European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:E70692
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit EUR 439,72 (hierin enthalten EUR 73,29 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 20. 3. 2001 ereignete sich gegen 5.50 Uhr früh in Wiener Neustadt auf der B 54, Kreuzung Günser Straße - Aspanger Zeile, ca 30 m südlich der mit einer Schranken‑ und Lichtsignalanlage gesicherten Eisenbahnkreuzung ein Verkehrsunfall zwischen dem PKW des Klägers und jenem der Erstbeklagten, haftpflichtversichert bei der zweitbeklagten Partei, wobei beide Fahrzeuge schwer beschädigt und beide Lenker schwer verletzt wurden; die Höhe der beiderseits erlittenen (und im Verfahren als Klage - bzw Gegenforderung geltend gemachten) Schäden ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
Der Kläger hatte sein Fahrzeug am Unfalltag auf der Günser Straße in südlicher Richtung gelenkt und wollte nach Übersetzung der Eisenbahnkreuzung die Kreuzung mit der Aspanger Zeile richtungsbeibehaltend überqueren. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Blinklicht der Eisenbahnkreuzung bereits rot zu blinken begonnen; die Schranken waren jedoch noch geöffnet. Der Kläger näherte sich der späteren Unfallstelle trotz erlaubter Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von 50 km/h mit einer solchen von 65 km/h.
Die Erstbeklagte ihrerseits lenkte ihr Fahrzeug auf der Günser Straße in nördlicher, also entgegengesetzter Richtung und wollte an der Kreuzung mit der Aspanger Zeile nach links in diese einbiegen. Bei Beginn des Linksabbiegemanövers befand sie sich noch rund 32 m vor der späteren Kollisionsstelle bzw 42 m vom klägerischen Fahrzeug entfernt. Ihre Abbiegegeschwindigkeit betrug 20 km/h. Vor dem Einbiegen hatte die Erstbeklagte das rot blinkende Licht an der Eisenbahnkreuzung, nicht jedoch den sich nähernden Kläger bemerkt; sie war der Meinung, allenfalls kommende Fahrzeuge würden wegen des rot blinkenden Lichtes vor der Eisenbahnkreuzung anhalten. Auch der Kläger hat das Beklagtenfahrzeug vor der Kollision nicht wahrgenommen. Auf Grund seiner deutlich überhöhten Geschwindigkeit war ihm eine Abwehrreaktion nicht mehr möglich. Bei aufmerksamer Fahrweise der Erstbeklagten bzw erlaubter Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeuges von 50 km/h wäre die Kollision unterblieben.
Der Kläger begehrte den Ersatz seines zuletzt mit EUR 12.657,06 sA bezifferten Schadens vorerst aus dem Alleinverschulden der Erstbeklagten, da sich diese ihm gegenüber im Nachrang befunden habe. In der letzten Streitverhandlung wurde ein 20 %‑iges Eigenverschulden am Zustandekommen des Unfalles eingeräumt.
Die beklagten Parteien räumten ein 50 %‑iges (im Berufungsurteil S 2 = AS 175 ‑ in offenbarer Verwechslung zum klägerischen ergänzenden Vorbringen ON 31 - unrichtig: 20 %‑iges) Mitverschulden der Erstbeklagten ein (Schriftsatz ON 6) und bestritten das Klagebegehren nur im darüber hinausgehenden Umfang. Der eigene Schaden von S 113.800,‑- wurde als Gegenforderung eingewendet. Die Erstbeklagte habe sich zwar als Linksabbiegerin gegenüber dem Kläger im Nachrang befunden, doch habe dieser den unmittelbar vor der Unfallkreuzung befindlichen Bahnübergang übersetzt, obwohl dessen Lichtsignalanlage bereits seit längerem rot geblinkt und somit das Schließen der Schranken angekündigt habe; darüber hinaus sei ihm eine überhöhte Geschwindigkeit vorzuwerfen.
Das Erstgericht erkannte die Klageforderung als mit EUR 7.910,67 und die Gegenforderung als mit EUR 4.091,50 als zu Recht bestehend an und verpflichtete die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung von EUR 3.819,17 samt 4 % Zinsen seit 2. 8. 2001; das Mehrbegehren von EUR 8.837,89 wurde abgewiesen. Es beurteilte den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass sich der Kläger zwar ungeachtet des rot blinkenden Lichtes der Eisenbahnkreuzung gegenüber der Erstbeklagten im Vorrang (§ 19 Abs 5 StVO) befunden habe; dennoch rechtfertige das Unterlassen des Anhaltens vor der Eisenbahnkreuzung iVm der eingehaltenen überhöhten Geschwindigkeit (§ 20 Abs 2 StVO) eine Verschuldensteilung von 1 : 1.
