OGH 2Ob219/12p

OGH2Ob219/12p14.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** R*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Schuster, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E***** R*****, vertreten durch Dr. Otto Huber, Rechtsanwalt in Wien, wegen 56.977 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. September 2012, GZ 13 R 229/11h‑108, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. September 2011, GZ 15 Cg 15/08y-103, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00219.12P.0314.000

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert, sodass sie zu lauten hat wie folgt:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 19.942,16 EUR samt 4 % Zinsen aus 13.379,66 EUR vom 21. 6. 2007 bis 27. 3. 2008 und aus 19.942,16 EUR seit 28. 3. 2008 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 37.034,84 EUR samt 4 % Zinsen seit 28. 3. 2008 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 16.224,30 EUR (darin 2.145,61 EUR USt und 3.349,85 EUR anteilige Barauslagen) bestimmten Prozesskosten erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 604,86 EUR (darin enthalten 100,81 EUR USt) bestimmten anteiligen Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 907,55 EUR an anteiliger Pauschalgebühr des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

F***** A***** (im Folgenden als Erblasser bezeichnet) starb am 9. 3. 2007. Er war zwei Mal verheiratet. Aus der ersten Ehe stammen M***** A***** und die Klägerin, aus der zweiten Ehe stammen die Beklagte und F***** A***** jun.

Am 12. 7. 1943 schlossen der Erblasser und seine erste Ehefrau einen Ehepakt, mit dem sie eine allgemeine Gütergemeinschaft unter Lebenden über ihr gesamtes gegenwärtiges und künftiges Vermögen sowie einen Erbvertrag errichteten. Der Erblasser brachte zwei Liegenschaften ein, worauf der vom Erblasser als Einzelbetrieb geführte Mühlenbetrieb angesiedelt war (künftig: Komplex „Alte Mühle“). Die erste Ehefrau hatte kein Liegenschaftsvermögen.

Im Juni 1954 wurde eine Liegenschaft in K***** erworben und mit dem Umbau begonnen.

1955 heiratete die 1935 geborene Klägerin ihren ersten Ehemann, kurz danach kam eine gemeinsame Tochter zur Welt. Den Umbau und die Neueinrichtung der Ehewohnung der Klägerin und ihres Mannes im Haus dessen Eltern finanzierte der Erblasser mit zumindest 100.000 ATS. Dieser Betrag entsprach im März 2007 41.750,54 EUR. Die Ehe der Klägerin wurde 1958 geschieden. Danach lebte sie wieder in der „Alten Mühle“.

Im März 1959 kaufte die erste Ehefrau des Erblassers eine Eigentumswohnung in 1090 Wien.

Am 30. 10. 1959 schlossen der Erblasser und seine erste Ehefrau für den Fall der Scheidung einen Ehepaktauflösungs- und Teilungsvertrag, mit dem sie die vereinbarte Gütergemeinschaft und den Erbvertrag aufhoben. Sie teilten ihr Vermögen dergestalt, dass der Erblasser den gesamten Mühlenbetrieb samt Liegenschaften in sein Alleineigentum übernahm. Im Gegenzug erhielt die erste Ehefrau in ihr Alleineigentum den Pensionsbetrieb in K*****. Der Erblasser übernahm den auf der K*****er Liegenschaft haftenden Kredit von 360.000 ATS samt Nebengebührensicherstellung zur alleinigen Rückzahlung. Die Eigentumswohnung in 1090 Wien verblieb bei der ersten Ehefrau.

Die erste Ehe des Erblassers wurde am 10. 11. 1959 geschieden.

1960 heiratete der Erblasser seine zweite Ehefrau. Mit großem Elan gingen beide daran, den verschuldeten Betrieb gemeinsam wieder hoch zu bekommen.

Nach der zweiten Heirat des Erblassers zog die Klägerin zu ihrer Mutter nach K***** und arbeitete nicht mehr im Mühlenbetrieb. Sie blieb jedoch beinahe durchgehend im Betrieb bis zum 31. 12. 1964 angemeldet, auf ihrem Lohnkonto sammelte sich in diesem Zeitraum ein Betrag von 51.440 ATS an.

