OGH 2Ob50/16s

OGH2Ob50/16s26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Ö*****, vertreten durch Dr. Heimo Jilek & Dr. Martin Sommer, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei M***** Versicherung*****, vertreten durch Tramposch & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 30.595,76 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. Februar 2016, GZ 2 R 206/15z‑14, womit über Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichts Wels vom 20. November 2015, GZ 8 Cg 51/15v‑10, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00050.16S.0126.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden in der Abweisung des Zahlungsbegehrens (30.165 EUR samt 4 % Zinsen seit 26. 5. 2015) aufgehoben, und die Rechtssache wird auch insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Am 2. 9. 2014 gegen 7:20 Uhr ereignete sich in Istanbul, Türkei, ein Verkehrsunfall, bei dem der (dabei ums Leben gekommene) Vater des Klägers als Lenker seines VW Touran, haftpflicht‑ und kaskoversichert beim beklagten Versicherungsverein (als österreichischem Haftpflicht-versicherer), bei einem Spurwechsel auf einen vor ihm fahrenden, in der Türkei zugelassenen und von einem türkischen Staatsbürger gelenkten LKW auffuhr. Der Kläger saß auf dem Beifahrersitz, seine Mutter, die Ehefrau des Lenkers, und seine zwei Brüder saßen auf der Rückbank. Sämtliche Familienmitglieder sind österreichische Staatsbürger, sie befanden sich auf der Rückfahrt von einem Urlaub nach Österreich. Für den PKW war die Grüne internationale Versicherungskarte für die Türkei gültig gelöst worden.

Der Kläger begehrt vom beklagten Versicherungsverein 30.595,76 EUR, und zwar 22.990 EUR Schmerzengeld, 430,76 EUR Behandlungskosten und 7.115 EUR Verdienstentgang; weiters beantragt er die Feststellung von dessen Haftung für zukünftige unfallkausale Schäden. Das Verschulden am Unfall treffe den Vater des Klägers. Nach Art 4 Abs 2 Rom II‑VO sei österreichisches Recht anzuwenden, weil sowohl der Schädiger als auch der Kläger ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt hätten. Sollte das HStVÜ der Rom II‑VO vorgehen, sei zwar grundsätzlich türkisches Recht anwendbar. Nach diesem könnten immaterielle Schäden gegen den Lenker geltend gemacht werden, nicht aber gegen den Haftpflichtversicherer. Dies verstoße aber gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts, weswegen die Haftung des Beklagten gemäß Art 10 HStVÜ dennoch nach österreichischem Recht zu beurteilen sei (Ordre‑public‑Verstoß). Zudem sei es in der Türkei „üblich“, immaterielle Schäden in die Kaskoversicherung einzubeziehen.

Der beklagte Verein beantragt die Abweisung der Klage. Es sei das HStVÜ anzuwenden, das der Rom II‑VO nach deren Art 28 vorgehe. Nach dessen Art 3 sei das Recht des Unfallorts anzuwenden, hier daher türkisches Recht. Nach diesem sei aber immaterieller Schadenersatz gegenüber dem Haftpflichtversicherer ausgeschlossen. Darunter falle nach einer Entscheidung des türkischen Höchstgerichts auch Verdienstentgang. Auch in die Kaskoversicherung seien immaterielle Schäden nicht einbezogen worden. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei ein Unterschied im Umfang der Haftung zwischen ausländischem und österreichischem Recht kein Verstoß gegen den ordre public. Es seien daher lediglich Fahrzeugschaden und Heilungskosten zu ersetzen. Letztere seien aber nicht nachgewiesen. Ein Verdienstentgang stehe nicht zu, weil unklar sei, ob der Kläger eine Anstellung gefunden und das von ihm behauptete Gehalt bezogen hätte. Wegen der Anwendung türkischen Rechts seien auch Spät‑ und Dauerfolgen nicht denkbar und das Feststellungsbegehren daher ebenso abzuweisen.

Das Erstgericht sprach die Behandlungskosten von 430,76 EUR sA zu und wies das Begehren im Übrigen ab. Es sei türkisches Recht anzuwenden. Der dort vorgesehene Ausschluss immaterieller Schäden führe nicht zur Ordre‑public‑Widrigkeit, weshalb der Schmerzengeldanspruch an Art 92 des türkischen Straßenverkehrsgesetzes (TStVG) scheitere und auch ein Verdienstentgang nicht ersatzfähig sei. Auch das Feststellungsbegehren bestehe nicht zu Recht.

