Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,64 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 326,94 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war ursprünglich beim beklagten Versicherungsunternehmen angestellt. Um sich selbständig zu machen, schloss er am 14. November 2000 mit der Beklagten einen von dieser vorgelegten, regelmäßig als Muster für den Abschluss derartiger Verträge verwendeten Agenturvertrag, ohne auch nur einen einzigen Vertragspunkt mit der Beklagten zu besprechen oder auszuhandeln. Dieser Agenturvertrag sieht ua die Rechtsstellung des Klägers als selbständiger Versicherungsagent, ein Konkurrenzverbot während seiner Laufzeit undseinen Anspruch auf Provisionen von den Prämien, die auf Grund der von ihm vermittelten oder ihm zur Betreuung übertragenen Versicherungsverträge gezahlt werden, solange diese Verträge sich in dem von ihm verwalteten Bestand befinden oder für ihn noch provisionspflichtig sind, vor. Als Folge jeder Beendigung des Agenturvertrags wurde das Erlöschen jedes weiteren (entsprechend Beilagen ./A und ./1 richtig [§ 419 Abs 3 ZPO]:) „Folgeprovisions-“ oder sonstigen Anspruchs gegen die Beklagte vereinbart. Das Agenturverhältnis endete durch Kündigung des Klägers vom 14. Juli 2010 zum 31. August 2010. Die Beklagte weigert sich unter Hinweis auf den vereinbarten Provisionsverzicht, vom Kläger für die Zeit nach Beendigung des Agenturvertrags geforderte Folgeprovisionen zu bezahlen.
Der Kläger begehrt die Übergabe eines näher spezifizierten Buchauszugs für den Zeitraum vom 1. September 2010 bis 28. Februar 2013 und eine sich daraus ergebende Provisionsabrechnung gemäß § 16 HVertrG sowie die Zahlung des sich daraus ergebenden, noch nicht bezifferten Provisionsguthabens. Der Provisionsverzicht sei wegen Verstoßes gegen § 864a ABGB, § 879 Abs 3 und § 879 Abs 1 ABGB nicht wirksam vereinbart worden.
Die Beklagte bestreitet unter Verweis auf die Gültigkeit der Provisionsverzichtsklausel.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte mit Teilurteil zur Übergabe des begehrten Buchauszugs und zur sich daraus ergebenden Provisionsabrechnung. Es ging von dem eingangs im Wesentlichen dargestellten Sachverhalt aus und verneinte einen Verstoß gegen § 864a ABGB. Der in einem von der Beklagten verwendeten Vertragsformblatt enthaltene, nicht im Einzelnen ausgehandelte Provisionsverzicht für die Zeit nach Beendigung des Agenturvertrags sei jedoch für den arbeitnehmerähnlichen klagenden Versicherungsvertreter gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB; es fehle nämlich jede sachliche Rechtfertigung dafür, seine Kündigungsfreiheit erheblich zu beeinträchtigen und ihn alle Folgen der Beendigung des Agenturvertrags tragen zu lassen, obwohl er seine vertraglich vereinbarte Leistung bereits erbracht habe. Wegen beträchtlicher Äquivalenzstörung widerspreche der Provisionsverzicht aber auch den guten Sitten iSd § 879 Abs 1 ABGB, weil damit jeder Entgeltsanspruch des Klägers, der sich wegen des vereinbarten Konkurrenzverbots keine weiteren Geschäftsbeziehungen aufbauen habe können, ausgeschlossen werde, während die Beklagte keinen finanziellen Einschränkungen unterliege.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Sittenwidrigkeit von in zahlreichen Agenturverträgen vereinbarten, auch bei Eigenkündigung des Versicherungsvertreters geltenden Provisionsverzichtsklauseln keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege. Inhaltlich übernahm es im Wesentlichen die Begründung des Erstgerichts.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klageabweisung. Sie wirft den Vorinstanzen ein Abgehen von höchstgerichtlicher Judikatur vor; weiters verneint sie das Vorliegen eines Vertragsformblatts iSd § 879 Abs 3 ABGB ebenso wie die Regelung einer bloßen Nebenleistungspflicht und eine gröbliche Benachteiligung des Klägers durch den Provisionsverzicht. Dieser führe weder zu einer beträchtlichen Äquivalenzstörung noch zum Verlust sämtlicher Provisionsansprüche des Klägers und auch nicht zu einer Einschränkung seiner „Erwerbstätigkeit“, sodass eine Sittenwidrigkeit iSd § 879 Abs 1 ABGB zu verneinen sei. Schließlich sei jede Beschäftigung mit der Frage der geltungserhaltenden Reduktion der Klausel unterblieben.
