin geäußert hätte. Seine Empfehlungen waren meistens sachlich bedingt, etwa durch die Produktvielfalt oder bestimmte Leistungen, die nur der andere Optiker anbot; dass dies immer der Fall gewesen wäre, konnten die Vorinstanzen allerdings nicht feststellen. Motiv seiner Empfehlungen war immer das Patientenwohl; der Beklagte meinte, dass der andere Optiker eine größere Auswahl habe und die Brillen besser einschleife. Er bezog keinen Vorteil aus seinen Empfehlungen.

Wenn Patienten ihre Brillen dennoch von der Klägerin bezogen und dem Beklagten dann erzählten, dass sie mit deren Leistung nicht zufrieden seien, ärgerte ihn das zwar, er ließ das die Patienten aber höchstens durch einen Ausdruck der Verwunderung merken. Er behandelte sie deswegen nicht schlechter und machte ihnen auch keine Vorwürfe.

Die Klägerin beantragt, dem Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr,

a. im Zusammenhang mit der Verordnung von Sehhilfen gegenüber Patienten Empfehlungen für einen bestimmten Augenoptikbetrieb, insbesondere für U* in F* und/oder die H* m.b.H., abzugeben, hilfsweise

b. den Wettbewerb unter den Augenoptikern in den Bezirken N* dadurch zu behindern, dass er Werbung für einen bestimmten Augenoptikbetrieb, insbesondere für U* in F* und/oder die H* m.b.H., betreibe, hilfsweise

c. Patienten beim Kauf einer Sehhilfe durch Werbung für einen bestimmten Augenoptikbetrieb, insbesondere für U* in F*, zu beeinflussen, hilfsweise

d. die Marktteilnehmer durch eine Werbung für einen bestimmten Augenoptikbetrieb, insbesondere für U* in F* und/oder die H* m.b.H., irrezuführen.

Sie stützt sich auf einen Verstoß des Beklagten gegen das standesrechtliche Verbot der Werbung für Dritte (Rechtsbruch), dies unter Hinweis auf die Entscheidung 4 Ob 34/14z, hilfsweise auf Behinderungswettbewerb, „unzulässige Beeinflussung“ und Irreführung. Bei den Empfehlungen des Beklagten handle es sich um Werbung, nicht um bloße Information. Der Beklagte sei verpflichtet, alle örtlichen Optiker gleich zu behandeln; durch die Empfehlung behindere er die Klägerin und nutze eine „Machtposition“ gegenüber seinen Patienten aus. Mit dem Unterlassungsbegehren verbindet die Klägerin einen Antrag auf Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung.

Der Beklagte wendet ein, dass er sich ausschließlich vom Patienteninteresse leiten lasse. Einen bestimmten Optiker nenne er nur auf diesbezügliche Fragen. Standesrechtlich sei nur die Werbung für Dritte verboten, nicht eine sachliche Information. Er behindere die Klägerin nicht, sei nicht zur Gleichbehandlung verpflichtet und führe die Patienten nicht in die Irre.

Das Erstgericht wies das Haupt- und die Eventualbegehren ab. Es sei vertretbar, das beanstandete Verhalten nicht als Werbung, sondern als zulässige Beratung (Information) der Patienten zu werten. Konkrete Behauptungen zu einer Irreführung lägen nicht vor; eine aggressive Geschäftspraktik sei nicht erkennbar.

Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten zur Unterlassung im Sinn des Hauptbegehrens und ermächtigte die Klägerin im eingeschränkten Umfang zur Urteilsveröffentlichung; das diesbezügliche Mehrbegehren wies es ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Nach der von der Ärztekammer erlassenen VO „Arzt und Öffentlichkeit 2014“ (idF WerbeVO 2014) sei die „Werbung“ für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller und Vertreiber untersagt. Hingegen sei die „Information“ über gewerbliche Leistungen oder Gewerbebetriebe, sofern sie im Zusammenhang mit der eigenen Leistung stehen, gestattet. Damit wäre das Nennen möglicher Bezugsquellen für Sehhilfen an sich zulässig; eine unzulässige Werbung läge nur bei anderen als sachlich-fachlichen Motiven vor. Der Oberste Gerichtshof habe jedoch zu 4 Ob 34/14z entschieden, dass schon das Verweisen von Patienten an einen bestimmten Optiker eine standesrechtlich unzulässige Werbung sei. Auf dieser Grundlage sei das Hauptbegehren berechtigt, weil der Beklagte regelmäßig solche Empfehlungen ausspreche. Die Revision sei nicht zulässig, weil die Rechtslage durch die Entscheidung 4 Ob 34/14z geklärt sei.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Beklagte geltend, dass die Auffassung, schon das Empfehlen eines bestimmten Optikers sei als unzulässige Werbung zu werten, überschießend sei. Standesrechtliche Werbeverbote sollten Verbraucher vor Irreführung und unzulässigem Einfluss schützen; sie schlössen eine sachlich begründete Information nicht aus. Das beanstandete Verhalten verstoße nicht gegen § 3 WerbeVO 2014, sondern sei eine zulässige Information iSv § 4 Z 5 WerbeVO 2014. Die Entscheidung 4 Ob 34/14z sei aus diesem Grund in der Lehre kritisiert worden (Appl, ÖBl 2014, 270).

