Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Einrede der internationalen Unzuständigkeit verworfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von diesem Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 6.194,08 EUR bestimmten Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit (darin 1.032,34 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Die Klägerin ist eine Verwertungsgesellschaft nach österreichischem Recht. Zu ihren Aufgaben gehört insbesondere das Einheben der Vergütung für nach Österreich geliefertes Trägermaterial nach § 42b Abs 1 und 3 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes (UrhG). Sie nimmt die beklagten Gesellschaften mit der am 30. September 2013 erhobenen Stufenklage auf Zahlung der Trägervergütung iSv § 42b Abs 1 UrhG für die Zeit ab 1. Oktober 2010 in Anspruch.
Die Beklagten gehören zu einem international tätigen Konzern, der über das Internet Bücher, Musikalien und andere Waren vertreibt. Die Erst-, Zweit- und Fünftbeklagte sind Gesellschaften luxemburgischen Rechts mit Sitz in Luxemburg, die Dritt- und Viertbeklagte sind Gesellschaften deutschen Rechts mit Sitz in Deutschland. In Österreich haben die Beklagten keinen Sitz und keine Niederlassung. Nach dem Vorbringen der Klägerin wirken sie beim erstmaligen Inverkehrbringen von Trägermaterial in Österreich zusammen, sodass sie solidarisch für die Trägervergütung hafteten. Die Beklagten bestreiten die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte und das Bestehen des Anspruchs.
Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist ausschließlich die Frage der internationalen Zuständigkeit.
Die Klägerin bringt dazu vor, dass der in § 42b UrhG umgesetzte Anspruch auf Zahlung eines „gerechten Ausgleichs“ iSv Art 5 Abs 2 lit b InfoRL nach der Rechtsprechung des EuGH dazu diene, den „Schaden“ des Rechteinhabers abzugelten, der durch die Ausnahme vom Vervielfältigungsrecht entstehe. Die Klägerin mache daher eine Schadenshaftung geltend, die vom Gerichtsstand des Art 5 Nr 3 EuGVVO erfasst werde.
Die Beklagten wenden ein, dass Art 5 Nr 3 EuGVVO nur anwendbar sei, wenn Ansprüche aufgrund einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sei, den Gegenstand des Verfahrens bildeten. Der Anspruch nach § 42b UrhG beruhe demgegenüber auf einem erlaubten Verhalten. Denn er diene dazu, einen Ausgleich für Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch zu schaffen, die auch ohne Zustimmung des Urhebers zulässig seien. Daher habe es der Oberste Gerichtshof im Jahr 2006 abgelehnt, Art 5 Nr 3 VO (EG) Nr 44/2001 auf solche Ansprüche anzuwenden (4 Ob 174/06a). An dieser Entscheidung sei festzuhalten.
Das Erstgericht folgte den Argumenten der Beklagten und wies die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück.
Das Rekursgericht bestätigte die Zurückweisung der Klage, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.
Die Beklagten seien Schuldner einer gesetzlich angeordneten Vergütungsverpflichtung. Ein „Schaden“ der Rechteinhaber entstehe nicht durch das Verhalten der Beklagten, sondern dadurch, dass Dritte die von den Beklagten in Verkehr gebrachten Träger für Vervielfältigungen nutzten. Diese Nutzung sei zudem nicht unerlaubt. Der Anspruch der Klägerin falle daher nicht unter Art 5 Nr 3 EuGVVO. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit der jüngeren Rechtsprechung des EuGH auseinandergesetzt habe, wonach der Anspruch auf Zahlung eines gerechten Ausgleichs nach Art 5 Abs 2 lit b InfoRL dem Ersatz eines „Schadens“ der Rechteinhaber diene.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Klägerin ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist auch berechtigt.
1. Die Klage wurde am 30. September 2013 eingebracht. Daher ist die VO (EU) Nr 1215/2012 (EuGVVO neu) nach ihrem Art 66 Abs 1 noch nicht anwendbar. Die internationale Zuständigkeit ist daher weiterhin nach Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 (EuGVVO) zu beurteilen. Zur Klarstellung ist allerdings festzuhalten, dass Art 7 Nr 2 EuGVVO neu ohnehin mit Art 5 Nr 3 EuGVVO übereinstimmt, sodass sich durch die Neuregelung keine Änderungen ergeben haben.
