Spruch:
Nur eine dem Beklagten auch subjektiv vorwerfbare Mißachtung einer Verwaltungsvorschrift rechtfertigt es, über die bloße Verantwortlichkeit für die Übertretung der betreffenden Vorschrift hinaus auch eine gegen die guten Sitten verstoßende Wettbewerbshandlung iS des § 1 UWG anzunehmen. Bei unterschiedlicher Auslegung der verletzten Rechtsvorschrift kommt es darauf an, ob die Auffassung des Beklagten über die Bedeutung dieser Bestimmung durch das Gesetz soweit gedeckt ist, daß sie mit gutem Grund vertreten werden kann
OGH 11. 1. 1983, 4 Ob 331/82 (OLG Wien 2 R 4/82; HG Wien 39 Cg 163/181)
Text
Die beklagte METRO Selbstbedienungs-Großhandel GesmbH betreibt in V (Niederösterreich) den Großhandel mit Lebens- und Genußmitteln sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs, das Gast- und Schankgewerbe, eine Tankstelle, das Fleischhauer- und Fleischselchergewerbe sowie den Buchhandel. In mehreren von den Beklagten Mitte Jänner 1981 verteilten für die Zeit vom 19. 1 bis 28. 3. 1981 gültigen Prospekten waren die Preise der angebotenen Waren zum Teil mit Sternchen oder kleinen Kreisen gekennzeichnet, ohne daß die Bedeutung dieser Symbole erklärt worden wäre. Überdies versendete die Beklagte Ende Jänner, Anfang Feber 1981 die sogenannte "Metro-Post" und andere Prospekte an alle Inhaber von Einkaufsscheinen, wobei sie wiederum Nettopreise (ausschließlich der Mehrwertsteuer) ankundigte, die zum Teil mit einem Sternchen, zum Teil mit einem kleinen Kreis gekennzeichnet waren; nach der jeweils am Ende dieser Werbeschriften abgedruckten, leicht zu übersehenden Zeichenerklärung waren den mit einem Kreis versehenen Preisen 30% Mehrwertsteuer, den mit einem Sternchen versehenen Preisen 18% Mehrwertsteuer und allen anderen Preisen 8% Mehrwertsteuer hinzuzurechnen.
Der klagende Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb beantragt, die Beklagte schuldig zu erkennen, im geschäftlichen Verkehr beim Handel mit Lebens- und Genußmitteln, anderen Gegenständen des täglichen Bedarfes aller Art, beim Betrieb des Gast- und Schankgewerbes, einer Tankstelle und des Fleischhauer- und Fleischselchergewerbes sowie des Buchhandels es zu unterlassen, in Prospekten Sachgüter mit Nettopreisen (ohne Zurechnung von Mehrwertsteuer) ausgepreist anzukundigen, insbesondere ohne im gleichen Prospekt, graphisch gleich wirksam wie die Preisangabe unübersehbar, deutlich und unmißverständlich auf die Tatsache hinzuweisen, daß bei Abgabe der Ware Mehrwertsteuer in einem bestimmten Prozentsatz und Betrag zugerechnet werde. Mit den hier beanstandeten Preisangaben verstoße die Beklagte gegen das Gebot des § 11c PreisG, BGBl. 1976/260, in öffentlich angekundigte Preise auch die Umsatzsteuer einzubeziehen (Abs. 2) oder sie zumindest als Teilposten des Endpreises auszuweisen (Abs. 5). Mangels einer ausreichend deutlichen Erklärung der die einzelnen Mehrwertsteuersätze kennzeichnenden Symbole seien die Preisangaben der Beklagten auch zur Irreführung des angesprochenen Publikums geeignet.
