OGH 4Ob194/08w

OGH4Ob194/08w18.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin Dr. Schenk sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 10. Oktober 2005 verstorbenen Josefa B*****, zuletzt *****, über den Revisionsrekurs des gesetzlichen Erben Erich B*****, vertreten durch Dr. Elisabeth Scheuba, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 29. Mai 2008, GZ 10 R 38/08b-47, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Ybbs vom 23. März 2006, GZ 1 A 238/05z-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Josefa B***** starb am 10. Oktober 2005. Sie hinterließ eine Tochter, die ihre vorläufige Sachwalterin gewesen war, und einen in Australien lebenden Sohn.

Der Gerichtskommissär ermittelte Aktiva der Verlassenschaft von 946,35 EUR und Passiva von 8.660,33 EUR. Erstere setzten sich aus einem Kontoguthaben und Bargeld zusammen, letztere aus den von der Tochter getragenen Begräbniskosten von 2.539,18 EUR und einem Rückersatzanspruch des Sozialhilfeträgers von 6.121,15 EUR. Auf dieser Grundlage stellte das Erstgericht mit Beschluss vom 23. März 2006 (ON 8) eine Überschuldung der Verlassenschaft mit 7.713,98 EUR fest und überließ der Tochter die konkret bezeichneten Aktiva an Zahlungs statt. Zur Begründung verwies es auf die §§ 154 f AußStrG. Der Beschluss wurde mit internationalem Rückschein an den Sohn abgefertigt, wobei aber eine falsche Hausnummer angegeben war. Das Zustellstück gelangte als „unclaimed letter" an das Erstgericht zurück.

In weiterer Folge übermittelte ein Anwalt die Kopie eines handschriftlichen Testaments der Verstorbenen aus dem Jahr 1998, in dem sie ihre Tochter als Erbin eingesetzt und ihrem Sohn aus einem konkret genannten Sparbuch ein Legat von 500.000 S vermacht hatte. Eine im Testament erwähnte Liegenschaft hatte sie jedoch später ihrer Tochter übertragen. Das zuvor auf den Namen der Verstorbenen lautende Sparbuch hatte die Tochter im Februar 2003 unter Nennung des Losungsworts für sich legitimieren lassen. Im Verlassenschaftsverfahren behauptet sie, die Verstorbene habe es ihr geschenkt.

Am 4. Oktober 2006 erhob der Sohn mit einer an den Gerichtskommissär gerichteten E-Mail einen „Einspruch" gegen den Beschluss ON 8 (AS 69 in ON 15). Wie er von diesem Beschluss Kenntnis erhalten hatte, ist nicht aktenkundig. Inhaltlich brachte er vor, die Verstorbene habe ihm ein Legat von 500.000 S zugesagt, zudem stehe ihm wegen der Übergabe der Liegenschaft an die Tochter ein Schenkungspflichtteil zu. Weiters vertrat er erkennbar die Auffassung, dass im Nachlass noch andere Aktiva - insbesondere das Sparbuch und der Inhalt eines „Tresors" - vorhanden sein müssten.

Diese Eingabe blieb vorerst unbeachtet. Im März 2008 verfügte das Erstgericht jedoch die neuerliche Zustellung des Beschlusses ON 8 an den Sohn und forderte ihn auf, binnen zwei Wochen bekannt zu geben, ob er seinen Einspruch als Rekurs gegen diesen Beschluss aufrecht erhalte oder ihn zurückziehe (ON 30). Der Sohn „bestätigte" innerhalb dieser Frist seinen Einspruch und „beantragte", ihn „als Rekurs aufrecht zu erhalten" (ON 33). Als weitere „Begründung" führte er an, dass Schmuck und Aktien der Verstorbenen nicht berücksichtigt worden seien; weiters habe die Tochter auch andere Sparbücher der Verstorbenen auf sich „umschreiben" lassen.

