OGH 9Ob104/04s

OGH9Ob104/04s11.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****-AG, ***** vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1) Dr. Otto P*****, 2) Annegret P*****, beide *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Mag. Michael Rettenwander, Rechtsanwalt in Saalfelden, wegen EUR 5.450,46 sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 23. Juni 2004, GZ 22 R 90/04w-11, mit dem über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichtes Saalfelden vom 19. April 2004, GZ 2 C 213/04z-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Die Einrede der mangelnden inländischen Zuständigkeit wird verworfen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 416,06 bestimmten Kosten des Zuständigkeitsstreites (darin EUR 69,34 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die Revisionsrekursbeantwortung der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zu ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 499,39 bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin EUR 83,23 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin, die in ihrer Klage die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes mit § 99 JN begründete, brachte im Wesentlichen vor:

Ihr Versicherungsnehmer - einen Bau-GmbH - habe für die Beklagten Baumeisterarbeiten im Sprengel des angerufenen Gerichtes durchgeführt. Vereinbarungsgemäß seien die Beklagten gegenüber der Bau-GmbH zur Einbehaltung eines Haftrücklasses von S 120.180,49 berechtigt gewesen. Die Beklagten hätten sich bereit erklärt, den Haftrücklass vorzeitig auszuzahlen, wenn hiefür eine Sicherstellung durch Beibringung einer Garantie oder einer Baurücklass-Versicherung geleistet werde. Die Bau-GmbH habe daraufhin eine Baurücklass-Versicherung mit der Klägerin abgeschlossen. Am 16. 12. 1998 habe sich die Klägerin unter der Voraussetzung der vorzeitigen Auszahlung des Haftrücklasses an die Bau-GmbH verpflichtet, den von den Beklagten „namhaft" gemachten Betrag, höchstens jedoch S 120.180,49, ohne Prüfung des zugrunde liegenden Rechtsgrundes binnen 8 Tagen nach Zustellung einer schriftlichen Aufforderung auf ein von den Beklagten namhaft gemachtes Konto zu zahlen. In der Folge hätten die Beklagten S 75.000,- an Haftrücklass eingefordert. Die Klägerin habe diesen Betrag auf der Grundlage des mit der Bau-GmbH geschlossenen Vertrages auch ausgezahlt. Die Inanspruchnahme der Garantie sei aber nicht gerechtfertigt und rechtsmissbräuchlich gewesen. Der Anspruch werde auf jeden nur erdenklichen Rechtsgrund, insbesondere auf Bereicherungsrecht, gestützt. Auf die Rückforderung rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommener Garantien sei § 1431 ABGB analog anzuwenden. Der Rückforderungsanspruch stehe grundsätzlich dem Garantieauftraggeber zu. Dessen Anspruch sei hier gemäß § 67 VersVG infolge der Zahlung durch die Klägerin auf diese übergegangen.

Die Beklagten beantragten, das Klagebegehren abzuweisen und wendeten überdies mangelnde inländische Gerichtsbarkeit sowie mangelnde örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes ein. § 99 JN sei nach der hier anzuwendenden EuGVVO nicht anwendbar.

Die Klägerin brachte daraufhin ergänzend vor, dass die Beklagten auch einen Wohnsitz im Sprengel des angerufenen Gerichts haben. Überdies berief sie sich auf Art 5 Z 1 lit a EuGVVO, wobei sie vorbrachte, dass sie aus der abgegebenen Garantie eine Schickschuld erfüllt habe, sodass Erfüllungsort der Ort ihrer Niederlassung im Zeitpunkt der Garantiezusage sei. Es werde daher beantragt, die Klage gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das nicht offenbar unzuständige BG Hietzing zu überweisen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Klage wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit zurück und erklärte das bisherige Verfahren für nichtig. § 66 JN greife nicht, weil die Beklagten keinen Wohnsitz im Sprengel des angerufenen Gerichts haben. Art 5 Z 1 lit a EuGVVO sei nicht anwendbar, weil die Streitteile in keinem vertraglichen Verhältnis zueinander stünden. Ein Vertragsverhältnis liege nur zwischen der Klägerin und der Bau-GesmbH vor; die Beklagten seien lediglich Begünstigte.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss.