Das vom Kläger (unter Zugestehen einer Mitverschuldensquote von nunmehr einem Drittel) lediglich in Ansehung einer Mehrbegehrensabweisung von EUR 4,000,71 (sodass die Abweisung von EUR 4.837,18 als unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist) angerufene Berufungsgericht gab seinem Rechtsmittel keine Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und schloss sich auch in rechtlicher Hinsicht dessen Beurteilung an. Insbesondere habe das Erstgericht zutreffend auch einen Verstoß gegen §§ 18 Abs 2, 19 Abs 1 Eisenbahn‑Kreuzungsverordnung (BGBl 1961/2 idgF - im Folgenden kurz: EisbKrV) angenommen, da das durch das Aufleuchten des Rotlichtes signalisierte Anhaltegebot nach der Rechtsprechung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien (anders der den Schutzzweck enger sehende Oberste Gerichtshof in seiner älteren Rechtsprechung) nicht nur Unfälle mit Schienenfahrzeugen zu verhindern bezwecke, sondern auch den Schutz aller übrigen Verkehrsteilnehmer zum Inhalt habe; nach neuerer Rechtsprechung scheine jedoch auch der Oberste Gerichtshof anzunehmen, dass die bloß aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht in der StVO (mit‑)geregelten Normen der EisbKrV zwar nicht primär, jedoch jedenfalls auch der Abwehr solcher Gefahren dienten, welche sich unter Kraftfahrzeugen im Zusammenhang mit dem Befahren von Eisenbahnkreuzungen ergäben. § 18 Abs 2 letzter Satz leg cit, wonach bestimmte Lastkraftwagen ua in einem Abstand von etwa 100 m vor der Eisenbahnkreuzung anzuhalten haben, damit die Lenker anderer Fahrzeuge in der Lage sind, sich vor ihnen einzureihen, sei offensichtlich auch von der Überlegung getragen, die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auch im Zusammenhang mit Eisenbahnkreuzungen zu regeln. Nichts anderes könne für § 16 Abs 2 lit b EisbKrV gelten (Überholverbot mehrspuriger Kraftfahrzeuge innerhalb von 80 m vor bis unmittelbar nach einer Eisenbahnkreuzung). Beide Bestimmungen zeigten, dass die These des Schutzzweckes bloß in Richtung des Verkehrs unmittelbar auf der Eisenbahnkreuzung zu eng scheine. Vor diesem Hintergrund dürfe grundsätzlich darauf vertraut werden, dass andere Verkehrsteilnehmer zufolge Aufleuchtens des Rotlichtes vor einer Eisenbahnkreuzung diese nicht mehr überqueren. Die Missachtung des absoluten Anhaltegebotes des § 19 Abs 1 EisbKrV samt Verstoß gegen § 20 Abs 2 StVO (absolut überhöhte Geschwindigkeit) rechtfertige daher die vom Erstgericht vorgenommene gleichteilige Verschuldensteilung.
Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil die aufgeworfene Rechtsfrage des Schutzzweckes des § 19 Abs 1 EisbKrV von der im § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die (erkennbar) auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne ihrer Berufungsanträge abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien beantragen, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht formulierten Grunde zulässig, jedoch - im Ergebnis - nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zunächst ist - in Erwiderung zu den Formaleinwänden der Revisionsbeantwortung - voranzustellen, dass die hierin relevierten Formmängel nicht vorliegen und daher weder eine sachliche Behandlung des Rechtsmittels hindern noch dessen (vorangehende) Verbesserung erfordern. Aus dem Inhalt des Rechtsmittels (insbesondere dessen ziffernmäßig genau bezeichneten primärem Revisionsantrag) geht nämlich sowohl eindeutig hervor, in welchem Umfang das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz bekämpft wird (vgl 7 Ob 159/99d), als auch, dass dies unter Relevierung des Rechtsmittelgrundes des § 503 Z 4 ZPO (unrichtige rechtliche Beurteilung bei der Auslegung des Schutzzweckes des § 19 Abs 1 EisbKrV) geschieht. In einem solchen Fall hat das Fehlen einer gesonderten Anfechtungserklärung in der Revision nicht die Verwerfung des Rechtsmittels zur Folge (RIS‑Justiz RS0041771). Dieses ist daher meritorisch zu behandeln. Dabei hat der Oberste Gerichtshof folgendes erwogen:
