Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit S 11.842,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.305,-- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger stieß am 18.April 1985 um ca. 5 Uhr 30 im Ortsgebiet von Ebensee auf der Kreuzung der Dr. Rasperstraße und der Alten Traunstraße mit seinem Moped mit einem von rechts kommenden, vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW zusammen, wodurch er schwer verletzt wurde. Mit der Behauptung, der Erstbeklagte habe eine Stoptafel mißachtet und den Unfall hiedurch allein verschuldet, begehrt er den Ersatz eines erlittenen Schadens in der Höhe von S 262.500 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für seine künftigen, aus dem Unfall entstehenden Schäden, und zwar hinsichtlich der zweitbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung.
Die vom Kläger genannte Stoptafel gelte lediglich für eine vor der gegenständlichen Straßenkreuzung gelegene Eisenbahnkreuzung, sodaß zwischen der Mißachtung der Stoptafel und dem Straßenverkehrsunfall kein Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehe. Der Kläger habe den Rechtsvorrang des Erstbeklagten verletzt und den Unfall hiedurch selbst verschuldet.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Sein Urteil wurde vom Berufungsgericht bestätigt; dieses sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von S 300.000 übersteige. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt der Kläger eine auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Nach den unbekämpften erstgerichtlichen Feststellungen fuhr der Erstbeklagte auf der Alten Traunstraße in Richtung der Kreuzung mit der von links kommenden Dr.Rasperstraße und wollte diese Kreuzung in Geradeausfahrt überqueren. Im Zuge der Annäherung an diese Straßenkreuzung mußte er eine vor dieser gelegene Eisenbahnkreuzung überqueren, vor welcher sich in seiner Fahrtrichtung ein Andreaskreuz und eine auf dessen Halterung angebrachte Stoptafel befanden. Er verringerte bei dieser Kreuzung seine Fahrgeschwindigkeit von 50 bis 57 km/h geringfügig und beschleunigte sodann wieder, "nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß ein Passieren der Eisenbahnkreuzung auch ohne Anhalten möglich sei". Unmittelbar nachdem er begann, den PKW wieder zu beschleunigen, bemerkte er den von links in die Straßenkreuzung einfahrenden Kläger. Nach einer versuchten Abbremsung stieß er mit einer Geschwindigkeit von knapp unter 50 km/h gegen das Moped des Klägers. Dieser hatte sich auf der Dr.Rasperstraße mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 30 km/h genähert, diese Geschwindigkeit vor der Kreuzung nur geringfügig reduziert und war sodann in die Kreuzung eingefahren, weil er der Meinung war, der von rechts kommende Erstbeklagte sei im Hinblick auf die vor der Eisenbahnkreuzung angebrachte Stoptafel zum Anhalten vor dem Eisenbahnübergang verpflichtet. Die Anstoßgeschwindigkeit des Mopeds betrug 20 bis 30 km/h. Der Erstbeklagte hatte nach einer Reaktionszeit von 1 bis 1,2 Sekunden reagiert und befand sich zu diesem Zeitpunkt im Bereiche der vor dem Eisenbahnübergang aufgestellten Stoptafel. In diesem Augenblick war der Kläger mit seinem Moped noch 1,5 bis 3 m von "der Fluchtlinie der Alten Traunstraße" entfernt. Das gegen den Erstbeklagten wegen dieses Unfalles eingeleitete Strafverfahren endete mit einem rechtskräftigen Freispruch.