Der Kläger weist in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hin und tritt ihr auch inhaltlich entgegen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.
1. Maßgeblich für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Provisionsverzichtsklausel ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (RIS-Justiz RS0017936; Bollenberger in KBB³ § 879 Rz 1), hier also der 14. November 2000; eine nachträgliche Änderung der Umstände kann Nichtigkeit grundsätzlich nicht begründen (RIS-Justiz RS0017936 [T1]).
2. Nach § 29 Abs 4 HVertrG treten die §§ 26a bis 26d, sowie §§ 27 Abs 1 und 28 Abs 1 in der Fassung des Publizitätsrichtlinie-Gesetzes - PuG, BGBl I Nr 103/2006, mit 1. Juli 2006 in Kraft. Sie sind mit Ausnahme von § 26c, der erst auf nach dem 31. Dezember 2006 abgeschlossene Verträge zwischen Versicherungsvertretern und Unternehmern anzuwenden ist, auf bestehende Vertragsverhältnisse anzuwenden. Entsprechend § 29 Abs 5 HVertrG tritt § 26c Abs 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2010 mit 1. August 2010 in Kraft und ist auf nach dem 31. Juli 2010 zwischen Versicherungsvertretern und Unternehmern abgeschlossene Verträge anzuwenden.
Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs war schon vor Schaffung der §§ 26a bis 26d des HVertrG als Sonderbestimmungen für die Versicherungsvermittlung das HVertrG auf selbständige Versicherungsvertreter analog anzuwenden (vgl RIS‑Justiz RS0062146; RS0117310; RS0116867).
2.1. In dessen § 8 Abs 2 ist normiert, dass dem Handelsvertreter mangels einer abweichenden Vereinbarung für jedes durch seine vermittelte Tätigkeit während des Handelsvertreterverhältnisses zustande gekommene Geschäft eine Provision zusteht, sofern und solange dieses Geschäft ausgeführt wird. Keine Rolle spielt dabei, wann das Geschäft ausgeführt wird. Erfolgt daher die Ausführung erst nach Ende des Handelsvertreterverhältnisses, ändert dies am Anspruch des Handelsvertreters auf die so bezeichneten Überhangprovisionen (vgl 6 Ob 170/02x), die regelmäßig bei der Vermittlung von langfristigen Dauerschuldverhältnissen auftreten, nichts. Das trifft typischerweise auf den Versicherungsvertreter zu, da die vermittelten Versicherungsverträge sehr oft über das Ende des Vertretervertrags hinaus bestehen (Nocker HVertrG [2009] § 26c Rz 6 f).
