Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 399,74 EUR (darin 66,62 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei war - aufgrund Werkvertrags mit einer gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft als Bauherr - als Generalunternehmerin mit der Errichtung einer Wohnanlage beschäftigt. Zu ihrem Aufgabenbereich gehörte auch die Absicherung der Baustelle. Der Kläger war Mitarbeiter einer mit der Durchführung der Estricharbeiten beauftragten Subunternehmerin (im Folgenden nur Subunternehmerin). Als der Kläger dabei am 4. Dezember 2002 derartige Arbeiten durchführte, stürzte er in einen nicht abgesicherten Liftschacht und wurde schwer verletzt. Die Bauherrin hatte ein Architektenbüro mit der Planung, örtlichen Bauaufsicht und Planungs- und Baustellenkoordination beauftragt. Nach dem im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan enthaltenen Maßnahmenkatalog waren als Maßnahme gegen Absturzgefahr Brustwehren vorgesehen. Als am 28. November 2002 der zuständige Mitarbeiter des Architekturbüros die Baustelle beging, stellte er fest, dass die erforderlichen Absturzsicherungen bei den Stiegenhäusern und Zugangsöffnungen der Aufzüge vorhanden waren. Vor dem 4. Dezember 2002 waren die Mitarbeiter der Subunternehmerin bereits etwa eine Woche auf der Baustelle tätig gewesen. An jener Stelle, an der der Kläger in den Liftschacht stürzte, war - solange die Mitarbeiter der Subunternehmerin in den Tagen vor dem Unfall im Haus arbeiteten - keine Absicherung vorhanden.
Der Kläger begehrte von der beklagten Partei für den Unfall die Zahlung von zuletzt 8.000 EUR s.A. an Schmerzengeld. Die beklagte Partei hafte ihm aufgrund ihres Vertrags mit seinem Arbeitgeber (Subunternehmerin); dieser Vertrag enthalte auch Schutzwirkungen zu seinen Gunsten.
Die beklagte Partei wendete ein, es treffe sie keine Haftung für die Verletzungen des Klägers. Sie sei ihrer Pflicht als Generalunternehmerin zur Absicherung der Baustelle nachgekommen und habe alle erforderlichen Maßnahmen gesetzt. Nach dem Protokoll des Baustellenkoordinators seien am 28. November 2002 sämtliche Liftschächte ordnungsgemäß abgesichert gewesen. Offenbar hätten die Mitarbeiter der Subunternehmerin die Absperrungen später entfernt, um den Pumpenschlauch leichter verlegen zu können. Sofern es keine Absperrungen im Bereich des Liftschachts gegeben habe, hätte der Kläger dort nicht arbeiten dürfen. Es treffe ihn ein Verstoß gegen § 15 Abs 3 ASchG.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit EUR 3.700 s.A. statt und wies das Mehrbegehren von EUR 4.300 s.A. - in dritter Instanz unangefochten - ab. Die beklagte Partei sei ihrer Verpflichtung, Gefahrenquellen im zumutbaren Ausmaß auszuschalten, nicht nachgekommen. Dem Kläger treffe allerdings ein Mitverschulden im Ausmaß von 50 %, was zur Reduzierung des berechtigten Schmerzengeldes von 7.400 EUR führen müsse.