In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht vom Rechtsvorrang des Erstbeklagten und einem fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dessen Mißachtung der vor der Eisenbahnkreuzung angebrachten Stoptafel und dem Unfall auf der nachfolgenden Straßenkreuzung aus. Der Erstbeklagte habe nicht gegen eine straßenverkehrsrechtliche, sondern gegen eine eisenbahnrechtliche Vorschrift verstoßen. Eisenbahnrechtliche Vorschriften dienten nur der Abwehr der speziellen Gefahren, die sich aus der Querung der Eisenbahnlinie und einer öffentlichen Straße ergäben. Somit könne sich der Kläger nicht auf die unterlassene Einhaltung einer Norm, welche "dem Schutz von Eisenbahnkreuzungen diene" berufen. Ebensowenig aber auch auf den Vertrauensgrundsatz, da er seinerseits den Rechtsvorrang des Erstbeklagten verletzt habe. Tatsächlich hätte der Kläger auch nach Wahrnehmung des Fahrzeuges des Erstbeklagten vor der Kreuzung anzuhalten vermocht. Somit falle ihm eine schwerwiegende Verkehrswidrigkeit und das Alleinverschulden am Unfall zu Last. Das Berufungsgericht hielt weder die Mängel- noch die Rechtsrüge der Berufung des Klägers für gerechtfertigt. Die Ansicht des Berufungswerbers, dem Erstbeklagten sei durch die Stoptafel die Möglichkeit einer zulässigen Weiterfahrt verwehrt gewesen, könne nicht geteilt werden. Bei der Frage der Möglichkeit der Weiterfahrt komme es auf die tatsächliche Möglichkeit und nicht darauf an, ob der Kraftfahrer verpflichtet gewesen wäre, vor seiner Weiterfahrt anzuhalten. Der Schutzzweck des vor einer Eisenbahnkreuzung angebrachten Straßenverkehrszeichens "Halt" erstrecke sich lediglich auf die spezifischen Gefahren, die sich aus der Querung der Eisenbahnlinie durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Straße ergäben. Dieser Schutzzweck könne nicht auf den folgenden Kreuzungsbereich zweier Straßen erstreckt werden. Somit habe das Erstgericht zu Recht den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Nichtanhalten des Erstbeklagten vor der Eisenbahnkreuzung und dem außerhalb des Bereiches der Eisenbahnkreuzung erfolgten Unfall verneint und dem Kläger einen Verstoß gegen den Rechtsvorrang angelastet, zumal sich dieser wegen seiner eigenen Verkehrswidrigkeit auch nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen könne. Im Hinblick auf das Verschulden des Klägers am Unfall komme im Sinne der Rechtsprechung auch eine Schadensteilung nach § 11 Abs 1 EKHG nicht in Betracht, eine außergewöhnliche Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Erstbeklagten sei nicht vorgelegen. In seiner Revision führt der Kläger aus, der Erstbeklagte sei rechtlich verpflichtet gewesen, das vor der Eisenbahnkreuzung aufgestellte Verkehrszeichen "Halt" zu beachten. Die Eisenbahnkreuzung befinde sich unmittelbar vor der Straßenkreuzung. Somit sei ihm aber kein Vorrang zugekommen. Der Kläger habe auf die vorschriftsmäßige Fahrweise des Erstbeklagten vertrauen und daher seinerseits in den Kreuzungsbereich einfahren dürfen. Im übrigen liege in der Nichtbeachtung der Stoptafel eine besondere Gefahrenquelle, aus welcher eine außergewöhnliche Betriebsgefahr hervorgehe, so daß ein Schadensausgleich nach § 11 Abs 1 EKHG gerechtfertigt erscheine.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Gemäß § 52 Z 24 letzter Satz StVO ergibt sich aus den eisenbahnrechtlichen Vorschriften, ob und in welcher Entfernung vor schienengleichen Eisenbahnübergängen das in dieser Gesetzesstelle genannte Verkehrszeichen "Stop" anzubringen ist (vgl. § 6 StVO). Daran, daß im gegenständlichen Falle das solcherart vor der Eisenbahnkreuzung aufgestellte Verkehrszeichen "Stop" (siehe auch §§ 14, 15 EisenbahnkreuzungsVO) nur für diese und nicht für die nachfolgende, ca. 7 bis 8 m nach diesem Aufstellungsort liegende Straßenkreuzung gelten sollte, besteht kein Zweifel (siehe die im Strafakt 2 U 311/85 des BG Bad Ischl zu ON 2 AS 25 erliegenden Lichtbilder von der Unfallstelle). Es liegt auch keine einheitliche Kreuzung vor (siehe Lichtbilder).
Wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung 2 Ob 53/86 aussprach, ergibt sich aus dem Inhalt der vom Bundesministerium für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft aufgrund des Eisenbahngesetzes erlassenen EisenbahnkreuzungsVO eindeutig, daß die dort enthaltenen Schutznormen der Sicherheit des Verkehrs auf Eisenbahnkreuzungen dienen und Gefahren bei Benützung der Eisenbahnkreuzung vermeiden sollen (vgl. auch ZVR 1966/17). Sie haben aber nicht den Zweck, Schäden zu verhindern, die ohne Zusammenhang mit dem Betrieb der Eisenbahn außerhalb der Eisenbahnkreuzung aufgrund der Kollision zweier Kraftfahrzeuge auf der Straße eintreten.
Somit ist im vorliegenden Fall der Ansicht der Unterinstanzen zu folgen, daß zwischen der Mißachtung des vor der Eisenbahnkreuzung angebrachten Verkehrszeichens "Halt" (§ 52 Z 24 StVO) durch den Erstbeklagten und dem auf der nachfolgenden Straßenkreuzung eingetretenen Zusammenstoß seines Fahrzeuges mit jenem des Klägers kein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht. Dies wäre nach ständiger Rechtsprechung nur dann der Fall gewesen, wenn der Schutzzweck der übertretenen Norm nach ihrem teleologisch zu interpretierenden Inhalt gerade den Schaden verhüten hätte wollen, der im konkreten Fall eingetreten ist (ZVR 1974/265, ZVR 1979/254, ZVR 1984/214; 2 Ob 53/86 u.v.a.).
Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers war der Erstbeklagte durch das Stopzeichen rechtlich auch nicht am "Weiterfahren in die Straßenkreuzung" gehindert. Durch dieses Zeichen war er verpflichtet, vor der Eisenbahnkreuzung anzuhalten. Nach seiner diesbezüglichen vorschriftswidrigen Überquerung der Eisenbahnkreuzung war er aber am Weiterfahren und Einfahren in die einige Meter nach dem Ende der Eisenbahnkreuzung beginnende Straßenkreuzung, vor welcher sich kein seine Weiterfahrt beschränkendes Verkehrszeichen befand - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kommt es nicht bloß auf die tatsächliche Möglichkeit, sondern die rechtliche Zulässigkeit der Weiterfahrt an (2 Ob 1/79; ZVR 1979/102, 1980/131, 1984/115 u.a.) - rechtlich nicht gehindert. Gegenüber dem Kläger kam ihm gemäß § 19 Abs 1 StVO auf dieser Straßenkreuzung der Rechtsvorrang zu. Der Kläger hatte diesen Rechtsvorrang zu wahren und im Sinne der ständigen Rechtsprechung (ZVR 1974/44, 1978/70, 1986/27 uva) auf den vorrangigen Verkehr in seiner tatsächlichen Gestaltung Bedacht zu nehmen. Eine Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h durch den Erstbeklagten wurde nicht festgestellt. Somit kann ihm kein Verschulden am Unfall angelastet werden.
Die schließliche Revisionsbehauptung, in der Nichtbeachtung der Stoptafel durch den Erstbeklagten liege eine besondere Gefahrenquelle, aus welcher eine zur Schadensteilung führende außergewöhnliche Betriebsgefahr hervorgehe, übersieht, daß sich die außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2, § 11 Abs 1 EKHG auf die aus dem Betrieb des Fahrzeuges hervorgehenden Gefahren und nicht auf die Schwere der Verkehrswidrigkeit des Kraftfahrzeuglenkers bezieht. Damit, daß vorliegendenfalls der Erstbeklagte als Vorrangberechtigter mit einer im Ortsgebiet zulässigen Geschwindigkeit in die Straßenkreuzung einfuhr, war keine aus dem Betrieb seines PKW hervorgehende außergewöhnliche Betriebsgefahr verbunden. Auch eine Schadensteilung nach § 11 Abs 1 EKHG kommt hier demnach nicht in Betracht. Der ungerechtfertigten Revision war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)