OGH 2Ob33/13m

OGH2Ob33/13m17.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** S*****, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Wien, wegen 12.000 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. November 2012, GZ 11 R 161/12w‑19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. Juni 2012, GZ 53 Cg 126/11f‑15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00033.13M.0617.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Klägerin kam am 24. 1. 2011 gegen 19:00 Uhr auf dem Gehsteig einer Wohnhausanlage in Wien auf einer Eisplatte zu Sturz, wodurch sie einen Speichenbruch am rechten Arm erlitt. Sie ist die zuständige Hausbesorgerin für diese Wohnhausanlage, in der sie auch eine Dienstwohnung bewohnt. Ihr Dienstgeber ist die Eigentümergemeinschaft der Liegenschaft.

Von 1982 bis 2005 erledigte die Klägerin den Winterdienst. Seit 2005 werden von der Hausverwaltung externe Unternehmen mit der Besorgung des Winterdienstes beauftragt. Im Winter 2010/2011 war dies die beklagte Partei. Diese hatte einen Subunternehmer mit den Schneeräumarbeiten betraut.

In der Nacht vom 23. 1. auf den 24. 1. 2011 schneite es. Um 2:55 Uhr wurden von den Mitarbeitern des Subunternehmers Schneeräumarbeiten in der Wohnhausanlage durchgeführt. Da der Schneefall andauerte, war der zur Anlage gehörende Gehsteig am Tag des Unfalls 5 cm hoch mit Schnee bedeckt. Der Gehsteig war dadurch sehr glatt. Tagsüber wurde der Gehsteig weder geräumt noch gestreut. Bis zum Abend bildete sich vor dem Eingang zu der in der Wohnhausanlage befindlichen Filiale eines Supermarkts eine Eisplatte, die über den ganzen Gehsteig reichte.

Die Klägerin beabsichtigte gegen 19:00 Uhr, „im Rahmen ihrer Tätigkeit als Hausbesorgerin“ im „Erdgeschoss der Wohnhausanlage“ aufzuwaschen. Um zu ihrem Ziel zu gelangen, musste sie die Eisplatte überqueren. Sie trug Halbschuhe mit einer Profilsohle und hielt Wischmopp und Putzmittel in der Hand. Sie bemerkte die Eisplatte und versuchte, sie besonders vorsichtig zu überqueren. Dennoch rutschte sie aus und stürzte.

Mit der am 28. 12. 2011 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin Schmerzengeld von 12.000 EUR sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 24. 1. 2011. Sie brachte vor, der Gehsteig sei nicht geräumt und gestreut gewesen, obwohl es am Unfalltag infolge des Glatteises bereits gegen 14:00 Uhr zum Sturz einer anderen Person auf dem Gehsteig gekommen sei. Der Einsatz eines einzigen Mitarbeiters in einem derart großen Rayon sei grob fahrlässig.