2.2. Der Versicherungsvermittler erhält regelmäßig für die Vermittlung eines Versicherungsvertrags eine Abschlussprovision. Diese wird entweder in einem ‑ entweder gemeinsam mit der ersten Prämienzahlung oder nach einer gewissen Anzahl von Prämienzahlungen ‑ oder aber in laufenden Teilbeträgen (sog Folgeprovisionen) gezahlt. Die in der Versicherungsbranche übliche Folgeprovision besteht darin, dass der Angestellte neben der meist in einem Prozentsatz der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Erstprämie bemessenen Abschlussprovision zusätzliche periodische Vergütungen für die Dauer des Bestands des Versicherungsvertrages erhält, die regelmäßig mit einem Prozentsatz der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Folgeprämien bemessen werden. Auch bei der Folgeprovision handelt es sich dem Wesen nach um eine Vermittlungsprovision, die durch mehr als einmalige Erfolgsvergütung vorgenommen wird (14 Ob 13/86 = SZ 59/44), weshalb der Anspruch darauf bereits mit Abschluss des Versicherungsvertrags erworben wird; Folgeprovisionen gelten daher vorbehaltlich der Ausführung des Versicherungsvertrags mit dessen Abschluss als verdient (4 Ob 100/02p; 10 ObS 16/07m = SZ 2007/31). Daneben erhält der Versicherungsvermittler für andere Leistungen, wie etwa Mithilfe bei der Schadensabwicklung oder Bearbeitung von Änderungsanzeigen, eine gesonderte Vergütung, die zumeist (auch) als Folgeprovision, Verwaltungsprovision oder Betreuungsprovision bezeichnet und laufend gezahlt wird. Bei den Folgeprovisionen ist auf Grund der Bezeichnung allein oft unklar, welche Leistungen ‑ die Vermittlung des Versicherungsvertrags oder aber zB die Mithilfe bei der Schadensabwicklung ‑ damit vergütet werden soll (vgl 14 Ob 13/86; Nocker, Der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters „analog“ § 24 HVertrG, wbl 2004, 53 [P II.2.a. und b.]). Regelmäßig umfassen aber die Folgeprovisionen sowohl eine Abgeltung für die Vermittlung der Versicherungsverträge als auch für die Betreuung der Versicherungsnehmer (Nocker § 8 Rz 18; Körber, Provisionsverzichtsklauseln in Verträgen mit selbständigen Versicherungsvertretern wbl 2006, 406 [407]).
2.3. Der vorliegende Agenturvertrag sieht im dargestellten Sinn Provisionen für den Kläger von den Prämien vor, die auf Grund der von ihm vermittelten oder ihm zur Betreuung übertragenen Versicherungsverträge gezahlt werden. Daher ist auch für den Kläger zu unterstellen, dass ‑ entsprechend gängiger Praxis ‑ die in der Provisionsverzichtsklausel angesprochenen Folgeprovisionen Entgelt sowohl für Vermittlungs‑ als auch für Betreuungsleistungen darstellen.
Bei richtiger Betrachtung wird jener Anteil an der Gesamtvergütung, der für die erfolgreiche Vermittlung des Abschlusses eines Versicherungsvertrags gezahlt wird, immer den größten Teil ausmachen; denn die Versicherungsunternehmen zahlen primär für die erfolgreiche Tätigkeit des Versicherungsvertreters, dh für den Abschluss eines Versicherungsvertrags (Nocker § 8 Rz 18 und § 26c Rz 37; ders wbl 2004, 53 [P V.6.]). Da von der ‑ für eine Ausnahme davon behauptungs‑ und beweispflichtigen Beklagten in erster Instanz nichts Gegenteiliges vorgebracht wurde, ist auch hier davon auszugehen, dass der weitaus überwiegende Anteil der dem Kläger zustehenden Folgeprovisionen für die erfolgreiche Vermittlung des Abschlusses eines Versicherungsvertrags vereinbart wurde; der hier zu beurteilende Verzicht betrifft somit den größten Teil davon. Im derzeitigen Verfahrensstadium bedarf es keiner weiteren Präzisierung dieses Anteils (vgl Punkt 9.). Der Versuch der Beklagten in der Revision, die Folgeprovisionen als ausschließliche oder überwiegende Abgeltung der Betreuung der Versicherungsnehmer darzustellen, muss deshalb als unzulässige Neuerung unbeachtet bleiben.
2.4. Auch wenn berücksichtigt wird, dass dem Anteil an den Folgeprovisionen für die Betreuung der Versicherungsnehmer nach Beendigung des Agenturvertrags keine Leistungen des Versicherungsvertreters mehr gegenüberstehen und schon deshalb kein Anspruch mehr darauf besteht (vgl Körber wbl 2006, 406 [407]), erfasst der vom Kläger für den Fall der Beendigung des Agenturvertrags abgegebene Provisionsverzicht nicht nur den überwiegenden Teil der nach dem 31. August 2010 fällig gewordenen Folgeprovisionen, sondern auch einen Zeitraum von mehreren Jahren (vgl Nocker § 26d Rz 36). Angesichts der ‑ von der Beklagten gar nicht substantiiert bestrittenen ‑ Behauptung des Klägers, er erleide dadurch eine Einbuße von rund 90.000 EUR jährlich, zeigt sich eine ganz beträchtliche wirtschaftliche Auswirkung des Verzichts, selbst wenn man unterstellt, dass die Verluste des Klägers mit jedem weiteren Jahr nach der Vertragsbeendigung vermutlich geringer ausfallen werden.
