OGH 3Ob54/12f

OGH3Ob54/12f18.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin W*****, wider die Erlagsgegner 1. D*****, und 2. Ä*****, vertreten durch Mag. Bernd Trappmaier, Mag. Georg R. Foidl, Rechtsanwälte in Wien, über den Revisionsrekurs der Zweiterlagsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 6. September 2011, GZ 48 R 180/11t, 48 R 181/11i, 48 R 256/11v‑35, womit infolge von Rekursen der Zweiterlagsgegnerin die Beschlüsse des Bezirksgerichts Favoriten vom 26. Jänner 2011, GZ 35 Nc 5/11v‑3, und jeweils vom 16. Februar 2011, GZ 35 Nc 5/11v‑9 und ‑13, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Ersterlagsgegnerin ist als Ärztin ordentliches Kammermitglied der Zweiterlagsgegnerin und steht mit der Erlegerin (= Antragstellerin) in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis. Die Zweiterlagsgegnerin fordert von der Ersterlagsgegnerin vom Bruttoentgelt der Ärztin zu berechnende Beitragszahlungen zu ihrem Wohlfahrtsfonds. Die Erlegerin hat diese Beiträge bei der Entgeltberechnung zu berücksichtigen und für die Ersterlagsgegnerin an die Zweiterlagsgegnerin abzuführen. Die Ärztin bestritt jedoch, zur Leistung dieser Beiträge verpflichtet zu sein und forderte von der Erlegerin die Nichtabführung dieser Beträge und Auszahlung an sie selbst. Dieser Beitrag errechnet sich mit je 666,66 EUR für Jänner 2011 bzw Februar 2011.

Mit der Begründung, es sei der Erlegerin ohne unzumutbaren Aufwand nicht erkennbar, welchem der beiden Forderungsprätendenten der Betrag zuzufließen habe, beantragt sie die Annahme der Beiträge für Jänner 2011 und mit gesondertem Antrag für Februar 2011 als gerichtlichen Erlag.

Soweit noch relevant, hat das Erstgericht die Erläge der Antragstellerin mit seinen Beschlüssen vom 26. Jänner 2011 und 16. Februar 2011 gemäß § 1425 ABGB angenommen (ON 3 und 13).

Das Rekursgericht bestätigte die Annahmebeschlüsse mit der Maßgabe, dass die Erläge über gemeinsamen schriftlichen Antrag der Erlagsgegnerinnen, aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs oder aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde ausgefolgt würden und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Es verneinte die geltend gemachte Nichtigkeit wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs und erachtete die der Erlegerin zuzubilligende Unklarheit der Rechtslage als tauglichen Erlagsgrund nach § 1425 ABGB. Die Zustellung dieser Entscheidung an den Vertreter der Zweiterlagsgegnerin erfolgte am 27. September 2011. Über eine am 24. Oktober 2011 im ERV eingebrachte Zulassungsvorstellung verbunden mit einem ordentlichen Revisionsrekurs der Zweiterlagsgegnerin änderte das Rekursgericht den Zulässigkeitsausspruch ab. Weder die Erlegerin noch die Ersterlagsgegnerin erstatteten die ihnen freigestellte Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Zweiterlagsgegnerin wurde allerdings verspätet erhoben und muss aus nachstehenden Gründen schon deshalb zurückgewiesen werden:

1. Das Erlagsverfahren nach § 1425 ABGB ist ein außerstreitiges Verfahren (RIS‑Justiz RS0033469; § 1 Abs 1 des mit 1. Mai 2011 in Kraft getretenen Verwahrungs- und Einziehungsgesetz [VerwEinzG], BGBl I 2010/111, das hier schon zur Anwendung gelangt, weil über die Ausfolgung in erster Instanz nicht vor dem 30. April 2011 entschieden worden ist [§ 18 Abs 2 VerwEinzG]).

§ 63 Abs 2 AußStrG iVm § 65 AußStrG sieht für die mit dem ordentlichen Revisionsrekurs zu verbindende Zulassungsvorstellung eine Frist von vierzehn Tagen vor. Ausgehend von der Zustellung der Rekursentscheidung an die Zweiterlagsgegnerin am 27. September 2011 erfolgte die Einbringung der Rechtsmittelschrift erst am 24. Oktober 2011 daher verspätet. Daran vermag auch die Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs durch das Rekursgericht nichts zu ändern.

2. Gemäß § 46 Abs 3 AußStrG ‑ dessen Aufhebung durch Art 15 Z 3 Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 2010/111, gemäß § 207h AußStrG hier noch nicht zu berücksichtigen ist (Datum der Entscheidungen der ersten Instanz jeweils vor dem 30. Juni 2011) ‑ können nach Ablauf der Rekursfrist Beschlüsse angefochten werden, wenn ihre Abänderung oder Aufhebung mit keinem Nachteil für eine andere Person verbunden ist. Diese Bestimmung gilt gemäß § 71 Abs 4 AußStrG auch im Verfahren über den Revisionsrekurs. Eine andere Person ist grundsätzlich jeder vom (Revisions-)Rekurswerber verschiedene, am Verfahren Beteiligte. Er muss aber nicht immer Partei des Verfahrens sein. Voraussetzung für eine meritorische Behandlung des verspäteten Revisionsrekurses ist das Fehlen eines Nachteils für die materiellrechtliche oder die verfahrensrechtliche Stellung eines Dritten (RIS‑Justiz RS0007180; Nunner‑Krautgasser, Zur Berücksichtigung verspäteter Rekurse im Außerstreitverfahren, Zak 2009/94, 70 [72]).

