OGH 3Ob155/15p

OGH3Ob155/15p19.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätinnen Dr. Dehn und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der betreibenden Partei V***** e.Gen., *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch, Dr. Ursula Leissing, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die verpflichteten Parteien 1. E***** und 2. H*****, beide vertreten durch Dr. Harald Bösch, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 100.000 EUR sA (AZ 8 E 1544/14z des Bezirksgerichts Bregenz) und weitere 100.000 EUR sA (Beitritt AZ 8 E 3877/14p des Bezirksgerichts Bregenz), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der verpflichteten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 9. Juni 2015, GZ 1 R 157/15v‑57, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00155.15P.0819.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Betreibenden wurde die Zwangsversteigerung von zwei im Hälfteeigentum der Verpflichteten stehenden Liegenschaften bewilligt. Nach Einholung von Wertermittlungsgutachten gab das Erstgericht mit Beschluss vom 26. November 2014 die Schätzwerte der Liegenschaften unter Hinweis auf §§ 144 und 146 EO bekannt (ON 16). Darauf beantragte die Betreibende die Abänderung der gesetzlichen Versteigerungsbedingungen dahin, dass die geringsten Gebote für die Liegenschaften jeweils mit 75 % der Schätzwerte festgesetzt werden (ON 18). Die Verpflichteten kritisierten das eingeholte Wertermittlungsgutachten inhaltlich und erhoben Einwendungen gegen die Höhe der Schätzwerte verbunden ua mit den Anträgen auf dessen Erörterung sowie auf Einholung eines Zweitgutachtens; weiters beantragten sie die Abänderung der gesetzlichen Versteigerungsbedingungen dahin, dass die beiden Liegenschaften gesondert und die höherwertige als erste zu versteigern seien (ON 19). Das Erstgericht setzte hierauf eine Tagsatzung zur Verhandlung für den 19. Februar 2015 an (ON 22). In dieser Tagsatzung, an der (nur) der Erstverpflichtete teilnahm, wurde zusammen mit dem Sachverständigen über die Einwendungen beider Verpflichteten verhandelt (ON 30).

Mit Beschluss vom 10. März 2015 änderte das Erstgericht die gesetzlichen Versteigerungsbedingungen dahin ab, dass die beiden Liegenschaften einzeln und in der von den Verpflichteten gewünschten Reihenfolge zu versteigern sind und die geringsten Gebote mit 975.000 EUR und 4.287.000 EUR (das sind jeweils 75 % der bekannt gegebenen Schätzwerte) festgesetzt werden. Die Anträge der Verpflichteten auf Einholung eines weiteren Gutachtens und auf Einräumung einer Frist zur Vorlage eines Gutachtens wurden zurückgewiesen (ON 31). Im Versteigerungsedikt vom selben Tag gab das Erstgericht ua die Schätzwerte samt Zubehör mit 1.300.000 EUR und mit 5.708.000 EUR an und setzte den Versteigerungstermin für den 6. Mai 2015 an (ON 32).

Der Erstverpflichtete erhob Rekurs sowohl gegen ON 31 als auch ON 32 verbunden mit einem Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens. Die Zweitverpflichtete richtete ihren Rekurs ausdrücklich nur gegen ON 32.

Mit Beschluss vom 16. April 2015, GZ 1 R 94/15d, 1 R 99/15i‑45, wies das Rekursgericht sowohl einen Antrag des Erstverpflichteten auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens als auch die Rekurse beider Verpflichteten zurück und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit Hinweis auf die einhellige Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht zu.

Dagegen richtete sich der außerordentliche Revisionsrekurs beider Verpflichteten vom 6. Mai 2015, der auch mit dem Antrag verbunden war, die Aufschiebung der Zwangsversteigerung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Revisionsrekursverfahrens zu bewilligen (ON 48).

Das Erstgericht setzte zunächst den für den 7. Mai 2015 anberaumten Versteigerungstermin ab (ON 49) und bewilligte ‑ nach Anhörung der Betreibenden, die sich dagegen aussprach, ‑ die Aufschiebung antragsgemäß mit Beschluss vom 13. Mai 2015 (ON 53). Dagegen erhob die Betreibende einen Rekurs (ON 54), der dem Vertreter der Verpflichteten am 27. Mai 2015 zugestellt wurde. Am 9. Juni 2015 brachten die Verpflichteten beim Erstgericht eine Rekursbeantwortung ein, die an das Rekursgericht übermittelt wurde und dort am 17. Juni 2015 einlangte.

Allerdings hatte das Rekursgericht über den Rekurs der Betreibenden bereits mit Beschluss vom 9. Juni 2015 entschieden, diesem Folge gegeben und den erstgerichtlichen Beschluss iSd Abweisung des Aufschiebungsantrags abgeändert; den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu (ON 57). Weiters sprach es mit Beschluss vom 18. Juni 2015 aus, dass die Verpflichteten die Kosten ihrer (zulässigen) Rekursbeantwortung selbst zu tragen haben, und wies darauf hin, dass der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sei (ON 59).

Gegen beide Beschlüsse des Rekursgerichts richtet sich der am 13. Juli 2015 im ERV eingebrachte außerordentliche Revisionsrekurs der Verpflichteten ua wegen Nichtigkeit (Gehörverletzung wegen Entscheidung über den Rekurs vor Ablauf der Rekursbeantwortungsfrist) mit dem Antrag auf Abänderung iSd Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses, in eventu auf Aufhebung und Zurückverweisung an die zweite Instanz (ON 61).