2.5. Zwischen den Parteien besteht inhaltlich Einvernehmen darüber, dass die unbegründete Eigenkündigung des Klägers - sowohl nach der zum 14. November 2000 bestehenden als auch nach der derzeitigen Rechtslage ‑ einen Ausgleichsanspruch des Klägers nicht entstehen ließ/lässt (§ 24 Abs 3 Z 1/iVm § 26d HVertrG).
3. Arbeitnehmerähnlichkeit kann selbst bei sonst selbständigen Handelsvertretern vorkommen. Wesentliches Kriterium ist das Tätigwerden für einen einzigen Auftraggeber und die wirtschaftliche Abhängigkeit von diesem (RIS-Justiz RS0086121 [T2]). Die von den Vorinstanzen vorgenommene Qualifikation des Klägers, der nur für die Beklagte tätig werden durfte und deshalb von ihr wirtschaftlich abhängig war, als einen arbeitnehmerähnlichen Versicherungsvertreter wird von der Revision daher zutreffend nicht kritisiert.
4. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach zur Sittenwidrigkeit einer Klausel, wonach einem arbeitnehmerähnlichen Handelsvertreter die Mandanten-Bonifikationen für ein bestimmtes Kalenderjahr nur zusteht, wenn er sich auch noch am 31. August des Folgejahres in einem aufrechten und ungekündigten Vertragsverhältnis zum Unternehmer befindet, Stellung genommen und diese bei unbegründeter Eigenkündigung bejaht (9 ObA 107/10s; dem folgend 8 ObA 85/10y; 8 ObA 62/10s; 8 ObA 55/11p).
Das Sittenwidrigkeitsurteil wurde im Rahmen einer Gesamtbeurteilung im Wesentlichen damit begründet, dass aufgrund der beanstandeten Vertragsgestaltung bereits vom Handelsvertreter verdientes Entgelt im Fall der Beendigung des Vertragsverhältnisses wieder wegfällt, obwohl der dem Unternehmer zugekommene Vorteil aus der Tätigkeit des Handelsvertreters vergütet werden soll (§ 8 Abs 2 HVertrG), und der Handelsvertreter durch den Verlust des Anspruchs auf Mandanten-Bonifikationen nicht nur für das laufende, sondern auch für das abgelaufene Jahr ‑ entgegen dem in § 21 Abs 3 HVertrG zum Ausdruck kommenden Gedanken des Verbots der Benachteiligung des Handelsvertreters bei den Beendigungsmöglichkeiten (Fristen) ‑ erheblich in seinen Möglichkeiten beeinträchtigt wird, von sich aus das Vertragsverhältnis zu beenden.
5. Diese Überlegungen müssen umso mehr für die hier zu beurteilende Provisionsverzichtsklausel jedenfalls bei unbegründeter Eigenkündigung durch den Kläger als arbeitnehmerähnlicher Versicherungsvertreter gelten.