2. Der Senat hat in der Entscheidung 4 Ob 174/06a ( Leerkassettenvergütung IV , SZ 2006/156 = MR 2007, 35 [ Walter ]) ausgeführt, dass der Anspruch auf Trägervergütung der Ausgleich für eine gesetzlich erlaubte und damit rechtmäßige Nutzungshandlung sei und daher gerade nicht auf einem rechtswidrigen Eingriff in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers beruhe. Vielmehr handle es sich um einen durch Gesetz geregelten Entgeltanspruch für die freie Werknutzung; dieser Anspruch ersetze Entgeltansprüche, die sonst vertraglich zu vereinbaren wären. Daher sei Art 5 Nr 3 EuGVVO nicht anwendbar. Nach Ergehen dieser Entscheidung hat allerdings der EuGH mehrfach ausgeführt, dass die Pflicht zur Zahlung eines gerechten Ausgleichs dem Ersatz des „Schadens“ dient, den der Rechteinhaber durch die erlaubte Vervielfältigung erleidet (C‑467/08, Padawan , Rz 40; C‑462/09, Stichting de Thuiskopie , Rz 24; C‑521/11, Amazon.com International Sales Inc. ua , Rz 23). Der Schaden tritt dabei in jenem Staat ein, in dem die Endnutzer wohnen (C‑462/09, Stichting de Thuiskopie , Rz 35; C‑521/11, Amazon.com International Sales Inc. ua , Rz 58); diesen Staat trifft die Verpflichtung, für die Zahlung des gerechten Ausgleichs zu sorgen (C‑462/09, Stichting de Thuiskopie , Rz 39; C‑521/11, Amazon.com International Sales Inc. ua , Rz 60).
3. Auf dieser Grundlage schien zweifelhaft, ob die eingangs genannte Entscheidung aufrechterhalten werden kann. Daher hat der Senat mit Beschluss vom 18. November 2014, 4 Ob 177/14d, dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage vorgelegt:
Ist der Anspruch auf Zahlung eines „gerechten Ausgleichs“ nach Art 5 Abs 2 lit b InfoRL, der sich nach österreichischem Recht gegen Unternehmen richtet, die Trägermaterial im Inland als erste gewerbsmäßig entgeltlich in Verkehr bringen, ein Anspruch aus „unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“, im Sinn von Art 5 Nr 3 EuGVVO?
Der EuGH hat diese Frage mit Urteil vom 21. April 2016, C-572/14 , wie folgt beantwortet:
Art 5 Nr 3 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass bei einer Klage auf Zahlung einer Vergütung, die nach einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zur Umsetzung der in Art 5 Abs 2 lit b InfoRL vorgesehenen Regelung des „gerechten Ausgleichs“ geschuldet wird, eine „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne von Art 5 Nr 3 dieser Verordnung den Gegenstand des Verfahrens bilden.
4. Als schädigendes Ereignis betrachtet der EuGH dabei allerdings nicht, wie im Vorabentscheidungsersuchen angenommen, das Inverkehrbringen von Trägermaterial in Österreich oder die Nutzung dieses Materials durch die Erwerber zur erlaubten Vervielfältigung geschützter Werke. Vielmehr stütze sich die Klage auf einen Verstoß der Beklagten gegen die Verpflichtung zur Zahlung der Trägervergütung. Dieser Verstoß sei eine rechtswidrige Handlung, die der Klägerin einen Schaden verursache, und falle daher unter Art 5 Nr 3 EuGVVO (Rz 49 ff). Daraus ergebe sich die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte, wenn das schädigende Ereignis in Österreich eingetreten sei oder hier einzutreten drohe. Ob das zutreffe, sei vom vorlegenden Gericht zu beurteilen (Rz 52).
5. Schädigendes Ereignis ist damit nach der den Senat bindenden Auffassung des EuGH die Verletzung der Zahlungspflicht. Maßgebend für die Zuständigkeit ist dabei nach allgemeinen Grundsätzen sowohl der Ort des schädigenden Verhaltens (hier Unterlassens) und jener der Verwirklichung des Schadenserfolgs (zuletzt etwa C‑360/12, Coty , Rz 46; C‑375/13, Kolassa , Rz 45).
5.1. Der Ort des schädigenden Verhaltens liegt dort, wo die Zahlungspflicht zu erfüllen gewesen wäre. Dazu enthält weder das Unionsrecht noch das österreichische Urheberrechtsgesetz eine Regelung. Damit ist ‑ wie im Anwendungsbereich von Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO (C‑533/07, Falco Privatstiftung , 4 Ob 90/09b, F.-Privatstiftung , SZ 2009/119) ‑ auf das im konkreten Fall anwendbare Recht abzustellen. Dass es sich dabei um österreichisches Recht handelt, wird von keiner Partei in Zweifel gezogen.
(a) Nach § 907a Abs 1 ABGB idF ZVG BGBl I 2013/50, ist eine Geldschuld am Wohnsitz oder an der Niederlassung des Gläubigers zu erfüllen. Geldschulden sind somit Bringschulden. Ort des schädigenden Unterlassens ist daher im konkreten Fall ‑ soweit § 907a Abs 1 ABGB in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist - die in Österreich gelegene Niederlassung der Klägerin.
