Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 1.760,22 EUR (darin 293,37 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte versandte im Jahr 2002 im großen Umfang Gewinnankündigungen. Den schriftlichen Verständigungen folgte jeweils eine telefonische Mitteilung, in der auf das Einlangen der Verständigung und deren Wichtigkeit hingewiesen wurde. Zum Kundenkreis, den die Beklagte dabei ansprach, war sie über Adressmakler („Listbroker") gelangt.
Bei Listbrokern handelt es sich um Unternehmen, die Listen mit Adressen von Personen vermitteln, an die Werbeaussendungen erfolgen können. Diese Listen werden einerseits nach den besonderen Bedürfnissen der Kunden (bestimmter Empfängerkreis) und andererseits nach Art der Werbung und dem Vorliegen von dafür allenfalls erforderlichen Genehmigungen zusammengestellt. Werden etwa Empfänger für „Precall" angefordert, werden Adressen übermittelt, deren Inhaber die nach dem TelekommunikationsG erforderliche (vorherige) Zustimmung zu Telefonanrufen zu Werbezwecken erteilt haben.
Die Beklagte bedient sich bereits seit etlichen Jahren derartiger Listbroker. So hatte sie auch vor dem Jahr 2002 mit der O***** GmbH seit mindestens 5 Jahren zusammengearbeitet und von ihr tausende Adressen erhalten, ohne dass jemals beanstandet worden wäre, dass notwendige Einwilligungen nicht vorlägen. Listbroker kaufen die Adressen von Listeignern. Es sind dies Unternehmen, die selbst Geschäfte betreiben, die mit Werbeaussendungen verbunden sind, oder Unternehmen aus dem Versandbereich, die sich die erforderlichen Zustimmungen ihrer Kunden formularmäßig verschaffen. Der Listbroker der Beklagten handelt weltweit mit Adressen und verlangt Nachweise darüber, dass die übermittelten Adressen den Bestellvoraussetzungen entsprechen. Die Herkunft der Adressen offen zu legen, verlangt der Listbroker hingegen nicht; die Listeigner wären dazu auch gar nicht bereit. Auch dem Listbroker gegenüber wurde noch nie beanstandet, dass die Zustimmung von Adressinhabern zu bestimmten Werbemaßnahmen gefehlt hätte.
Am 10. 10. 2002 bestellte die Beklagte bei ihrem Listbroker Adressen mit dem Hinweis, dass diese für „Precall" eingesetzt werden würden. Zweck war die Gewinnaussendung „4 Gewinne Alpenrundfahrt". Darin wurden den Empfängern verschiedene Gewinne, darunter auch die Teilnahme an einer Alpenrundfahrt gegen einen Unkostenbeitrag von 50 EUR, angekündigt. Der Listbroker bestätigte diesen Auftrag für „Precall" am 18. 10. 2002. Daraufhin übermittelte der Listeigner - ein Unternehmen aus O*****, Deutschland, und Mitglied des deutschen Direktmarketingverbands - 30.838 Adressen an ein mit der Beklagten verbundenes Unternehmen. Dessen Aufgabe war es, die Adressbestände mit schon vorhandenen Adressen abzugleichen, um Doppelaussendungen zu vermeiden und die Aussendung vorzubereiten.
Unter diesen 30.838 Adressen waren auch jene von Wolfgang und Claudia G*****, Herbert und Rosina W***** und Erich F*****. Sie erhielten eine schriftliche Gewinnankündigung und wurden danach angerufen. Inhaber der Telefonanschlüsse waren Wolfgang G*****, Erich F***** und Herbert W*****.
Am 16. 10. 2002 bestellte die Beklagte bei ihrem Listbroker im Zusammenhang mit dem Gewinnspiel weitere Adressen für „Precall". Auch diese Bestellung wurde bestätigt. Unter den in weiterer Folge von einem österreichischen Listeigner übermittelten Adressen war auch jene von Bernhard L*****.
Es steht nicht fest, ob und in welcher Form die genannten Personen, oder eines ihrer Haushaltsmitglieder vor dem Anruf der telefonischen Übermittlung einer Werbebotschaft zugestimmt haben; der Beklagten gegenüber war dies jedenfalls nicht der Fall.
