European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00218.21D.0316.000
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.154,35 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 228 EUR Barauslagen und 154,39 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Mit Mietvertrag vom 19. 6. 1961 mietete die Mutter des Beklagten, eine bekannte österreichische Künstlerin, das Bestandobjekt „zur Verwendung als Atelier“, wobei – nach dem unstrittigen Inhalt des Mietvertrags – eine Benutzung des Objekts „ausschließlich nur“ zu den im Vertrag angeführten Zwecken erlaubt war. Die (1997 verstorbene) Mutter des Beklagten nützte das Atelier für ihre künstlerische Tätigkeit (zur Schaffung von Skulpturen, Gemälden und anderen Kunstwerken), aber auch zur Sammlung von Material für die weitere Arbeit und zur Erledigung ihrer Korrespondenz.
[2] Nach dem Tod der Künstlerin übernahm deren Ehemann, der Vater des Beklagten, den Mietvertrag. Das Atelier wurde danach nicht mehr als Arbeitsstätte genutzt und nach und nach von den persönlichen Gegenständen der Künstlerin befreit; die Kunstwerke wurden (zum Schutz der Objekte) verpackt, archiviert und in Depots gebracht. Genutzt wurde das Atelier, um Werke der Künstlerin zu archivieren, zu verpacken, zu fotografieren und für kurze Zeit zwischenzulagern.
[3] Im Dezember 2016 starb auch der Vater des Beklagten, seitdem „tritt der Beklagte als Mieter auf“. Der Beklagte hat seinen ständigen Aufenthalt in den USA und Kärnten, er nützt das Objekt nur „wenige Male im Jahr“. Fallweise werden Kunstwerke aus dem Depot geholt, um im Atelier Fotos anzufertigen, die Werke zu katalogisieren und zu vermessen oder für Ausstellungen vorzubereiten. Seit 2017 steht das Objekt – bis auf einige Kartons mit Skulpturen sowie Verpackungsmaterial – „nahezu leer“. Der Beklagte ließ das Atelier räumen, um es später zu renovieren bzw sanieren. Er möchte es nach der Sanierung „wieder als Büro und als Archiv für das künstlerische Wirken seiner Mutter“ nützen. Bereits 2015 wurden „Umbaupläne gefasst“.
[4] Die Klägerin stützt die von ihr eingebrachte Aufkündigung – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 7 MRG. Es fehle an einer regelmäßigen Verwendung des Mietobjekts für eine gleichwertige Geschäftstätigkeit. Im Mietvertrag sei die Nutzung des Objekts ausschließlich als Atelier – sohin als Arbeitsstätte – geregelt worden. Die – im Übrigen gar nicht stattfindende – Nutzung zur Verwaltung des künstlerischen Nachlasses der Mutter bzw zu Archiv- und Bürozwecken sei nicht gleichwertig. Die Verwendung als Lagerraum für Kartons entspreche nicht der vorgesehenen Nutzung. Der Beklagte verfolge keine künstlerische Tätigkeit, das Objekt stehe leer. Renovierungsarbeiten seien in Wahrheit gar nicht geplant.
[5] Der Beklagte bestreitet. Der Beklagte nutze das Bestandobjekt unverändert regelmäßig für Zwecke der Archivierung, Verwaltung und Verwertung des künstlerischen Nachlasses seiner Mutter. Diese Kuratierung sei insbesondere in Zeiten des „Post-Studio-Environment“ eine mit der „faktischen“ Malerei gleichwertige Nutzung. Der Beklagte plane, das Atelier zu renovieren und es in Zukunft im Rahmen der bisherigen Zweckbestimmung verstärkt auch zu Bürozwecken zu nutzen. Diese Pläne lägen aber seit der Kündigung auf Eis.
[6] Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für wirksam und verpflichtete den Beklagten zur Räumung. Es ging unter Hinweis auf die Entscheidung 2 Ob 571/84 davon aus, dass die geplante Verwendung zu Archiv- und Bürozwecken der vereinbarten Verwendung als Atelier (für künstlerisches Schaffen) nicht gleichwertig sei.
[7] Das Berufungsgericht änderte das Urteil über Berufung des Beklagten im klagsabweisenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Die Klägerin bekämpfte in ihrer Berufungsbeantwortung (unter anderem) die Feststellung, dass das Objekt von Angestellten des Beklagten „regelmäßig genutzt werde“. Das Berufungsgericht erledigte diese(n Teil der) Beweisrüge aus rechtlichen Erwägungen nicht. Selbst bei Verneinung einer regelmäßigen Nutzung des Objekts im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung sei dem Beklagten der Nachweis eines schutzwürdigen Interesses an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags gelungen.