Der Zuspruch erwuchs in Rechtskraft, gegen den abweisenden Teil der Entscheidung erhob der Kläger Berufung.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil in Bezug auf das (gesamte) Leistungsbegehren als Teilurteil, hob es aber in Bezug auf die Abweisung des Feststellungsbegehrens auf und verwies die Sache insoweit an das Erstgericht zurück. Es ließ die ordentliche Revision gegen das Teilurteil zu, nicht aber den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss. Der Kläger akzeptiere zwar in der Berufung die Anwendung türkischen Rechts, meine aber, dass seine Direktklage gegen den Beklagten als Haftpflichtversicherer nicht davon umfasst sei, weil das HStVÜ nur die deliktische Haftung regle, nicht aber in das Vertragsstatut betreffend einen von der Versicherungsnehmerin (Mutter des Klägers) in Österreich für ein in Österreich zugelassenes Fahrzeug beim Beklagten als Haftpflichtversicherer abgeschlossenen Versicherungsvertrag eingreife. Dafür berufe sich der Kläger auf die in der Entscheidung 2 Ob 96/08v wiedergegebene Entscheidung des Landesgerichts Feldkirch. Dort habe der Oberste Gerichtshof aber letztlich die Ansprüche gegenüber dem Versicherer nicht auf Basis des Versicherungsstatuts, sondern aufgrund eines Anerkenntnisses gebilligt. Hier sei davon auszugehen, dass der türkische LKW, dem der Vater des Klägers aufgefahren sei, am Unfall „beteiligt“ im Sinne des Art 4 lit a und b HStVÜ gewesen sei, weshalb türkisches Recht anzuwenden sei. Dieses Recht bestimme nach Art 8 Z 1 bis 4 HStVÜ auch den Umfang der Haftung, die Haftungsausschlussgründe und jede Beschränkung sowie Aufteilung der Haftung, das Vorhandensein und die Art der zu ersetzenden Schäden, die Art und den Umfang des Ersatzes. Nach Art 9 HStVÜ sei die hier vorliegende Direktklage zulässig, und zwar sowohl nach Art 97 des türkischen Straßenverkehrsgesetzes (TStVG) als auch nach österreichischem Recht. Davon sei allerdings die Frage zu trennen, welches Recht auf die im Direktklageverfahren durchzusetzenden Schadenersatz-forderungen anzuwenden sei. Ungeachtet seiner versicherungsrechtlichen Aspekte sei der Direktanspruch deliktischer Natur und daher dem Recht des Unfallsorts zu unterstellen. Nach türkischem Recht sei die Geltendmachung von immateriellen Schäden gegenüber dem Haftpflichtversicherer aber ausgeschlossen, was nicht dem österreichischen ordre public widerspreche. Zutreffend argumentiere der Berufungswerber dagegen, dass Spät‑ und Dauerfolgen vorlägen. Das Erstgericht habe zwar dem Begehren auf Ersatz der Behandlungskosten stattgegeben, es aber verabsäumt zu beurteilen, ob nicht doch auch künftig Behandlungskosten, für die die Beklagte auch nach türkischem Recht hafte, anlaufen könnten. Dies führe zur Aufhebung des Ersturteils in Bezug auf das Feststellungsbegehren.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil der Oberste Gerichtshof zumindest in einer älteren Entscheidung (8 Ob 21/84) Direktansprüche im Bereich der gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen andeutungsweise dem Versicherungsstatut und damit österreichischem Recht unterstellt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die ordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, dem Leistungsbegehren vollinhaltlich stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Richtigerweise sei österreichisches Recht anzuwenden; sollte das nicht zutreffen, verstoße der Ausschluss von Schmerzengeld und Verdienstentgang gegen den ordre public.

Der beklagte Verein beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben. Auf den Anspruch sei türkisches Recht anzuwenden, dieses verstoße nicht gegen den ordre public.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die Vorinstanzen (und die Parteien) gehen zutreffend davon aus, dass die Ansprüche des Klägers nach dem HStVÜ (BGBl 1975/387) zu beurteilen sind. Dieses Übereinkommen hat nach Art 28 Rom II‑VO Vorrang vor den Kollisionsnormen dieser Verordnung (2 Ob 136/15m mwN).