Die Klägerin begehrt, der Beklagten zu gebieten, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Verbraucher ohne vorherige Zustimmung telefonisch anzurufen, um sie zur Teilnahme an einem von ihr veranstalteten kostenpflichtigen Gewinnspiel zu animieren. Sie stellt darüber hinaus ein Veröffentlichungsbegehren. Die Beklagte verstoße gegen § 101 TKG (1997, nunmehr § 107 TKG 2002), wonach Anrufe zu Werbezwecken der vorherigen Zustimmung des Angerufenen bedürfen. Außerdem verhalte sie sich sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG, weil sie eine Werbemethode einsetze, der sich der Umworbene nicht entziehen könne.
Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Die Anrufe seien nicht ohne (vorherige) Zustimmung der Adressinhaber erfolgt. Jedenfalls könne ihr kein subjektiver Vorwurf gemacht werden, weil sie sich die Adressen bei einem befugten Gewerbsmann ausdrücklich für „Precall" beschafft habe. Angesichts der Zahl der Adressen wäre es auch unmöglich gewesen, das Vorliegen der Zustimmung in jedem Einzelfall zu überprüfen. Das Verhalten der Beklagten habe auch nicht zu einer spürbaren Nachfrageverlagerung geführt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen gesetzt, um eine Gesetzesverletzung hintanzuhalten. Es habe vor 2002 keine Beanstandungen gegeben, sie habe auch ausdrücklich die Adressen für „Precall" bestellt. Eine Überprüfung der übermittelten Adressen wäre der Beklagten weder möglich noch zumutbar gewesen.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht gab dem Unterlassungsbegehren zur Gänze und dem Veröffentlichungsbegehren teilweise statt. Bereits vor Inkrafttreten des § 101 TKG 1997 sei Werbung durch unerbetene Telefonanrufe als eine Form des Anreißens und somit als sittenwidrig beurteilt worden. Daran habe § 101 TKG 1997, der nunmehr ausdrücklich Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers für unzulässig erklärt, nichts geändert. Ein Unterlassungsanspruch setze kein Verschulden des Beklagten voraus. Daher sei es unerheblich, ob die Beklagte die Adressen selbst zusammengestellt oder sich letztlich nicht kontrollierbares Adressenmaterial von einem Listbroker besorgt habe; sie habe es jedenfalls in Kauf genommen, die Privatsphäre der angerufenen Teilnehmer mangels vorheriger Zustimmung zu verletzen. Von einer bloß unerheblichen Nachfrageverlagerung könne nicht ausgegangen werden, weil die Beklagte nicht eine bloß vereinzelt gebliebene Telefonwerbeaktion gesetzt habe. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass tatsächlich lediglich bei vier Angerufenen die vorherige Zustimmung gefehlt habe; vielmehr führe nach der Lebenserfahrung nicht jeder unerbetene und damit unzulässige Werbeanruf zu einer Beanstandung.
Die Revision ist zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage besteht, ob das ausdrückliche Verbot eines bisher nach § 1 UWG als sittenwidrig beurteilten Verhaltens eine unmittelbare Beurteilung nach § 1 UWG ausschließt; sie ist aber nicht berechtigt.
Die Beklagte macht geltend, dass ein Verstoß gegen die guten Sitten die Kenntnis aller Tatumstände voraussetze, die bei objektiver Würdigung die Sittenwidrigkeit der Handlung ergeben. Eine Gesetzesverletzung, die auf einer vertretbaren Rechtsauffassung oder, ohne dass ein Organisationsmangel vorläge, auf einem Versehen des Beklagten beruhe, begründe keinen Verstoß gegen § 1 UWG.
Gegenstand des Verfahrens sind unerbetene Telefonanrufe, mit denen im Auftrag der Beklagten auf das Einlangen schriftlicher Gewinnankündigungen und deren Wichtigkeit hingewiesen wurde. Unerbetene Telefonanrufe zu Werbezwecken („cold calling") sind nach ständiger Rechtsprechung eine unzumutbare, mit den guten Sitten im Geschäftsverkehr nicht zu vereinbarende Belästigung und verstoßen daher gegen § 1 UWG (4 Ob 388/83 = SZ 56/156 - TELEFONWERBUNG I; 4 Ob 107/94 = ÖBl 1995, 12 - COMPUTERKURSE ua). Seit Inkrafttreten des TKG 1997 ist die Unzulässigkeit unerbetener Telefonanrufe auch ausdrücklich normiert. Nach § 101 TKG 1997 (nunmehr § 107 TKG 2003) sind Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers unzulässig.
