European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00027.20X.0526.000
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen werden mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Im Juli 2003 erteilte die (Rechtsvorgängerin der) Beklagten der Klägerin einen umfangreichen „Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungsauftrag“ im Bezug auf den Tourismus in einem Bundesland, der in zwei Phasen unterteilt war. Nach Abwicklung der ersten Phase kündigte die Klägerin den Vertrag auf, nachdem sie trotz Fristsetzung die von der Beklagten zugesagten weiteren Aufträge nicht erteilt erhalten hatte.
Die Klägerin fordert von der Beklagten das im Vertrag geregelte Entgelt für die zweite Phase. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist – nach einem rechtskräftigen Zwischen- und Teilurteil über den Grund und einen Teil des Anspruchs – die verbleibende Höhe des der Klägerin zustehenden Entgelts, wobei den wesentlichen Streitpunkt die Höhe der anzurechnenden Abzüge infolge der unterbliebenen Abwicklung bildet (§ 1168 Abs 1 ABGB).
Das Erstgericht gab dem restlichen Werklohn-/Entgeltanspruch der Klägerin zum Teil statt und wies das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Seiten dagegen nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien sind jeweils mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
I. Zur Revision der Klägerin:
I.1 Das Erstgericht traf zur strittigen Frage des Umfangs des Abzugs (nicht nur entsprechend dem Urteilsaufbau) eine Feststellung: Es nahm, dem „logischen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen“ folgend an, dass die Klägerin bei Erbringung der vereinbarten Leistungen insgesamt variable Kosten von 39 % gehabt hätte, ohne die Absicht erkennen zu lassen, § 273 Abs 1 ZPO anwenden zu wollen. Dass es sich dabei ungeachtet der Verwendung des Begriffs „variable Kosten“ um eine auf ein Sachverständigengutachten gestützte Tatsachenfeststellung zur Ersparnis der Klägerin im Sinn des § 1168 Abs 1 Satz 2 erster Fall ABGB handelt, entspricht auch dem Verständnis der Klägerin in der Berufung, in der sie eine umfangreiche Beweisrüge dagegen ausführte. Auch die Beklagte ging in ihrer Berufungsbeantwortung von einer Feststellung aus; ebenso das Berufungsgericht, das sich mit der Beweisrüge – ausreichend (vgl RIS‑Justiz RS0043150) – auseinandersetzte und die Feststellung übernahm. Die Frage der Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens fällt aber in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RS0113643 [T7]), weshalb die in der Revision als Rechtsrüge im Wesentlichen wiederholte Beweisrüge ins Leere geht. Auch die Behauptung einer Aktenwidrigkeit stellt inhaltlich nichts anderes als den unzulässigen Versuch dar, die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen.
I.2 Das Erstgericht traf also zum Thema der Ersparnis der Klägerin im Sinn des § 1168 Abs 1 Satz 2 erster Fall ABGB eine abschließende Feststellung, die für eine Heranziehung des § 273 ZPO keinen Raum lässt (vgl RS0040443; RS0040490). Der Umstand, dass das Berufungsgericht dennoch von einer Anwendung des § 273 ZPO ausging und diese tolerierte, ändert daran nichts, weil es (auch) die Beweisrüge erledigte und deshalb eine den Obersten Gerichtshof bindende Feststellung vorliegt. Das steht der Berechtigung der Rüge sekundärer Feststellungsmängel entgegen (RS0053317 [T3]). Auch für die Anwendung von Beweislastregeln besteht daher kein Platz mehr (RS0039903 [T1]; RS0039904 [T1]).
I.3 Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe die Mängelrüge betreffend die nach Meinung der Klägerin zu weit gehende Tätigkeit des Sachverständigen nicht erledigt, trifft nicht zu. Die Ausführungen in der Revision bieten daher keinen Anlass, von der ständigen Judikatur abzugehen, dass vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmängel erster Instanz nicht mit Revision geltend gemacht werden können (RS0042963; RS0106371).
I.4 Wurde die behauptete Befangenheit eines Sachverständigen vom Erstgericht und vom Berufungsgericht verneint, kann die Befangenheit im Verfahren dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden (RS0046065 [T13]; RS0074402 [T4]).
II. Zur Revision der Beklagten:
II.1 Das Berufungsgericht hat den mit Nichtigkeitsberufung geltend gemachten Verstoß gegen die Rechtskraft zum Zinsenzuspruch – wenn auch nur in den Entscheidungsgründen – verneint, was in dritter Instanz nicht mehr anfechtbar ist (9 Ob 49/12i [zur Rechtskraft]; RS0042917, RS0043405 [T9, T10, T21, T37]).
II.2 Im Ersturteil wurde – wenngleich disloziert, aber – von der Beklagten unbekämpft mit Feststellungscharakter zum Ausdruck gebracht, dass die Klägerin bis zu ihrer Kündigung des Vertrags keinen Erwerb durch anderweitige Verwendung erzielte. Diese den Obersten Gerichtshof bindende Feststellung schließt nicht nur eine weitere Minderung des Werklohnes entsprechend § 1168 Abs 1 Satz 2 zweiter Fall ABGB aus, sondern auch das Vorliegen des von der Beklagten gerügten sekundären Feststellungsmangels zu diesem Thema (RS0053317 [T1]) und eines relevanten Mangels des Berufungsverfahrens durch allfälliges Treffen von ergänzenden Feststellungen ohne Beweiswiederholung.
II.3 Wie bereits dargelegt, traf das Erstgericht eine abschließende Feststellung über das Gesamtausmaß der Ersparnis der Klägerin im Sinn des § 1168 Abs 1 Satz 2 erster Fall ABGB, die vom Berufungsgericht übernommen wurde und die eine Reduzierung der Klagsforderung um insgesamt 148.824 EUR unter diesem Titel zur Folge hat. Der von der Beklagten verlangte weitere Abzug von erspartem Arbeitslohn ist mit dieser bindenden Feststellung unvereinbar und stellt damit inhaltlich in Wahrheit eine in dritter Instanz unzulässige Bekämpfung einer Feststellung dar. Auch dazu sind daher relevante Mängel des Berufungsverfahrens zu verneinen.
III. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)