Der Revisionsrekurs ist aus folgenden Gründen zurückzuweisen:

Rechtliche Beurteilung

1. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Verpflichteten gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 16. April 2015, GZ 1 R 94/15d, 1 R 99/15i‑45, wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 15. Juli 2015 zurückgewiesen. Durch die Zustellung dieser Entscheidung an die Parteienvertreter beider Seiten am 31. Juli 2015 ist somit der Umstand, bis zu dessen Eintritt die Verpflichteten die Aufschiebung der Exekution beantragten, eingetreten.

2. Da es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, Entscheidung über Fragen zu treffen, die sich nur mehr theoretisch-abstrakt stellen, setzt ein Rechtsmittel eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse voraus. Die Beschwer muss nach ständiger Rechtsprechung sowohl bei Einlangen des Rechtsmittels als auch im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung vorliegen. Andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0041770).

Im Anlassfall ist die Beschwer nach Erhebung des außerordentlichen Revisionsrekurses ON 61 mit Eintritt der Rechtskraft der Erledigung des außerordentlichen Revisionsrekurses der Verpflichteten ON 48 weggefallen. Deshalb ist das Rechtsmittel zurückzuweisen, und zwar selbst dann, wenn man die beiden bekämpften Beschlüsse des Rekursgerichts als untrennbare Einheit ansehen wollte. Erblickt man dem gegenüber in der Kostenentscheidung ON 59 einen abgesonderten und selbständigen Beschluss, steht seiner Bekämpfbarkeit auch im Exekutionsverfahren der Rechtsmittelausschluss des § 78 EO iVm § 528 Abs 2 Z 3 ZPO entgegen (RIS‑Justiz RS0002321; RS0002511).

3. Eine (nur) das Revisionsrekursverfahren betreffende Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 50 Abs 2 ZPO. Bei „nachträglichem“ Wegfall der Beschwer (im Zeitraum zwischen Einbringung des Rechtsmittels und der Entscheidung darüber) ist der Erfolg des Rechtsmittels hypothetisch nachzuvollziehen; die Kostenentscheidung ist so zu treffen, wie wenn das Rechtsschutzinteresse nicht weggefallen wäre; diese Prüfung hat nicht streng zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0036102).

4. Die Verpflichteten weisen in ihrem Revisionsrekurs zutreffend darauf hin, dass durch die mit der EO‑Novelle 2014 eingeführte Neufassung des § 65 Abs 3 EO die Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens ua auch angeordnet wird, wenn es sich um Entscheidungen über den Antrag auf Einstellung, Einschränkung oder Aufschiebung der Exekution handelt (lit b). Da diese Neufassung anzuwenden ist, wenn die Entscheidung der ersten Instanz ‑ wie hier ‑ nach dem 30. September 2014 liegt (§ 417 Abs 1 iVm § 417 Abs 6 EO), hätte das Rekursgericht seine Entscheidung nicht vor Ablauf der den Verpflichteten bis 10. Juni 2015 offen stehenden Rekursbeantwortungsfrist treffen und es hätte dabei die rechtzeitig beim Erstgericht eingebrachte Rekursbeantwortung nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Die mangelnde Beteiligung des Gegners am zweiseitigen Rekursverfahren begründet aber Nichtigkeit iSd § 78 EO iVm § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (RIS‑Justiz RS0042158; RS0005673).

5. Die kostenmäßige Folge der deshalb auszusprechenden Aufhebung der Rekursentscheidung als nichtig und Zurückweisung an die zweite Instanz zur neuerlichen Entscheidung wäre ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO iVm § 78 EO, der als hypothetische Kostenentscheidung nicht in Frage kommt, weil es zu keiner Fortsetzung des Rekursverfahrens kommen wird. Es bedarf daher auch einer Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Argumenten des Revisionsrekurses.

5.1. Einer analogen Anwendung des § 42 Abs 1 Z 2a EO im vorliegenden Fall hielt das Rekursgericht entgegen, die (richtig) Verpflichteten hätten nicht ein Rechtsmittel gegen den der Exekution zugrunde liegenden Titel eingebracht; vielmehr ziele der von ihnen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs (lediglich) darauf ab, nach Ergänzung des Verfahrens eine neuerliche Entscheidung über die Versteigerungsbedingungen zu erreichen. Auch im Fall des Erfolgs werde es daher nicht zu einer Abänderung des der Exekution zugrunde liegenden Titels kommen. Eine Aktion, die auch bei vollständigem Erfolg nicht unmittelbar zur Einstellung oder wenigstens Einschränkung der Exekution führen könne, stelle keinesfalls einen Aufschiebungsgrund iSd § 42 EO dar.

5.2. Diese Rechtsauffassung, die auf dem Gedanken beruht, dass eine analoge Anwendung eines Aufschiebungstatbestands einen in seiner Art und seinem Gewicht vergleichbaren Fall erfordert (RIS‑Justiz RS0008928; RS0001466 [T10]), entspricht der von der Literatur gebilligten Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0001420; Jakusch in Angst² § 42 Rz 34 mwN).

Die im Revisionsrekurs behauptete Rechtsschutzlücke liegt nicht vor, weil nach der ausdrücklichen Anordnung in § 169 Abs 3 EO vor einer rechtskräftigen Entscheidung nach § 146 Abs 1 EO die Versteigerung nicht vorgenommen werden darf. Dem entsprach das Erstgericht ohnedies dadurch, dass es den anberaumten Versteigerungstermin absetzte.

6. Ein Erfolg des außerordentlichen Rechtsmittels der Verpflichteten im Fall seiner Behandlung ist daher zu verneinen, was zur Folge hat, dass sie die Kosten des Revisionsrekurses jedenfalls selbst zu tragen haben. Da dies ohnehin die Konsequenz der Zurückweisung ist, bedarf es dazu keines gesonderten Ausspruchs.

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