European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00212.23Z.0220.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.899,44 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen, wobei die erstklagende Partei 70 % der Kosten und die zweitklagende Partei 30 % der Kosten zu tragen hat.
Begründung:
[1] Am 2. Jänner 2019 geriet ein LKW-Gespann, das aus einem Zugfahrzeug mit slowakischem Kennzeichen und einem mit Kunststoffgranulat beladenen Anhänger mit österreichischem Kennzeichen bestand, aufgrund eines Aufmerksamkeitsfehlers des Lenkers und überhöhter Geschwindigkeit ins Rutschen, sodass es die Leitschiene der A 12 (Inntalautobahn) durchbrach und über die Böschung kippte. Zulassungsbesitzerin (und Leasingnehmerin) der bei der Beklagten, einer slowakischen Versicherungsgesellschaft, KFZ-haftpflichtversicherten Zugmaschine ist eine slowakische Gesellschaft (in der Folge: s.r.o.). Zulassungsbesitzerin und Leasingnehmerin des (an die s.r.o. vermieteten) Anhängers ist eine österreichische GmbH (in der Folge: GmbH). Die Autobahnpolizei erteilte einen Auftrag zur Bergung des Sattelzugs, die Voraussetzung für eine Reparatur der Leitschiene war.
[2] Die Erstklägerin, eine deutsche Versicherungsgesellschaft, ist die CMR-Frachtführerhaftpflichtversicherung der s.r.o. und der GmbH. Sie zahlte 19.193,01 EUR an Bergungskosten für die transportierte Ware.
[3] Die Zweitklägerin, ebenfalls eine deutsche Versicherungsgesellschaft, ist die Kaskoversicherung sowohl für die Zugmaschine als auch für den Anhänger. Sie zahlte (soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse) 7.502,17 EUR für die Bergung der Zugmaschine.
[4] Die Erstklägerin begehrt die Zahlung von 19.193,01 EUR sA, die Zweitklägerin von 15.002,17 EUR sA. Die Ansprüche der GmbH auf Ersatz der über Auftrag der Behörde erfolgten Beseitigung bzw Bergung von Ware und LKW-Gespann seien gemäß § 67 VersVG und aufgrund gesonderter Abtretungserklärungen auf die Klägerinnen übergegangen. Die GmbH sei als Leasingnehmerin und Obhutsverpflichtete nach CMR sowie gemäß § 89a Abs 7 StVO verpflichtet gewesen, die Bergungskosten zu begleichen. Außerdem habe die Bergung der Vermeidung eines Umweltschadens gedient. Bergungskosten für Ware und LKW-Gespann seien nach dem insoweit anzuwendenden slowakischen Recht und den vereinbarten Versicherungsbedingungen gedeckt.
[5] Die Beklagte wendet – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – ein, dass es sich um nicht vom Versicherungsschutz umfasste Schäden handle, weil Eigenschäden – also solche wegen der Beschädigung oder Zerstörung des versicherten Fahrzeugs oder der beförderten Sachen – nicht gedeckt seien.
[6] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte rechtskräftig zum Ersatz der Bergungskosten für den Anhänger (von 7.500 EUR sA) an die Zweitklägerin.
[7] Im Übrigen wiesen die Vorinstanzen das Klagebegehren ab.
[8] Das Berufungsgericht führte aus, dass es sich bei den Bergungskosten für die Zugmaschine um einen nach dem insoweit heranzuziehenden slowakischen Recht von der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nicht zu deckenden Eigenschaden handle. Eine Rechtspflicht der GmbH zur Bergung der Ware sei zu verneinen. Ausgehend vom in § 89a StVO geregelten Verursachungsprinzip sei keinesfalls an eine Kostentragungspflicht des Zulassungsbesitzers des Anhängers zu denken. Im Übrigen handle es sich ebenfalls um einen vom KFZ-Haftpflichtversicherungsvertrag nicht umfassten Schaden.
[9] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage der Auslegung des § 89a StVO zu.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision der Klägerinnen ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[11] 1. Dass die Beurteilung deraußervertraglichen Haftung aus dem Verkehrsunfall (2 Ob 27/12b Punkt 2.) nach der Grundregel des Art 3 HStVÜ nach österreichischem Recht zu erfolgen hat, ist im Revisionsverfahren kein Streitpunkt.
[12] Der Umfang der Haftung der beklagten slowakischen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist hingegen nach slowakischem Recht zu beurteilen (Art 7 Rom I-VO; 2 Ob 50/16s Punkt 4.2. [d]), was im Revisionsverfahren ebenfalls kein Streitpunkt ist.