[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] DerBeklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
[10] Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist; sie ist im Sinn des Abänderungsantrags auch berechtigt.
[11] Die Klägerin argumentiert im Wesentlichen, dass keine gleichwertige Tätigkeit vorliege, werde das Atelier doch bloß zur Lagerung einiger Kunstobjekte für den weiteren Versand benutzt. Es bestehe auch kein schutzwürdiges Interesse des Beklagten an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags, weil es bereits seit 2015 Umbaupläne gebe, solche aber bis Herbst 2019 in keiner Weise umgesetzt worden seien.
Dazu hat der erkennende Senat erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Die Klägerin erblickt in der teilweisen Nichterledigung ihrer Beweisrüge einen Verfahrensmangel. Ein für den Verfahrensausgang relevanter Mangel des Berufungsverfahrens liegt jedoch nicht vor, weil – wie in der Folge zu zeigen sein wird – die tatsächlich erfolgte Verwendung des Bestandobjekts im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung als nicht gleichwertig anzusehen ist und dem Beklagten ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags fehlt, sodass es auf die Frage, ob das Bestandobjekt im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung regelmäßig verwendet wurde, nicht entscheidend ankommt.
[13] 2. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 7 MRG setzt nach ständiger Rechtsprechung das Fehlen einer regelmäßigen geschäftlichen Tätigkeit entweder in der vereinbarten Form und Intensität oder wenigstens in einer gleichwertigen Form voraus (RS0070431).
[14] Die Gleichwertigkeit ist am Wesen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 7 MRG, nämlich des Wegfalls eines schutzwürdigen Interesses des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses, zu prüfen. Verlegt der Mieter seinen Geschäftsbetrieb anderswohin und benützt er den Mietgegenstand nur noch für minderwertige Zwecke, als Archiv, Lager oder Abstellraum, dann ist Gleichwertigkeit nicht gegeben; wurde der Mietgegenstand aber von Anfang an nur für periphere und nicht für zentrale Zwecke des Geschäftsbetriebs verwendet, dann kann die Verwendung zu anderen peripheren Zwecken nicht schaden (RS0070397; vgl auch RS0070381 und RS0070376). Weder geänderte Öffnungszeiten noch ein anderes „Zielpublikum“ haben für sich alleine zur Folge, dass die geschäftliche Betätigung nicht gleichwertig ist (RS0070342).
[15] 3. Hat der Vermieter die Nichtverwendung des Bestandobjekts nachgewiesen, kann der Mieter die Kündigung durch den Nachweis abwehren, dass der Wiederbeginn der vereinbarten oder einer gleichwertigen regelmäßigen geschäftlichen Tätigkeit in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten ist (RS0070300; RS0070315 [T1]); dann hat er ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags und es fehlt für die Berechtigung der Aufkündigung des Vermieters an der weiteren Voraussetzung des Mangels eines solchen (1 Ob 182/20a mwN). Bei Prüfung des Vorliegens eines solchen schutzwürdigen Interesses sind nicht bloß die Umstände im Zeitpunkt der Aufkündigung maßgebend, es sind vielmehr auch die während des Verfahrens eingetretenen Entwicklungen zu berücksichtigen (RS0070320), sofern diese Rückschlüsse darauf zulassen, dass dieses Interesse schon im Zeitpunkt der Aufkündigung gegeben war (vgl RS0070449).
[16] 4. Die Beurteilung der Frage, ob die Wiederaufnahme einer geschäftlichen Tätigkeit im Bestandobjekt in naher Zukunft mit Sicherheit erwartet werden kann, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0070332 [T4]; RS0070315 [T5]). Gleiches gilt für die Frage, ob eine Nutzung als gleichwertig anzusehen ist oder nicht (RS0070332 [T5]). Solche Entscheidungen können daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwerfen, wenn dem Berufungsgericht eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen ist (5 Ob 98/18z mwN).
[17] 5. Eine solche Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht liegt hier vor.
[18] 5.1. Zur Gleichwertigkeit argumentierte das Berufungsgericht, dass das Bestandobjekt nach dem Tod der Mutter des Beklagten im Jahr 1997 zur Aufarbeitung und Verwaltung von deren künstlerischem Nachlass verwendet worden sei, wobei etwa Werke fotografiert, vermessen, archiviert und verpackt worden seien. Diese Verwendung sei einer solchen als Atelier durch die Künstlerin selbst gleichwertig, zumal beide Tätigkeiten keiner Geschäftstätigkeit mit regelmäßigen Öffnungszeiten vergleichbar seien.