(b) Damit stellt sich die Frage, ob tatsächlich der gesamte geltend gemachte Anspruch unter § 907a Abs 1 ABGB idgF fällt. Diese Bestimmung trat mit 16. März 2013 in Kraft. Sie ist nach § 1503 Abs 2 ABGB auf Rechtsverhältnisse anzuwenden, die ab diesem Tag „begründet“ werden. Auf Rechtsverhältnisse, die vor dem 16. März 2013 begründet wurden, sind die bisherigen Bestimmungen weiter anzuwenden; wenn solche früher begründeten Rechtsverhältnisse jedoch wiederholte Geldleistungen vorsehen, gelten die neuen Bestimmungen für diejenigen Zahlungen, die ab dem 16. März 2013 fällig werden.
(c) Im vorliegenden Fall besteht zwischen den Parteien kein (einheitliches) Rechtsverhältnis, das zu einem bestimmten Zeitpunkt begründet worden wäre. Vielmehr entsteht mit jeder einzelnen Lieferung von Trägermaterial die entsprechende Vergütungspflicht. Die Frage des Erfüllungsorts ist daher für jede dieser Verpflichtungen gesondert zu beurteilen. Daraus folgt, dass § 907a Abs 1 ABGB idgF nur jenen Teil des Anspruchs der Klägerin erfasst, der sich auf Trägermaterial bezieht, das ab dem 16. März 2013 in Verkehr gebracht wurde.
(d) Soweit sich der Anspruch dagegen auf vor diesem Tag in Verkehr gebrachtes Trägermaterial bezieht, ist weiterhin § 905 Abs 2 ABGB idF vor dem ZVG anzuwenden. Geldschulden waren danach qualifizierte Schickschulden, die am Wohnsitz oder Sitz des Schuldners zu erfüllen waren (4 Ob 90/09b, F.-Privatstiftung , SZ 2009/119; RIS-Justiz RS0125282). Dieser lag im konkreten Fall bei keiner der Beklagten in Österreich. Insofern liegt der Ort des schädigenden Verhaltens daher nicht in Österreich. Die Zuständigkeit aufgrund des schädigenden Verhaltens besteht damit nur für jenen Teil des Anspruchs, der sich auf das Inverkehrbringen von Trägermaterial ab dem 16. März 2013 gründet. Im Übrigen lässt sich die Zuständigkeit auf diese Weise nicht begründen.
5.2. Damit ist zu prüfen, ob die Zuständigkeit insofern aufgrund der Verwirklichung des Schadenserfolgs in Österreich besteht.
(a) Nach der Rechtsprechung des EuGH bezieht sich die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes, weil diesem dort ein finanzieller Schaden durch den in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen und erlittenen Verlust von Vermögensbestandteilen entstanden sein soll (C‑168/02, Kronhofer , Rz 21; C‑375/13, Kolassa , Rz 48). Entscheidend ist, wo sich „sämtliche Tatbestandsmerkmale der Haftung“ verwirklicht haben (C‑168/02, Kronhofer , Rz 18).
(b) Im vorliegenden Fall wären die Beklagten nach § 905 Abs 2 ABGB aF verpflichtet gewesen, den geschuldeten Betrag auf ihre Gefahr und Kosten der Klägerin zu „übermachen“. Sie waren daher zu einem Verhalten an ihrem jeweiligen Sitz verpflichtet, das Vermögen der Klägerin hätte sich aber erst an deren eigenen Sitz vermehrt. Damit ist aber auch der ‑ nach Auffassung des EuGH ‑ haftungsbegründende „Schaden“ ‑ nämlich das Unterbleiben der Vermögensvermehrung ‑ erst dort eingetreten, und erst damit waren „sämtliche Tatbestandsmerkmale der Haftung“ verwirklicht (C‑168/02, Kronhofer , Rz 18). Erfolgsort iSv Art 5 Nr 3 EuGVVO war daher im gegebenen Zusammenhang der Sitz der Klägerin.
(c) Die Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 EuGVVO ergibt sich daher, soweit der Handlungsort nicht ohnehin in Österreich liegt (oben 5.1.), daraus, dass der schädigende Erfolg letztlich erst durch das unterbliebene Einlangen der (angeblich) zu zahlenden Beträge bei der Klägerin in Österreich eingetreten ist. Sie ist daher auch für jenen Teil des Anspruchs zu bejahen, der sich auf Trägermaterial bezieht, das vor dem 16. März 2013 in Verkehr gebracht wurde.
6. Aus diesem Grund hat der Revisionsrekurs Erfolg. Die Einrede der internationalen Unzuständigkeit ist zu verwerfen, und dem Erstgericht ist die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von diesem Zurückweisungsgrund aufzutragen.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 Satz 3 iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben der Klägerin die Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit zu ersetzen. Dabei handelt es sich um die Kosten der auf diesen Streitpunkt beschränkten Verhandlung vom 11. März 2014 und die Kosten des Rechtsmittelverfahrens. Die vor der Verhandlung eingebrachten Schriftsätze enthielten auch Ausführungen zur Sache und sind daher nicht dem Zwischenstreit zuzuordnen (9 Ob 104/04s).
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