Die Beklagte beantragt Abweisung des Klagebegehrens. Sie sei zwar durch die Preisgesetznovelle 1980 verhalten worden, ihre Waren mit Bruttopreisen auszuzeichnen, habe jedoch am 14. 7. 1980 gemäß § 11c Abs. 6 PreisG um einen Aufschub dieser Verpflichtung bis längstens 31. 1. 1981 angesucht. Von "öffentlich angekundigten Preisen" iS des § 11c PreisG könne hier schon deshalb nicht gesprochen werden, weil die "Metro- Post" und die übrigen Prospekte nur an die bei der Beklagten registrierten Kunden verschickt würden. Eine Irreführung dieses Personenkreises durch die den einzelnen Preisangaben beigefügten Mehrwertsteuer-Symbole sei nicht zu befürchten.
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Als "öffentliche Ankündigung" iS des § 11c PreisG sei jede Mitteilung an einen größeren Kreis von - namentlich bekannten oder zufällig betroffenen - Personen anzusehen. Wie sich aus der Gleichstellung des individuellen Anbotes mit der öffentlichen Bekanntmachung in § 11c PreisG ergebe, habe der Gesetzgeber hier jede Anpreisung gegenüber Letztverbrauchern erfassen und inhaltsgleich regeln wollen. Da nicht ausgeschlossen werden könne, daß die zum Einkauf bei der Beklagten befugten Unternehmer ihre Einkaufsausweise auch zum Erwerb von Sachgütern für den Eigenverbrauch verwendeten, seien diese Kunden nicht nur berechtigte Wiederverkäufer, sondern auch potentielle Letztverbraucher; die Beklagte wäre deshalb auch ihnen gegenüber zur Auszeichnung von Bruttopreisen verpflichtet gewesen. § 11c PreisG habe wettbewerbsregelnden Charakter; seine Verletzung begrunde daher einen Verstoß gegen § 1 UWG.
Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Von dem eingangs angeführten, unbestritten gebliebenen Sachverhalt ausgehend billigte das Berufungsgericht auch die Rechtsauffassung der ersten Instanz. Ob das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie den abweichenden Standpunkt der Beklagten gebilligt habe, sei bedeutungslos, weil die Gerichte die Gesetzmäßigkeit der beanstandeten Nettopreisauszeichnung selbständig zu beurteilen hätten.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Wer gewerbsmäßig Sachgüter an Letztverbraucher veräußert, ist gemäß § 11 Abs. 1 PreisG (idF des Art. II Z 15 der Preisgesetznov. 1980, BGBl. 288) verpflichtet, die dafür geforderten Preise ersichtlich zu machen; diese Verpflichtung gilt auch für solche Sachgüter, die sowohl an Wiederverkäufer als auch an Letztverbraucher veräußert werden. Gemäß § 11c Abs. 2 PreisG sind in die ersichtlich gemachten oder öffentlich angekundigten Preise sowie in die Endsumme an Letztverbraucher gerichtete Anbote und Kostenvoranschläge die Umsatzsteuer und sonstige Abgaben einzubeziehen; dabei kann gemäß Abs. 5 PreisG der Endpreis (die Endsumme) derart aufgegliedert werden, daß die Umsatzsteuer und sonstige Abgaben als Teilposten des Endpreises (der Endsumme) aufscheinen.
Die Beklagte bestreitet nicht, daß sie im Sinne dieser Bestimmungen grundsätzlich zur Auszeichnung von Bruttopreisen (unter gesonderter Anführung der Umsatzsteuer) verpflichtet ist; sie meint aber, daß dies für die hier beanstandeten Werbeankündigungen nicht gelte, weil diese Druckschriften ausschließlich an die Inhaber von Einkaufsscheinen, also nur an "registrierte Kunden", verschickt worden seien, sodaß keine "öffentliche Ankündigung", sondern nur eine "für einen größeren Kreis von Personen bestimmte Bekanntmachung" vorliege. Die Vorinstanzen haben sich dieser Auffassung nicht angeschlossen. Ihrer Meinung nach ergebe sich aus dem Zusammenhang und dem Zweck der gesetzlichen Regelung (§§ 1, 11c PreisG), daß das Versenden von Preislisten, mit Preisangaben versehenen Prospekten udgl. an einen größeren, wenigstens teilweise auch Letztverbraucher umfassenden Personenkreis dem Begriff der "öffentlichen Ankündigung" von Preisen iS des § 11c PreisG unterstellt werden müsse. Daß Beamte des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie möglicherweise eine andere Ansicht vertreten hätten, sei ohne Bedeutung, weil die Vorfrage der Gesetzmäßigkeit des beanstandeten Verhaltens der Beklagten von den Gerichten selbständig und ohne Bindung an ein "Gutachten" der Verwaltungsbehörde zu beurteilen sei.
