OGH 2Ob192/19b

OGH2Ob192/19b27.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Z*****, vertreten durch Alix Frank Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. G***** R*****, 2. W***** AG Vienna Insurance Group, *****, beide vertreten durch Mag. Gernot Stitz, Rechtsanwalt in Voitsberg, wegen (eingeschränkt) 12.516,88 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 10.000 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 27. August 2019, GZ 6 R 91/19z‑23, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Voitsberg vom 27. März 2019, GZ 2 C 50/18g‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00192.19B.0227.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 917,02 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 152,84 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Erstbeklagte übersah beim Linkseinbiegen an einer geregelten Kreuzung die Mutter des Klägers, die bei Grünlicht die Fahrbahn querte. Es war dunkel, die Fahrbahn war nass, der Fußgängerübergang war nicht direkt beleuchtet und lag in einem etwas abgeschatteten Bereich. Die Mutter des Klägers betrat die Fahrbahn zu einem Zeitpunkt, als der Erstbeklagte noch etwa 24 m von der späteren Kollisionsstelle entfernt war; bis zur Kollision vergingen noch etwa drei bis vier Sekunden. Der Erstbeklagte hätte sie im Lichtkegel des Abblendlichts wahrnehmen und rechtzeitig anhalten können. Seine Abbiegegeschwindigkeit war den konkreten Verhältnissen angemessen. Die Mutter des Klägers kam beim Unfall ums Leben.

Die Vorinstanzen verneinten das Vorliegen grober Fahrlässigkeit und wiesen daher das Begehren des Klägers auf Zahlung von Trauerschmerzengeld ab. Dem Erstbeklagten falle nur ein einziger Sorgfaltsverstoß zur Last, der für sich allein noch nicht jene Intensität erreicht habe, die nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auf grobe Fahrlässigkeit schließen lasse.

Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass die von ihm zitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen teilweise schon lange zurücklägen. Die Sorgfaltsanforderungen an Lenker von Kraftfahrzeugen gegenüber Fußgängern als schwächsten Verkehrsteilnehmern hätten eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, „insbesondere wenn eine Fußgängerin – wie hier – getötet wird.“ Es bestehe daher ein Interesse der Allgemeinheit an der Klärung, ob das Übersehen einer Fußgängerin im Lichtkegel des Abblendlichts unter den gegebenen Umständen nicht doch als grobe Fahrlässigkeit zu werten sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Abweisung seines Schmerzengeldbegehrens gerichtete Revision des Klägers ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs nicht zulässig.

1. Ob der Schädiger leichte oder grobe Fahrlässigkeit zu verantworten hat, ist nach den konkreten Umständen des Falls zu beurteilen und bildet daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (RS0087606 [T8]). Es kommt darauf an, ob ein objektiv schwerwiegender Sorgfaltsverstoß bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls auch subjektiv schwer vorwerfbar ist (RS0030272, RS0031127) und ob der Schadenseintritt zudem als wahrscheinlich voraussehbar war (RS0030359, RS0030477).

2. Da das Vorliegen grober Fahrlässigkeit aufgrund des konkreten Sachverhalts beurteilt werden muss, ist es entgegen den Ausführungen der Revision unerheblich, dass die Verkehrsdichte in den letzten Jahrzehnten generell zugenommen hat. Dass dieser Umstand hier tatsächlich eine Rolle gespielt hätte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Wegen der Einzelfallbezogenheit der Prüfung ist auch keine abstrakte Aussage möglich, ob ein Verstoß gegen § 38 Abs 4 Satz 3 StVO (Verbot der Gefährdung von Fußgängern beim Abbiegen auf geregelten Kreuzungen) ganz allgemein als grobe Fahrlässigkeit anzusehen ist oder nicht.

3. Im konkreten Fall ist dem Erstbeklagten zweifellos ein Beobachtungsfehler unterlaufen. Der Grad von dessen Vorwerfbarkeit ist allerdings ex ante zu beurteilen und kann daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht von den konkreten Unfallfolgen abhängen. Zwar wiegt das Übersehen eines Fußgängers auf einem Schutzweg objektiv schwer, und die Revision zeigt auch zutreffend auf, dass (gravierende) Beobachtungsfehler unter Umständen als grob fahrlässig angesehen werden können (vgl etwa 7 Ob 27/95). Im konkreten Fall ist aber zu berücksichtigen, dass die Erkennbarkeit der Fußgängerin durch Dunkelheit und Nässe herabgesetzt war und der Erstbeklagte eine an sich angemessene Abbiegegeschwindigkeit eingehalten hatte. Unter diesen besonderen Umständen hat das Berufungsgericht mit der Verneinung grober Fahrlässigkeit den ihm in solchen Wertungsfragen zustehenden Beurteilungsspielraum (Lovrek in Fasching/Konecny 3 § 502 ZPO Rz 51 mwN) nicht überschritten.

4. Die Revision ist daher zurückzuweisen. Da die Beklagten auf die Unzulässigkeit hingewiesen haben, hat der Kläger die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen (§ 41 iVm § 50 ZPO).

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