Das Berufungsgericht bestätigte über Berufungen beider Teile unter Übernahme der Feststellungen das Ersturteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Der Kläger falle in den Schutzbereich des Werkvertrags der beklagten Partei mit ihrer Subunternehmerin. Die beklagte Partei sei zur Absicherung der Liftschächte verpflichtet gewesen; ihr Verschulden liege darin, dass sie - auch wenn am 28. November 2002 die Absicherungen vorhanden gewesen seien - nicht in kürzeren Abständen als einer Woche überprüft habe, ob sie nicht mittlerweise entfernt worden waren. Damit müsse bei einer großen Baustelle mit mehreren Gebäuden gerechnet werden. Es sei zumutbar, in kurzen Zeitabständen die Baustelle zu begehen und insbesondere die Absturzsicherungen zu überprüfen bzw. zu erneuern. Auch wenn vom Bauherrn ein Baustellenkoordinator bestellt worden sei, könne sich die beklagte Partei als Generalunternehmerin nicht allein auf diesen verlassen. Die Verpflichtungen nach dem BauKG seien grundsätzlich dem Bauherrn auferlegt, ohne dass dadurch die einzelnen Professionisten (Arbeitgeber) von ihren eigenen Sicherheitsverpflichtungen entbunden würden. Die Bestellung eines Baustellenkoordinators durch den Bauherrn befreie die beklagte Partei nicht von ihrer Haftung infolge der Verletzung vertraglicher Schutzpflichten gegenüber dem Kläger. Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
a) Gegen die Einbeziehung des Klägers in den Schutzbereich des Werkvertrags zwischen der Generalunternehmerin und ihrer Subunternehmerin (vgl. dazu nur 6 Ob 21/04p = RZ 2006, 70 = bbl 2006, 71 = ecolex 2006, 478 [Wilhelm] mwN), deren Dienstnehmer der Kläger war, durch die Vorinstanzen und deren Bejahung eines Sorgfaltsverstoßes durch die beklagte Partei wird in der Revision inhaltlich nichts von Relevanz ins Treffen geführt. Die Regelung des § 1157 ABGB über die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer ist gemäß § 1169 ABGB - mit hier nicht vorliegenden Ausnahmen - auf den Werkvertrag anzuwenden. Dem Arbeitgeber entspricht beim Werkvertrag der Besteller. Die aus dem Werkvertrag als Nebenverpflichtung resultierende Fürsorgepflicht betrifft primär den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Unternehmers und auch seiner Arbeitnehmer, deren er sich bei der Werkherstellung bedient. Der Generalunternehmer haftet daher nach stRsp (zuletzt 10 Ob 38/00m; RIS-Justiz RS0021515) grundsätzlich dem Subunternehmer und dessen Leuten aus dem Werkvertrag für die schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht nach §§ 1157, 1169 ABGB durch seine Leute nach § 1313a ABGB. Diese Pflicht bezieht sich auf die Arbeitsstätte (§ 1157 ABGB; arg. beigestellte Räume und Gerätschaften), die auch eine Baustelle sein kann
(RIS-Justiz RS0021480). In der E 2 Ob 272/03v = SZ 2003/158 = bbl
2004, 118 [Gartner 143] = RdW 2004, 334 = DRdA 2004, 541 [Albert];
dazu auch Danzl in ZVR 2004, 123) wurde ausgesprochen, dass das BauKG im Verhältnis zum ABGB eine lex specialis sei und insoweit den bisherigen Ansatz des § 1169 ABGB verdränge, doch bezog sich diese Entscheidung nicht auf das Verhältnis Generalunternehmer zu Leuten des Subunternehmers, sondern betraf den Pflichtenkreis des dort beklagten Baustellenkoordinators.
b) Auf die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG ist von Amts wegen nicht Bedacht zu nehmen (stRsp, zuletzt 2 Ob 137/05v; RIS-Justiz RS0085007). Die zweite Instanz ging davon aus, im Verfahren erster Instanz sei hier kein ausreichendes Tatsachenvorbringen dazu erstattet worden, inwieweit der beklagten Partei gegenüber dem Kläger das „Dienstgeberhaftungsprivileg" nach § 333 ASVG (mit seinem Ausschluss von Schmerzengeldansprüchen von Dienstnehmern) zukomme. Der bloße Hinweis auf einen „Arbeitsunfall" (im Schriftsatz ON 3) ist kein hinreichendes Vorbringen, um die Privilegierung nach § 333 ASVG darzutun. Die Ansicht des Berufungsgerichts, das erstmals in der Berufung in dieser Richtung erstattete Vorbringen der beklagten Partei widerspreche dem Neuerungsverbot, stellt keine unvertretbare Scheinbegründung dar. Es liegt weder eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens noch ein „sekundärer Feststellungsmangel" vor. Da sich im Übrigen Generalunternehmerin und Subunternehmerin in einer werkvertraglichen Beziehung gegenüberstehen und keine Eingliederung der Arbeitskräfte der Subunternehmerin mit Unterstellung unter die Weisungsbefugnis der Generalunternehmerin erfolgte, kommt es hier zu keinem Haftungsausschluss nach § 333 ASVG. Vielmehr haftet die beklagte Generalunternehmerin der Subunternehmerin und deren Leuten nach allgemein bürgerlichrechtlichen Bestimmungen aus dem Werkvertrag für eine schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht nach §§ 1157, 1169 ABGB, durch ihre Leute iVm § 1313a ABGB (Neumayr in Schwimann3, § 333 ASVG Rz 45 mwN in FN 250 f).
