OGH 2Ob274/08w

OGH2Ob274/08w29.1.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Antragstellerin mj Sara A*****, vertreten durch die Mutter Azza A*****, beide wohnhaft in Ägypten, *****, vertreten durch Dr. Peter Posch, Dr. Ingrid Posch, Rechtsanwälte in Wels, gegen den Antragsgegner Magdy A*****, vertreten durch Dr. Michael Czinglar, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Juli 2008, GZ 45 R 314/08x-U36, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. Februar 2008, GZ 1 P 20/07k-U24, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben; dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens aufgetragen.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Text

Begründung

Die Minderjährige ist österreichische Staatsbürgerin und hält sich mit ihrer Mutter in Ägypten auf. Der Vater hält sich in Österreich auf.

Der Vater ist laut Urteil des ägyptischen Amtsgerichts in Agouza vom 25. 11. 2001 zu einer monatlichen Alimentation von 250 ägyptischen Pfund (laut Wechselkurs vom 5. 1. 2009 rund 33 EUR) verpflichtet.

Am 19. 9. 2006 beantragte die Mutter der Minderjährigen bei der österreichischen Botschaft in Kairo die Erhöhung dieser monatlichen Unterhaltspflicht durch ein österreichisches Gericht und bezifferte in der Folge dieses Begehren mit 250 EUR monatlich ab 1. 1. 2006. Sie brachte vor, der bisherige Unterhalt reiche zur Deckung laufender Ausgaben nicht aus. Die österreichische inländische Gerichtsbarkeit sei gemäß § 110 JN gegeben, da die Minderjährige österreichische Staatsbürgerin sei und der Unterhaltsschuldner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich habe.

Der Vater beantragte im Hinblick auf die bisherige Durchführung von Unterhaltsverfahren vor einem ägyptischen Gericht gemäß § 110 Abs 2 JN von der Einleitung bzw Fortsetzung des Verfahrens abzusehen, da durch die im Ausland getroffenen Maßnahmen die Rechte und Interessen der Minderjährigen ausreichend gewahrt würden; hilfsweise beantragte er, den Unterhaltserhöhungsantrag abzuweisen.

Der Jugendwohlfahrtsträger stimmte dem Antrag des Vaters auf Absehung der Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 110 Abs 2 JN zu.

Das Erstgericht sprach mit Beschluss aus, von der Fortsetzung des Unterhaltserhöhungsverfahrens werde gemäß § 110 Abs 2 JN abgesehen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Es sei nicht erkennbar, warum der Rechtsschutz durch ein ägyptisches Gericht nicht ausreichend sein solle. Auch der Mangel eines für den vorliegenden Fall anwendbaren Vollstreckungsabkommens zwischen der Republik Österreich und dem Staat Ägypten schließe eine Anerkennungsfähigkeit eines von einem ägyptischen Gericht erlassenen Unterhaltstitels durch ein österreichisches Gericht nicht aus. Es bestünden daher keine Bedenken dagegen, dass die Rechte und Interessen der Minderjährigen auch weiterhin durch die in Ägypten zu erwartenden Maßnahmen ausreichend gewahrt werden könnten.

Erst über Zulassungsvorstellung der Minderjährigen erklärte das Rekursgericht den von dieser gleichzeitig erhobenen ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig; darin beantragt sie, dem Erstgericht die Fortführung des Unterhaltserhöhungsverfahrens aufzutragen.

Der Vater beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Hat ein österreichischer Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, so kann das Gericht gemäß § 110 Abs 2 JN von der Einleitung oder Fortsetzung eines im Inland geführten Pflegschaftsverfahrens absehen, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen des Minderjährigen ausreichend gewahrt werden.

Die Entscheidung der Frage, ob gemäß § 110 Abs 2 JN von der Einleitung oder Fortsetzung eines inländischen Verfahrens abgesehen wird oder nicht, wird vom Ermessen des inländischen Gerichts abhängig gemacht, das sich nur am Wohl des Kindes, nämlich der ausreichenden Wahrung seiner Interessen durch die Behörden des ausländischen Staates, zu orientieren hat (RIS-Justiz RS0099363 [T1]).

Die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen wird dann, wenn auch der Unterhaltsschuldner wie im vorliegenden Fall im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, durch eine inländische Entscheidung eindeutig gefördert (RIS-Justiz RS0046849). Sofern das Gericht von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 110 Abs 2 JN absehen will, muss eine Entscheidung einer ausländischen Behörde für den inländischen Rechtsbereich entsprechende Wirkungen entfalten können, also im Inland (kraft völkerrechtlicher Verträge) anerkannt oder zumindest anerkennungsfähig sein (Mayr in Rechberger3 § 110 JN Rz 4; Fucik in Fasching/Konecny2 § 110 JN Rz 3, jeweils mwN; vgl 7 Ob 238/00a).

Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO, des EuGVÜ bzw des LGVÜ sind Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltsentscheidungen nach den §§ 79 ff EO zu beurteilen. Nach ständiger Rechtsprechung sind ausländische Unterhaltstitel im Inland dann anzuerkennen, wenn sie in Österreich vollstreckt werden können (7 Ob 139/99p; 7 Ob 307/97s; 1 Ob 317/97t; vgl Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht Rz 10.67). Nach § 79 Abs 2 EO sind Akte und Urkunden für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nach den Bestimmungen des Staates, in dem sie errichtet wurden, vollstreckbar sind und die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder durch Verordnungen verbürgt ist (vgl Nademleinsky/Neumayr aaO Rz 10.68; Jakusch in Angst, EO § 79 Rz 5).

Es gibt weder multilaterale noch bilaterale Verträge zwischen Österreich und Ägypten, wonach eine ägyptische Entscheidung über die angestrebte Unterhaltserhöhung in Österreich anerkennungsfähig und vollstreckbar wäre (vgl Schneider/Schwarz, Internationaler Rechtshilfeverkehr und Internationale Vollstreckungsrechtshilfe in Zivilsachen [Gelbes Buch - Online], Übersicht-Tabelle IX, Ägypten). Aufgrund eines in Ägypten geschaffenen Unterhaltstitels könnte daher in Österreich nicht Exekution geführt werden.

Nach den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung liegen daher die Voraussetzungen für ein Absehen der Einleitung oder Fortsetzung des Unterhaltsverfahrens gemäß § 110 Abs 2 JN nicht vor.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 101 Abs 2 AußStrG.

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