Richtig ist, daß nach der Rechtsprechung des OGH der Zivilrichter als Vorfrage selbständig beurteilen muß, ob der Beklagte den als unlautere Wettbewerbshandlung beanstandeten Verstoß gegen eine Verwaltungsvorschrift begangen hat (EvBl. 1974/222 = ÖBl. 1974, 106; ÖBl. 1976, 67; ÖBl. 1977, 164 ua.); auch trifft es zu, daß es nach § 1 UWG nur auf die objektive Sittenwidrigkeit der Handlung und nicht auch darauf ankommt, ob sich der Handelnde dieser Unlauterkeit seines Verhaltens bewußt war (SZ 11/49; ÖBl. 1961, 110; ÖBl. 1974, 106; ÖBl. 1976, 67 uva.; ebenso Hohenecker - Friedl, Wettbewerbsrecht 17; Baumbach - Hefermehl, Wettbewerbsrecht[13] 219 EinlUWG RN 121). An dieser Auffassung ist auch weiterhin festzuhalten; der aus ihr gelegentlich abgeleitete Grundsatz, daß selbst guter Glaube des Beklagten dessen Verantwortlichkeit nach § 1 UWG nicht ausschließe (so etwa EvBl. 1974/222 = ÖBl. 1974, 106 unter Hinweis auf ÖBl. 1961, 110; ebenso Hohenecker - Friedl aaO; Baumbach
- Hefermehl aaO), kann jedoch in dieser allgemeinen Form nicht aufrechterhalten werden. Ob ein Verstoß gegen § 1 UWG zur Voraussetzung hat, daß der Handelnde alle Tatumstände gekannt hat, die bei objektiver Würdigung die Sittenwidrigkeit seiner Wettbewerbshandlung begrunden, guter Glaube hinsichtlich des Sachverhalts also die Sittenwidrigkeit regelmäßig ausschließt, wird in Lehre und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet (dafür etwa: ÖBl. 1961, 46; Schönherr in ÖBl. 1977, 33; ebenso die Rechtsprechung des dBGH, mitgeteilt bei Baumbach - Hefermehl aaO 220 RN 122; dagegen: ÖBl. 1961, 110; ÖBl. 1977, 301; Hohenecker - Friedl aaO 17; Baumbach - Hefermehl aaO 221 f. RN 124). Diese Frage kann aber deshalb auf sich beruhen, weil es diesmal nicht um einen Tat-, sondern um einen Rechtsirrtum der Beklagten geht. Das jedem Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens begrifflich innewohnende moralische Unwerturteil - iS der Behauptung einer den anständigen Gebräuchen in Handel und Gewerbe zuwiderlaufenden, also gegen das Anstandsgefühl des durchschnittlichen Mitbewerbers oder die sittliche Auffassung der angesprochenen Verkehrskreise verstoßenden Wettbewerbshandlung (ÖBl. 1976, 67 uva.; Hohenecker - Friedl aaO 15; vgl. auch Baumbach
- Hefermehl aaO 186 ff. RN 64 ff.) - verlangt aber jedenfalls dort eine besondere subjektive Komponente auf der Seite des Beklagten, wo der ihm angelastete Wettbewerbsverstoß aus der Verletzung einer gesetzlichen Vorschrift abgeleitet wird. Was dem Betroffenen hier als "unlauteres Verhalten" angelastet wird, ist der Umstand, daß er sich über eine gesetzliche Norm hinweggesetzt hat, um auf diese Weise einen Wettbewerbsvorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen. Nur eine dem Beklagten auch subjektiv vorwerfbare Mißachtung einer solchen Vorschrift rechtfertigt es aber, über die bloße Verantwortlichkeit nach der übertretenen Verwaltungsvorschrift hinaus auch eine unlautere, gegen die guten Sitten verstoßende Wettbewerbshandlung iS des § 1 UWG anzunehmen (in diesem Sinne bereits Schönherr in ÖBl. 1977, 33, ÖBl. 1977, 159 und ÖBl. 1981, 19).