Die von Art 5 Z 1 lit a EuGVVO vorausgesetzte vertragliche Beziehung müsse - wie sich aus 7 Ob 291/02y ergebe - zwischen den Streitteilen bestehen. Dass die Klägerin gegenüber den Beklagten eine einseitige Garantiezusage abgegeben habe, rechtfertige aber die Annahme einer vertraglichen Bindung iSd Art 5 Z 1 lit a EuGVVO nicht.

Unter der erfüllten oder zu erfüllenden „Verpflichtung" verstehe Art 5 Z 1 lit a EuGVVO grundsätzlich die (Haupt-)Verpflichtung, die den Gegenstand der Klage bilde. Hier sei aber nicht der Anspruch der Beklagten auf Auszahlung eines Garantiebetrags strittig. Vielmehr sei die Klage auf die Behauptung gestützt, die Beklagten hätten die Garantie rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen, sodass sie aus dem Rechtsgrund der ungerechtfertigten Bereicherung zur Rückzahlung des Garantiebetrags verpflichtet seien. Bei der Bestimmung des Erfüllungsorts sei nicht auf den Erfüllungsort des Rückforderungsanspruchs, sondern auf den jener Vertragspflicht abzustellen, aus deren Verletzung der Rückforderungsanspruch abgeleitet werde. Werden sekundäre vertragliche Ansprüche geltend gemacht (zB Schadenersatz oder Rückerstattung), so komme es auf den Erfüllungsort jener vertraglichen „primären" Verpflichtung an, deren Nichterfüllung zur Begründung des Anspruchs behauptet werde. Bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche könnten somit als gesetzliche Ansprüche nur dann am Gerichtsstand des Erfüllungsorts geltend gemacht werden, wenn sie sich aus einem konkreten vertraglichen Anspruch zwischen den Streitteilen ableiten lassen. Einen derartigen vertraglichen Anspruch habe die Klägerin gegen die Beklagten nicht. Diese seien lediglich Begünstigte des zwischen der Klägerin und der Bau-GmbH abgeschlossenen Vertrags; Verpflichtungen hätten sie nur gegenüber ihrer Vertragspartnerin, der Bau-GmbH. Der Gerichtsstand des Art 5 Z 1 lit a EuGVVO sei daher nicht gegeben. Die behauptete Legalzession nach § 67 VersVG ändere daran nichts, weil für die Anwendbarkeit des Art 5 Z 1 EuGVVO lediglich maßgebend sei, dass sich im Prozess die Vertragsparteien gegenüber stünden, was hier nicht der Fall sei.

Auf einen anderen Gerichtsstand stütze sich die Klägerin nicht mehr.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagten erstatteten eine Revisionsrekursbeantwortung, die allerdings verspätet ist. Da ihnen der Revisionsrekurs während der verhandlungsfreien Zeit (§ 222 ZPO) zugestellt wurde, endete die ihnen offen stehende vierwöchige Frist mit Ablauf des 22. September (RIS-Justiz RS0036496). Die Revisionsrekursbeantwortung wurde aber erst am 23. September überreicht und ist daher zurückzuweisen.

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Die klagende Versicherung macht einen mit dem rechtsmissbräuchlichen Abruf der Garantie begründeten Bereicherungsanspruch geltend, der im Wege der Legalzession nach § 67 VersVG auf sie übergegangen sei (ob ein Forderungsübergang nach § 67 VersVG tatsächlich stattgefunden hat, ist im Zuständigkeitsstreit nicht zu prüfen). Dabei handelt es sich um keinen den Art 8 ff EuGVVO über die Zuständigkeit in Versicherungssachen unterliegenden Anspruch (7 Ob 291/02y).