Mit Erbvertrag vom 22. 9. 1964 samt wechselseitigem Testament setzten der Erblasser und seine zweite Frau einander zu Alleinerben ihres gesamten beiderseitigen, wie immer gearteten beweglichen und unbeweglichen Nachlassvermögens ein, und zwar zu drei Vierteln des Nachlasses kraft Erbvertrags und hinsichtlich des restlichen Nachlassviertels kraft wechselseitigen Testaments. Für den Fall des gleichzeitigen Ablebens beider Vertragsteile, oder für den Fall, dass der überlebende Eheteil nicht erben könne oder wolle, setzten die Ehegatten ihre Kinder aus ihrer Ehe gleichteilig nach Stämmen zu Erben ein. Weiters hielt der Erblasser im Vertrag fest, dass die Klägerin und sein Sohn aus erster Ehe im Hinblick auf die übergroßen Vorempfänge auf den Pflichtteil beschränkt werden und dass auf diese Pflichtteilsansprüche alle wie immer gearteten Vorempfänge anzurechnen seien. Weiters hielt er fest, die Klägerin habe bereits 251.440 ATS erhalten.

Mit Ehevertrag ebenfalls vom 22. 9. 1964 errichteten der Erblasser und seine zweite Frau über ihr gesamtes unbewegliches Vermögen, das sie gegenwärtig besaßen oder in Zukunft auf welche Art immer erwerben oder erben würden, eine bereits unter Lebenden wirksame besondere (partielle) Gütergemeinschaft mit der Wirkung, dass beide Vertragsteile für die aus dem der Gütergemeinschaft unterzogenen unbeweglichen Vermögen entstandenen oder in Zukunft entstehenden Verbindlichkeiten als Gesamtschuldner haften. In diese partielle Gütergemeinschaft brachte der Erblasser das gesamte ihm gehörige unbewegliche Vermögen ein. Die zweite Ehefrau besaß kein unbewegliches Vermögen. Festgehalten wurde, dass jeder der beiden das volle unbeschränkte Eigentum am gesamten ihm gehörigen beweglichen Vermögen behalte. In der Folge wurde das Hälfteeigentum der zweiten Ehefrau an den beiden Liegenschaften verbüchert. Nicht festgestellt werden kann, dass die Begründung der partiellen Gütergemeinschaft und die Übertragung des Hälfteeigentums an den beiden Liegenschaften in Schenkungsabsicht erfolgte.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Erblasser der Klägerin während ihrer ersten Ehe oder in der Zeit nach der Scheidung mit 350.000 ATS den Lebensunterhalt finanzierte.

Etwa 1964 hatte die Klägerin die Idee, im Erdgeschoß der Frühstückspension in K***** eine chemische Reinigung zu eröffnen, und wandte sich an den Erblasser um finanzielle Unterstützung. Dieser wollte der Klägerin eine Existenzgründung ermöglichen und übergab ihr 180.000 ATS für die Eröffnung einer „automatischen Wäscherei“, die insgesamt mehrere hunderttausend Schilling kostete. Die Klägerin verwendete den übergebenen Geldbetrag und die ihr im Jahr 1964 von ihrem Lohnkonto ausbezahlten 51.440 ATS für die Adaptierung der Räumlichkeiten und den Ankauf eines Reinigungsautomaten. 180.000 ATS entsprachen im März 2007 59.178,94 EUR, 51.440 ATS entsprachen im März 2007 16.912,03 EUR.

1965 wurde der Reinigungsautomat geliefert und die chemische Reinigung ging in Betrieb. Etwa auch zu dieser Zeit lernte die Klägerin ihren späteren zweiten Ehemann kennen, den sie 1967 heiratete. Die chemische Reinigung wurde etwa ein Jahr später geschlossen, die Klägerin ging mit ihrem zweiten Ehemann nach M*****.

