European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00149.22H.0927.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.
Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.750,30 EUR (darin 291,72 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.015,57 EUR (darin 210,11 EUR USt und 1.754,90 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Streitparteien sind Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke in einer Sackgasse am Waldrand im Wiener Umland. In einem Vorprozess begehrten die Kläger von den Beklagten 2017 die Vornahme geeigneter Maßnahmen zur Reduktion der mit ihrer Luftwärmepumpe verbundenen Lärmentwicklung.
[2] Die Parteien vereinbarten nach ausführlichen Vergleichsgesprächen das Ruhen des Verfahrens. In der Folge trafen die jeweils anwaltlich vertretenen Streitteile eine Einigung dahin, dass die Luftwärmepumpe (im Sinne eines Vorschlags des im Vorprozess bestellten Sachverständigen) mit einer Schallschutzhaube ummantelt wird. Die Kläger verlangten, dass zwei von ihnen ausgewählte Unternehmen von den Beklagten mit den Arbeiten beauftragt werden. Das entsprechende Schreiben des Klagevertreters schloss mit dem Satz: „Mit ordnungsgemäßer Herstellung der Arbeiten wie in den Angeboten beschrieben sind sämtliche wechselseitigen Rechte und Pflichten betreffend die Aufstellung der Wärmepumpe bereinigt und verglichen“.
[3] Der Vertreter der Beklagten replizierte daraufhin, dass diese prinzipiell zustimmten, dies aber nur unter der Voraussetzung, dass die Kläger die Barauslagen und Gerichtsgebühren des Vorprozesses tragen (Punkt 1). Weiters wurde als Punkt 2 Folgendes festgehalten: „Sollten die durchzuführenden Arbeiten wider Erwarten Ihre Mandantschaft nicht zufrieden stellen, muss Ihre Mandantschaft 'damit leben'. Die Thematik 'Wärmepumpe' ist durch gegenständlichen Vergleich auf ewig bereinigt und verglichen.“
[4] In seinem darauffolgenden Antwortschreiben stimmte der Klagsvertreter dem Inhalt des Schreibens („insbesondere auch den Punkten 1 und 2.“) ausdrücklich zu, „sodass mit der Durchführung der außergerichtlichen Einigung begonnen werden kann“.
[5] Die vereinbarten Arbeiten wurden von den Beklagten im Sinne der Kläger beauftragt, ordnungsgemäß durchgeführt und von den Klägern bezahlt. Nach weiterer Korrespondenz zwischen den Parteienvertretern, wonach der Abschluss der vereinbarten Arbeiten gegenseitig bestätigt wurde, teilte der damalige Klagevertreter im Oktober 2018 dem Gericht im Vorprozess mit, dass eine außergerichtlich geschlossene Vergleichsvereinbarung nunmehr erfüllt sei und im Verfahren „ewiges Ruhen“ eintreten solle.
[6] Die Kläger gingen aufgrund der technischen Informationen des Schallhaubenherstellers von einer Senkung der Lautstärke und nicht davon aus, dass ein anderes Problem auftreten könnte. Hätten die Kläger gewusst, wie sich die Immission in Folge entwickelt und wie sie darunter leiden, hätten sie den Vergleich nicht geschlossen.
[7] Nach Durchführung der Arbeiten im Sommer 2018 wurden die Kläger durch die davor von der Pumpe ausgegangenen Lärmimmissionen nicht mehr gestört. Die im Zuge des Vergleichs durchgeführten Arbeiten (Schallschutzgehäuse sowie Aufstellung einer Gabionenwand und Anbringung von Schalbrettern) führten zu einer gewissen Reduktion der spezifischen Schallimmissionen auf der Nachbarliegenschaft.
[8] Mit dem dauerhaften Heizbetrieb der Pumpe im Winter nahmen die Kläger aber eine veränderte und störende Geräuschkulisse war. Sie spüren und hören das Geräusch der Pumpe nunmehr als Brummen mit einer tieffrequenten Tonhaltigkeit. Die Wahrnehmung des Geräusches ist auf die Schallschutzhaube zurückzuführen, die zu einer Veränderung der Frequenzzusammensetzung des Störgeräuschs führt; sie lässt nämlich die tieferliegenden Komponenten stärker in Erscheinung treten. Die Einhausung hat aber das tieffrequente Geräusch nicht verstärkt. Wegen der Wahrnehmung des tieffrequenten Tons resultieren für die Kläger und deren Tochter gesundheitliche Einschränkungen, sie leiden subjektiv unter dem von der Pumpe ausgehenden Lärm. Einer weiteren Aufforderung zur Behebung der Geräusche kamen die Beklagten nicht nach.
