OGH 4Ob198/13s

OGH4Ob198/13s19.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** M*****, vertreten durch Dr. Stefan Prokop, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, gegen die beklagten Parteien 1. Ing. A***** S*****, 2. H***** S*****, 3. T***** S*****, alle vertreten durch Dr. Thomas Kralik, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, Einverleibung der Löschung eines Wohnungsgebrauchsrechts und 4.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Teilurteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 13. September 2013, GZ 19 R 25/13g‑21, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 7. Dezember 2012, GZ 8 C 118/12d‑5, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Parteien streiten über die Frage, ob ein wichtiger Grund für die Auflösung des Wohnrechts vorliegt, das bei einer nun der Klägerin gehörenden Liegenschaft zugunsten des Erstbeklagten, ihres Vaters, einverleibt ist. Die Zweit- und der Drittbeklagte leiten ihr Nutzungsrecht vom Erstbeklagten ab. Vor der Klägerin war Eigentümer der dienenden Liegenschaft der Sohn des Erstbeklagten gewesen, ein Halbbruder der Klägerin. Diesen hatte der Erstbeklagte ermordet, worauf die Klägerin als Erbin Eigentümerin der Liegenschaft wurde. Der Erstbeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt. Das Berufungsgericht gab den auf Räumung und Einverleibung der Löschung der Dienstbarkeit gerichteten Begehren der Klägerin statt, weil die Ermordung des Voreigentümers die Fortsetzung des Dauerrechtsverhältnisses unzumutbar gemacht habe.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Im ABGB ist ein Erlöschen eines dinglichen Wohnrechts aus wichtigen Gründen nicht ausdrücklich vorgesehen. Im Weg der Analogie hat die Rechtsprechung eine außerordentliche Aufkündigung auch solcher Rechtsverhältnisse aus sehr schwerwiegenden Gründen, gleichsam als „äußerstes Notventil“, bejaht (RIS-Justiz RS0011875; 8 Ob 569/92; 9 Ob 233/01g; 7 Ob 287/02k; 5 Ob 220/09b). Die Auflösung von verbücherten und daher auf eine stärkere Bindung abzielenden Wohnungsrechten erfordert, dass die dafür in Betracht kommenden Gründe ein noch höheres Gewicht haben müssen als jene, die für die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen allgemein genügen (4 Ob 189/99v; 9 Ob 233/01g; 1 Ob 2392/96p; 6 Ob 48/99y; RIS-Justiz RS0011519; RS0011875 [insb T7]; RS0018813). Ob das im Einzelfall zutrifft, hängt von den konkreten Umständen ab (RIS-Justiz RS0018842 [T4], RS0018813 [T2]) und begründet daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung.

2. Im konkreten Fall ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Die Klägerin zeigt richtig auf, dass ein fehlgeschlagener Mordversuch den Eigentümer jedenfalls zur Beendigung der Dienstbarkeit berechtigt hätte; Gleiches muss für seine mit ihm verwandte Rechtsnachfolgerin im Fall des vollendeten Delikts gelten. Zwar hat der Oberste Gerichtshof in zwei Entscheidungen ausgesprochen, dass der Vertrauensverlust einen Bezug zum konkreten Dauerschuldverhältnis haben müsse, um eine Auflösung zu rechtfertigen (1 Ob 238/03m; 5 Ob 220/09b). Daran ist im Allgemeinen festzuhalten. Für den hier zu beurteilenden Fall ist aber auch die Wertung des § 30 Abs 1 Z 3, 3. Fall, MRG zu berücksichtigen. Danach kann ein Mietvertrag wegen einer nicht bloß geringfügigen strafbaren Handlung gegen den Vermieter gekündigt werden. Dieses Verhalten muss keinen Bezug zum Mietverhältnis haben. Für dingliche Wohnrechte ist zwar nach der oben dargestellten Rechtsprechung ein wesentlich höheres Gewicht des Auflösungsgrundes erforderlich. Die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach die Ermordung des Eigentümers der dienenden Sache diese Bedingung erfüllt, ist aber jedenfalls vertretbar. Eine strafbare Handlung gegen den Vertragspartner war in den Entscheidungen 1 Ob 238/03m und 5 Ob 220/09b nicht zu beurteilen, sodass deren ‑ wenngleich allgemein gehaltenen ‑ Ausführungen nicht zwingend auf den vorliegenden Fall übertragen werden müssen. Ebenfalls vertretbar ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass ein derart schwerwiegender Grund für die Beendigung des Rechtsverhältnisses nicht durch gegenläufige Interessen des Wohnberechtigten an dessen Aufrechterhaltung aufgewogen werden.

3. Auf einen schlüssigen Verzicht auf das Auflösungsrecht durch nicht unverzügliche Geltendmachung haben sich die Beklagten in erster Instanz nicht gestützt; von Amts wegen war darauf nicht Bedacht zu nehmen (vgl RIS‑Justiz RS0029249 [T6]). Das dazu erstattete Revisionsvorbringen ist daher eine unzulässige Neuerung.

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