Mit Schenkungsvertrag vom 27. 6. 1989 schenkte der Erblasser der Beklagten seine Hälfteanteile an den beiden Liegenschaften der „Alten Mühle“, wobei zu seinen Gunsten die Dienstbarkeit des lebenslänglichen, unentgeltlichen Wohnrechts sowie zu seinen und seiner zweiten Frau Gunsten ein Belastungs- und Veräußerungsverbot auf den geschenkten Anteilen eingeräumt wurde.

Zur selben Zeit übersiedelte der Mühlenbetrieb in ein neues Mühlengebäude an einem anderen Standort. In der Folge stand eine amtswegige Umwidmung der mit Bauland-Betriebsgebiet gewidmeten Flächen in die Widmung Gebäude und Grünland an. Die Beklagte und ihre Mutter bemühten sich, dafür die Widmung Bauland-Wohngebiet zu erhalten, wofür sie mit dem Bürgermeister und Mitarbeitern des Amtes der ***** Landesregierung in intensive Gespräche und Verhandlungen eintraten. Nach einigen Rückschlägen, zahlreichen schriftlichen Eingaben, Anregungen und Anträgen gelang es ihnen schließlich 1996, die Widmung Bauland-Sondergebiet‑Sport- und Fremdenverkehrseinrichtungen zu erlangen. Wären die Beklagte und ihre Mutter nicht tätig geworden, hätte diese Widmungsänderung nicht stattgefunden. Der Erblasser trug zur Widmungsänderung nichts bei.

Mit Übergabsvertrag vom 14. 1. 2004 übergab die zweite Ehefrau des Erblassers der Beklagten die Hälfteanteile der beiden Liegenschaften der „Alten Mühle“. Im Gegenzug räumte die Beklagte ihrer Mutter das lebenslängliche, unentgeltliche Wohnungs- und Benützungsrecht sowie ein Belastungs- und Veräußerungsverbot betreffend diese Liegenschaften ein.

Die zweite Frau des Erblassers starb am 1. 7. 2004 und hinterließ als letztwillige Anordnungen den Erbvertrag vom 22. 9. 1964, ein Testament vom 3. 3. 1983 (worin sie den Erblasser zu ihrem Alleinerben einsetzte und alle vorangegangenen letztwilligen Anordnungen widerrief) und eine letztwillige Verfügung vom 14. 1. 2004, mit der sie „zum Erben ihrer im Hälfteeigentum stehenden Liegenschaft EZ *****“ ihren Sohn F***** A***** jun. einsetzte und weiters verfügte, dass ihr übriges, allfälliges zum Zeitpunkt ihres Ablebens bestehendes Vermögen von dieser letztwilligen Verfügung in keiner Weise berührt werde, sodass diesbezüglich solange sie darüber nicht mit gesonderter Urkunde verfüge, die gesetzlichen Erbfolgen zu greifen hätten.

Ihr Nachlass wies Aktiva von 445.824,07 EUR und Passiva von 1.519.736,05 EUR auf, war also mit 1.073.911,98 EUR überschuldet. Der Erblasser entschlug sich des Erbes nach seiner zweiten Ehefrau zugunsten der Beklagten und F***** A***** jun., wobei nicht festgestellt werden kann, dass er diesen Erb- und Pflichtteilsverzicht in Schenkungsabsicht abgab. Die Beklagte und ihr Bruder gaben aufgrund des Gesetzes je zur Hälfte unbedingte Erbserklärungen zum Nachlass ihrer Mutter ab. Mit Einantwortungsurkunde vom 16. 3. 2006 wurde der Beklagten und F***** A***** jun. der Nachlass nach ihrer Mutter aufgrund des Gesetzes je zur Hälfte eingeantwortet und die Verbücherung des Eigentums der Beklagten an den ihr gemäß einem mit ihrem Bruder abgeschlossenen Erbenübereinkommen zugefallenen Liegenschaften angeordnet.

Mit Kaufvertrag vom 3. 3. 2005 verkaufte der Erblasser der Beklagten verschiedene Liegenschaftsanteile (Wald und landwirtschaftlich genutzt) mit einem Gesamtflächenausmaß von 4.064 m² um 15.433 EUR. Dass der Kaufvertrag in Schenkungsabsicht errichtet und der Kaufpreis nicht entrichtet wurde oder nicht angemessen wäre, kann nicht festgestellt werden.