2. Nach Art 3 HStVÜ ist auf den Schadenersatzanspruch des Klägers türkisches Recht anzuwenden (Recht des Unfallorts). Die Anwendung österreichischen Rechts nach Art 4 HStVÜ scheitert daran, dass auch ein nicht in Österreich zugelassenes Fahrzeug am Unfall beteiligt war (RIS‑Justiz RS0074369). Die Ansprüche des Klägers gegen den Lenker und den Halter des Fahrzeugs sind daher nach türkischem Recht zu beurteilen. In diesem Zusammenhang ist nicht strittig, dass ein schuldhaft handelnder Lenker nach türkischem Recht für Schmerzengeld und Verdienstentgang haftet.

3. Besteht ein solcher Haftpflichtanspruch, wäre der Deckungsanspruch des (mitversicherten) Lenkers oder Halters gegen den Haftpflichtversicherer nach dem Versicherungsvertrag und jenem Recht zu beurteilen, das auf diesen Vertrag anzuwenden ist (8 Ob 46/76, ZVR 1977/75; 8 Ob 21/84, ZVR 1985/43); hier also nach österreichischem Recht. Denn dieser Anspruch beruht auf dem Versicherungsvertrag; der Haftpflichtversicherer ist danach verpflichtet, die in Anspruch genommenen versicherten Personen von der Haftung freizustellen. Da der Beklagte die Internationale Versicherungskarte für die Türkei ausgestellt hatte, erfasste die Versicherung alle Unfälle, die sich in diesem Staat ereigneten (§ 3 Abs 2 KHVG); auf die Frage, ob der Unfallort im europäischen Teil der Türkei lag (§ 3 Abs 1 KHVG), kommt es daher nicht an. Die Versicherung erstreckt sich nach § 3 Abs 2 KHVG „auf den in dem betreffenden Staat vorgeschriebenen, mindestens jedoch den im Versicherungsvertrag vereinbarten Umfang“.

Der Beklagte war daher jedenfalls gegenüber dem mitversicherten Lenker des Fahrzeugs (bzw gegenüber dessen Verlassenschaft oder dessen Erben) verpflichtet, die nach türkischem Recht bestehenden Ansprüche des Klägers zu befriedigen. Die von den Vorinstanzen herangezogene Regelung des türkischen Rechts, wonach der Haftpflichtversicherer dem Geschädigten für bestimmte Schäden nicht haftet, wäre für diesen Anspruch des mitversicherten Lenkers (bzw seines Nachlasses oder seiner Erben), der österreichischem Recht unterliegt, unerheblich. Auf dieser Grundlage hätte der Kläger nach Erwirken eines Urteils gegen den Schädiger (bzw gegen dessen Rechtsnachfolger) – wie bei jeder anderen Haftpflichtversicherung – exekutiv auf deren Deckungsanspruch gegen den Beklagten greifen können.

4. Fraglich ist demgegenüber, ob der Geschädigte unmittelbar gegen den Beklagten vorgehen kann.

4.1. Ausgangspunkt für die Beurteilung dieser Frage ist Art 9 HStVÜ:

(1) Die geschädigten Personen haben ein unmittelbares Klagerecht gegen den Versicherer des Haftpflichtigen, wenn ihnen ein solches Recht nach dem gemäß Artikel 3, 4 oder 5 anzuwendenden Recht zusteht.

(2) Sieht das nach Artikel 4 oder 5 anzuwendende Recht des Zulassungsstaats ein unmittelbares Klagerecht nicht vor, so kann es gleichwohl ausgeübt werden, wenn es vom innerstaatlichen Recht des Staates zugelassen ist, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat.

(3) Sieht keines dieser Rechte ein solches Klagerecht vor, so kann es ausgeübt werden, wenn es von dem Recht zugelassen ist, das für den Versicherungsvertrag maßgebend ist.

Art 9 Abs 1 HStVÜ verweist auf das nach den Art 3, 4 und 5 HStVÜ anwendbare Recht, hier also auf türkisches Recht. Ein unmittelbares Klagerecht besteht, „wenn“ es nach diesem Recht vorgesehen ist. Das ist– unstrittig – auch nach türkischem Recht der Fall.