Schon zuvor hatte die Tochter zugestanden, vertraglich zur Zahlung der Begräbniskosten verpflichtet gewesen zu sein und daher keine Forderung gegen den Nachlass zu haben. Das Erstgericht änderte daraufhin den Beschluss ON 8 mit Beschluss vom 5. Mai 2008 (ON 40) dahin ab, dass die Aktiva der Verlassenschaft dem Sozialhilfeträger an Zahlungs statt überlassen wurden. Danach legte es die Akten dem Rekursgericht zur Entscheidung über den „Einspruch" des Sohnes gegen den Beschluss ON 8 vor. Der Beschluss ON 40 wurde dem Sohn am 13. Mai 2008 zugestellt, er blieb unbekämpft.

Mit Schriftsatz vom 28. Mai 2008 gab der nun anwaltlich vertretene Sohn gegenüber dem Erstgericht eine bedingte Erbantrittserklärung zum halben Nachlass ab und beantragte die Ausstellung einer Amtsbestätigung nach § 172 AußStrG iVm § 810 ABGB (ON 45). Die Verlassenschaft sei nicht überschuldet, weil sie über Schadenersatz- und Bereicherungsansprüche gegen die Tochter verfüge. Diese Ansprüche seien nun geltend zu machen. Eine Kopie dieser Eingabe übermittelte der Sohn an das Rekursgericht, wo sie am 29. Mai 2008 einlangte.

Ebenfalls am 29. Mai 2008 gab das Rekursgericht dem Rekurs des Sohnes gegen den Beschluss ON 8 nicht Folge; weiters sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR nicht übersteige und der Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Wegen der zunächst mangelhaften Zustellung des angefochtenen Beschlusses und der später fristgerecht abgegebenen Erklärung des Rechtsmittelwerbers, seinen Einspruch als Rekurs aufrecht zu erhalten, sei die Eingabe als rechtzeitiger Rekurs gegen den Beschluss ON 8 zu behandeln. Die in den §§ 154 f AußStrG angeführten Voraussetzungen für eine Überlassung an Zahlungs statt seien im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses vorgelegen. Ein Anspruch auf den Schenkungspflichtteil sei nicht im Rahmen der Verlassenschaftsabhandlung, sondern allenfalls mit Pflichtteilsklage geltend zu machen. Ein Erbe, der mit der Überlassung an Zahlungs statt nicht einverstanden sei, könne eine bedingte Erbantrittserklärung abgeben.

Gegen diesen Beschluss richtet sich ein mit einer Zulassungsvorstellung verbundener ordentlicher Revisionsrekurs des Sohnes. Das Rekursgericht habe (implizit) § 164 AußStrG analog angewendet, wonach erbrechtliche Ansprüche nach Bindung des Gerichts an den Einantwortungsbeschluss nur mehr im Rechtsweg verfolgt werden könnten. Diese Analogie sei jedoch unzulässig. Vielmehr hätte das Rekursgericht aufgrund der vom Sohn abgegebenen Erbantrittserklärung dem Erstgericht die Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens auftragen müssen. Daher beantrage der Rechtsmittelwerber, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass seinem Rekurs mit der Maßgabe nicht Folge gegeben werde, dass dem Erstgericht die Fortsetzung des Abhandlungsverfahrens unter Berücksichtigung der Eingabe vom 28. Mai 2008 aufgetragen werde. Hilfsweise wird ein nicht weiter begründeter Aufhebungsantrag gestellt.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob § 164 AußStrG auch auf die Überlassung an Zahlungs statt anzuwenden sei.

Die Tochter beantragt in ihrer Rechtsmittelbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Sohnes ist wegen fehlender Beschwer unzulässig.

1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer (4 Ob 576/94 = SZ 67/230; RIS-Justiz RS0041868, RS0006497; Zechner in Fasching/Konecny2 Vor § 514 ZPO Rz 66 mwN). Sie liegt vor, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, er also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (RIS-Justiz RS0041746, RS0043815). Ist das nicht der Fall, so ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag abweicht (4 Ob 576/94; RIS-Justiz RS0041868).

2. Der Revisionsrekurs wendet sich nicht gegen die Überlassung der aktenkundigen Aktiva von 946,35 EUR an die Tochter (bzw nunmehr den Sozialhilfeträger). Vielmehr ist das Rechtsschutzbegehren des Rechtsmittelwerbers ausschließlich auf die Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens gerichtet. Dieser Fortsetzung steht aber weder die Überlassung der im Beschluss ON 8 genannten Aktiva an einen Gläubiger noch der diese Überlassung bestätigende Beschluss des Rekursgerichts entgegen.

