European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00242.22K.0221.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren, Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird dem Erstgericht aufgetragen, gemäß § 183 Abs 3 AußStrG im Sinne der §§ 153 ff AußStrG zu entscheiden.
Begründung:
[1] Der am *. 2012 verstorbene Erblasser hinterlässt seine Ehefrau (im Folgenden: „Witwe“) sowie drei Kinder (zwei Söhne, eine Tochter). Er hatte die Witwe mit Testament vom 1. 10. 2012 zur Alleinerbin eingesetzt. Dieser wurde mit rechtskräftigem Beschluss vom 31. 5. 2013 der überschuldete Nachlass an Zahlungs statt gemäß § 154 AußStrG überlassen. Mit dem in Notariatsaktsform errichteten Schenkungsvertrag vom 23. 10. 2018 schenkte die Witwe ihr Erbrecht nach dem Erblasser der gemeinsamen Tochter.
[2] Der Erblasser war Alleingesellschafter der I* GmbH (im Folgenden „GmbH“). Am 2. 5. 2012 hatte er bei einem Notar einen Notariatsakt errichtet, wonach er seinen Geschäftsanteil an der GmbH schenkungsweise an die I* Privatstiftung (im Folgenden „Stiftung“) übertrug. Der beurkundende Notar war in diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Vorstands der Stiftung.
[3] Am 13. 11. 2018 brachten die Witwe und die Tochter mit Eingabe an das Verlassenschaftsgericht vor, es sei nachträglich ein bisher nicht abgehandeltes Vermögen des Erblassers hervorgekommen. Der Abtretungsvertrag vom 2. 5. 2012 sei nämlich wegen Verstoßes gegen § 33 Abs 1 NO gemäß § 33 Abs 2 NO unwirksam, weil der beurkundende Notar gleichzeitig Vorstandsmitglied der am Abtretungsvertrag beteiligten Stiftung gewesen sei. Der Geschäftsanteil an der GmbH sei daher nachlasszugehörig, sodass eine Nachtragsabhandlung durchzuführen und das neu hervorgekommene Vermögen der Tochter einzuantworten sein werde.
[4] In der Folge gaben sowohl die Tochter (ohne Nennung eines Berufungsgrundes) als auch die beiden Söhne (aufgrund des Gesetzes) jeweils bedingte Erbantrittserklärungen ohne Angabe einer Quote ab.
[5] Nachdem der Einigungsversuch des Gerichtskommissärs betreffend das Erbrecht gescheitert war, legte er den Akt dem Gericht zur Entscheidung über die Nachtragsabhandlung sowie das Erbrecht vor (2 Ob 23/21b).
[6] DieVorinstanzen wiesen den Antrag der Witwe und der Tochter auf Durchführung einer Nachtragsabhandlung ab. Sie kamen übereinstimmend zum Ergebnis, eine Änderung der Abhandlungsgrundlagen sei nicht eingetreten. Mangels Bescheinigung, dass ein „freigeschaufeltes“ Vermögen vorliege und insbesondere mangels Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung dahingehend, dass der Notariatsakt vom 2. 5. 2012 tatsächlich nichtig (und nicht geheilt) sei, sei der Antrag nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs der Tochter ist wegen einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zulässig; er ist auch berechtigt.
[8] 1. Ändern sich die Abhandlungsgrundlagen, ist nach § 183 AußStrG vorzugehen. Eine Änderung der Abhandlungsgrundlagen iSd § 183 Abs 1 AußStrG liegt vor, wenn ein bisher nicht bekannter oder zumindest nicht berücksichtigter Vermögenswert hervorkommt (2 Ob 52/19i). Ist bisher – so wie hier – eine Verlassenschaftsabhandlung unterblieben, ist auf Grundlage der nunmehr ergänzten Gesamtwerte iSd §§ 153 ff AußStrG zu entscheiden (4 Ob 194/08w; 7 Ob 135/08s [jeweils nach Überlassung an Zahlungs statt]).
[9] 2. Beim Antrag auf Durchführung einer Nachtragsabhandlung ist es Sache des Antragstellers, (bloß) zu bescheinigen, dass der strittige Gegenstand Nachlassvermögen ist (RS0008416 [T1]). Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen musste die Rechtsmittelwerberin daher keine rechtskräftige Entscheidung dahingehend, dass der Notariatsakt vom 2. 5. 2012 tatsächlich nichtig sei, beibringen.
[10] 3. Nach § 33 Abs 1 NO in der am 2. 5. 2012 (Tag der Errichtung des Abtretungsvertrags) geltenden Fassung durfte der Notar ua in Sachen, in denen er selbst beteiligt war, keine Notariatsurkunde aufnehmen (Satz 1). Das gleiche galt nach Satz 2, wenn in einer Urkunde eine Verfügung zu seinem eigenen oder zu dem Vorteil einer der vorgenannten Personen aufgenommen werden soll. Nach § 33 Abs 2 NO in der am 2. 5. 2012 geltenden Fassung hatte eine mit Außerachtlassung dieser Bestimmung aufgenommene Notariatsurkunde nicht die Kraft einer öffentlichen Urkunde.
[11] Ein Notar ist nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung auch dann „in der Sache selbst beteiligt“ und von der Aufnahme einer Notariatsurkunde ausgeschlossen, wenn er Organ oder Mitglied des vertretungsbefugten Organs einer juristischen Person ist, welche das zu beurkundende Geschäft geschlossen hat (RS0129351; 1 Ob 14/14m).
[12] 4. Die Übertragung von Geschäftsanteilen einer GmbH erfordert nach § 76 Abs 2 GmbHG einen gültigen Notariatsakt (RS0060201; RS0060263 [T1]). Ohne Notariatsaktsform ist ein derartiges Rechtsgeschäft nicht rechtswirksam, gar nicht vorhanden und es kann auch durch einen derartigen Vorgang ein klagbarer Anspruch nicht erworben werden (RS0060256).
[13] 5. Weil der den Abtretungsvertrag beurkundende Notar zugleich Mitglied des Stiftungsvorstands der den Geschäftsanteil erwerbenden Privatstiftung war, liegt im Sinn dieser Kriterien kein formwirksamer Notariatsakt vor.
[14] 6. Damit ist der Antragstellerin die Bescheinigung von bisher nicht berücksichtigtem Nachlassvermögen gelungen. Auf die Fragen, ob der Formmangel des unwirksamen Notariatsakts heilbar ist und – falls dies bejaht würde – ob eine Heilung eingetreten wäre, kommt es für die hier allein vorzunehmende Beurteilung, ob die Voraussetzungen nach § 183 AußStrG vorliegen, nicht an. Es waren daher die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, gemäß § 183 Abs 3 AußStrG iSd §§ 153 ff AußStrG zu entscheiden.
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