Nach dem Tod des Erblassers ergab die Todfallsaufnahme die Vermögenslosigkeit des Nachlasses, weshalb eine Verlassenschaftsabhandlung unterblieb.

Der Wert der Liegenschaft EZ ***** (eine Liegenschaft der „Alten Mühle“) unter Zugrundelegung der Widmung Stand 27. 6. 1989, also mit der Widmung Bauland-Betriebsgebiet, betrug unter Außerachtlassung von Wertsteigerungen, die nach Übernahme der Liegenschaft von der Beklagten zur Erhaltung oder Verbesserung bewirkt wurden und unter Außerachtlassung einer Bewertung von Belastungs- und Veräußerungsverboten sowie Dienstbarkeiten zu Gunsten des Erblassers am 9. 3. 2007 352.252 EUR, der Wert des Hälfteanteils an dieser Liegenschaft 156.752 EUR.

Der Wert dieser Liegenschaft mit Widmung Bauland-Sondergebiet im Todeszeitpunkt des Erblassers betrug unter Außerachtlassung von Wertsteigerungen, die nach Übernahme der Liegenschaft von der Beklagten zur Erhaltung oder Verbesserung bewirkt wurden und unter Außerachtlassung einer Bewertung von Belastungs- und Veräußerungsverboten sowie Dienstbarkeiten zu Gunsten des Erblassers 862.775 EUR, der Wert des Hälfteanteils an dieser Liegenschaft 387.141 EUR.

Der Wert der Liegenschaft EZ ***** (zweite Liegenschaft der „Alten Mühle“) betrug unter Außerachtlassung einer Bewertung von Belastungs- und Veräußerungsverboten sowie Dienstbarkeiten zu Gunsten des Erblassers an dessen Todestag 6.259 EUR, der Wert des Hälfteanteils an dieser Liegenschaft 2.785,25 EUR.

Die Klägerin begehrte zuletzt 56.977 EUR sA und brachte ‑ soweit im Revisionsverfahren noch relevant ‑ vor, die Beklagte müsse sich die Schenkung des Hälfteanteils der „Alten Mühle“ mit einem Wert von 397.144 EUR in den Nachlass nach dem Erblasser einrechnen lassen. Die Flächenwidmung bedürfe der Genehmigung der Landesregierung, der Grundeigentümer sei am Verfahren nicht beteiligt. Da die Gemeinde ***** für die Umwidmung zuständig gewesen sei, was der Zustimmung der Landesregierung bedurft habe, bleibe kein Raum für irgendeine „Verdienstlichkeit“ der Beklagten, so dass die Widmung zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers ‑ also Bauland-Sondergebiet-Sport- und Fremdenverkehrsein-richtungen und nicht Bauland zugrunde zu legen sei. Aufgrund weiterer anrechenbarer Schenkungen an die Beklagte betrage der fiktive Nachlass insgesamt 455.809 EUR. Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin betrage davon ein Achtel, somit den Klagsbetrag. Die Klägerin habe vom Erblasser weder zu dessen Lebzeiten irgendwelche Schenkungen erhalten, noch habe er eine letztwillige Verfügung zu ihren Gunsten errichtet. Sie habe vom Erblasser nur anlässlich ihrer ersten Eheschließung einige Möbel für ein Wohnschlafzimmer erhalten. Eine Anrechnung auf den Pflichtteilsanspruch scheide aus, weil gemäß § 794 ABGB, der auch für die Anrechnung von Vorempfängen wie einer Ausstattung (§ 788 ABGB) anzuwenden sei, bei der Anrechnung von beweglichen Sachen der Wert nach dem Zeitpunkt des Erbanfalles zu bestimmen sei und 52 Jahre alte Gebrauchsmöbel wertlos seien. Zudem würden diese Möbel schon lange nicht mehr existieren.