§ 101 (§ 107) TKG dient dem Schutz der Privatsphäre des Angerufenen. Ihm wird das subjektive Recht zuerkannt, unzulässige Anrufe zu untersagen (1 Ob 82/99m = ÖBl 1999, 248 - TELEFAXINSERATENWERBUNG ua). § 101 (§ 107) TKG erweitert damit den Kreis der Klageberechtigten. Die Unterlassung unerbetener Telefonwerbung können nicht nur die nach § 14 UWG Klageberechtigten verlangen, sondern der Unterlassungsanspruch steht auch dem Teilnehmer zu.
Bereits daraus folgt, dass die ausdrückliche Normierung der Unzulässigkeit unerbetener Telefonanrufe nicht dazu führen kann, den Unterlassungsanspruch der nach § 14 UWG Klageberechtigten von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen. Als Fall sittenwidrigen „Anreißens" begründet unerbetene Telefonwerbung einen (unmittelbaren) Verstoß gegen § 1 UWG.
Der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch setzt kein Verschulden voraus (stRsp ua 4 Ob 321/77 = SZ 50/47; 4 Ob 164/93 = ÖBl 1994, 129 - TESTLESERANGEBOT uva). Das gilt auch für den auf § 1 UWG gestützten Unterlassungsanspruch, soweit die subjektive Vorwerfbarkeit nicht bereits - wie etwa bei einem sachlich nicht gerechtfertigten Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch (4 Ob 331/82 = SZ 56/2 - METRO-POST I; 4 Ob 74/95 = ÖBl 1996, 88 - KNOBLAUCH-KAPSELN uva) - ein Tatbestandsmerkmal der wettbewerbswidrigen Handlung bildet. Für das sittenwidrige „Anreißen" durch unerbetene Telefonwerbung trifft dies nicht zu. Diese Werbeform ist unabhängig davon unzulässig, mit welcher Absicht und/oder mit welchem Wissensstand der Werbende handelt.
Die Beklagte kann sich daher nicht darauf berufen, ihren Adresslieferanten vertraut und nicht gewusst zu haben, dass ihr (jedenfalls auch) Adressen von Personen geliefert wurden, die nicht eingewilligt hatten, zu Werbezwecken angerufen zu werden. Maßgebend ist allein, dass im Auftrag der Beklagten Personen zu Werbezwecken angerufen wurden, die keine derartige Einwilligung erteilt hatten.
Die Beklagte macht schließlich noch geltend, ihrem Verhalten habe die „wettbewerbliche Spürbarkeit" gefehlt. Könne bei nur 3 von über 30.000 Adressen das Vorliegen einer Zustimmung nicht (mehr) festgestellt werden, so könne keine Rede davon sein, dass das gesetzwidrige Handeln geeignet sei, eine nicht unerhebliche Nachfrageverlagerung zu bewirken.
Die Beklagte beruft sich damit auf die Rechtsprechung, wonach die Wettbewerbswidrigkeit einer Werbung nicht völlig losgelöst davon beurteilt werden kann, in welchem Ausmaß sie den Wettbewerb beeinflusst, weil es nicht Aufgabe des Wettbewerbsrechts sein kann, gegen jede noch so geringe Nachfrageverlagerung vorzugehen (4 Ob 290/99x = ÖBl 2000, 126 (Wiltschek) - TIPP DES TAGES III; 4 Ob 99/03t = SZ 2003/56 - VERANSTALTUNGSHINWEISE ua). Maßgebend für diese Beurteilung ist nicht, wie sich der Wettbewerbsverstoß tatsächlich ausgewirkt hat, sondern es kommt auf seine Eignung an, den Wettbewerb zu beeinflussen. Es ist daher ohne Bedeutung, dass sich nur drei der Angerufenen über die Anrufe beschwert haben. Die geringe Anzahl der Beschwerden spricht nicht dagegen, dass ein Unternehmer seine Wettbewerbsposition keineswegs nur unerheblich verbessert, wenn er Telefonwerbung betreibt, ohne über die Einwilligung der Angerufenen zu verfügen. Er erspart sich damit nicht zur zusätzliche Aufwendungen, sondern erreicht von vornherein einen größeren Personenkreis.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Da die Abweisung eines Teils des Veröffentlichungsbegehrens durch das Berufungsgericht in Rechtskraft erwachsen ist, war von einer Bemessungsgrundlage von 38.250 EUR auszugehen.
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