5.1. Sie erfasst (nicht nur zusätzlich zur Vermittlungsprovision zustehende Boni, sondern) die bereits verdiente Vermittlungsprovision selbst in Gestalt der Folgeprovisionen (nicht nur für einen Zeitraum von knapp eineinhalb Jahren, sondern) für mehrere Jahre in jeweils beträchtlicher Höhe und beeinträchtigt deshalb die Kündigungsmöglichkeit des Klägers wegen der umfangreichen negativen wirtschaftlichen Auswirkung für ihn ganz erheblich, weil ihm ein Ausgleichsanspruch nach § 24 iVm § 26d HVertrG nicht zusteht. Dabei ist zu bedenken, dass die ‑ dispositiv auch schon in § 8 Abs 2 HVertrG normierte ‑ Fortzahlung der Folgeprovision den Zweck verfolgt, dem Versicherungsvertreter als in der Regel kleinen oder mittelgroßen Unternehmer auch nach Beendigung seines Agenturvertrags seine Existenzgrundlage zu sichern; er vertritt ja regelmäßig ‑ wie auch der Kläger ‑ nur ein Versicherungsunternehmen und kann deshalb „seinen“ Kundenstock nicht für den Absatz von Produkten verschiedener Unternehmer einsetzen. Damit verliert der Versicherungsvertreter aber mit dem Ende seines Agenturverhältnisses auch mit einem Mal seine wirtschaftliche Grundlage (Nocker § 26d Rz 33). Bis zum Aufbau einer neuen Einkommensquelle ist er deshalb auf den Weiterbezug der Folgeprovision zur Vermeidung seiner Existenzbedrohung angewiesen. Der vereinbarte Verzicht auf die (echten) Folgeprovisionen zu 100 Prozent, also ohne jede Einschränkung (vgl im Gegensatz dazu § 6 des Rahmenkollektivvertrags für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen, zT wiedergegeben in 8 ObA 10/06p), stellt somit eine grobe Verletzung der rechtlich geschützten Interessen eines Versicherungsvertreters dar.
5.2. Diesen vom Kläger zu tragenden gravierenden, weil existenzbedrohenden Nachteilen steht in der vorliegenden Konstellation auf der Seite der Beklagten der Bonus gegenüber, den ihr aus der ‑ offensichtlich erfolgreichen ‑ Tätigkeit des Klägers zukommenden Vorteil (Prämienzahlungen der Versicherungsnehmer) für sich in Anspruch nehmen zu können, ohne die dafür vorgesehene Vergütung leisten zu müssen. Es kommt daher nicht nur zu einer unangebrachten Sanktionierung des Klägers für die Wahrnehmung einer vertraglich eingeräumten Kündigungsmöglichkeit ohne Einvernehmen mit der Klägerin, sondern gleichzeitig zu einer wirtschaftlichen Besserstellung der Beklagten; für keine der eintretenden Folgen ist aber eine sachliche Rechtfertigung (zB durch andere vertraglich eingeräumte, bereits eingetretene oder zu erwartende Vorteile für den Kläger) erkennbar.
5.3. Die Beklagte vermag Derartiges auch nicht aufzuzeigen.
Wenn sie erstmals in der Revision behauptet, ohne Vereinbarung der Provisionsverzichtsklausel wäre der Provisionssatz für die Vermittlung des Abschlusses eines Versicherungsvertrags niedriger festgesetzt worden, stellt dies neuerlich einen unzulässigen Verstoß gegen das Neuerungsverbot dar.
Der Wunsch eines Versicherungsunternehmens, dem ausgeschiedenen Versicherungsvertreter wegen Beendigung seiner Betreuungstätigkeit keine Abgeltung mehr dafür zahlen zu müssen, ist nicht nur verständlich, sondern ohnehin Rechtsfolge der Nichterbringung dieser Leistungen wegen Beendigung des Agenturvertrags. Das Erlöschen des davon unberührten Anspruchs des Klägers auf bereits verdiente Vermittlungsprovision in Gestalt der Folgeprovisionen kann aber damit keinesfalls gerechtfertigt werden. Denn damit bliebe seine Vorleistung zumindestens teilweise unbelohnt.
5.4. Aber auch der Zeitpunkt der Erklärung des Verzichts durch den Kläger darf nicht unberücksichtigt bleiben.
Es steht fest, dass der Abschluss des gegenständlichen Agenturvertrags der Schritt des Klägers in die Selbständigkeit war. Er konnte dadurch zwar nicht in den Genuss eines nach § 1 Abs 3 KSchG privilegierten Gründungsgeschäfts gelangen (§ 1 Abs 4 KSchG); dennoch ist zu beachten, dass ihm vorweg von der Beklagten ein Verzicht auf künftige, grundsätzlich nicht voraussehbare (vgl RIS‑Justiz RS0038178) Ansprüche abverlangt wurde, dh zu einem Zeitpunkt, in dem deren Ausmaß nur schwer einzuschätzen war. So standen damals weder der Erfolg der neuen Tätigkeit des Klägers noch die Bestanddauer der von ihm vermittelten Versicherungsverträge fest und daher auch nicht das wirtschaftliche Volumen des abgegebenen Verzichts. Selbst wenn man darin keine unzureichende Bestimmtheit des Verzichts iSd § 869 ABGB erkennt (so aber Körber wbl 2006, 406 [407 f]), muss darin eine einseitige Benachteiligung des Klägers erblickt werden. Es wurde ihm nämlich damit die Möglichkeit genommen, den Verzicht zu einem Zeitpunkt zu erklären, indem er (zumindestens) die Entwicklung seiner Vermittlungstätigkeit überblicken könnte, während die Beklagte davon stets nur profitieren konnte.
6. Sittenwidrigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn der Vertrag eine krasse einseitige Benachteiligung eines Vertragspartners enthält. Im Hinblick auf den Grundsatz der Privatautonomie wird die Rechtswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nur dann bejaht, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt oder wenn bei einer Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen besteht (RIS-Justiz RS0045886).
Die dargestellten Auswirkungen des vom Kläger vorweg abgegebenen, von der Beklagten in das Vertragswerk eingeführten Provisionsverzichts bei unbegründeter (dh ausgleichsschädlicher) Eigenkündigung verwirklichen unter Berücksichtigung des Zeitpunktes, in dem er vom Kläger abgegeben wurde, im Rahmen einer Gesamtbeurteilung ein grobes Missverhältnis zwischen den Interessen der beiden Vertragsparteien zu Lasten des Klägers, das mit seiner Existenzgefährdung einhergeht; demgegenüber profitiert die Beklagte von dieser Regelung stets, was jeder sachlichen Rechtfertigung entbehrt. Die schon vom Erstgericht angenommene Sittenwidrigkeit iSd § 879 Abs 1 ABGB liegt daher vor (im Ergebnis auch Körber wbl 2006, 406 [410]).
7. Den von der Beklagten dagegen in der Revision vorgetragenen, bisher noch nicht behandelten Argumenten ist noch Folgendes entgegen zu halten:
7.1. In der vom 1. Juli 2006 bis 31. Juli 2010 geltenden Fassung des § 26c Abs 1 HVertrG (zur Folgeprovision) war im letzten Satz normiert, dass § 24 Abs 3 HVertrG sinngemäß gilt. Das hatte zur Folge, dass ua bei unbegründeter Eigenkündigung des Versicherungsvertreters nicht nur ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen war, sondern ex lege auch der Anspruch auf Folgeprovision nach Ende des Agenturvertrags; das stellte eine massive Schlechterstellung des Versicherungsvertreters gegenüber anderen Handelsvertretern ohne jede sachliche Rechtfertigung dar, die als verfassungswidrig angesehen wurde (Nocker § 26c Rz 24; Körber wbl 2006, 406 [412]). Diesen Bedenken trug der Gesetzgeber in der Folge Rechnung und nahm mit dem Insolvenzrechtsänderungs-Begleitgesetz ‑ IRÄ‑BG BGBl I Nr 58/2010 eine Streichung des Satzes „§ 24 Abs 3 HVertrG gilt sinngemäß“ vor, um die Gleichstellung von Versicherungs- mit allen anderen Handelsvertretern herzustellen (ErläutRV 771 BlgNR 24. GP 9ff).
Eine unmittelbare Anwendung des § 26c Abs 1 HVertrG in der vom 1. Juli 2006 bis 31. Juli 2010 geltenden Fassung auf den vorliegenden Agenturvertrag kommt wegen § 29 Abs 4 HVertrG nicht in Frage. Es ist aber auch ‑ jedenfalls für außerhalb des genannten Zeitraums zustande gekommene Verträge ‑ ausgeschlossen, die aus der damals vorgesehenen sinngemäßen Geltung des § 24 Abs 3 HVertrG zu erkennende Wertung des Gesetzgebers, wegen unbegründeter Eigenkündigung des Versicherungsvertreters auch den Anspruch auf Folgeprovision nach Ende des Agenturvertrags zu beseitigen, als Argument für die Zulässigkeit einer inhaltsgleichen Vereinbarung zu verwenden; denn die baldige nachträgliche Beseitigung dieser Gesetzesbestimmung durch den Gesetzgeber zeigt vielmehr, dass er die daraus abgeleitete Rechtsfolge doch nicht mehr aufrecht erhalten wollte. Damit erweisen sich aber die ursprüngliche (zu § 8 Abs 2 HVertrG) und nunmehrige Haltung des Gesetzgebers (zu § 26c Abs 1 HVertrG) als gegenteilig. Dessen Absicht geht also dahin, dem Versicherungsvertreter grundsätzlich den Anspruch auf Folgeprovision auch über das Ende des Agenturvertrags hinaus zu erhalten (vgl Punkt 2.1.).