Die Beklagte wendete ‑ soweit im Revisionsverfahren bedeutsam ‑ ein, die im Zuge des Ehepakts erfolgte Übertragung des Hälfteanteils an den Liegenschaften der „Alten Mühle“ sei keine Schenkung, sondern ein entgeltliches Rechtsgeschäft gewesen. Die Widmung von Betriebsgebiet in Bauland-Sondergebiet Sport- und Fremdenverkehrseinrichtungen sei über ausschließliches Betreiben der Beklagten und ihrer Mutter abgeändert worden. Die dadurch bewirkte Wertsteigerung sei daher für die von der Klägerin begehrte Schenkungsanrechnung irrelevant. Die Klägerin müsse sich verschiedene, im Einzelnen angeführte Vorempfänge, die sie vom Erblasser erhalten habe, anrechnen lassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte den schon wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte rechtlich aus, die wertsteigernde Umwidmung der einen Liegenschaft der „Alten Mühle“ sei auf die Bemühungen der Beklagten (und ihrer Mutter) zurückzuführen. Es sei daher ‑ ausgehend von der ursprünglichen Widmung Bauland-Betriebsgebiet ‑ der Wert des Hälfteanteils dieser Liegenschaft mit 156.752 EUR für den Schenkungspflichtteil heranzuziehen. Dazu komme noch der Wert des Hälfteanteils an der zweiten Liegenschaft der „Alten Mühle“ mit 2.785,25 EUR, insgesamt somit 159.537,25 EUR. Da der Klägerin der Beweis dafür, dass die Übertragung der Liegenschaftsanteile vom Erblasser an die zweite Ehefrau mit Übergabsvertrag vom 14. 1. 2004 eine Schenkung gewesen sei, nicht gelungen sei, seien die der Beklagten zugekommenen Hälfteanteile an diesen Liegenschaften nicht für die Ausmittlung des Schenkungspflichtteils der Klägerin heranzuziehen. Auch zur Erbsentschlagung durch den Erblasser nach seiner zweiten Frau habe die dafür beweispflichtige Klägerin die Schenkungsabsicht nicht bewiesen, weshalb die der Beklagten aufgrund des Erbenübereinkommens mit ihrem Bruder eingeantworteten Liegenschaften nicht in den Schenkungspflichtteil der Klägerin einzurechnen seien. Auch der Kaufvertrag vom 3. 3. 2005 über Liegenschaftsteile sei keine anrechnungspflichtige Schenkung. Der Beklagten seien somit anrechnungspflichtige Schenkungen im Wert von insgesamt 159.537,25 EUR zugekommen, wovon die der Klägerin zustehende Quote von einem Achtel 19.942,16 EUR betrage. Die Klägerin habe nach § 788 ABGB anrechenbare Vorempfänge erhalten, und zwar 1956 eine Ausstattung von 100.000 ATS und 1964/1965 insgesamt 231.440 ATS zum Antritt eines Gewerbes, nämlich der chemischen Reinigung. Diese Beträge seien auf den Todeszeitpunkt aufzuwerten, woraus sich insgesamt 152.369,48 EUR ergäben. Aufgrund dieser Vorempfänge stehe der Klägerin kein Schenkungspflichtteil gegenüber der Beklagten zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. In der Anschaffung einer Wohnung im Zusammenhang mit der Eheschließung durch den Erblasser für seine Tochter liege ein Vorempfang iSd § 788 ABGB. Auch die Ausstattung, Einrichtung oder Adaptierung der Wohnung habe die Aufgabe einer „Starthilfe“ im obigen Sinn (2 Ob 186/10g). Die von der Klägerin empfangenen 100.000 ATS für den Umbau und die Einrichtung der ersten Ehewohnung seien daher grundsätzlich anrechenbar. Ein Vorempfang iSd § 788 ABGB sei auch das, was der Erblasser seinem Sohn unmittelbar zum Antritt eines Amtes, oder was immer für eines Gewerbes, gegeben habe. Die Rechtsprechung interpretiere den Wortlaut der Bestimmung extensiv. Erfasst würden dadurch unabhängig vom Geschlecht des Empfängers alle Zuwendungen für den Antritt oder die Ausübung eines Berufs. Mit dem Familienrechtsänderungsgesetz 2009 (BGBl I 2009/75) sei § 788 ABGB geschlechtsneutral formuliert worden. Das Argument der Klägerin, die für die Gründung der chemischen Reinigung empfangenen 180.000 ATS seien nicht anzurechnen, weil sie weiblich sei, gehe daher ins Leere. Dieser Betrag sei daher grundsätzlich ebenfalls anrechenbar, und zwar unabhängig davon, ob die Klägerin die zugewendeten Sachen in der Folge anderen überlassen habe. Die 180.000 ATS für die Unternehmensgründung seien vom Erstgericht zutreffend aufgewertet worden und daher mit 59.178,94 EUR zugrundezulegen. Anderes gelte für die vom Erblasser finanzierte Wohnungseinrichtung, was aber aus rechtlichen Erwägungen nicht weiter erörtert werden müsse. Bei den vom Lohnkonto der Klägerin im Unternehmen des Erblassers erhaltenen 51.440 ATS handle es sich um keinen Vorempfang iSd § 788 ABGB. Da ohne die Bemühungen der Beklagten die wertsteigernde Umwidmung der „Alten Mühle“ nicht erfolgt wäre, habe das Erstgericht diese Wertsteigerung zu Recht nicht berücksichtigt. Die anrechnungspflichtigen Schenkungen an die Beklagte betrügen 159.537,25 EUR, die Pflichtteilsquote der Klägerin (1/8) somit 19.942,16 EUR. Da sich die Klägerin aber als Vorempfang 59.178,94 EUR (aufgewerteter Betrag für die Unternehmensgründung) anrechnen lassen müsse, sei der ‑ allfällige ‑ Pflichtteilsanspruch der Klägerin erfüllt worden. Auf die nicht geklärte Bewertung des Empfangs der Klägerin für die Wohnungseinrichtung komme es daher nicht an.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und teilweise berechtigt.