[9] Die Kläger begehren von den Beklagten, geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit das (näher spezifizierte) Ausmaß von jedweden Einwirkungen durch Schall, ausgehend von der auf dem Beklagtengrundstück errichteten Luftwärmepumpe oder ähnlichen Installationen zu näher bestimmten Zeiten nicht überschritten wird. Zudem stellen sie mehrere Eventualbegehren.
[10] Die Beklagten wandten das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit zum Vorprozess ein, weil die Kläger keinen neuen Sachverhalt geltend machten. Diese hätten vielmehr den Vorprozess fortsetzen müssen. In der Sache hielten die Beklagten der Klage ua die Bereinigungswirkung des Vergleichs entgegen.
[11] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es verneinte das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit zum Vorprozess, weil sich die Pumpe nun in einem anderen Zustand befinde und jetzt tieffrequente Geräusche auftreten würden. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, dass die von der Luftwärmepumpe jetzt ausgehenden Lärmemissionen von der Bereinigungswirkung des Vergleichs umfasst seien. Die Kläger hätten erkennen können, dass der im Vorprozess vom lärmtechnischen Gutachter erstattete Lösungsvorschlag den gewünschten Erfolg nicht zwingend garantiere.
[12] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im stattgebendem Sinn ab. Es ging davon aus, dass die nun zu beurteilende Geräuschkulisse nicht von vornherein vorgelegen, sondern eine Folge der im Vergleich vereinbarten Maßnahmen sei. Im Zweifel könne nicht davon ausgegangen werden, dass mit der im Vergleich enthaltenen Generalklausel auch Streitigkeiten mitverglichen sein sollten, die erst durch den Vergleich geschaffen worden seien. Den Wert des Entscheidungsgegenstands bemaß das Berufungsgericht mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und erklärte die ordentliche Revision mangels Rechtsprechung zur Frage für zulässig, ob mit einer in einem Vergleich enthaltenen Generalklausel im Zweifel auch Streitigkeiten mitverglichen sein sollen, die sich erst aufgrund der im Vergleich vereinbarten Maßnahme ergeben.
[13] Gegen diese Entscheidung richtet sich die – von der Klägerin beantwortete – Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[14] Entgegen den Ausführungen der Klägerin ist das am 9. 7. 2022 eingebrachte Rechtsmittel rechtzeitig (Zeit der Zustellung des Berufungsurteils nach § 89d Abs 2 GOG am 13. 6. 2022).
Rechtliche Beurteilung
[15] Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht den Vergleich hinsichtlich seiner Bereinigungswirkung in unvertretbarer Weise ausgelegt hat (vgl RS0042936 [T7]). Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.
[16] 1. Das Erstgericht hat den von den Beklagten erhobenen Einwand der Streitanhängigkeit ausdrücklich verneint. Die Beklagten haben diese Beurteilung nicht bekämpft, obwohl sie – ungeachtet des Umstands, dass sie in erster Instanz in der Sache obsiegten – durch die Verneinung des Prozesshindernisses beschwert waren (1 Ob 142/17i mwN). Damit liegt aber eine bindende Entscheidung über die Prozesseinrede vor, die vom Obersten Gerichtshof nicht mehr geprüft werden kann (RS0035572 [T39]).
[17] 2. Bei der Prüfung der Bereinigungswirkung eines Vergleichs steht die Frage im Fokus, wie dieser auszulegen ist (vgl Aigner, Der zivilrechtliche Vergleich [2022] 165 und 303). Die Vorinstanzen haben unterschiedlich beurteilt, ob die nun geltend gemachten Ansprüche der Kläger von der Bereinigungswirkung des außergerichtlichen Vergleichs umfasst sind.
[18] 3. So wie ein Vertrag ist auch ein Vergleich grundsätzlich nach den §§ 914 f ABGB im Sinne der Vertrauenstheorie zu verstehen und so auszulegen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (vgl RS0017943, RS0014969). Demnach ist bei der Auslegung von Vereinbarungen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern ausgehend vom Wortlaut die Absicht der Parteien zu erforschen (vgl RS0017797). Der Vertrag ist dabei unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs (RS0017817 [T3], RS0017902) aufgrund der Erklärungen in dem Sinn, den sie nach der Sachlage notwendigerweise für den Partner haben mussten (RS0017781), und damit so auszulegen, wie er bei objektiver Beurteilung der Sachlage für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war (RS0113932). Ferner ist auch das dem Abschluss vorangehende oder nachfolgende Verhalten der Vertragspartner zur Beurteilung der Parteiabsicht heranzuziehen (RS0017815). Der übereinstimmend erklärte Parteiwille ist für die hier relevante Frage von zentraler Bedeutung, was die Streitteile als Gegenstand der Streitbereinigung angenommen haben (RS0017954). Dabei kommt bei der Auslegung dem konkreten Vergleichszweck großes Gewicht zu (RS0017954 [T2]).