2.1. Werden nach Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens Vermögenswerte bekannt, so hat der Gerichtskommissär nach § 183 Abs 1 AußStrG die Parteien, denen dies noch nicht bekannt ist, davon zu verständigen. War bisher eine Verlassenschaftsabhandlung unterblieben, so ist nach § 183 Abs 3 AußStrG neuerlich, und zwar auf der Grundlage der nunmehr ergänzten Gesamtwerte, nach den §§ 153 ff AußStrG zu entscheiden. In diesem Fall kann es auch erstmals zu einer Abhandlung kommen (EB zur RV des AußStrG, 224 BlgNR 22. GP 115; Bittner in Rechberger, AußStrG § 183 Rz 3; Fucik/Kloiber, AußStrG § 183 Rz 3). Angesichts dieser klaren Regelung ist eine analoge Anwendung von § 164 AußStrG, die die Verfolgung erbrechtlicher Ansprüche im Verlassenschaftsverfahren und damit im vorliegenden Fall mittelbar dessen Fortsetzung ausschlösse, weder zulässig noch notwendig. Eine Regelungslücke liegt nicht vor.

Verfügt daher die Verlassenschaft tatsächlich über weiteres Vermögen, so ist auch im vorliegenden Fall eine Fortsetzung des Verfahrens möglich; die - vom Rechtsmittelwerber nicht (mehr) bekämpfte - Überlassung der bekannten Aktiva an Zahlungs statt steht dem nicht entgegen. Ein derartiges Vermögen kann auch in einem Anspruch der Verlassenschaft gegen einen Dritten (hier gegen die Tochter) bestehen, den eine nach dem Gesetz zum Erben berufene Person (hier der Sohn) behauptet (4 Ob 227/01p = EvBl 2002/86 mwN, 3 Ob 15/06m, beide noch zum AußStrG 1854). In einem solchen Fall hat das Verlassenschaftsgericht für die Vertretung des Nachlasses zu sorgen, damit dieser den Anspruch geltend machen kann (4 Ob 227/01p, 3 Ob 15/06m). Dafür hat es entweder einen Verlassenschaftskurator zu bestellen oder - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 810 ABGB - eine Amtsbestätigung nach § 172 AußStrG zu erteilen.

2.2. Anders als im Revisionsrekurs behauptet, hat das Rekursgericht weder ausdrücklich noch implizit eine Auffassung vertreten, die von der dargestellten Rechtslage abwiche; noch weniger hat es einen Ausspruch getätigt, der einer Verfahrensfortsetzung im Wege stünde. Gegenstand seiner Entscheidung war vielmehr ausschließlich der Rekurs gegen den Beschluss ON 8. Seine diesbezügliche Entscheidung ging zwar ohnehin ins Leere, weil das Erstgericht diesen Beschluss schon zuvor mit dem Beschluss ON 40 abgeändert hatte. Aber auch abgesehen davon ist der Entscheidung keine bestimmte Stellungnahme zu einer allfälligen Fortsetzung des Verfahrens zu entnehmen. Dazu hatte das Rekursgericht auch keinen Anlass. Denn für die vom Rechtsmittelwerber gewünschte Anordnung an das Erstgericht, die zudem nach dem Vorbringen im Revisionsrekurs nicht aufgrund des Rekurses, sondern - systemwidrig - aufgrund der nachträglichen Eingabe vom 28. Mai 2008 zu treffen gewesen wäre, gab es keine gesetzliche Grundlage. Der Hinweis des Rekursgerichts auf die Möglichkeit einer Pflichtteilsklage bezog sich auf Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten gegen den Geschenknehmer nach § 951 ABGB, die ebenso wie jene gegen die Verlassenschaft oder die Erben nach § 785 ABGB (RIS-Justiz RS0005823) immer im streitigen Verfahren geltend zu machen sind.

3. Die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt daher den Rechtsmittelwerber nicht in jenem Rechtsschutzbegehren, das er mit dem Revisionsrekurs ausschließlich verfolgt. Aus diesem Grund ist sein Revisionsrekurs mangels materieller Beschwer zurückzuweisen.

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