1. Die Revisionswerberin verweist zu Recht darauf, dass das Berufungsgericht von oberstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist: In der Entscheidung 2 Ob 186/10g hat der erkennende Senat nach ausführlicher Erörterung der einschlägigen Rechtsprechung und Lehre Folgendes ausgesprochen: Ein den Nachlasspflichtteil übersteigender Vorempfang ist immer nur auf den Nachlasspflichtteil, nicht aber auf den Schenkungspflichtteil anzurechnen (RIS-Justiz RS0127346).

Die Entscheidung 2 Ob 186/10g wurde in der Lehre verschieden aufgenommen:

Eccher , Anrechnung von Vorempfängen auf den Schenkungspflichtteil, ÖJZ 2012, 477, hat die Entscheidung kritisiert und meint, die bestehenden normativen Unterschiede zwischen Vorempfängen und Schenkungen, die wünschenswerterweise in der anstehenden Erbrechtsreform sogar weitgehend beseitigt werden sollten, stellten für sich kein Argument für eine Differenzierung in einer Frage dar, die vom Wortlaut des Gesetzes her in der einen oder anderen Weise gelöst werden könne.

Umlauft , Anrechnung von Vorempfängen nur auf den Nachlasspflichtteil?, NZ 2012, 169 (172), führt aus, die Meinung des Obersten Gerichtshofs, wonach Vorempfänge nur auf den Nachlasspflichtteil, nicht jedoch auf den Schenkungspflichtteil anzurechnen sind, überzeuge nicht. Die Wortinterpretation, aber auch teleologische Überlegungen führten zum gegenteiligen Ergebnis: Vorempfänge (§ 788), Vorschüsse (§ 789) und letztwillige Zuwendungen (§ 774 iVm § 787 Abs 1) seien jeweils auf den „gesamten Pflichtteil“, also auf den Nachlasspflichtteil und, soweit die betreffende Zuwendung diesen übersteigt, auch auf den Schenkungspflichtteil anzurechnen. Dies decke sich auch mit dem Verständnis des „gewöhnlichen Durchschnittsbürgers“, wenn er mit einer lebzeitigen Zuwendung die Vereinbarung der späteren „Anrechnung auf den Pflichtteil“ verbinde. Durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs werde das Anrechnungsrecht leider noch unverständlicher, als es ohnedies schon sei.

