European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00059.20W.0225.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die klagende Partei hatte im Jahr 1980 einen im Wohnungseigentum stehenden „Lagerkeller“ gekauft, den sie seitdem als Archiv nutzt. Sie war aber nicht als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Der Beklagte kaufte im Jahr 2014 in Unkenntnis der Rechte der klagenden Partei (neben mehreren weiteren Objekten) diesen Lagerkeller vom bücherlichen Eigentümer und wurde im Grundbuch als Eigentümer eingetragen.
[2] Die klagende Partei begehrt, gestützt auf die Verletzung ihres besitzverstärkten Forderungsrechts, die Herausgabe des Lagerkellers und die Verurteilung des Beklagten zur Einwilligung in die Einverleibung ihres Eigentumsrechts daran im Grundbuch.
[3] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der klagenden Partei zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
[5] 1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[6] 2. Bei der Verletzung eines besitzverstärkten Forderungsrechts genügt zur Durchsetzung des schadenersatzrechtlichen Restitutionsanspruchs bereits, dass der Erwerber die obligatorische Position kannte oder bei gehöriger Aufmerksamkeit kennen musste (RS0113118). Dem ersten Käufer der Liegenschaft wird gegen den Zweiterwerber ein Schadenersatzanspruch nach § 1323 ABGB mit dem Ziel der Übergabe der gekauften Liegenschaft gewährt, doch wird er mit diesem Begehren nur dann durchdringen, wenn sein durch den Besitz verstärktes Forderungsrecht für den Gegner (zweiten Käufer der Liegenschaft) deutlich erkennbar war (2 Ob 87/15f mwN; vgl RS0011226). Der schadenersatzrechtliche Herausgabeanspruch gegen den Zweiterwerber besteht schon dann, wenn er leicht fahrlässig das durch den Besitz verstärkte Forderungsrecht des Erwerbers nicht kannte (2 Ob 87/15f; 6 Ob 169/07g). In diesem Zusammenhang wurde bereits ausgesprochen, dass es grundsätzlich zur Sorgfaltspflicht eines Liegenschaftserwerbers gehört, die Liegenschaft in natura zu besichtigen und sich solcherart über die Besitzverhältnisse zu informieren (9 Ob 244/97s; 8 Ob 533/87; 1 Ob 674/83).
[7] 3. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte vom selben bücherlichen Eigentümer gleichzeitig mehrere Wohnungseigentumsobjekte eines Hauses, darunter bereits vermietete Geschäftslokale samt Neben- und Kellerräumen, zur Geldanlage um einen Gesamtpreis gekauft und diese im Wesentlichen auch mit der anbietenden Immobilienmaklerin besichtigt. Nachträglich wurde der Beklagte von der Immobilienmaklerin darüber informiert, dass noch zwei weitere Wohnungseigentumseinheiten, darunter der verfahrensgegenständliche Lagerkeller, irrtümlich nicht in den Kaufvertrag aufgenommen worden seien. Der Kaufvertrag wurde daher in der Folge in Anwesenheit des bücherlichen Eigentümers und des Beklagten beim Vertragsverfasser, einem Notar, durch einen Nachtrag zum Kaufvertrag ergänzt. Nach dem unstrittigen Inhalt der Urkunde wurde darin festgehalten, dass der bereits bezahlte Kaufpreis auch diese Miteigentumsanteile umfasst, sodass ein weiterer Kaufpreis nicht zu zahlen sei. Der Beklagte hatte den Lagerkeller zuvor nicht besichtigt gehabt.
[8] 4. Angesichts dieser besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Beklagten trotz unterlassener Besichtigung des Lagerkellers eine Verletzung seiner Sorgfaltspflichten nicht vorzuwerfen sei, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn es ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte die für seinen Kaufentschluss relevanten Hauptobjekte bereits vor Abschluss des Kaufvertrags besichtigt und auch den Kaufpreis schon bezahlt hatte, sodass die vom Verkäufer oder Makler zunächst „vergessenen“ weiteren Objekte für ihn ganz offenkundig nur von untergeordneter Bedeutung waren (so bereits das Erstgericht).
[9] 5. Ein auf einen unentgeltlichen Erwerb des Lagerkellers gerichteter Wille des Verkäufers und des Beklagten lässt sich dem Sachverhalt ebenso wenig entnehmen wie ein mangelnder übereinstimmender Veräußerungswille. Aus der Rechtsprechung, dass der unentgeltliche Zweiterwerber weniger schützenswert sei als der entgeltliche Erstkäufer (vgl 2 Ob 87/15f; 2 Ob 81/14x), ist daher für den Standpunkt der klagenden Partei im gegebenen Zusammenhang nichts zu gewinnen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)