Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Erstgericht zurückverwiesen, welchem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wird.
Text
Begründung
Mit Beschluß vom 20.4.1995 wurde der Betroffenen ein Sachwalter bestellt, der mit folgenden Angelegenheiten betraut wurde:
1. Alle Angelegenheiten, die mit der Verwaltung der Liegenschaften EZ ***** und ***** und EZ *****, insbesondere mit der Schuldentilgung im Zusammenhang stehen, mit Ausnahme der Geschäfte des laufenden Betriebs der von der Betroffenen auf den angeführten Liegenschaften betriebenen Landwirtschaft;
2. Vertretung gegenüber der Sozialversicherungsanstalt.
Die Betroffene leidet an einer Persönlichkeitsstörung, die am ehesten in die Gruppe der paranoiden Persönlichkeitsstörungen einzuordnen ist. Diese Form der Persönlichkeitsstörung geht mit übertriebener Empfindlichkeit bei Rückschlägen einher, verbunden mit der Neigung zu ständigem Groll, Mißtrauen, Mißdeutung neutraler oder freundlicher Behandlung als feindlich sowie beharrlichem Bestehen auf eigenen oder vermeintlichen Rechten. Die Betroffene benötigt eine Hilfestellung bei der Regelung ihrer Vermögensverhältnisse, insbesondere zur Schuldentilgung.
Mit dem sachwalterschaftsbehördlich genehmigten gerichtlichen Vergleich vom 27.2.1996 verpflichtete sich die Betroffene, einem Kreditinstitut binnen 14 Tagen den Betrag von S 2 Mio zu zahlen.
Mit Eingabe vom 26.9.1996 äußerte der Sachwalter aufgrund eines anläßlich der Schätzung der Liegenschaft mit der Betroffenen geführten längeren Gesprächs ernsthafte Bedenken dahin, daß diese aufgrund ihrer psychischen Erkrankung bereits seit vielen Jahren nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihre Geschäfte ohne die Gefahr eines beträchtlichen Nachteils zu regeln, und beantragte die Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen aus dem Fachgebiet Neurologie-Psychiatrie darüber, zu welchem Zeitpunkt die Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen eingetreten ist. Mit Schreiben vom 18.3.1997 teilte der Sachwalter ergänzend mit, daß ihm die Betroffene in letzter Zeit Kontoauszüge und Belege mit der Behauptung vorgelegt habe, daß sich Fremdpersonen auf ihre Kosten bereichert hätten und sie sich nicht zu helfen gewußt habe, wobei zahlreiche Lieferscheine und Bankbelege nicht mit ihrer Unterschrift versehen seien und deren Datierung teilweise bis 1980 zurückliege.
Der vom Erstgericht bestellte Sachverständige gelangte zum Ergebnis, daß bei der Untersuchung am 9.4.1997 bei der Betroffenen eine stark ausgeprägte Wahnsymptomatik festgestellt werden habe können, welche unsystematisch und eine große Gruppe von Personen einbeziehend, völlig unkorrigierbar und innerhalb ihres Wahnsystems nicht logisch sei. Demnach liege bei ihr jetzt eine anhaltende wahnhafte Störung vor, die auch als Paranoia oder paranoide Psychose bezeichnet werde. Daneben bestehe aber auch eine starke affektive Störung mit Depressivität. Es sei möglich, daß die Betroffene schon vor vielen Jahren, möglicherweise auch schon 1980, paranoide Persönlichkeitszüge aufgewiesen habe. Hiezu seien jedoch keinerlei Unterlagen vorhanden, die auch nur annähernd eine verläßliche Aussage darüber erlauben würden, zu welchem Zeitpunkt bei der Betroffenen infolge ihrer Wahnkrankheit bzw ihrer paranoiden Persönlichkeit Geschäftsunfähigkeit eingetreten sei. Die Frage, ob sie schon 1980 geschäftsunfähig gewesen sei, könne unter Umständen beantwortet werden, wenn Personen befragt würden, die 1980 mit ihr in einem so engen Kontakt gewesen seien, daß sie Äußerungen über damalige Beobachtungen zu ihrem Verhalten machen könnten.