7.2. Auch der Hinweis darauf, § 8 Abs 2 HVertrG/§ 26c Abs 1 HVertrG stelle bloß dispositives Recht dar, dem Provisionsverzicht stünden keine zwingenden Regelungen entgegen, überzeugt nicht.
Aus dem Umstand allein, dass im Provisionsrecht der Handelsvertreter (weitgehend) Privatautonomie herrscht, ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht abzuleiten, die Berufung einer Partei auf die Sittenwidrigkeit oder Nichtigkeit einer konkreten Provisionsvereinbarung müsse von vornherein versagen. Wenn der Gesetzgeber für bestimmte Bereiche Vertragsfreiheit gewährt, besagt dies keineswegs, dass in diesem Bereich Vereinbarungen beliebigen Inhalts zulässig sind, ohne jemals gegen die guten Sitten zu verstoßen. Die Geltendmachung der Sittenwidrigkeit iSd § 879 ABGB ist ja nur dann erforderlich, wenn nicht schon (besondere) zwingende Privatrechtsnormen der Gültigkeit der getroffenen Vereinbarung ausdrücklich entgegenstehen (9 ObA 179/89).
7.3. Die gesetzliche Regelung der ‑ auf den vorliegenden Agenturvertrag anwendbaren (§ 29 Abs 4 HVertrG) ‑ Bestimmung des § 26d HVertrG, die einen Ausgleichsanspruch eines Versicherungsvertreters davon abhängig macht, „wenn und soweit keine Ansprüche nach § 26c Abs 1 bestehen“, dh beim Versicherungsvertreter Verluste an Folgeprovision entstanden sind, erlaubt nicht den Schluss auf die generelle Zulässigkeit von Provisionsverzichtsklauseln jeden Inhalts. Zulässig ist nur die Schlussfolgerung, der Gesetzgeber toleriere derartige Verzichte, wenn sie durch einen Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters egalisiert oder zumindestens „abgefedert“ werden, weil damit die sonst zu befürchtende, jedoch zu verhindernde Existenzbedrohung des Versicherungsvertreters vermieden wird. Hier ist aber ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen.
7.4. Schließlich ist der Argumentation, in all jenen Fällen, in denen nach der Konzeption des Gesetzgebers kein Ausgleichsanspruch (als kapitalisierte Folgeprovision nach Vertragsende) bestehen soll, könne es nicht sittenwidrig sein, wenn es vereinbarungsgemäß auch keinen Anspruch auf nicht-kapitalisierte Folgeprovision gebe; der Gesetzgeber erblicke im Entfall des Ausgleichsanspruchs keine unzulässige Kündigungsbeschränkung, nicht zu folgen.
Nach der Absicht des Gesetzgebers (sowohl zu § 8 Abs 2 als auch zu § 26c Abs 1 HVertrG) soll der Versicherungsvertreter primär einen Anspruch auf Folgeprovision mit dem Zweck haben, seine Existenzgrundlage nach Beendigung des Agenturvertrags zu sichern (Nocker § 26d Rz 33; vgl Punkt 5.1.). Hat der Versicherungsvertreter auch nach Ende des Agenturvertrags weiterhin Anspruch auf Folgeprovisionen, besteht somit gar keine Notwendigkeit für einen Ausgleichsanspruch (Nocker § 24 Rz 32). Wie die Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt, ist der Ausgleichsanspruch somit die Rechtsfolge eines eingetretenen Verlusts an Folgeprovisionen durch die Vertragsbeendigung, nicht aber dessen Voraussetzung. Die gesetzliche Konzeption sieht dem entsprechend zwar den Verlust des Ausgleichsanspruchs bei unbegründeter Eigenkündigung des Versicherungsvertreters vor (§ 24 Abs 3 Z 1 HVertrG), dennoch aber ebenso den Weiterbestand des Anspruchs auf Folgeprovision (vgl Punkt 2.1.), womit die Schlussfolgerung der Beklagten widerlegt ist.