4.2. Fraglich ist demgegenüber, ob auch der Umfang des Klagerechts nach diesem Recht zu beurteilen ist.

(a) Der Wortlaut spricht gegen diese Ansicht. Denn die Formulierung von Art 9 Abs 1 HStVÜ weicht signifikant von jener in Art 3 und 4 HStVÜ ab: Während die letztgenannten Bestimmungen das „anzuwendende Recht“ festlegen, beschränkt sich Art 9 Abs 1 HStVÜ auf die Frage, ob geschädigte Personen ein „unmittelbares Klagerecht“ gegen den Haftpflichtversicherer des Haftpflichtigen „haben“. Art 9 Abs 1 HStVÜ regelt daher nicht das auf dieses Klagerecht „anzuwendende Recht“, sondern legt nur fest, unter welcher Voraussetzung es besteht: dann, wenn es in jenem Recht vorgesehen ist, das nach den Kollisionsnormen des HStVÜ auf den Haftpflichtanspruch anzuwenden ist. Dabei verwendet die Bestimmung das Bindewort „wenn“ („if“, „si“), nicht „soweit“ („as far as“, „dans la mesure où“). Dadurch wird deutlich, dass sie sich auf das Bestehen des Klagerechts dem Grunde nach bezieht, also auf die Passivlegitimation des Versicherers, nicht aber auf den Umfang von dessen Deckungspflicht.

(b) Dies deckt sich mit dem Zweck von Art 9 HStVÜ.

Regelte das in Art 9 Abs 1 HStVÜ genannte Recht auch den Umfang des Direktanspruchs, hätte das gravierende Folgen für die Haftung von Versicherern: Ihre Deckungspflicht könnte im Ergebnis allein dadurch erhöht oder begründet werden, dass sich der Unfall in einem Staat ereignete, dessen Recht eine gegenüber dem Versicherungsvertrag und Versicherungsstatut weitergehende Haftung des Versicherers – insbesondere höhere Mindestdeckungssummen – vorsieht. Zwar soll Art 9 HstVÜ durch die stufenweise Anknüpfung an mehreren Rechtsordnungen gewährleisten, dass die Direktklage dem Geschädigten in so vielen Fällen wie möglich zur Verfügung steht (Essen, Erläuternder Bericht Art 9 Rz 3; veröffentlicht auf der Website der Haager Konferenz für IPR, www.hcch.net ). Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass Versicherer allein deswegen gegenüber Dritten einer erhöhten Leistungspflicht unterliegen sollten, weil sich der Unfall in einem anderen Staat als dem Zulassungsstaat ereignete. Zwar könnte der direkt leistende Versicherer in einem solchen Fall Regress bei seinem Vertragspartner nehmen, wenn die Deckungspflicht nach dem (dem Versicherungsstatut unterliegenden) Versicherungsvertrag geringer ist als der nach dem Recht des Unfallorts bestehende Direktanspruch; ein solcher Anspruch wäre indes schon aus betragsmäßigen Gründen kaum jemals durchsetzbar. Ein solches Verständnis kann Art 9 HStVÜ nicht unterstellt werden.

Bei richtigem Verständnis von Art 9 Abs 1 HStVÜ kann das Deliktsstatut daher nicht zu einer Erweiterung der Zahlungspflicht des Versicherers führen. Schon aus systematischen Gründen können dann aber auch Beschränkungen der Haftung des Versicherers, die im Deliktsstatut vorgesehen sind, nicht durchschlagen, wenn der (versicherungsrechtliche) Deckungsanspruch des Schädigers– wie hier – nach einem anderen Recht zu beurteilen ist.

(c) Damit im Einklang hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Frage, wieweit der vom Haftpflichtigen zu ersetzende Schaden mit Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer geltend gemacht werden kann, nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht zu beurteilen ist (8 Ob 46/76, ZVR 1977/7; 8 Ob 21/84, ZVR 1985/43). Zwar unterlag die Haftung des Schädigers in diesen Entscheidungen jeweils nicht dem HStVÜ, weil dieses noch nicht anwendbar war (8 Ob 46/76) bzw der Schädiger auf vertraglicher Grundlage (Beförderungsvertrag) haftete (8 Ob 21/84). Es besteht jedoch nach Wortlaut und Zweck von Art 9 HStVÜ kein Anlass, diese Frage im Anwendungsbereich dieses Übereinkommens anders zu beurteilen (ebenso im Ergebnis Ofner, Glosse zu 2 Ob 58/07d, ZfRV‑LS 2008/30). Denn es wäre sachlich nicht gerechtfertigt, die Klage gegen den Versicherer trotz