Dieser Grundsatz muß vor allem dort gelten, wo es - wie auch diesmal - um eine unterschiedliche Auslegung der angeblich verletzten Rechtsvorschrift (hier: des § 11c PreisG) geht. Der OGH hat in einem solchen Fall bereits in der Entscheidung ÖBl. 1976, 67 - Berater in Versicherungsangelegenheiten - ausführlich dargelegt, daß es bei der Prüfung der Frage, ob eine Verletzung gewerberechtlicher Vorschriften gegen § 1 UWG verstößt, vor allem darauf ankommt, ob die Auffassung des Beklagten über den Umfang seiner Befugnisse durch das Gesetz soweit gedeckt ist, daß sie mit gutem Grund vertreten werden kann; trifft dies zu, dann kann diese Auslegung der gesetzlichen Vorschrift und die darauf beruhende Tätigkeit des Beklagten nicht mehr als eine gegen das Anstandsgefühl der betroffenen Verkehrskreise verstoßende Handlung angesehen werden. Hält man an dieser - auch der späteren Entscheidung ÖBl. 1977, 164 zugrundeliegenden - Rechtsansicht fest, dann ist im vorliegenden Fall für die Annahme einer gegen die guten Sitten verstoßenden Handlungsweise der Beklagten kein Raum. Ihre Auffassung, daß die an einen geschlossenen Personenkreis - nämlich nur an die Inhaber sogenannter "Einkaufsscheine" - ausgeschickten Werbeschriften keine "öffentlich angekundigten Preise", sondern nur "für einen größeren Personenkreis bestimmte Mitteilungen" enthielten und daher nicht der Brutto-Auszeichnungspflicht des § 11c PreisG unterlägen, kann sich immerhin soweit auf das Gesetz berufen, als gerade im Bereich des österreichischen Wettbewerbsrechtes mehrfach zwischen "öffentlichen Bekanntmachungen" einerseits und "Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind" andererseits unterschieden wird (so etwa - abgesehen von der bis zur Nov. 1971 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 UWG - in § 4 Abs. 1 und § 30 Abs. 1 UWG, aber auch in § 1 Abs . 1 der Ausverkaufsverordnung und in § 1 Abs. 1 des BG vom 1. 12. 1931, BGBl. 371, betreffend das Verbot unentgeltlicher Zuwendungen im geschäftlichen Verkehr). Da zu der hier strittigen Rechtsfrage, soweit ersichtlich, auch noch keine einschlägige Judikatur des VwGH vorliegt, kann es der Beklagten nach Ansicht des erkennenden Senates nicht als Verstoß gegen § 1 UWG angelastet werden, wenn ihre - nach dem Wortlaut des Gesetzes immerhin vertretbare - Rechtsauffassung in der Folge von den Gerichten nicht geteilt wurde. Der Vorwurf sittenwidrigen - also unlauteren, mit den anständigen Geschäftsgebräuchen nicht zu vereinbarenden - Verhaltens wäre unter diesen Umständen nicht begrundet; die beanstandete Nettopreisauszeichnung könnte zwar möglicherweise als Verwaltungsübertretung nach § 16 PreisG geahndet werden, sie begrundet aber keinen Verstoß gegen die guten Sitten iS des § 1 UWG. Ob die zuständigen Beamten des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie die Beklagte in ihrer Rechtsauffassung bestärkt haben, ist bei dieser Sachlage ohne rechtliche Bedeutung; da die von der Beklagten zur Auslegung des § 11c PreisG vertretene Rechtsmeinung aus den angeführten Gründen jedenfalls vertretbar ist, scheidet die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes der Beklagten von vornherein aus.
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