In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts treffe zu; der Beklagte verstoße gegen das standesrechtliche Werbeverbot, und sein Verhalten sei auch als aggressive Geschäftspraktik zu qualifizieren.

Mit der Revisionsbeantwortung verbindet die Klägerin eine Urkundenvorlage. Dies ist im Revisionsverfahren nicht vorgesehen; eine durch Analogie zu füllende Lücke ist nicht zu erkennen: Die Urkundenvorlage ist daher zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil die Rechtslage wegen der Änderung der dem Begehren zugrunde liegenden standesrechtlichen Bestimmungen einer Klarstellung bedarf. Sie ist auch berechtigt.

1. Zum Hauptbegehren (Rechtsbruch)

1.1. Die Klägerin stützt sich auf einen Verstoß des Beklagten gegen ein (standesrechtliches) Werbeverbot. Ein solcher Verstoß ist – wie auch sonst die Verletzung genereller Normen (4 Ob 225/07b, Wiener Stadtrundfahrten, SZ 2008/32; RIS-Justiz RS0123239) – nur dann unlauter, wenn er auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht; maßgebend für die Beurteilung dieser Frage sind der Wortlaut der jeweiligen Bestimmung und die Praxis der für deren Auslegung primär zuständigen Organe (4 Ob 254/15d, Zahnarztwerbung V, ÖBl 2016, 176 [Graf]). Zu prüfen ist daher nicht die Richtigkeit, sondern die Vertretbarkeit der dem beanstandeten Verhalten zugrunde liegenden Rechtsansicht.

1.2. Die für das vorliegende Verfahren relevanten Bestimmungen der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die Art und Form zulässiger ärztlicher Informationen in der Öffentlichkeit (Arzt und Öffentlichkeit 2014) idF der 1. Änderung 2015 (WerbeVO 2014) lauten wie folgt:

§ 3. Unzulässig ist die Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller und Vertreiber. Zulässig ist die sachliche, wahre und das Ansehen der Ärzteschaft nicht beeinträchtigende Information über Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige Medizinprodukte sowie über deren Hersteller und Vertreiber in Ausübung des ärztlichen Berufes.

§ 4. Im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufs sind der Ärztin (dem Arzt), sofern die Inhalte dieser Verordnung entsprechen, insbesondere gestattet […]

5. die Information über gewerbliche Leistungen oder Gewerbebetriebe, sofern sie im Zusammenhang mit der eigenen Leistung stehen […].

Diese Bestimmungen weichen von der Vorgängerregelung in der WerbeRL 2004 ab, die der Entscheidung 4 Ob 34/14z (Shop in Ordination, ÖBl 2014, 267 [Appl] = ecolex 2014, 1076 [Zemann]) – ob zutreffend oder nicht (Appl aaO) – zugrunde lag. Nach deren Art 1 war dem Arzt eine „das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende Information“ untersagt; darunter war nach Art 3 lit d WerbeRL 2004 insbesondere eine „Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller und Vertreiber“ zu verstehen. Eine Ausnahme in Bezug auf eine bloße „Information“ der Patienten gab es dabei nicht. Daraus war ein weiter Werbebegriff abzuleiten, der jedes Empfehlen eines bestimmten Optikers erfasste.