[19] 4. Bei Anwendung der referierten Grundsätze ist im Sinne der erstinstanzlichen Entscheidung und des Rechtsmittels davon auszugehen, dass die (weiterhin) von den Klägern als störend empfundenen Geräusche der Luftwärmepumpe von der Bereinigungswirkung des Vergleichs umfasst sind.
[20] 4.1. Im Anlassfall richtete sich der übereinstimmende Wille der Streitparteien darauf, die von den Klägern vorgegebenen Arbeiten durchführen zu lassen und nach deren ordnungsgemäßem Abschluss die Thematik der „Wärmepumpe“ endgültig als bereinigt und verglichen anzusehen. Nach dem ausdrücklich erklärten Willen beider Streitteile war davon auch jene (damals noch ungewisse und zukünftige) Konstellation umfasst, dass die Kläger trotz ordnungsgemäßer Durchführung der Lärmschutzmaßnahmen mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind (arg „damit leben muss … wenn die Arbeiten wider Erwarten … nicht zufrieden stellen“). Dies wurde auch dadurch unterstrichen, dass die Erfüllung der Vergleichsvereinbarung ausdrückliche und gegenseitige Bestätigung durch die beiden Rechtsvertreter erfuhr. Es war damit der angestrebte Zweck des Vergleichs, die belasteten nachbarschaftlichen Beziehungen der Streitteile jedenfalls hinsichtlich des von der Pumpe emittierten Lärms endgültig zu bereinigen.
[21] 4.2. Dass die Kläger den Vergleich bei Wissen über die weitere Entwicklung der Emission nicht geschlossen hätten, spricht nicht gegen die Lösung des Erstgerichts. Aus den Feststellungen ist gerade kein übereinstimmender konkreter Parteiwille (vgl RS0017741) dahin abzuleiten, dass auch nachteilige Entwicklungen der weiteren Lärmbelastung von der Bereinigungswirkung des Vergleichs nicht umfasst sein sollten. Vielmehr ist unter Berücksichtigung des üblichen Verständnisses bestimmter Formulierungen und der redlichen Verkehrsübung (RS0017797 [T18]) davon auszugehen, dass die Kläger gegenüber den Beklagten auch Verschlechterungen in Kauf genommen haben (arg „muss … damit leben“).
[22] 4.3. Im Allgemeinen bilden zwar nur die Verhältnisse zur Zeit des Vergleichsabschlusses den Gegenstand des Vergleichs und damit auch seiner Bereinigungswirkung (RS0032453 [T14, T15, T17]). Ein Vergleich erstreckt sich aber auch auf Fälle, an die die Parteien nicht gedacht haben, nur nicht aber auf solche, an die sie nicht denken konnten (vgl § 1389 Satz 2 ABGB; RS0032453). Indem die Parteien – wie referiert – im Vergleich ausdrücklich auch auf das mögliche (negative) Ergebnis der erst durchzuführenden Arbeiten Bezug nahmen, bildeten – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – nicht nur die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vergleichs, sondern auch das Luftpumpengeräusch nach den durchgeführten Arbeiten den Gegenstand des Vergleichs (vgl RS0032429 [T11]: „wenn nichts anderes vereinbart wurde“).
[23] 4.4. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass der streitgegenständliche Anspruch eine Streitigkeit betrifft, die auch deshalb nicht vom Vergleich umfasst sei, weil sie erst nachträglich entstanden sei. Das blendet aber aus, dass die von den Klägern mit der gegenständlichen Klage bekämpften Geräusche – wie bereits im Vorprozess – auf den Betrieb der Luftwärmepumpe zurückzuführen sind, die aber schon bei Einleitung des Vorprozesses 2017 vorlagen. Der festgestellte Umstand, dass tieffrequente Geräusche durch die Schallschutzhaube nunmehr „mehr in den Vordergrund rückten als hochfrequente Geräusche“, deckt nicht die Annahmen des Berufungsgerichts (siehe etwa: „andere, zuvor nicht bekannte Emissionen“ bzw „dieses Geräusch ist … auf die Schallschutzhaube zurückzuführen“), dass diese Geräusche erst mit der Abdeckung auftraten. Das Erstgericht hat vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass tieffrequente Geräusche durch die Einhausung nicht verstärkt wurden.
[24] 5. Zusammengefasst folgt daraus, dass das Klagebegehren abweisende Ersturteil wiederherzustellen ist.
[25] 6. Die Kostenentscheidung betreffend die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO.
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