c) Das Berufungsgericht führte weiters aus, dass der Kläger (und seine Mitarbeiter) weder gemäß § 15 Abs 5 ASchG die fehlenden Schutzeinrichtungen dem Vorgesetzten oder den sonst dafür zuständigen Personen gemeldet hätte noch seiner Verpflichtung nach § 15 Abs 6 ASchG nachgekommen sei, dies jedoch dem Kläger ohnehin als teilweises Eigenverschulden - das nicht mehr Gegenstand eines Rechtsmittels ist - angerechnet wurde. Eine gänzliche Haftungsbefreiung der beklagten Partei ergebe sich daraus nicht. Dem ist beizutreten (§ 510 Abs 3 ZPO).
d) Die Revisionswerberin vertritt ferner die Ansicht, sie sei dennoch von einer Haftung gegenüber dem Kläger befreit. Der Bauherr könne sich nämlich durch Bestellung geeigneter Beauftragter von seiner Haftung nach dem BauKG befreien. Bestelle er einen Planungs- und Baustellenkoordinator, trage er nicht mehr selbst die Verantwortung für die diesem in § 5 BauKG zugewiesenen Koordinations-, Organisations-, Überwachungs- und Informationspflichten, sondern habe der Planungs- und Baustellenkoordinator diese Pflichten als eigene gesetzliche Pflichten eigenverantwortlich zu erfüllen. Den Bauherrn treffe dann auch keine Gehilfenhaftung, er hafte nur mehr für Auswahlverschulden. Dieses „Haftungsprivileg" müsse nicht nur dem Bauherrn, sondern auch der beklagten Generalunternehmerin zu Gute kommen.
Dem kann aus folgenden Erwägungen nicht beigetreten werden:
d1.) Der Umsetzung der zwingenden Mindestvorschriften der Art 2 bis 7 der Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Achte Einzelrichtlinie iSd Art 16 Abs 1 der Richtlinie 89/391/EWG) dient das am 1. Juli 1999 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Koordination bei Bauarbeiten (Bauarbeitenkoordinationsgesetz, BauKG) BGBl I 1999/37. Die weiteren Artikel der Richtlinie 92/57/EWG wurden bereits im Bundesgesetz über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG) BGBl 1994/450 idgF und in der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) BGBl 1994/340 umgesetzt. Das BauKG wird zivilrechtlich als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB (2 Ob
272/03v; 1 Ob 233/03a = SZ 2004/119 = RZ 2004/31 = RdW 2005, 89 = bbl
2005, 37 = immolex 2005, 59 = ecolex 2005, 110 = ZVR 2005, 92
[Danzl]; 10 Ob 112/05a, je mwN) qualifiziert und hat neue institutionalisierte Verantwortlichkeiten und darauf gegründete Haftungen in Fragen des Arbeitnehmerschutzes geschaffen. d2.) § 9 BauKG lautet unter der Überschrift „Übertragung von Pflichten des Bauherrn":
(1) Wenn ein Projektleiter eingesetzt ist, kann der Bauherr seine Pflichten nach § 3, § 4 Abs 1, § 6, § 7 und § 8 dieses Bundesgesetzes dem Projektleiter mit dessen Zustimmung übertragen.
(2) Abs 1 gilt nicht, wenn ein Betriebsangehöriger des Bauherrn als Projektleiter eingesetzt ist.
(3) Wenn ein Betriebsangehöriger des Bauherrn als Planungs- oder Baustellenkoordinator eingesetzt ist, ist anstelle des Koordinators der Bauherr für die Einhaltung der Pflichten nach § 4 Abs 2 und § 5 dieses Bundesgesetzes verantwortlich.