Die beklagte Partei wandte ein, sie habe sich für die übernommenen Verkehrssicherungspflichten eines tüchtigen und befugten Subunternehmers bedient. Nach der Mitteilung der Hausverwaltung von dem Sturz eines Passanten sei um 14:40 Uhr eine neuerliche Kontrolle samt Räumung und Streuung durchgeführt worden. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden, weil sie den Sturz bei gehöriger Aufmerksamkeit verhindern hätte können. Der Sturz sei überdies im Rahmen ihrer Hausbesorgertätigkeit erfolgt. Die beklagte Partei sei gesetzliche bzw bevollmächtigte Vertreterin der Dienstgeberin der Klägerin, weshalb ihr das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zugute komme.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es ging von dem zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt aus und erörterte rechtlich, die Klägerin sei bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit als Hausbesorgerin gestürzt. Es liege ein Arbeitsunfall gemäß § 175 ASVG vor. Dem Dienstgeber komme das Haftungsprivileg nach § 333 Abs 1 ASVG auch bei einer Verletzung der Streupflicht zugute. Im vorliegenden Fall sei die beklagte Partei mit der Erfüllung der dem Hauseigentümer obliegenden Pflichten nach § 93 StVO bzw § 1319a ABGB betraut gewesen. Sie stehe daher der Dienstgeberin der Klägerin gleich und könne sich auf das Haftungsprivileg berufen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht führte aus, die beklagte Partei sei zwar nicht Dienstgeberin der Klägerin, habe von dieser aber die sie gegenüber der Allgemeinheit treffenden Verkehrssicherungspflichten gemäß § 93 Abs 5 StVO rechtsgeschäftlich übernommen. Sie trete daher zivilrechtlich in jeder Hinsicht an die Stelle des Eigentümers. Die beklagte Partei habe mit diesen Aufgaben aber auch typische Dienstgeberpflichten übernommen, die auch die Fürsorge für die körperliche Sicherheit der Dienstnehmer umfasse. In diesem Umfang habe sie eine Arbeitgeberfunktion ausgeübt. Sie habe die übernommene Aufgabe überdies räumlich in der Sphäre der Dienstgeberin, nämlich der Wohnhausanlage zu erfüllen gehabt. Mangels gegenteiliger Feststellungen sei davon auszugehen, dass der beklagten Partei in dem ihr übertragenen Bereich ‑ wenn auch nur begrenzte ‑ Anordnungs‑ und Leitungsbefugnisse gegenüber den in der Wohnhausanlage beschäftigten Dienstnehmern zugekommen sei. Andernfalls hätte sie ihren vertraglichen Pflichten unter Umständen nicht nachkommen können. Ähnlich wie vertraglich bestellte externe Sicherheitsfachkräfte, die Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen hätten, sei die beklagte Partei ‑ immer wieder kurzfristig und in einem eingeschränktem Tätigkeitsbereich ‑ als „verlängerter Arm“ und gleichsam als bevollmächtigte Vertreterin der Dienstgeberin iSd § 333 Abs 4 ASVG tätig geworden. Demnach sei das Haftungsprivileg anzuwenden, ohne dass untersucht werden müsste, ob die beklagte Partei gegenüber der Klägerin formell weisungsbefugt gewesen sei.

Eine uferlose Ausweitung des Haftungsprivilegs sei nicht zu befürchten. Dieses sei historisch und dem Gesetzeszweck nach als eine Ablöse der Haftpflicht durch die Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung durch den Dienstgeber konzipiert. Es erstrecke sich daher auf Unfälle bei Ausübung einer Tätigkeit, die unter dem Unfallversicherungsschutz stehen (Arbeitsunfälle). Es wäre nicht einzusehen, dass ein Ersatzanspruch aus einem solchen Unfall nur deswegen ausnahmsweise doch ‑ gegen einen Dritten ‑ bestünde, weil der Dienstgeber die Besorgung seiner Aufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern ausgelagert habe. Darauf, ob die Vertretungsvollmacht des § 93 Abs 5 StVO weiter übertragbar sei, komme es nicht an.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof zu der für die Praxis relevanten Frage, ob Unternehmern, denen Säuberungs‑ und Streupflichten für Gehsteige von Dienstgebern rechtsgeschäftlich (nach § 93 Abs 5 StVO) übertragen werden, dienstgebergleiche Stellung iSd § 333 Abs 4 ASVG zukomme, bisher noch nicht geäußert habe.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen zur Klärung der Anspruchshöhe aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

I. Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

II. Die Klägerin macht in ihrer Rechtsrüge geltend, die beklagte Partei habe schon deshalb keine Arbeitgeberfunktion ausgeübt, weil sie nicht von der Eigentümergemeinschaft, sondern von der Hausverwalterin beauftragt worden sei. Es treffe auch nicht zu, dass der beklagten Partei Anordnungs‑ und Leitungsbefugnisse gegenüber Dienstnehmern der Eigentümergemeinschaft zugekommen wären. Sie sei weder deren „verlängerter Arm“ gewesen, noch habe sie ein Weisungsrecht gegenüber der Klägerin gehabt. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts würde zu einer uferlosen Ausweitung des Haftungsprivilegs führen.

Hierzu wurde erwogen:

1. Anspruchsgrundlagen:

1.1 Die Vorinstanzen haben zwar keine näheren Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten im Unfallbereich getroffen, nach dem Akteninhalt ist aber nicht zweifelhaft, dass sich der Unfall auf einem dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteig (vgl § 93 Abs 1 StVO) zwischen zwei zu der Anlage gehörenden Hauseingängen (auf Höhe des Eingangs zu dem Supermarkt) ereignet hat. Dieser Umstand kann als unstrittig vorausgesetzt werden.