Abgesehen davon ist jedenfalls derzeit die klare Absicht des Gesetzgebers zu unterstellen, den Anspruch auf Folgeprovision ex lege von einer unbegründeten Eigenkündigung auch über das Ende des Agenturvertrags hinaus unberührt zu lassen (vgl Punkt 7.1.). Das Unterbleiben einer zwingenden gesetzlichen Regelung bedeutet daher nur die Möglichkeit für anderslautende Vereinbarungen, die jedoch den allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben entsprechen müssen (vgl Punkt 7.2.); das ist hier allerdings nicht der Fall.
7.5. Die von der Beklagten als gegenteilig zitierte Judikatur ist nicht einschlägig.
In der E 4 Ob 95/65 war eine Folgeprovision, die im Zusammenhang mit der Bestandspflege und Kundenbetreuung durch einen zur Betreuung verpflichteten Versicherungsangestellten des Innendienstes gewährt wurde, zu beurteilen; sie betrifft daher keine Vermittlungsprovision.
Zu 9 ObA 179/89 verneinte der Oberste Gerichtshof eine gröbliche Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB durch eine mit angestellten Verkäufern getroffene Vereinbarung, nach der die aus einem Geschäft gebührende Provision aus mehreren Teilansprüchen bestehe, die bestimmten Phasen der Abwicklung des abgeschlossenen Geschäfts zuzurechnen seien. Es sei nicht unsachlich, für den Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses zu vereinbaren, dass der ausscheidende Angestellte nur jene Teilprovisionen erhalte, die im Zeitpunkt seines Ausscheidens bereits angefallen gewesen seien. Darüber hinaus sei der mit der beanstandeten Klausel verbundene Nachteil des Angestellten durch andere vorteilhafte Vertragsbestimmungen (zu Beginn seines Dienstverhältnisses Bezug von Garantieprovision in erheblichem Ausmaß unabhängig von seinem tatsächlichen Geschäftserfolg; absolute Höhe seines Einkommens) ausgeglichen. Damit unterscheiden sich die dort vorliegenden Umstände schon deshalb ganz entscheidend von den hier zu beurteilenden, weil keine ausgleichenden Vertragsbestimmungen zugunsten des Klägers vereinbart wurden.
8. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die schon bei Abschluss eines Agenturvertrags mit einem arbeitnehmerähnlichen Versicherungsvertreter getroffene Vereinbarung, die (auch) im Fall der Beendigung des Agenturvertrags durch unbegründete, dh ausgleichsschädliche Eigenkündigung durch den Versicherungsvertreter das Erlöschen der bei der Beendigung bereits verdienten, aber noch durch die Ausführung der vermittelten Versicherungsverträge bedingten Vermittlungsprovisionen in Gestalt von Folgeprovisionen ohne jede Einschränkung vorsieht, sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB ist.
Eine Auseinandersetzung mit den §§ 864a und 879 Abs 3 ABGB erübrigt sich daher.
9. Überlegungen zur geltungserhaltenden Reduktion des Provisionsverzichts bedarf es nicht.
Im derzeitigen Verfahrensstadium des ersten Teils der Stufenklage geht es nämlich nicht um die Höhe der vom Kläger begehrten Folgeprovisionen, sondern darum, ob er dem Grunde nach Anspruch darauf hat und die Beklagte deshalb zur Übergabe eines Buchauszugs und einer sich daraus ergebenden Provisionsabrechnung verpflichtet ist. Das ist aber selbst dann zu bejahen, wenn der Kläger einen Teilverzicht im Rahmen einer geltungserhaltenden Reduktion akzeptieren müsste.
Gegen den von den Vorinstanzen angenommenen Rechnungslegungsanspruch an sich wendet sich die Revision gar nicht.
10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung richtig verzeichnet.
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