(4) Wenn ein Betriebsangehöriger des Projektleiters als Planungs- oder Baustellenkoordinator eingesetzt ist, ist anstelle des Koordinators der Projektleiter für die Einhaltung der Pflichten nach § 4 Abs 2 und § 5 dieses Bundesgesetzes verantwortlich. Ob das Architekturbüro von der Bauherrin als Projektleiter (§ 2 Abs 2 BauKG) oder Planungs- und/oder Baustellenkoordinator (§ 2 Abs 6 und 7 BauKG) bestellt wurde, steht nicht fest. Die beklagte Partei geht in ihrem Vorbringen von einem Baustellenkoordinator aus (so zuletzt in ihrer Revision ON 36 AS 163). Dass die beklagte Partei selbst Projektleiter gewesen wäre, hat sie ebensowenig vorgebracht wie den Umstand, selbst einen Projektleiter oder Baustellenkoordinator bestellt zu haben. Schon bei diesem Vorbringensstand kann nicht davon ausgegangen werden, dass überhaupt ein Projektleiter bestellt wurde. Nur diesem könnte der Bauherr seine Pflichten mit Einverständnis des Projektleiters iSd § 9 Abs 1 BauKG mit gesonderter Vereinbarung (Gartner, Bauarbeitenkoordinationsgesetz [2005] 129) übertragen. Nur in diesem hypothetischen Fall wird der Bauherr insoweit von seinen Verpflichtungen nach dem BauKG befreit und es tritt insoweit grundsätzlich auch der Projektleiter als Haftender an die Stelle des Bauherrn, bei dem aber weiterhin eine Haftung für Auswahlverschulden, allenfalls auch Überwachungsverschulden bestehen kann (Gartner, Bauarbeitenkoordinationsgesetz [2005] 39, 41 f, 130). Eine Befreiung der beklagten Generalunternehmerin, die sich insoweit nur auf die Bestellung eines Baustellenkoordinators durch einen Dritten, nämlich die Bauherrin, berufen kann, von ihrer Haftung von ihren gesetzlichen und werkvertraglichen Verpflichtungen kann sich beim festgestellten Sachverhalt jedenfalls nicht ergeben.
d3.) Konkret wurde über die nach dem ASchG bestehende Verantwortung des Arbeitgebers für den Arbeitnehmerschutz seiner Arbeitnehmer hinaus (siehe § 1 Abs 5 BauKG) auch eine Verantwortung von Dritten für Belange des Arbeitnehmerschutzes geschaffen (10 Ob 112/05a; Mazal, Arbeitnehmerschutz durch Koordination bei Bauarbeiten, ecolex 1999, 481; siehe auch Egglmeier-Schmolke, Das Bauarbeitenkoordinationsgesetz, bbl 2000, 47). Die Verpflichtungen nach dem BauKG werden grundsätzlich dem Bauherrn auferlegt, der daher die erforderlichen Sicherheits- bzw. Koordinationsmaßnahmen durchzuführen bzw. zu veranlassen hat. Durch § 1 Abs 5 BauKG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die neben den Bestimmungen des BauKG auch im ASchG geregelten Verpflichtungen der Arbeitgeber, für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit zu sorgen, weiterhin bestehen, sie somit von ihren eigenen Sicherheitsverpflichtungen nicht entbunden werden (10 Ob 112/05a; Gartner, Rechtsprobleme auf der Baustelle [2005] 106; ders, Bauarbeitenkoordinationsgesetz [2005] 26; Weselik, Bauarbeitenkoordinationsrecht 49). Neu ist lediglich, dass der Arbeitgeber durch den Baustellenkoordinator dabei unterstützt und überwacht wird (§§ 5, 7 BauKG; Gartner, Baukoordinationsgesetz 26) und dieser nach § 5 Abs 4 BauKG vorgehen kann. Auch daraus kann keine Befreiung der beklagten Generalunternehmerin aus ihrer Haftung abgeleitet werden. Eine allfällige Mithaftung des Baustellenkoordinators hat die beklagte Partei nicht zum Gegenstand ihres erstinstanzlichen Vorbringens gemacht.
Der Revision ist nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.
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