1.2 Damit steht auch die von den Streitteilen nicht beanstandete Beurteilung des Berufungsgerichts im Einklang, dass der beklagten Partei die den Anrainer nach § 93 Abs 1 StVO treffenden Pflichten durch Vereinbarung gemäß § 93 Abs 5 StVO übertragen wurden. Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht wurden diese Pflichten durch die Eigentümergemeinschaft übertragen, die gemäß § 18 Abs 3 Z 1 lit a WEG durch den bestellten Verwalter vertreten wird. Dessen Verwaltungshandlungen sind der Eigentümergemeinschaft zuzurechnen. Zur Verwaltung einer Liegenschaft gehört auch die Besorgung bzw Veranlassung des Winterdienstes (vgl 2 Ob 217/08p; 5 Ob 76/12f mwN). Die durch Rechtsgeschäft verpflichtete beklagte Partei trat dadurch an die Stelle der Eigentümergemeinschaft, woraus sich ihre deliktische Haftung für eine allfällige Vernachlässigung der ihr übertragenen Anrainerpflichten ergibt (RIS‑Justiz RS0023328).

1.3 Gemäß § 4 Abs 1 Z 1 lit e des gemäß § 31 Abs 5 auf das Dienstverhältnis noch anzuwendenden Hausbesorgergesetzes oblag der Klägerin grundsätzlich selbst das Reinigen der Gehsteige und deren Betreuung bei Glatteis, soweit dies in Erfüllung der dem Hauseigentümer nach den bestehenden Vorschriften obliegenden Verpflichtungen erforderlich war. Letzteres war nach den Feststellungen seit dem Jahr 2005 nicht mehr der Fall, weil externe Unternehmen mit dem Winterdienst betraut worden sind. Seither umfasst die den Dienstgeber gemäß § 1157 ABGB ganz allgemein treffende Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin jedenfalls auch im Winter die Sicherheit jener Gehsteige, die ihr als Zugang zu jenen Gebäuden und Räumen dienen, die sie als Hausbesorgerin zu betreuen hat (vgl RIS‑Justiz RS0021585; Krejci in Rummel , ABGB 3 § 1157 Rz 11; Pfeil in Schwimann , ABGB 3 V § 1157 Rz 9). Die beklagte Partei ist insoweit Erfüllungsgehilfin der Dienstgeberin iSd § 1313a ABGB. Da der Gehilfe selbst nicht zur Erfüllung verpflichtet ist, haftet er grundsätzlich nur deliktisch (vgl RIS‑Justiz RS0022481, RS0022801; Karner in KBB 3 § 1313a Rz 10).

1.4 Ob sich im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Haftung nach Vertragsgrundsätzen begründen ließe, braucht nicht geprüft zu werden, weil sich die Klägerin im gesamten Verfahren darauf nicht berief. Nach den obigen Ausführungen setzt die Haftung der beklagten Partei für den Schaden der Klägerin nach beiden erörterten Anspruchsgrundlagen deliktisches Handeln voraus.

2. Haftung der beklagten Partei:

2.1 Die beklagte Partei haftet für eigenes Verschulden oder für jenes ihres Gehilfen unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB (2 Ob 47/07m; 2 Ob 173/11x; 2 Ob 231/12b; RIS‑Justiz RS0023377 [T2]). Nach der jüngeren Rechtsprechung des erkennenden Senats hat der Geschädigte sowohl bei durch Handlung als auch bei durch Unterlassung verursachten Schäden die Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen zu beweisen, wofür der Anscheinsbeweis zulässig ist (2 Ob 127/08b; 2 Ob 173/11x; RIS‑Justiz RS0124440).

Die Klägerin hat vorgebracht, dass der Gehsteig im Zeitpunkt des Unfalls weder geräumt noch gestreut gewesen sei. Ein derartiges Vorbringen wurde in der Entscheidung 2 Ob 127/08b bereits als ausreichend erachtet, weil es die Behauptung der Untüchtigkeit eingesetzter Besorgungsgehilfen impliziert. Auch im vorliegenden Fall ist demnach von ausreichendem Vorbringen der Klägerin auszugehen.