1.3. Die WerbeVO 2014 schränkt diesen Werbebegriff erkennbar ein (Appl aaO). Der unzulässigen „Werbung“ steht jetzt die zulässige „Information“ (auch) über Gewerbebetriebe, die Heilmittel anbieten, gegenüber. Damit darf der Arzt jedenfalls Betriebe und deren Leistungen nennen. Weiters ist der Bestimmung nicht zu entnehmen, dass der Arzt diese Leistungen im Fall einer darauf gerichteten Frage nicht auch bewerten dürfte. Schutzzweck des Werbeverbots ist in erster Linie die Entscheidungsfreiheit des Patienten: Der Arzt befindet sich diesem gegenüber regelmäßig in einer Autoritätsposition, die er nicht ausnutzen soll, um ihm bestimmte Gewerbetreibende oder Freiberufler zu empfehlen, die von ihm verordneten Produkte anbieten. Wünscht der Patient allerdings ausdrücklich eine solche Empfehlung, so besteht – vorbehaltlich anderslautender Entscheidungen der für die Auslegung der WerbeVO primär zuständigen Organe – kein Anlass, jede diesbezügliche Auskunft von vornherein als standeswidrig anzusehen. Vielmehr legt es das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nahe, dass auf diesbezügliche Fragen eine entsprechende Antwort gegeben wird. Die Grenze zur jedenfalls unzulässigen „Werbung“ wird erst bei einem ungefragten Empfehlen bestimmter Betriebe oder bei sachfremden Motiven – insbesondere bei einem finanziellen Interesse – überschritten sein.

1.4. Der Hinweis auf eine einschlägige deutsche Entscheidung (I ZR 111/08, Hörgeräteversorgung II, GRUR 2011, 345) hilft der Klägerin nicht weiter.

Zwar hat der BGH dort aufgrund eines generellen Verbots des „Verweisens“ von Patienten an Gewerbetreibende das (aktive) Empfehlen von bestimmten Hörgeräteakustikern als unlauter angesehen. Dabei ist aber zunächst zu beachten, dass es nach deutschem Recht beim Rechtsbruchtatbestand nicht auf die Vertretbarkeit der dem beanstandeten Verhalten zugrunde liegenden Rechtsansicht ankommt, sondern auf deren Richtigkeit (Köhler/Bornkamm, UWG34 [2016] § 3a Rz 1.44 mwN). Dies führt im Regelfall zu einer strengeren Beurteilung des beanstandeten Verhaltens. Zudem stellte der BGH auch in dieser Entscheidung klar, dass Empfehlungen aufgrund von Fragen der Patienten zulässig seien, und zwar auch solche zum Preis-Leistungs-Verhältnis (Rz 32 f). Frage der Patient um eine Empfehlung, sei es seine eigene Entscheidung, sich bei der Ausübung seiner Wahlfreiheit beeinflussen zu lassen. Dann sei es dem Arzt nicht zuzumuten, eine Empfehlung zu verweigern oder wider besseres Wissen außer dem seines Erachtens besten Anbieter weitere alternative Versorgungsmöglichkeiten anzugeben, die er für weniger geeignet halte.

Gleiches gilt im österreichischen Recht. Ein solches Verhalten kann umso weniger als unvertretbarer Verstoß gegen das Verbot ärztlicher Werbung für Dritte angesehen werden.

1.5. Im konkreten Fall antwortete der Beklagte auf Fragen seiner Patienten, er zog aus seinen Empfehlungen keinen Vorteil, andere sachfremde Motive wurden weder konkret behauptet, noch stehen sie fest. Der Beklagte konnte sein Verhalten daher in vertretbarer Weise als nach § 4 Z 5 WerbeVO 2014 zulässige Information ansehen. Das Hauptbegehren muss daher scheitern.

2. Auch die Eventualbegehren sind nicht berechtigt.

Eine Pflicht zur Gleichbehandlung der im Ort ansässigen Optiker kann aus dem allgemeinen Lauterkeitsrecht nicht abgeleitet werden. Vielmehr muss es dem Arzt freistehen, auf Fragen seiner Patienten eine seiner ärztlichen Überzeugung entsprechende Antwort zu geben. Darin liegt weder eine Behinderung der Klägerin noch eine unzulässige Beeinflussung der nach einem Rat fragenden Patienten. Ein konkretes Vorbringen zur Irreführung der Patienten hat die Klägerin nicht erstattet.

3. Aus diesen Gründen hat die Revision des Beklagten Erfolg. Das angefochtene Urteil ist dahin abzuändern, dass die zur Gänze abweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Das Werbeverbot in § 3 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 kann in vertretbarer Weise dahin ausgelegt werden, dass es dem Arzt nicht untersagt ist, auf Frage eines Patienten einen bestimmten Anbieter der von ihm verordneten Produkte zu empfehlen. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn die Empfehlung auf sachfremden Motiven, insbesondere auf einem damit verbundenen Vorteil für den Arzt, beruhte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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