[13] 2. Dem Obersten Gerichtshof kommt keine Leitfunktion bei der Auslegung ausländischen Sachrechts zu (vgl 2 Ob 243/22g Rz 10). Wenn der Revisionswerber nicht darlegt, dass das ausländische Kollisionsrecht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich dieses Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre, liegt eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht vor (RS0042948 [T9]).
[14] 3. Das Berufungsgericht ist unter Berücksichtigung des eingeholten umfassenden Rechtsgutachtens davon ausgegangen, dass die Bergungskosten nach slowakischem Recht (und den in diesem Punkt lediglich den Gesetzeswortlaut wiedergebenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen) von der Beklagten nicht zu deckende Eigenschäden darstellen. Dass durch diese Rechtsansicht eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen slowakischen Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre, zeigt die Revision nicht auf:
[15] Zwar hat der Oberste Gerichtshof der Slowakei eine Deckung in der KFZ-Haftpflichtversicherung in einem Fall bejaht, in dem ein unter anderem mit dem Schutz von Trinkwasserressourcen befasster Rechtsträger (auch) in Erfüllung der allgemeinen Präventionspflicht die Bergung eines havarierten KFZ veranlasste, das eine Gefahr für die Entstehung eines Umweltschadens darstellte. Auch ein slowakisches Regionalgericht ging von einer Deckung durch die KFZ-Haftpflichtversicherung aus, wenn die Bergung der Ladung als Teil der Sanierungskosten des durch den Unfall kontaminierten Geländes anzusehen ist.
[16] Ein solcher Fall von Umweltgefährdung liegt hier nach den Feststellungen aber ebenso wenig vor wie eine Verpflichtung der GmbH zur Tragung von Bergungskosten (siehe sogleich Punkt 4.), sodass die Klägerinnen insgesamt keine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts bei der Auslegung slowakischen Rechts aufzuzeigen vermögen.
[17] 4. Schließlich ist das Berufungsgericht nicht korrekturbedürftig davon ausgegangen, dass die GmbH die revisionsgegenständlichen Ansprüche nicht an die Klägerinnen abtreten (und damit insoweit jedenfalls auch kein gesetzlicher Forderungsübergang erfolgen) konnte:
[18] 4.1. § 89a StVO regelt die Entfernung von Hindernissen „auf der Straße“ (Abs 2). Eine Straße (§ 2 Abs 1 Z 1 StVO) ist eine Landfläche, die dem Fußgängerverkehr oder dem Fahrzeugverkehr gewidmet ist (RS0073091; 2 Ob 194/07d mwN). Das trifft – ebenso wie bei einem neben der Fahrbahn befindlichen Wassergraben (RS0073134) – auf die durch eine Leitschiene von der Fahrbahn getrennte Böschung nicht zu. Schon aus diesem Grund hat das Berufungsgericht eine aus § 89a Abs 7 StVO abgeleitete Verpflichtung der GmbH zur Entfernung des (auf die s.r.o. zugelassenen) Zugfahrzeugs und der Ware in nicht korrekturbedürftiger Weise verneint.
[19] 4.2. Die Obhutsverpflichtung für die Ware und die Verantwortung für die ordnungsgemäße und technische einwandfreie Durchführung des Transports ist durch Erteilung des Auftrags an die s.r.o. als Subfrachtführerin auf diese übertragen worden (7 Ob 91/16g Punkt 9. mwN). Zumal die Haftung für Lieferverzug vertraglich zur Gänze auf die s.r.o. überwälzt wurde, hat das Berufungsgericht eine Verpflichtung der GmbH zur Tragung der Bergungskosten auch insoweit in nicht korrekturbedürftiger Weise verneint.
[20] 4.3. Soweit die Klägerinnen in der Revision argumentieren, die GmbH habe einen typischen Rettungsaufwand getragen, (freiwillig) eine Zahlungsverpflichtung übernommen oder generell Anspruch auf „Aufwandsersatz“ oder aus dem Titel der Geschäftsführung ohne Auftrag gegen die s.r.o. (also die Versicherungsnehmerin der Beklagten), handelt es sich um im Revisionsverfahren unzulässige Neuerungen.
[21] 5. Insgesamt war die Revision damit zurückzuweisen.
[22] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Die Kostenersatzpflicht der Klägerinnen war im (gerundeten) Verhältnis ihrer Beteiligung am Revisionsverfahren auszusprechen.
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