2.2 Nach den Feststellungen wurde der Gehsteig nach dem nächtlichen Einsatz trotz anhaltendem Schneefall, Schneeglätte und Bildung einer Eisplatte tagsüber nicht mehr betreut. Es wurde zwar nicht festgestellt, ist aber unstrittig, dass die beklagte Partei gegen 14:00 Uhr durch die Hausverwaltung vom Sturz eines Passanten auf besagtem Gehsteig verständigt wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war sie zum Handeln verpflichtet. Sie brachte auch vor, ihrem Gehilfen (dem Subunternehmer) die Meldung der Hausverwaltung weitergegeben und einen „Räumbefehl“ unverzüglich erteilt zu haben (Feststellungen liegen allerdings auch dazu nicht vor).

2.3 Demnach sind zwei Szenarien denkbar: Entspricht die Behauptung der beklagten Partei nicht den Tatsachen, hat sie eigenes Verschulden zu vertreten. Andernfalls wurde der „Räumbefehl“ von ihrem Gehilfen ignoriert, ohne sie davon in Kenntnis zu setzen (die beklagte Partei ging ja im Verfahren von einem weiteren Einsatz ihres Gehilfen aus). In diesem Fall läge ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Gehilfen vor, das bereits eine habituelle Untüchtigkeit iSd § 1315 ABGB indizieren könnte (RIS‑Justiz RS0028885 [T2], RS0028925 [T1, T4]). Um dies verlässlich beurteilen zu können, bedarf es aber einer Ergänzung des Sachverhalts. Diese wäre nur dann entbehrlich, wenn sich die beklagte Partei tatsächlich ‑ wie von den Vorinstanzen angenommen ‑ auf das Haftungsprivileg des § 333 ASVG berufen könnte. Das trifft aber aus den noch dazulegenden Gründen (siehe Punkt 4.) nicht zu.

3. Kein Mitverschulden der Klägerin:

Die beklagte Partei hat der Klägerin die Vernachlässigung der gehörigen Aufmerksamkeit zum Vorwurf gemacht. Den Feststellungen zufolge hat sie aber die Eisplatte, der sie nicht ausweichen konnte, „besonders vorsichtig“ betreten. Für die behauptete Sorglosigkeit ergibt sich daraus kein Anhaltspunkt.

4. Kein Haftungsprivileg zu Gunsten der beklagten Partei:

4.1 Gemäß § 333 Abs 1 ASVG ist der Dienstgeber dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalls entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Unfall vorsätzlich verursacht hat. Diese Bestimmung gilt gemäß § 333 Abs 4 ASVG auch für Ersatzansprüche Versicherter und ihrer Hinterbliebenen gegen gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter und gegen Aufseher im Betrieb.

In der Rechtsprechung wird dem Dienstgeber die Haftungsbefreiung auch bei Verletzung der Streupflicht zugebilligt, wenn diese zu einem Arbeitsunfall führte (2 Ob 340/99k; 2 Ob 196/07y; RIS‑Justiz RS0122877). Die beklagte Partei steht auf dem Standpunkt, auch ihr komme als „gesetzliche bzw bevollmächtigte“ Vertreterin der Eigentümergemeinschaft das Haftungsprivileg zu.

4.2 Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass unter dem Begriff des „gesetzlichen Vertreters“ iSd § 333 Abs 4 ASVG jener nach bürgerlichem Recht zu verstehen ist (Neumayr in Schwimann, ABGB3 VII § 333 ASVG Rz 66; vgl Koziol, Haftpflichtrecht II² [1984] 227; auch Reischauer in FS Strasser [1983], Mitnahme von anderen Dienstnehmern im eigenen Pkw, 204; Gutknecht in ZAS 1974/6 [Kommentar zu 4 Ob 52/71], 54). Die Vertretung der Eigentümergemeinschaft ist in § 18 Abs 3 WEG geregelt. Danach kann die beklagte Partei nicht gesetzlicher Vertreter sein.

4.3 Auch der Begriff des „bevollmächtigten Vertreters“ bezieht sich auf die Bevollmächtigung nach bürgerlichem Recht ( Neumayr aaO § 333 ASVG Rz 66; Koziol aaO 227).