Fischer-Czermak, EF-Z 2012/50, 84 (Anm zu 2 Ob 186/10g), hat hingegen die Entscheidung grundsätzlich gebilligt, weil das ABGB die Anrechnung von Vorempfängen und Schenkungen unterschiedlich regle. Sie räumt allerdings ein, dass dies zu einer Ungleichbehandlung von Pflichtteilsberechtigten führen könne.

Der erkennende Senat sieht sich durch diese ‑ nicht einhelligen ‑ Äußerungen der Lehre nicht veranlasst, von seiner ausführlich begründeten Entscheidung 2 Ob 186/10g abzugehen, zumal die gegenteilige Meinung von Umlauft (Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001], 21 ff) in der Vorentscheidung bereits gewürdigt wurde.

2.1. Im vorliegenden Fall gab es keinen Nachlasspflichtteil nach dem Erblasser, weil dieser vermögenslos starb. Nach den Grundsätzen von 2 Ob 186/10g = RIS-Justiz RS0127346 muss sich hier die Klägerin Vorempfänge auf den geltend gemachten Schenkungspflichtteil nicht anrechnen lassen.

Es ist daher zu prüfen, ob die Beträge, die die Klägerin zu Lebzeiten des Erblassers erhalten hat (Finanzierung des Umbaus und der Neueinrichtung der Ehewohnung der Klägerin in den Fünfzigerjahren um damals 100.000 ATS sowie die 1964 insgesamt erhaltenen 231.440 ATS für die „automatische Wäscherei“), solche Vorempfänge oder anzurechnende Schenkungen (§ 787 Abs 2 ABGB) sind.

2.2. Maßgebliche Norm für Vorempfänge ist § 788 ABGB. In diesem Zusammenhang releviert die Revisionswerberin als erhebliche Rechtsfragen, ob § 788 ABGB in der vor dem 1. 1. 2010 geltenden, nach dem Geschlecht des Vorempfängers differenzierenden Fassung oder in der seit 1. 1. 2010 geltenden geschlechtsneutralen Fassung (idF des FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75) anzuwenden ist; weiters, falls die alte Fassung anzuwenden ist, ob ‑ entsprechend dem Gesetzeswortlaut ‑ für Vorempfänge nach dem Geschlecht des Vorempfängers zu unterscheiden ist oder ‑ verbreiteter Auffassung zufolge ‑ nicht.

2.2.1. Für die Ausmittlung eines Schenkungspflichtteils ist der Zeitpunkt des Erbanfalls maßgeblich (RIS-Justiz RS0012973). Der Zeitpunkt des Erbfalls, der stets mit dem Tod des Erblassers zusammenfällt, ist der Zeitpunkt der Entstehung des Nachlasses, der Zeitpunkt des Erbanfalls ist der der Entstehung des subjektiven Erbrechts. Dieser Zeitpunkt ist in der Regel ebenfalls der Tod des Erblassers (RIS-Justiz RS0041415). Nur bei ‑ hier nicht vorliegender ‑ Erbeinsetzung unter aufschiebender Bedingung (§ 703 ABGB) fallen Erbfall und Erbanfall auseinander (Eccher in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2013] § 536 Rz 2).

§ 788 ABGB hat in der vor dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, geltenden Fassung folgenden Wortlaut:

„Was der Erblasser bei Lebzeiten seiner Tochter oder Enkelin zum Heiratsgute; seinem Sohne oder Enkel zur Ausstattung, oder unmittelbar zum Antritte eines Amtes, oder was immer für eines Gewerbes gegeben; oder zur Bezahlung der Schulden eines volljährigen Kindes verwendet hat, wird in den Pflichtteil eingerechnet.“

Dabei handelte es sich ‑ abgesehen von der Ersetzung des Wortes „großjährigen“ durch „volljährigen“ durch BGBl 1989/162 ‑ um die seit 1812 geltende Stammfassung.