Der Sachwalter beantragte sodann, den Sachverständigen zu beauftragen, insgesamt sieben namentlich genannte Personen als mögliche Zeugen zu befragen und auf dieser Grundlage sein Gutachten zu ergänzen.
Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Erstgericht den Antrag auf Ergänzung des Gutachtens mit der Begründung zurück, daß es nicht Inhalt und Aufgabe des Sachwalterschaftsverfahrens sei, Prozeßstoff zu sammeln, einen allfälligen Prozeß "vorzubereiten" und Zeiträume aufzuarbeiten, die schon länger als ein Jahrzehnt zurücklägen.
Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichts und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Aus der allgemeinen Anordnung des § 21 Abs 1 ABGB, wonach Minderjährige und andere Pflegebefohlene unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehen, ergebe sich die Pflicht des Pflegschaftsgerichts, den Handlungsunfähigen vor Übervorteilungen im geschäftlichen Verkehr zu bewahren und Verstöße gegen gesetzliche Pflichten nicht oder in minderer Weise anzurechnen. Daher habe das Gericht die Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters zu beaufsichtigen, die von diesem für den Handlungsunfähigen vorgenommenen Rechtshandlungen zu überwachen und insbesondere die Rechtsgeschäfte, die das ihm anvertraute Vermögen betreffen und die er für den Pflegebefohlenen abgeschlossen habe, zu prüfen und deren für die Gültigkeit erforderliche Genehmigung zu versagen, wenn sie den Interessen des Pflegebefohlenen nicht gerecht würden. Aus der Verpflichtung, den gesetzlichen Vertreter des Handlungsunfähigen auf geeignete Weise zu unterstützen, ergebe sich auch die weitere Verpflichtung des Gerichtes, ihn gegebenenfalls auch über die Folgen der in Aussicht genommenen Schritte bzw des Unterbleibens dieser Schritte zu belehren oder aufzuklären, wobei dies jedenfalls dann gelte, wenn das Gericht - auf welche Weise immer - davon Kenntnis erlange, daß die rechtliche oder wirtschaftliche Sphäre des Pflegebefohlenen gefährdet sei. Diese Aufgaben des Gerichtes enthielten aber nicht dessen Pflicht, in Vorbereitung einer vom Sachwalter in Aussicht genommenen Anfechtung von Rechtsgeschäften, die lange Zeit vor der Sachwalterbestellung geschlossen wurden, selbst die dafür wesentlich erscheinenden Beweise aufzunehmen, weil die endgültige Beurteilung der Geschäftsfähigkeit stets auf dem ordentlichen Rechtsweg zu erfolgen habe und die Ergebnisse des Sachwalterverfahrens dabei grundsätzlich nur im Rahmen der Beweiswürdigung eine Rolle spielen könnten. Auch bei Prüfung einer Klageführung durch den Pflegschaftsrichter sei nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch gegeben sei; vielmehr sei lediglich eine grobe Vorprüfung der Erfolgsaussichten vorzunehmen. Ein umfangreiches Beweisverfahren sei dabei nicht durchzuführen. Eine Pflicht zur Tatsachenermittlung im Umfang des Antrages des Sachwalters zum Zwecke der Vorbereitung einer vom Sachwalter allenfalls in Aussicht genommenen Klageführung könne nicht angenommen werden.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen von der Pflegebefohlenen erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.
