OGH 2Ob173/11x

OGH2Ob173/11x14.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** P*****, vertreten durch Dr. Gottfried Kassin, Rechtsanwalt in St. Veit/Glan, gegen die beklagte Partei C***** S*****, vertreten durch Dr. Harald Mlinar, Rechtsanwalt in St. Veit/Glan, wegen 5.075,50 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 19. Mai 2011, GZ 2 R 72/11g-26, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Veit/Glan vom 24. Jänner 2011, GZ 3 C 437/10d-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt vom beklagten Hausbetreuungsunternehmen Schadenersatz infolge eines Sturzes wegen Glatteis. Die Beklagte habe die Streupflicht verletzt.

Die Beklagte wendete ein, sie hafte nur gemäß § 1315 ABGB, habe sich jedoch keiner habituell untüchtigen Gehilfen bedient.

Das Erstgericht gab der Klage statt, das Berufungsgericht wies sie jedoch ab und erklärte die Revision für zulässig. Auf Basis der getroffenen Feststellungen habe die Klägerin keinen Anscheinsbeweis dafür erbracht, dass eine Untüchtigkeit des Mitarbeiters der Beklagten kausal für ihren Sturz und ihre Verletzungen gewesen sei. Die Revision sei zulässig, weil zur Frage der Beweislast bei Anwendung des § 1315 ABGB im Zusammenhang mit Unterlassungen die Rechtsprechung nicht einheitlich sei.

Die Klägerin macht in ihrer Revision geltend, dass Schutz- und Sorgfaltspflichten als vertragliche Nebenpflichten des Schuldners nicht nur seinem Vertragspartner, sondern auch dritten Personen gegenüber bestehen könnten, wenn im Vertrag ausdrücklich der Schutzzweck auch solchen dritten Personen gegenüber angeführt sei. Im vorliegenden Fall habe der Grundstückseigentümer seine Anrainerpflichten gemäß § 93 Abs 5 StVO durch Rechtsgeschäft an die Beklagte übertragen, wobei im Vertrag konkrete Anweisungen enthalten seien, wann und wie lange die Streupflicht vorzunehmen sei und dass sie dem Schutz der Benützer des Gehsteigs dienten. Bei einer derartigen vertraglichen Überbindung der Pflichten hafte das ausführende Unternehmen für Gehilfen nach § 1313a ABGB. Da § 93 Abs 1 iVm Abs 5 StVO eine Schutznorm iSd § 1311 ABGB darstelle, deren Zweck im Schutz der Fußgänger liege, habe bei Übertretung derselben der Schädiger zu beweisen, dass das Schutzgesetz unverschuldet übertreten worden sei. Im Fall der Schädigung durch eine Unterlassung habe der Schädiger auch die Tüchtigkeit seiner Besorgungsgehilfen zu beweisen. Darüber hinaus habe der Schädiger auch zu beweisen, dass er für die nach Lage des Falls erforderliche Überwachung des Besorgungsgehilfen gesorgt habe. Diesen Beweis habe die Beklagte nicht erbracht, sodass von einem Organisationsverschulden auszugehen sei. Im Übrigen sei das Verfahren vor dem Berufungsgericht wegen der Missachtung der Bestimmung des § 473a ZPO mangelhaft geblieben.

Dazu ist wie folgt auszuführen:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

2. Bei der in § 93 Abs 1 StVO normierten Säuberungs- und Streupflicht des Liegenschaftseigentümers (Anrainers) handelt es sich um eine gegenüber der Allgemeinheit bestehende (gesetzliche) Obliegenheit zur Verkehrssicherung. Für das Verschulden eines Gehilfen wird demnach nicht nach § 1313a ABGB, sondern lediglich im Rahmen des § 1315 ABGB gehaftet. Das gilt nicht nur für den primär Verkehrssicherungspflichtigen, sondern auch für denjenigen, der gemäß § 93 Abs 5 StVO - durch vertragliche Übernahme der Pflicht - an dessen Stelle getreten ist (5 Ob 173/02f mwN = RIS-Justiz RS0021318).

3. Der Senat hat in der Entscheidung 2 Ob 127/08b (RIS-Justiz RS0124440) - in Abkehr von einer gegenteiligen älteren Rechtsprechung - ausgesprochen, dass der Geschädigte sowohl bei durch Handlung als auch bei durch Unterlassung verursachter Schädigung die Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen zu beweisen hat. Dafür ist der Anscheinsbeweis zulässig.

4. Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS-Justiz RS0040266). Er wird in Fällen als sachgerecht empfunden, in denen eine umfassende und konkrete Beweisführung vom Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden kann, weil Umstände beweisbedürftig sind, die allein in der Sphäre des anderen liegen, nur letzterem bekannt sein können und daher auch nur durch ihn beweisbar sind (RIS-Justiz RS0040281 [T6]).

5. Die Tatsacheninstanzen haben festgestellt, dass der Mitarbeiter der Beklagten etwa eine Stunde vor dem Unfall der Klägerin sah, dass der Vorfallbereich trocken und unbehindert begehbar ist. Es konnte nicht einmal für den Zeitpunkt des Unfalls mit Sicherheit festgestellt werden, dass eine Glätte des Gehsteigs augenfällig war. Diese Umstände und die festgestellte generelle Arbeitsweise des Mitarbeiters der Beklagten ließen nicht den Schluss zu, er habe für seine Arbeit nicht die erforderlichen Kenntnisse; auch ein genereller Hang zur Nachlässigkeit sei daraus nicht abzuleiten. Die Klägerin habe daher den Anscheinsbeweis, dass eine Untüchtigkeit des Mitarbeiters der Beklagten kausal für ihren Sturz und ihre Verletzungen gewesen sei, nicht erbracht.

6. Die Frage, ob der Anscheinsbeweis erbracht wurde, ist im Revisionsverfahren nicht überprüfbar, weil damit in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung bekämpft wird (RIS-Justiz RS0112460; RS0040196).

7. Ein Überwachungsverschulden der Beklagten kann aus dem festgestellten Sachverhalt nicht begründet werden. Dazu fehlt auch konkretes Vorbringen der Klägerin in erster Instanz.

8. Abweichende ältere Rechtsprechung zu Fragen der Beweislast begründet keine uneinheitliche Rechtsprechung im Sinne von § 502 Abs 1 ZPO.

9. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Stichworte