– Bestehen des Schadenersatzanspruchs gegen eine mitversicherte Person nach dem Deliktsstatut,

– Bestehen des unmittelbaren Klagerechts nach dem sich aus Art 9 Abs 1 HStVÜ ergebenden Recht und

– aufrechter Deckungspflicht nach dem Versicherungsvertragsstatut

nur deswegen (teilweise) abzuweisen, weil das auf den Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger anwendbare Recht die direkte Haftung des Versicherers (teilweise) verneint. Dabei handelte es sich um einen reinen Formalismus, dem keine erkennbaren Interessen des deckungspflichtigen Versicherers zugrunde liegen: Er könnte zwar nicht unmittelbar in Anspruch genommen werden, wäre aber dennoch gegenüber dem versicherten Lenker deckungspflichtig und müsste daher nicht nur (mittelbar) einen berechtigten Anspruch des Geschädigten erfüllen, sondern auch die Kosten der Abwehr unbegründeter Ansprüche tragen. Richtigerweise ist daher eine Regelung des Deliktsstatuts, die das Klagerecht gegen den Versicherer quantitativ (Haftungshöchstbeträge) oder – wie hier – sachlich beschränkt, nur dann maßgebend, wenn dieses Recht – anders als hier – auch auf den Versicherungsvertrag anzuwenden ist und damit tatsächlich die Deckungspflicht regelt.

(d) Diese Lösung entspricht im Übrigen der herrschenden Meinung zum (hier nicht anwendbaren) Art 18 Rom II‑VO. Danach kann der Geschädigte seinen Anspruch direkt gegen den Versicherer des Haftenden geltend machen, wenn dies nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis oder nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht vorgesehen ist. Delikts‑ und Versicherungsvertragsstatut werden daher alternativ, nicht wie nach Art 9 HStVÜ in Form einer Anknüpfungsleiter berufen; sonst ist aber kein Unterschied zwischen den beiden Regelungen zu erkennen. Auch Art 18 Rom II‑VO regelt aber nur das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach (die Passivlegitimation), nicht den Umfang der Deckungspflicht des Versicherers; diese ist ausschließlich nach dem Statut des Versicherungsvertrags zu beurteilen (Junker, Das internationale Privatrecht der Straßenverkehrsunfälle nach der Rom II‑VO, JZ 2008, 169 [177]; ders in MüKo BGB6 [2015] Art 18 Rom II‑VO Rz 13 f; Lurger/Melcher, Internationales Privatrecht [2013] Rz 5/87; Nordmeier in Hüßtege/Mansel, Rom‑Verordnungen2 [2015] Art 18 Rom II‑VO Rz 22 ff Schaub in Prütting/Wegen/Weinreich 11 [2016] Art 18 Rom II‑VO Rz 3; Thorn in Palandt 75 [2016] Art 18 Rom II‑VO Rz 1; zur vergleichbaren Bestimmung des Art 40 EGBGB offen gelassen in BGH ZR 437/14, NJW 2016, 1648 [Luckey]). Ein tragfähiger Grund, die Rechtslage nach Art 9 HStVÜ anders zu beurteilen, ist nicht erkennbar.

4.3. Aufgrund dieser Erwägungen ist das angefochtene Teilurteil aufzuheben, und die Rechtssache ist auch in Bezug auf das noch strittige Zahlungsbegehren zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Es ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe nach türkischem Recht (Art 3 HStVÜ) ein Schadenersatzanspruch des Klägers gegen den Lenker besteht. Ein solcher Anspruch kann dann auch direkt gegen den deckungspflichtigen Versicherer geltend gemacht werden.

5. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Das nach Art 9 HStVÜ berufene Recht entscheidet, ob der Geschädigte seine nach dem Deliktsstatut zu beurteilenden Schadenersatzansprüche unmittelbar gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers geltend machen kann. Wie weit die Deckungspflicht des Versicherers reicht, ist nach dem Statut des Versicherungsvertrags zu beurteilen.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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