Minderjährige und Personen, die aus einem anderen Grund als dem ihrer Minderjährigkeit alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen nicht vermögen, stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze (§ 21 Abs 1 ABGB). Zugunsten behinderter Personen gebieten die §§ 273 und 273a ABGB die Bestellung eines Sachwalters, um diese vor Übervorteilungen im geschäftlichen Verkehr zu schützen (SZ 61/156; SZ 65/108). § 865 ABGB regelt die Geschäftsfähigkeit minderjähriger und behinderter Personen. § 2 Abs 1 iVm § 2 Abs 2 Z 5 und 6 AußStrG normiert den Untersuchungsgrundsatz für das Pflegschaftsverfahren für die unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehenden Personen. § 21 Abs 1 ABGB ist nicht nur ein Programm, das die - hier nur für die behinderten Personen genannten - Normen vollziehen, sondern positiviert generell den hohen Rang des Schutzinteresses der nicht voll handlungsfähigen Personen, das im Kollisionsfall gegenläufigen Interessen grundsätzlich vorzugehen hat (Aicher in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 21; Posch in Schwimann, ABGB2 Rz 1 zu § 21; SZ 61/231; SZ 65/108).
Zu den Aufgaben des Pflegschaftsgerichts gehört es auch, die Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters der unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehenden Personen zu überwachen, die Gesetzmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit der von ihm getroffenen oder in Aussicht genommenen Rechtshandlungen zu prüfen und dazu bindende Weisungen zu erteilen. Das Gericht hat dabei die Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters ganz allgemein in geeigneter Weise zu überwachen und ihn gegebenenfalls auch über die Folgen der in Aussicht genommenen Schritte bzw von deren Unterbleibens zu belehren bzw aufzuklären; das gilt jedenfalls dann, wenn es - auf welche Weise immer - davon Kenntnis erlangt, daß die rechtliche oder wirtschaftliche Sphäre des Pflegebefohlenen gefährdet erscheint (SZ 61/231; RZ 1990/111; SZ 65/108). So hat der Pflegschaftsrichter nach billigem Ermessen auch zu entscheiden, ob eine Prozeßführung im Interesse des Pflegebefohlenen liegt (4 Ob 589/89; 6 Ob 708/89; EFSlg 62.814; 4 Ob 200/97h). Bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Klage ist allerdings nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch besteht (EFSlg 51.234), vielmehr ist unter Einbeziehung aller Eventualitäten lediglich das Prozeßrisiko abzuwägen (EFSlg 51.234; ÖA 1990, 16; 4 Ob 200/97h; Schwimann in Schwimann, aaO Rz 27 zu § 154 ABGB). Maßgebend ist, ob in vergleichbaren Fällen ein veranwortungsbewußter gesetzlicher Vertreter den Klageweg beschreiten würde. Zu diesem Zweck müssen die Tatsachengrundlagen und deren Beweisbarkeit möglichst vollständig erhoben und der so gewonnene Sachverhalt einer umfassenden rechtlichen Beurteilung unterzogen werden (EFSlg 53.975; ÖA 1990, 16; 4 Ob 200/97h; Schwimann aaO).
Nicht nur die Genehmigung der in den zeitlichen Rahmen eines Pflegschaftsverfahrens fallenden Rechtsgeschäfte oder einer solchen Prozeßführung fällt in die Aufgaben des Pflegschaftsgerichts für die unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehenden Personen vor Übervorteilungen im geschäftlichen Verkehr. Auch die Prüfung der Frage, ob schon vor der Eröffnung der Pflegschaft vom Pflegebefohlenen nachteilige Rechtsgeschäfte abgeschlossen wurden, kann zum Aufgabenkreis des Pflegschaftsgerichts gehören, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, daß solche Geschäfte vorgenommen wurden, noch immer nachteilige Folgen nach sich ziehen und wenn der Verdacht besteht, daß der Mangel der Geschäftsfähigkeit schon zum Zeitpunkt der Vornahme derartiger Geschäfte bestanden hat. Auch die Vorbereitung von Prozessen, die erst nachträglich dem Schutz vor Übervorteilungen im geschäftlichen Verkehr dienen, kann somit Gegenstand einer im gesetzlichen Sinn verstandenen Personenfürsorge sein, wenngleich die Handlungsfähigkeit einer unter Sachwalterschaft stehenden Person in der Zeit vor der Bestellung des Sachwalters immer im Prozeß über die Ungültigkeit des bekämpften Rechtsgeschäfts bewiesen werden muß (1 Ob 44/60; Arb 7550). Immer aber ist dabei der Wirkungskreis des Sachwalters (vgl § 244 Z 2 AußStrG) zu beachten. Grundsätzlich kann in solchen Fällen das Anliegen eines Sachwalters, die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt des Abschlusses von Rechtsgeschäften zu prüfen, die vor seiner Bestellung zum Sachwalter geschlossen wurden, jedoch seinen Wirkungskreis berühren, nicht abgelehnt werden. Dazu gehört auch, daß vom Pflegschaftsgericht jene Personen gehört werden, aus deren Aussagen der Zustand und das Verhalten des Betroffenen zum Zeitpunkt des Abschlusses nachwirkender Rechtsgeschäfte geschlossen werden kann, weil der Sachwalter nur so die Interessen der Pflegebefohlenen wahrzunehmen in der Lage ist (4 Ob 200/97h).
