OGH 2Ob200/08p

OGH2Ob200/08p5.3.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache von Vanessa W*****, geboren am ***** 1990, *****, vertreten durch Dr. Karl Rümmele, Dr. Birgitt Breinbauer, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters Edwin Raimund W*****, vertreten durch Dr. Andreas Brandtner, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 3. Juli 2008, GZ 1 R 173/08m-U155, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 19. Mai 2008, GZ 2 P 104/01p-U150, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird die Unterhaltssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Vanessa W*****, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat und deren Eltern geschieden sind, begehrt im gegenständlichen Verfahren von ihrem in Brasilien wohnhaften und dort erwerbstätigen Vater Unterhalt. Der Vater hat in Brasilien eine einkommenslose Lebensgefährtin.

In dem im vorliegenden Verfahren zunächst ergangenen Aufhebungsbeschluss vom 1. April 2008 begründete das Rekursgericht unter Bezugnahme auf brasilianische Rechtsnormen, dass der in Brasilien aufhältige Vater nach brasilianischem Recht für seine Lebensgefährtin grundsätzlich unterhaltspflichtig ist. Das Erstgericht verpflichtete den Vater sodann für die Zeit ab 1. 10. 2004 zu zahlenmäßig jeweils ausgewiesenen monatlichen Unterhaltsbeiträgen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Die Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seiner Lebensgefährtin in Brasilien sei bei der Unterhaltsbemessung für die Tochter nicht zu berücksichtigen, da nach dem anzuwendenden österreichischen Sachrecht der Lebensgefährte nicht unterhaltsberechtigt sei. Das berufene österreichische Sachrecht beherrsche den Unterhaltsanspruch in jeder Hinsicht. Es bestimme den Unterhaltsschuldner, den Umfang und sämtliche Voraussetzungen des Anspruchs.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil eine neue Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob eine am Aufenthaltsort des geldunterhaltspflichtigen Elternteils normierte gesetzliche Unterhaltspflicht für einen Lebensgefährten bei der Ausmittlung des Unterhalts für ein in Österreich aufhältiges Kind zu berücksichtigen sei, nicht existiere. Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der auf unrichtige rechtliche Beurteilung gestützte Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er eine Herabsetzung der Unterhaltsbeträge unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner Lebensgefährtin (mit der er zwei Kinder habe) anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Tochter beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Zutreffend haben die Vorinstanzen den Unterhaltsanspruch nach österreichischem Recht beurteilt. Nach Artikel 1 des Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsstatutabkommen), BGBl 1961/293, bestimmt das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes, ob, in welchem Ausmaß und von wem das Kind Unterhaltsleistungen verlangen kann (RIS-Justiz RS0048513).

Das berufene Sachrecht beherrscht den Unterhaltsanspruch grundsätzlich in jeder Hinsicht (vgl RIS-Justiz RS0103491). Dadurch wird freilich nicht ausgeschlossen, unter Umständen die Lebenshaltungskosten des Vaters, die sich ja nach dem Lohnniveau, den Preisverhältnissen und den gesetzlichen Steuerbestimmungen etc seines Staates richten, nach dessen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0106532).

In der mit dem vorliegenden Fall durchaus vergleichbaren Entscheidung 7 Ob 628/94 = RIS-Justiz RS0047499 ging es um die Berücksichtigung der Sorgepflicht des in Kuba lebenden Vaters gegenüber dem dort adoptierten Kind bei der Bemessung des Unterhalts für in Österreich wohnhafte leibliche Kinder. Der Oberste Gerichtshof führte aus, entscheidend sei lediglich, ob den Vater die weitere Sorgepflicht für das von ihm adoptierte Kind seiner nunmehrigen Ehefrau - nach welcher Rechtsordnung auch immer - tatsächlich treffe und ob die die Unterhaltspflicht anordnende Bestimmung des ausländischen Rechts dem ordre public gerecht werde (§ 6 IPRG). Da feststehe, dass der Vater jedenfalls nach kubanischem Recht unterhaltspflichtig sei, könnte er nicht darauf verwiesen werden, dass er eben für das im Ausland adoptierte Kind keinen Unterhalt leisten solle, weil die Adoption in Österreich ohnehin nicht anerkannt werde. Er würde dadurch geradezu verleitet werden, nach ausländischem Recht eine Unterhaltsverletzung zu begehen, die nur zu rechtfertigen wäre, wenn die nach ausländischem Recht aus der konkreten Adoption resultierende Unterhaltspflicht und damit allenfalls die konkrete Adoption überhaupt dem ordre public widerspräche.

Ebenso hat der Oberste Gerichtshof in 2 Ob 144/06z für die Bemessung des Unterhalts des Kindes gegenüber dem Vater für erheblich gehalten zu ermitteln, nach welchem Recht (dort: österreichischem oder ungarischem) eine allfällige konkurrierende Unterhaltspflicht des Vaters für seine Gattin zu beurteilen sei.

Die Erwägungen der Entscheidung 7 Ob 628/94 sind auch im vorliegenden Fall maßgeblich. Eine Unterhaltspflicht gegenüber dem Lebensgefährten ist mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) nicht unvereinbar (§ 6 IPRG).

Soweit sich aus der Entscheidung 4 Ob 513/96 = SZ 69/77, auf die sich das Rekursgericht gestützt hat, anderes ergibt, kann ihr nicht gefolgt werden.

Die nach brasilianischem Recht bestehende konkurrierende Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seiner Lebensgefährtin hat daher (mindernden) Einfluss auf seiner Leistungsfähigkeit und damit auf seine hier gegenständliche Unterhaltspflicht gegenüber der Tochter. In welchem Ausmaß dies der Fall ist, bestimmt sich gemäß Art 1 des oben genannten Übereinkommens nach österreichischem Recht. Es liegen jedoch keine Feststellungen zur Höhe der Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seiner Lebensgefährtin vor, sodass die Sache nicht entscheidungsreif ist. Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher aufzuheben. Das Erstgericht wird Feststellungen zur Höhe der Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seiner Lebensgefährtin in den gegenständlichen Zeiträumen treffen und sodann unter Berücksichtigung dieser Unterhaltspflicht neuerlich entscheiden müssen.

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