2.2.2. Nach der seit Jahrzehnten ‑ soweit ersichtlich ‑ einhelligen Lehre war § 788 ABGB aF abweichend vom Wortlaut geschlechtsneutral auszulegen (Weiß in Klang III2 [1952] 927; Scheffknecht, NZ 1955, 69 ff; Ostheim, ÖJZ 1978, 508 FN 42; Welser in Rummel 3 [2000] § 788 Rz 8; Umlauft, Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001] 27; Eccher in Schwimann 3 [2006] §§ 788 f Rz 6).

Der Oberste Gerichtshof subsumierte bereits im Jahr 1890 die einer Landwirtin (also einer Frau) überlassenen Grundstücke unter den Begriff des „Gewerbes“ iSd § 788 ABGB (GlU 13289).

Gegenteilig ist ‑ soweit ersichtlich ‑ nur 1 Ob 654/77 = RZ 1978/30 = RIS-Justiz RS0012989.

Der erkennende Senat schließt sich der herrschenden Lehre an, zumal ‑ wie sich schon aus der Kommentierung von Weiß aaO ergibt ‑ sich bereits in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend von denen zur Zeit der Erlassung des ABGB im Jahr 1811 unterschieden. Der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 1 Ob 654/77 wird nicht gefolgt.

2.2.3. In der seit Inkrafttreten des FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, seit 1. 1. 2010 geltenden Fassung ist § 788 ABGB geschlechtsneutral formuliert. Es kann daher letztlich dahingestellt bleiben, welche Fassung des § 788 ABGB hier anzuwenden ist.

2.3. Es sind daher sämtliche in Rede stehenden Zuwendungen des Erblassers an die Klägerin (Finanzierung des Umbaus und der Neueinrichtung der Ehewohnung der Klägerin in den Fünfzigerjahren um damals 100.000 ATS sowie die 1964 insgesamt erhaltenen 231.440 ATS für die „automatische Wäscherei“) als nicht anrechenbare (vgl oben 1.) Vorempfänge zu qualifizieren (vgl Eccher in Schwimann 3 [2006] §§ 788 f Rz 10 f mwN).

3. Da sich nach dem eben Gesagten die Klägerin ihre Vorempfänge auf ihren Schenkungspflichtteil nicht anrechnen lassen muss, ist die weitere von ihr relevierte Frage zu beantworten, ob zugunsten der Klägerin bei der anrechnungspflichtigen Schenkung der „Alten Mühle“ die durch die teilweise Umwidmung bis zum Todeszeitpunkt des Erblassers bewirkte Wertsteigerung zu berücksichtigen ist oder nicht.

Wertsteigerungen, die auf die Tätigkeit des Vorempfängers zurückzuführen sind, sind nach der Rechtsprechung weder bei beweglichen noch bei unbeweglichen Sachen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0012973 [T1]). Dies trifft im vorliegenden Fall auch auf die Bemühungen der Beklagten (und ihrer Mutter) um die Umwidmung zu. Ohne diese Bemühungen wäre es nicht zur Umwidmung gekommen. Der Erblasser trug zur Widmungsänderung nichts bei.

Warum ‑ wie die Revisionswerberin meint ‑ diese Grundsätze dann nicht gelten sollten, wenn ein hoheitlicher Akt der Behörde (Umwidmung) zusätzlich zu den kausalen Tätigkeiten des Vorempfängers (Bemühungen) als (bloß) weiteres Element für die Wertsteigerung kausal ist, ist nicht ersichtlich.

4. Somit ergibt sich, dass die anrechnungspflichtigen Schenkungen an die Beklagte mit 159.537,25 EUR anzusetzen sind. Die Pflichtteilsquote der Klägerin (1/8) beträgt somit 19.942,16 EUR. In diesem Umfang ist das Klagebegehren berechtigt, im Übrigen unberechtigt.

5. Die Kostenentscheidung gründet auf § 43 Abs 1 ZPO und für das Rechtsmittelverfahren auch auf § 50 ZPO. Für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren wurden die Kosten saldiert.

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