4.3.1 Uneinigkeit besteht in der Lehre allerdings darin, welchen Umfang die Vertretungsmacht haben muss. Während Koziol (aaO) und Lukas/Resc h (Arbeitsunfälle am Bau [2001] 57) auch eine Vollmacht zur Ausübung vereinzelter Dienstgeberfunktionen genügen lassen, wird nach überwiegender Auffassung eine verhältnismäßig umfassende Vertretung verlangt. Die Vertretung müsse sich auf die Ausübung von Dienstgeberfunktionen im „unternehmerisch‑dispositiven“ Bereich beziehen, dh der Vertreter müsse im Betrieb Anordnungs‑ und Leitungsfunktion übertragen bekommen ( Neumayr aaO § 333 ASVG Rz 67; Gutknecht aaO 54; Atria in Sonntag , ASVG 3 [2012] §§ 333‑335 Rz 29; Glawischnig , Handbuch Arbeitsunfall [2012] 79; vgl auch Reischauer aaO 204; Teschner/Widlar/Pöltner , ASVG III § 333 Anm 10b).

4.3.2 Die herrschende Lehre gründet sich im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs:

In der Entscheidung 4 Ob 52/71 = ZAS 1974/6, 52 [ Gutknecht ] wurde festgehalten, dass unter einem bevollmächtigten Vertreter iSd § 333 Abs 4 ASVG nicht die bloße Stellvertretung hinsichtlich einzelner Befugnisse des Unternehmers, sondern eine umfassende Vertretung desselben im betrieblichen Bereich zu verstehen sei (dazu kritisch Koziol aaO 227 FN 15). In 9 ObA 316/89 wurde darauf abgestellt, dass dem Bevollmächtigten über die übrigen Angestellten ein Weisungsrecht eingeräumt worden war. Auch in 2 Ob 112/02p ging es darum, ob der (dort schlüssig) Bevollmächtigte „hinreichend umfassend im Sinne der Rechtsprechung“ mit Befugnissen eines Dienstgebers ausgestattet war.

Nach dem der Entscheidung 2 Ob 321/01x zugrunde gelegenen Sachverhalt hatte sich der für die Schneeräumung und Streuung zuständige Hausaufseher eines Pflegeheims nach einem Sturz einer Pflegehelferin (dort unter dem Aspekt eines „Aufsehers im Betrieb“) vergeblich auf das Haftungsprivileg gemäß § 333 Abs 4 ASVG berufen, weil ihm kein Weisungsrecht gegenüber der Geschädigten zustand.

Hingegen hat der erkennende Senat jüngst in 2 Ob 174/11v einer externen Sicherheitsfachkraft das Haftungsprivileg mit der Begründung zugestanden, dass sie Arbeitgeberfunktionen ausübe. Sicherheitsfachkräfte hätten gemäß § 76 Abs 1 ASchG die Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten zu unterstützen und die Arbeitnehmer auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit zu beraten. Sie seien gewissermaßen Gehilfen der Arbeitgeber bei Erfüllung von deren Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern im Bereich der Arbeitssicherheit. Der „Beratung“ der Arbeitnehmer komme de facto der Charakter einer Weisung zu.

Bereits zuvor, in den Entscheidungen 2 Ob 75/06b und 2 Ob 38/08i (= ZVR 2009/29, 58 [ Kathrein ]), wurde vor dem Hintergrund der Neuorganisation der wirtschaftlichen Nutzung, Verwaltung und Verwertung bundeseigener Liegenschaften durch die Ausgliederung von Aufgaben an eine privatrechtlich strukturierte Organisationseinheit nach Unfällen einer Schülerin in einem Schulgebäude (2 Ob 75/06b) und einer Reinigungskraft im Innenhof eines Polizeigebäudes (2 Ob 38/08i) der Bundesimmobiliengesellschaft mbH das Haftungsprivileg zugestanden.