3. Auf die durch die jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aufgetretene ‑ durch die aktuelle Rechtslage ohnehin gegenstandslos gewordene ‑ Divergenz zur Frage, ob die Zulässigkeit der Berücksichtigung eines verspäteten Rechtsmittels gemäß § 46 Abs 3 AußStrG nicht mehr wie nach § 11 Abs 1 AußStrG 1854 in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, weshalb die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels nicht mehr Teil der anzustellenden Prüfung sind (so nunmehr 6 Ob 252/09s = EvBl 2010/78 mwN [zust Nunner-Krautgasser]; 1 Ob 148/11p), oder die gegenteilige Rechtsprechung zur Vorgängerbestimmung fortzuschreiben ist (vgl RIS‑Justiz RS0007115 und RS0111098), braucht hier nicht eingegangen zu werden.

Der Revisionsrekurs wäre nämlich sowohl dann als verspätet zu behandeln, wenn man als einziges Kriterium für die Berücksichtigung des nach Ablauf der (Revisions‑)Rekursfrist erhobenen Rechtsmittels den Eintritt eines Nachteils iSd § 46 Abs 3 AußStrG bei Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ansieht, als auch dann, wenn vorweg die Erfolgsaussichten zu prüfen wären.

3.1. Der Sinn des Rechtsinstituts der Hinterlegung liegt darin, dem Schuldner eine Möglichkeit zur Befreiung von seiner Verbindlichkeit zu bieten, wenn er zwar erfüllungsbereit und erfüllungsfähig ist, aber an der Vornahme der Erfüllung an den Gläubiger durch nicht in seiner Sphäre gelegene Umstände gehindert ist. Daher ist die primäre, in § 1425 zweiter Satz ABGB explizit zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge der Hinterlegung die Befreiung des Schuldners von seiner Verbindlichkeit (Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.01 § 1425 Rz 32).

Mit der von der Zweiterlagsgegnerin im Revisionsrekurs angestrebten Zurückweisung, in eventu Abweisung der Erlagsanträge würde die Möglichkeit des Eintritts der schuldbefreienden Wirkung für die Antragstellerin beseitigt und damit deren materiellrechtliche Stellung nachteilig verändert werden. Das gilt auch in Anbetracht der Rechtslage, dass nur einem rechtmäßigen Erlag schuldbefreiende Wirkung zukommt (RIS‑Justiz RS0033636), das Erlagsgericht aber (nur) zu prüfen hat, ob der vom Antragsteller anzugebende Erlagsgrund zur Hinterlegung iSd § 1425 ABGB an sich taugt, nicht hingegen, ob der Hinterlegungsgrund auch tatsächlich gegeben ist; dem Erlagsgericht obliegt nur eine Schlüssigkeitsprüfung (RIS‑Justiz RS0112198). Die Rechtmäßigkeit des Erlags ist also im Erlagsverfahren nicht zu klären (RIS‑Justiz RS0033495), sondern in einem eigens darüber geführten Rechtsstreit (RIS‑Justiz RS0033489; 3 Ob 105/98g mwN; 2 Ob 93/09d mwN). Der Zeitpunkt der Rechtskraft der gerichtlichen Hinterlegung ist daher für den Eintritt der Tilgungswirkung ohne Bedeutung (Heidinger in Schwimann 3 § 1425 ABGB Rz 29). Dennoch würde die von der Zweiterlagsgegnerin angestrebte Beseitigung der Annahme der Erläge verhindern, dass die Erlegerin schon vor der Klärung der Rechtslage und der Frage, welcher der beiden Forderungsprätendenten (= Erlagsgegner) Anspruch auf die erlegten Beträge hat, eine Schuldbefreiung und damit ua die Verhinderung von Verzugsfolgen erreichen kann.

Die verlangte Beseitigung der Entscheidungen der Vorinstanzen wäre daher mit einem materiellrechtlichen Nachteil für eine andere Person, und zwar die Antragstellerin als Erlegerin, verbunden.

3.2. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof mittlerweile (19. Jänner 2012) zu den hier inhaltlich zu lösenden Rechtsproblemen bei im Wesentlichen gleichgelagertem Sachverhalt (zur AZ 2 Ob 192/11s) meritorisch Stellung genommen und sowohl die von der Zweiterlagsgegnerin geltend gemachte Unzulässigkeit des Rechtswegs verneint als auch die Vorinstanzen dahin bestätigt, dass der Erlag zu Recht angenommen wurde.

4. Da demnach eine Berücksichtigung des verspäteten Revisionsrekurses der Zweiterlagsgegnerin auf keinen Fall in Frage kommt, war er zurückzuweisen.

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