[19] Mit dieser Beurteilung hat das Berufungsgericht den ihm zukommenden Ermessensspielraum aus folgenden Erwägungen überschritten:
[20] Im Mietvertrag vereinbart war die ausschließliche Nutzung als Atelier, worunter nach allgemeinem Sprachgebrauch die „Werkstatt eines Künstlers, Fotografen oä.“ zu verstehen ist (Duden Band 124). Das Bestandobjekt war nach den Feststellungen im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung „nahezu leer“ und wurde bloß als Lagerraum für einige Kartons mit Skulpturen und Verpackungsmaterial verwendet. Die ebenfalls festgestellte Verwendung zum Zweck, Zeichnungen, Skizzen, Briefe und Skulpturen zu archivieren, erfassen, fotografieren und verpacken, trat unter Beachtung der Gesamtheit der Feststellungen deutlich in den Hintergrund, sodass die vom Berufungsgericht angenommene Verwendung zur Aufarbeitung und Verwaltung des künstlerischen Nachlasses im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung gar nicht vorlag.
[21] Der Senat hat bereits in der Entscheidung 2 Ob 571/84 ausgesprochen, dass im Fall eines zu Bürozwecken gemieteten und faktisch für das berufliche Schaffen als Architekt genützten Geschäftsraums die bloße Verwahrung früherer Geschäftsunterlagen – sohin die Verwendung letztlich als Aktenlager – keine gleichwertige geschäftliche Betätigung darstellt. Vor diesem Hintergrund ist auch die hier im Zentrum der Verwendung stehende Nutzung der Geschäftsräumlichkeit als Lager im Vergleich zur vereinbarten Nutzung als Atelier als nicht gleichwertig anzusehen.
[22] 5.2. Bei Prüfung des schutzwürdigen Interesses des Mieters betonte das Berufungsgericht, dass der Beklagte durch die Einholung von Kostenvoranschlägen bereits konkrete Schritte zur Durchführung der Arbeiten vor Zustellung der Aufkündigung gesetzt habe, sodass ihm nicht vorgeworfen werden könne, nunmehr den Ausgang des Verfahrens abwarten zu wollen.
[23] Mit dieser Beurteilung hat das Berufungsgericht den ihm zukommenden Ermessensspielraum aus folgenden Erwägungen ebenfalls überschritten:
[24] Nach den Feststellungen bestanden bereits seit 2015 „Umbaupläne“, schon im Jahr 2017 ließ der Beklagte das Bestandobjekt im Hinblick auf geplante Sanierungsmaßnahmen (bis auf einige Kartons) leerräumen. Zwischen Dezember 2017 und Jänner 2019 wurden – nach dem unstrittigen Inhalt der Beilage ./22 – verschiedene Kostenvoranschläge für die Durchführung von Sanierungsarbeiten eingeholt. Dass der Beklagte bis zur Zustellung der Aufkündigung im Oktober 2019 irgendwelche Sanierungsarbeiten in Auftrag gegeben hätte oder solche wenigstens in Teilen durchgeführt worden wären, behauptete er im Verfahren nicht einmal. Auf dieser Grundlage ist ihm aber der Nachweis nicht gelungen, dass ein Wiederbeginn der regelmäßigen geschäftlichen Tätigkeit in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten ist. Auf die Rechtsprechung, dass es einem Mieter, der bereits konkrete Vorbereitungsarbeiten für Renovierungsarbeiten getroffen hat, nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, das Ende des Gerichtsverfahrens über die Aufkündigung abzuwarten, um danach die Sanierungsarbeiten durchzuführen (8 Ob 131/14v), kann sich der Beklagte nicht mit Erfolg stützen, weil im vorliegenden Fall ein Zeitraum von (zumindest) rund zwei Jahren zwischen dem Fassen des Entschlusses zur Renovierung und dem Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung verstrichen ist und in diesem Zeitraum abgesehen von der Einholung von Kostenvoranschlägen keine weiteren Schritte erfolgten.
[25] 6. Der Revision der Klägerin war damit im Sinn des gestellten Abänderungsantrags Folge zu geben.
[26] 7. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren beruht auf § 50 iVm § 41 ZPO.
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