OGH 2Ob136/06y

OGH2Ob136/06y29.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach der am 10. November 2001 verstorbenen DI Elfriede H*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Mag. Johannes Pratl, dieser vertreten durch Kaufmann & Pratl, Rechtsanwälte OEG in Graz, gegen die beklagte Partei C***** AG, *****, vertreten durch Dr. Thomas Schröfl, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 160.000 sA (Revisionsinteresse EUR 140.000 sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 7. April 2006, GZ 3 R 145/05y-39, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Drittel und auf Basis eines Mindestverlustes von EUR 240.000 vom 1. 1. 2000 bis 10. 11. 2001 einen Schadenersatzbetrag von EUR 160.000.

Die Beklagte wendete - soweit im Revisionsverfahren noch relevant - ein, das Spielverhalten der Verstorbenen sei mit ihrem Einkommens- und Vermögensverhältnissen in Einklang gestanden und diese sei praktisch bis zu ihrem Lebensende keiner Existenzgefährdung ausgesetzt gewesen.

Die Vorinstanzen sprachen EUR 140.000 zu und gingen von einer Verletzung der Schutznorm des hier anzuwendenden § 25 Abs 3 Glücksspielgesetz (GSpG) 1989 aus, wobei sie das Spielverhalten der Verstorbenen bereits vor dem 1. 1. 2000 bei den festgestellten Spielverlusten ungeachtet des monatlichen Pensionseinkommens und des - in der Folge zur Abdeckung der Spielschulden - verwendeten Vermögens als existenzgefährdend werteten.

Die außerordentliche Revision der Beklagten verweist in der Zulassungsbeschwerde auf die am 27. 8. 2005 in Kraft getretene novellierte Fassung des § 25 Abs 3 GSpG idF BGBl I 105/2005, welche nunmehr bei der Teilnahme am Spiel ausdrücklich auf die Gefährdung des (konkreten) Existenzminimums nach der ExistenzminimumVO in der jeweils geltenden Fassung abstellt und die Haftung der Spielbankleitung der Höhe nach mit der Differenz zwischen dem nach Verlusten das Existenzminimum unterschreitenden Nettoeinkommen des Spielers unter Berücksichtigung seines liquidierbaren Vermögens einerseits und dem Existenzminimum andererseits beschränkt; höchstens beträgt der Ersatz das konkrete Existenzminimum. Ziel der Regelung des § 25 Abs 3 GSpG sei - bereits vor der Novelle - gewesen, pathogene Spielteilnehmer vom existenzgefährdenden Glücksspiel abzuhalten. Schutzgut der Norm sei das individuelle Existenzminimum, welches nach den Feststellungen bei einem Spielverlust von durchschnittlich jährlich EUR 87.301,25, einem Jahresnettoeinkommen von EUR 59.000 und dem Liegenschaftsvermögen von ATS 8,9 Mio nicht gefährdet gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Dass auf die für den Zeitraum von 1. 1. 2000 bis zum Tod der Spielerin am 10. 11. 2001 geltend gemachten Spielverluste die Bestimmung des § 25 Abs 3 GSpG 1989 in der Fassung vor der am 21. 8. 2003 in Kraft getretenen Novelle BGBl I 71/2003 anzuwenden ist, wird von der Revisionswerberin grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen; sie zieht aber zur Auslegung der anzuwendenden Bestimmung deren durch die Novelle 2005 geänderte Fassung heran.

§ 25 Abs 3 GSpG in der hier maßgeblichen Fassung verweist allgemein auf die eine Teilnahme am Spiel nicht oder nur in beschränktem Ausmaß gestattenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Spielers, ohne diesen unbestimmten Gesetzesbegriff näher zu konkretisieren, und verpflichtet die Spielbankleitung zu Besuchsverboten oder Einschränkungen. Nach nunmehr ständiger Judikatur dient diese Bestimmung (auch) dem Schutz der Vermögensinteressen des einzelnen Spielers (RIS-Justiz RS0111940; RS0038376 [T1]). Der Spieler soll vor einem existenzbedrohenden, somit einem seine wirtschaftlichen und damit auch sozialen und familiären Grundlagen zerstörenden Spielverhalten geschützt werden (1 Ob 175/02w = SZ 2002/125; 6 Ob 244/04g ua). Eine Einschränkung dahin, dass eine derartige Existenzbedrohung bei pathogener Spielsucht (die hier bei der Spielerin festgestellt wurde) nur bei Gefährdung des konkreten Existenzminimums vorliegt und daher Voraussetzung für den Schadenersatzanspruch ist, ist bei Anwendung des § 25 Abs 3 GSpG in der hier maßgeblichen Fassung nicht gerechtfertigt. Die in der Revision zitierten Materialien zu Fassung der Novelle 2005 haben für die Auslegung der früheren Rechtslage keine Bedeutung. Gesetzesmaterialien können nämlich nur zur Auslegung des Gesetzes, dessen Vorarbeiten sie sind, herangezogen werden. Nicht zulässig ist, aus den Erläuterungen zu einer Regierungsvorlage darauf zu schließen, welche Absicht der Gesetzgeber bei Erlassung des früheren Gesetzes verfolgte (RIS-Justiz RS0008771).

Die Argumentation der Beklagten zur Deckung der Spielverluste im laufenden Einkommen und im Vermögen der Spielerin und ihr Schluss auf eine fehlende Existenzgefährdung negieren den festgestellten Sachverhalt, insbesondere die weit über dem jährlichen Pensionseinkommen liegenden Spielverluste, die Belastung der Liegenschaften durch Hypotheken (weshalb der Verkaufserlös nicht zur Gänze zur Verfügung stand) und die Verwendung des Erlöses aus dem Verkauf zur Deckung der Spielschulden. Die spielsüchtige Verstorbene hatte ihr gesamtes Vermögen verspielt und war zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse zuletzt auf finanzielle Unterstützung durch Familienangehörige angewiesen, was die Annahme eines existenzbedrohenden Spielverhaltens rechtfertigt. Das Argument, der Nachlass einer - vor ihren Casinobesuchen sehr vermögenden - Frau sei nur mit EUR 22.000 überschuldet gewesen, erscheint schon anhand der aufgezeichneten Spielverluste von ATS 12,5 Mio geradezu zynisch. Die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Beklagten hätte auffallen müssen, dass die Verluste der Spielerin existenzbedrohend wurden, ist ebenso eine solche des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0117007 [T3]), wie jene, ob die Spielbank ihre aus § 25 GSpG 1989 erwachsenden Verpflichtungen erfüllt hat (RIS-Justiz RS0117009 [T2]). Eine krasse Fehlbeurteilung der Vorinstanzen liegt bei fast täglichen Besuchen einer Spielerin mit hohen Einsätzen und auftretenden Spielverlusten von manchmal über ATS 200.000 täglich iVm den festgestellten zwei Maßnahmen, welche die Spielbank setzte (Führen eines wenig fundierten Gespräches und Einholung einer nicht vollständigen Bonitätsauskunft), jedenfalls nicht vor.

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