Im vorliegenden Fall wurde der Sachwalter für alle Angelegenheiten, die mit der Verwaltung der Liegenschaften der Betroffenen, insbesondere mit der Schuldentilgung, im Zusammenhang stehen und zur Vertretung gegenüber der Sozialversicherungsanstalt bestellt. Ausgenommen davon sind die Geschäfte des laufenden Betriebs der von der Betroffenen betriebenen Landwirtschaft. Nur innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters verfügt die Betroffene über beschränkte Geschäftsfähigkeit; außerhalb dieses Wirkungskreises des Sachwalters sind behinderte Personen voll geschäftsfähig, soweit ihnen nicht im konkreten Fall der Gebrauch der Vernunft fehlt und sie die Tragweite des bestimmten Geschäfts nicht einsehen können; diesfalls ist auch das außerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters liegende Geschäft gemäß § 865 Satz 1 ABGB ungültig (Aicher aaO Rz 4 zu § 21 ABGB). Eine Anfechtung von Rechtsgeschäften, die bis zur Bestellung des Sachwalters von der Pflegebefohlenen selbst abgeschlossen wurden, insbesondere jener von der Sachwalterschaft ausgenommenen Rechtsgeschäfte, die dem laufenden Betrieb der von der Betroffenen geführten Landwirtschaft dienen, kommt daher nur in Betracht, wenn die Betroffene zum Zeitpunkt ihrer Vornahme voll geschäftsunfähig gewesen ist. Bestehen Anhaltspunkte dafür, kann auch die Einholung eines Gutachtens über die Geschäftsfähigkeit der Pflegebefohlenen zum Zeitpunkt der Vornahme derartiger Rechtsgeschäfte in deren Interesse liegen. Der Einholung eines solchen Gutachtens im Pflegschaftsverfahren bedarf es aber dann nicht, wenn Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen der Betroffenen, die vor der Bestellung des Sachwalters liegen, nicht nachteilig sind und sich demnach auch nicht mehr nachteilig auf die Vermögensinteressen der Betroffenen auswirken.
Das Erstgericht wird daher im Sinne der dargestellten Grundsätze zu erheben haben, ob die Betroffene vor der Bestellung des Sachwalters dessen nunmehrigen Wirkungskreis berührende Rechtsgeschäfte abgeschlossen oder Rechtshandlungen vorgenommen hat, deren Folgen sich noch nachteilig auf ihre rechtliche oder wirtschaftliche Sphäre auswirken, und wann das geschehen ist. Sollte es um außerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters liegende Rechtsgeschäfte oder Rechtshandlungen gehen, müßte der Wirkungskreis des Sachwalters allerdings darauf erstreckt werden. Erst wenn diese Voraussetzungen geklärt sind, bedarf es zur Prüfung der Aussichten von Anfechtungsklagen der Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber, ob die Betroffene zum Zeitpunkt der Vornahme derartiger Rechtsgeschäfte oder Rechtshandlungen voll geschäftsunfähig gewesen ist.
Daher war dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
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