Da sich die Klägerin auf einen auf sie übergegangenen Anspruch ihres Versicherungsnehmers beruft, kommt es nicht darauf an, ob zwischen ihr und den Beklagten ein Vertrag zustande gekommen ist. Auf einen solchen Vertrag wird die Klage und auch die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes nicht gestützt. Entscheidend ist vielmehr, ob für den geltend gemachten, auf die Klägerin übergegangenen Anspruch der Bau-GmbH der angezogene Gerichtsstand des Art 5 Nr. 1 offen steht und - bejahendenfalls - ob sich die Klägerin als Legalzessionarin auf diesen Gerichtsstand berufen kann.

Bereicherungsansprüche (bereicherungsrechtliche Rückabwicklungsansprüche) sind von dem von der Klägerin geltend gemachten Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art 5 Nr 1 EuGVVO erfasst, wenn sie im Zusammenhang mit einem Vertrag stehen (Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Art 5 EuGVO Rz 25; Czernich in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht², Art 5 EuGVO Rz 11; zum EuGVÜ: 5 Ob 313/03w; 4 Ob 116/02s uva).

Nach dem Konzept der EuGVVO, die eine Neuregelung des Gerichtsstandes des Erfüllungsorts gebracht hat, können alle Ansprüche aus einem Vertrag am Erfüllungsort geltend gemacht werden. Dies gilt auch für sekundäre vertragliche Ansprüche, also auch für Bereicherungsansprüche (Burgstaller/Neumayr aaO Rz 28; Czernich aaO Rz 8). Gegenstand des dem hier geltend gemachten Bereicherungsanspruch zugrunde liegenden Vertrages zwischen der Bau-GmbH und den Beklagten war die Erbringung einer Dienstleistung (Baumeisterarbeiten). Der Erfüllungsort für Verträge über Dienstleistungen ist gemäß Art 5 Nr. 1 lit b EuGVVO jener Ort in einem Mitgliedstaat, an dem die Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht wurde oder hätte erbracht werden sollen. Erfüllungsort ist daher im hier zu beurteilenden Fall der (im Sprengel des angerufenen Gerichtes liegende) Ort an dem die den Gegenstand des Vertrages bildenden Arbeiten erbracht wurden. Damit liegen die Voraussetzungen für den Gerichtsstand des Erfüllungsortes grundsätzlich vor.

Zu prüfen bleibt daher die Frage, ob dieser Gerichtsstand im Falle der hier geltend gemachten Legalzession, die ja an der Rechtsnatur des Anspruchs nichts ändert (RIS-Justiz RS0080594; 6 Ob 34/03y), auch vom Legalzessionar geltend gemacht werden kann.

Das Rekursgericht hat diese Frage unter Hinweis auf die Entscheidung 7 Ob 291/02y verneint, aus der es ableitet, dass Art 5 Z 1 EuGVVO nur angewendet werden kann, wenn sich im Prozess die Vertragsparteien selbst gegenüberstehen. Der in dieser Entscheidung enthaltene Rechtssatz, dass die von Art 5 Z 1 EuGVÜ vorausgesetzte vertragliche Beziehung zwischen den Streitparteien bestehen muss, ist vor dem Hintergrund des dort zu beurteilenden Falles zu sehen: Damals ginge es um die Beurteilung eines Vertrages mit Schutzwirkungen zugunsten eines Dritten. Dass ein solcher Vertrag zur Annahme einer vertraglichen Beziehung iSd Art 5 Z 1 EuGVÜ in Ansehung des Dritten nicht genügt und demnach nicht unter diese Zuständigkeitsbestimmung fällt, entspricht der herrschenden Auffassung (Czernich, aaO Rz 12 mwN), hat aber mit der hier zu beurteilenden Frage, ob sich auch der Zessionar einer vertraglichen Forderung auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes berufen kann, nichts zu tun.

Dass der Gerichtsstand des Art 5 Nr. 1 nicht nur den Vertragsparteien, sondern auch deren Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolgern zur Verfügung steht, entspricht der herrschenden Auffassung (Leible in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 90; Czernich, aaO Rz 18).