4.3.3 Von den bisher entschiedenen Fällen unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt grundlegend darin, dass die beklagte Partei weder schlüssig noch ausdrücklich zur Ausübung von Dienstgeberfunktionen bevollmächtigt wurde, noch ‑ anders als etwa die Sicherheitsfachkraft ‑ mit irgendeiner Weisungsbefugnis gegenüber der Klägerin oder allfälligen anderen Dienstnehmern der Eigentümergemeinschaft ausgestattet war. Sowohl die Klägerin als auch die beklagte Partei waren im Rahmen ihrer Vertragsverhältnisse mit Reinigungsaufgaben in der und um die Wohnhausanlage betraut, wobei die Klägerin die Gebäude, die beklagte Partei hingegen die außen liegenden Flächen der Anlage zu betreuen hatte. Es bestand zwischen ihnen kein Verhältnis der Über‑ und Unterordnung, sondern ein Nebeneinander ihrer sich nicht überschneidenden Aufgabenbereiche.

Eine (neuerliche) Befassung mit den unterschiedlichen Ansichten zum erforderlichen Umfang der Vollmacht ist schon aus diesem Grund entbehrlich. Aus den Entscheidungen zur Haftungsbefreiung der Bundesimmobiliengesellschaft mbH ist für den Standpunkt der beklagten Partei nichts abzuleiten, weil ihr Sonderfälle gesetzlich angeordneter verwaltungsorganisatorischer Maßnahmen zugrunde lagen, die mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar sind.

4.3.4 Grundlage für die Erbringung der von der beklagten Partei geschuldeten Leistungen war ein mit der Eigentümergemeinschaft abgeschlossener Werkvertrag. Auch wenn die Dienstgeberin der Klägerin damit einen Teil der ihrer Fürsorgepflicht (§ 1157 ABGB) entspringenden Aufgaben auf einen Dritten übertrug, bedeutet das nicht schon zwangsläufig, dass diesem im Umfang seiner werkvertraglichen Leistungspflicht Dienstgeberfunktionen gegenüber den Dienstnehmern der Werkbestellerin zukamen.

In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde zwar der Haftungsausschluss auch schon bejaht, wenn zwei Unternehmer in der Weise zusammenwirken, dass der eine Unternehmer als Bevollmächtigter (iSd § 333 Abs 4 ASVG) des anderen Unternehmers in dessen Sphäre tätig wird (4 Ob 167/85; RIS‑Justiz RS0085019; vgl Lukas/Resch aaO 56 f). Auch in diesem Fall setzt die Annahme einer Bevollmächtigung aber eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Versicherten voraus (4 Ob 167/85; 2 Ob 69/90), an der es der beklagten Partei hier fehlte.

4.4 Schließlich ist festzuhalten, dass die Klägerin auch nicht in den Betrieb der beklagten Partei eingegliedert war:

Stehen einander zwei Betriebsunternehmer gegenüber, kann es nach ständiger Rechtsprechung zum Haftungsausschluss kommen, wenn der Verletzte die Sphäre seines eigenen Betriebs verlässt und sich in den Aufgabenbereich des anderen Unternehmens, wenn auch uU nur kurzfristig, einordnet. Der Verletzte muss bei Verrichtung dieser Tätigkeit in den fremden Betrieb eingegliedert sein, wobei ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht erforderlich ist (zuletzt etwa 2 Ob 214/11a mwN).

Diese Voraussetzung lag nicht vor. Die Klägerin war im Zeitpunkt des Unfalls ausschließlich in ihrem eigenen Aufgabenbereich tätig, die Sphäre der beklagten Partei blieb davon gänzlich unberührt.

4.5 Die vorstehenden Ausführungen sind somit dahin zusammenzufassen, dass die beklagte Partei entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht als „bevollmächtigter Vertreter“ der Dienstgeberin der Klägerin iSd § 333 Abs 4 ASVG anzusehen ist. Da sie auch nicht in den Betrieb der beklagten Partei eingegliedert war, ist das Haftungsprivileg nicht anzuwenden.

5. Ergebnis und Kosten:

Die Vorinstanzen haben das Haftungsprivileg zu Unrecht bejaht. Ihre Entscheidungen sind daher aufzuheben, weil es noch ergänzender Feststellungen zur Klärung der Haftung dem Grunde nach im Sinne von Punkt 2.3 und ‑ gegebenenfalls ‑ zur Schadenshöhe sowie zur Berechtigung des Feststellungsbegehrens bedarf. Dies wird im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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