Streitpunkt bildet nur (noch) die Frage, ob dem Kläger das Überfahren der nach der maßgeblichen Tatsachengrundlage bereits durch rot blinkendes Lichtsignal gesicherten Eisenbahnkreuzung vor der späteren Unfallstelle "als weiteres Mitverschulden angelastet werden kann"; sowohl der von beiden Vorinstanzen der Erstbeklagten angelastete Vorrangverstoß nach § 19 Abs 5 StVO als auch die Einhaltung einer gegen § 20 Abs 2 StVO verstoßenen Geschwindigkeit durch den Kläger sind hingegen im Revisionsverfahren unstrittig. Nach § 16 Abs 1 EisbKrV haben sich Straßenbenützer bei Annäherung an Eisenbahnkreuzungen unter Beachtung der Straßenverkehrszeichen und auf Grund der vorhandenen Sichtverhältnisse so zu verhalten und insbesondere ihre Geschwindigkeit so zu wählen, dass sie erforderlichenfalls vor der Eisenbahnkreuzung anhalten können (RIS‑Justiz RS0058426). Wenn optische oder akustische Zeichen ein Schließen der Schranken (einer durch Schrankenanlagen gesicherten Eisenbahnkreuzung) ankündigen, ist gemäß § 18 Abs 2 EisbKrV vor den Schranken anzuhalten; (nur) wenn ein sicheres Anhalten bei Aufleuchten des gelben Lichtes nicht mehr möglich ist, haben die Fahrzeuglenker weiter zu fahren (ebenso § 19 Abs 1 zweiter Satz EisbKrV). Die Eisenbahnkreuzung darf erst übersetzt werden, wenn die Schrankenbäume wieder vollkommen geöffnet sind und bei Einrichtungen zur Abgabe von Lichtzeichen das gelbe und das rote Licht erloschen sind (§ 18 Abs 3 iVm § 19 Abs 2 EisbKrV). Wenn an einer Eisenbahnkreuzung, die durch eine Lichtzeichenanlage gesichert ist, gelbes oder rotes Licht aufleuchtet, müssen die Straßenbenützer gemäß § 19 Abs 1 erster Satz EisbKrV vor der Eisenbahnkreuzung anhalten. Erst wenn ein gefahrloses Übersetzen der Eisenbahnkreuzung möglich und erlaubt ist, hat dies gemäß § 16 Abs 3 leg cit ohne Verzögerung und so rasch wie möglich zu erfolgen (vgl auch § 19 Abs 4 letzter Satz EisbKrV; 2 Ob 224/00f).
Wer sich einem schienengleichen Eisenbahnübergang nähert, ist zu einem überdurchschnittlichen Maß der Aufmerksamkeit und Vorsicht verpflichtet (ZVR 1960/353; RIS‑Justiz RS0058423, RS0058486). Die Gebote und Verbote der StVO gelten auch für Eisenbahnübergänge. Wie bereits der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26. 2. 1965 ausführte, sollen die eisenbahnrechtlichen (Sonder‑)Vorschriften nur der Abwehr der speziellen Gefahren, die sich aus der Querung der Eisenbahnlinie durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Straße ergeben, dienen (Slg 4907 = ZVR 1966/17). Diesen Schutzzweck, nämlich nur derartige Schäden zu verhindern, nicht aber auch solche, die ohne Zusammenhang mit dem Betrieb der Eisenbahn außerhalb der Eisenbahnkreuzung auf Grund einer Kollision zweier Kraftfahrzeuge auf einer erst hinter (hier: immerhin 30 m nach) der Eisenbahnlinie befindlichen Straße entstehen, hat auch der Oberste Gerichtshof in der Folge in seinen Entscheidungen 2 Ob 53/86 (ZVR 1988/44) und 2 Ob 14/87 (ZVR 1988/61) - wenngleich bei in Einzelheiten abweichenden Fallkonstellationen - ausgesprochen und fortgeschrieben; daran ist auch hier festzuhalten.
Wenn sohin auch - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - der Rotlichtverstoß des Klägers ausschließlich die unmittelbar vor ihm befindliche Eisenbahn‑ und nicht auch die erst beträchtlich dahinter liegende Straßenkreuzung betraf und damit auch nicht seinen (von den beklagten Parteien ohnedies nicht in Abrede gestellten) Vorrang gegenüber der Erstbeklagten berührte, so ist damit im Ergebnis für ihn doch nichts gewonnen. Unter den gegebenen Umständen (Überfahren des Eisenbahnüberganges bei blinkendem Rotlicht, mit dem die Erstbeklagte als Teilnehmerin des Gegenverkehrs nicht rechnen musste, samt weit überhöhter Geschwindigkeit) wiegt die Üerschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit, die hier nicht einmal eingehalten hätte werden dürfen, so schwer, dass sich der Kläger trotz seines Vorranges durch die Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 nicht für beschwert erachten kann.
Damit ist aber seiner Revision (im Ergebnis) keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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