Richtig ist allerdings, dass nach Entscheidungen des EuGH dann, wenn ein Gerichtsstand eine persönliche Begünstigung einer bestimmten Klägerkategorie bezweckt, dem Zessionar des höchstpersönlich Begünstigten kein Klägergerichtsstand zugute kommt (so zu Art 14 Abs 1 Var 2 EuGVÜ EuGH Slg 1993, I-139, I-187, I-189 Rz 14-24 - Shearson Lehman Hutton, Inc/TVB und zu Art 5 Nr. 2 EuGVÜ die - ebenfalls eine Legalzession betreffende - Entscheidung des EuGH 15. 1. 2004 - RS C-433/02 ; Freistaat Bayern/Jan Blijdenstein). Diese Überlegung lässt sich aber - wie Mankowski (EWiR 20-2004, (8) 379, Glosse zu EuGH, 5. 2. 2004, Rs C-265/02 ) zutreffend ausführt - auf den Erfüllungsortsgerichtsstand, der keine wie auch immer geartete persönliche Begünstigung einzelner Klägerkategorien bezweckt, nicht übertragen. Dieser Gerichtsstand verfolgt keinen persönlichen Schutz des ursprünglichen Gläubigers, sondern dient der besseren Durchsetzung der Vertragsforderung. Hinter ihm stehen partiell auch Überlegungen zur Beweisnähe. Der Gerichtsstand haftet der Forderung an, nicht aber dem Kläger. Er begründet auch nicht gezielt einen Klägergerichtsstand, denn er verwendet zur Anknüpfung kein Merkmal des Klägers. Mankowski ist daher beizupflichten, dass der Gerichtsstand des Art 5 Nr. 1 EuGVVO auch dem Legalzessionar offen steht.

Dieses Ergebnis steht im Übrigen auch im Einklang mit der - insofern allerdings zu Art 5 Nr. 3 EuGVÜ ergangenen - Entscheidung 7 Ob 291/02y, in der der Oberste Gerichtshof davon ausgeht, dass sich die dort klagende Versicherung, die einen im Wege der Legalzession nach § 67 VersVG auf sie übergegangenen Anspruch geltend machte, auf den genannten Gerichtsstand berufen kann.

Dass der Vertrag zwischen der Bau-GmbH und den Beklagten aus deren Sicht ein dem Art 15 EuGVVO unterfallendes Verbrauchergeschäft sei, haben die Beklagten nie schlüssig geltend gemacht. Ihr erstinstanzliches Vorbringen erschöpft sich im Wesentlichen in der Behauptung, sie seien Verbraucher. In ihrer Revisionsrekursbeantwortung berufen sie sich zwar auf die Art 15 ff EuGVVO, allerdings mit der Begründung, dass im Falle der Bejahung eines Vertrages zwischen den Streitteilen die Art 15 ff EuGVVO zum Tragen kämen, weil die Beklagten als Verbraucher einer Tochtergesellschaft eines internationalen Konzerns gegenüberstünden, der seine berufliche und gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat der Beklagten ausübe. Maßgebend ist allerdings der Vertrag zwischen der Bau-GmbH und den Beklagten. Behauptungen, aus denen geschlossen werden könnte, dass dieser Vertrag dem Art 15 EuGVVO unterfallen könnte, haben die Beklagten nicht aufgestellt.

Die Klägerin hat sich daher zu Recht auf den Gerichtsstand des Art 5 Nr. 1 EuGVVO berufen. Ihrem Rechtsmittel, dessen Antrag im Zusammenhalt mit dem Rechtsmittelvorbringen das im Spruch genannte Ergebnis noch deckt, war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Das Verfahren über den Einwand der mangelnde internationalen Zuständigkeit ist ein Zwischenstreit, der mit dieser Entscheidung entschieden wurde (RIS-Justiz RS0035955; 1 Ob 193/01s; 5 Ob 313/03w). Kosten von Prozesshandlungen, die im fortgesetzten (Haupt-)Verfahren verwertbar sind, sind im Rahmen der Entscheidung über die Kosten dieses Zwischenstreites nicht zuzusprechen. Im Hauptverfahren nicht verwertbare Kosten des Zuständigkeitsstreites sind aber in erster Instanz nicht entstanden.

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