European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020DS00004.17M.1003.000
Spruch:
Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und der Beschuldigte von der ihm als Dienstvergehen zur Last gelegten Pflichtverletzung freigesprochen.
Mit seiner Berufung wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Kosten des Verfahrens sind vom Bund zu tragen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschuldigte eines Dienstvergehens (§ 101 Abs 1 RStDG) schuldig erkannt. Danach hat er Ende Februar 2016 in einem Telefonat mit ADir. R*****, dem stellvertretenden Leiter der Geschäftsstelle, mit Bezug auf im Sozialraum des Gerichtsgebäudes des Landesgerichts ***** von der Stadt ***** „im Zusammenhang mit der Caritas organisierte“ Deutschkurse geäußert, „die Flüchtlinge in Zukunft im Auge zu behalten, da man ja nicht wissen könne, ob die Flüchtlinge geimpft und entlaust seien“, und hiedurch die Verpflichtung nach § 57 Abs 3 RStDG, sich im und außer Dienst so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen seines Berufsstandes nicht gefährdet wird, verletzt.
Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruches über Schuld und den Kostenersatz, auf die einzugehen sich erübrigt, weil sich der Oberste Gerichtshof von verfehlter rechtlicher Beurteilung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Äußerung überzeugt hat.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat zu Ds 31/13, EvBl‑LS 2014/131, 789, Ds 2/13, EvBl‑LS 2013/115, 689 und Ds 26/13, EvBl 2014/80, 472, die Rechtsnatur von Berufungs- und Beschwerdeverfahren nach dem RStDG grundlegend klargestellt. Demnach bedeutet der Verzicht des RStDG auf die in der StPO vorgesehene Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe, dass der von den Kategorien der (die Schuldfrage betreffenden) Nichtigkeitsgründe erfasste Fehlerbereich von der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld erfasst wird (§ 139 Abs 1 erster Fall RStDG). Berufung wegen des Ausspruchs über Schuld spricht im RStDG daher die Berufungspunkte des § 464 Z 1 und 2 erster Fall StPO an.
Während aber in Betreff von Berufungen nach der StPO (mit Ausnahme jener wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe [§ 464 Z 1 StPO]) keine Begründungsobliegenheit, vielmehr nur eine Obliegenheit gilt, den Berufungspunkt zu bezeichnen, verlangt § 139 Abs 2 RStDG für die Berufung gegen Disziplinarerkenntnisse auch, „die Umstände, durch die“ der Berufungspunkt „begründet werden soll, bestimmt anzugeben“, womit – ebenso wie bei Behandlung einer Beschwerde – Bindung des Obersten Gerichtshofs an das Vorbringen des Rechtsmittelwerbers besteht.
Die Bindung des Obersten Gerichtshofs an die Argumentation des die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts bekämpfenden Berufungswerbers findet jedoch im Bereich vorliegender Nichtigkeitsgründe insoweit keine Entsprechung, als der Oberste Gerichtshof sich nicht gehindert sieht, eine verfehlte rechtliche Beurteilung der Schuldfrage aus eigenem wahrzunehmen, wenn er sich aus Anlass einer Berufung davon überzeugt (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a bis c StPO; vgl § 290 Abs 1 zweiter Satz [erster Fall] StPO). Das ist hier der Fall.
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts erkundigte sich der Beschuldigte in Abwesenheit des Leiters der Geschäftsstelle des Landesgerichts ***** bei dessen Stellvertreter, ADir. R*****, telefonisch, ob von zwei Staatsanwältinnen im Sozialraum des Gerichtsgebäudes abzuhaltende Deutschkurse für Flüchtlinge „genehmigt und sichergestellt sei, dass die Teilnehmer durch die Sicherheitskontrollen das Gebäude betreten und sich während ihres Aufenthaltes nicht unbeaufsichtigt in den Räumlichkeiten des Landesgerichtes bewegen“. Nach Bejahung im Zuge eines telefonischen Rückrufs äußerte er zu ADir. R*****, „dass er die Flüchtlinge in Zukunft im Auge behalten werde, da man ja nicht wissen könne, ob die Flüchtlinge geimpft und entlaust seien“. Nachdem ADir. R***** zurückgegeben hatte, das sei wohl ein Scherz, erklärte er, „dass dies sein Ernst sei“. Der Beschuldigte habe es ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, „durch seine Äußerung Flüchtlinge pauschal als unsauber, unhygienisch und mit ansteckenden Krankheiten behaftet zu bezeichnen“ und „Assoziationen mit dem Umgang mit Zwangsarbeitern in den 1930er und 1940er Jahren“ zu erwecken.
Art 10 EMRK garantiert jedermann das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Recht der freien Meinungsäußerung umfasst nach der ständigen Rechtsprechung sowohl des Obersten Gerichtshofs als auch des EGMR auch, jene Ideen auszusprechen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen; dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Weitsichtigkeit, ohne die es keine demokratische Gemeinschaft geben kann. Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechte sind nach Art 10 Abs 2 EMRK nur zulässig, soweit sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Sie bedürfen einer gesetzlichen Rechtfertigung.
§ 57 Abs 3 RStDG verlangt von Richtern und Staatsanwälten, sich im und außer Dienst so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen ihrer Berufsstände nicht gefährdet wird.
Solcherart stellt die Bestimmung eine zulässige gesetzliche Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung iSd Art 10 Abs 2 EMRK dar.
Richter und Staatsanwälte haben (die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten und) die Pflichten ihres Amtes unter anderem unparteiisch zu erfüllen und jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden (vgl §§ 57 Abs 1, 63 Abs 2 RStDG; s auch § 3 Abs 2 StPO). Für ihre Äußerungen gegenüber Parteien gilt das Sachlichkeitsgebot (vgl § 52 Abs 2 Geo). Diese Anforderungen haben sie (mit Blick auf § 57 Abs 3 RStDG) jedenfalls bei allen dienstlichen Verrichtungen zu beachten.
In diesem Sinn wäre die dienstliche Äußerung einer (nach dem festgestellten Bedeutungsinhalt, US 2 unten) negativ besetzten, wenngleich keinen Schuldvorwurf beinhaltenden Pauschalbehauptung ohne Tatsachengrundlage, die (gegen Verhetzung geschützte [vgl 15 Os 25/17s]) Gruppe der Flüchtlinge sei „unsauber, unhygienisch und mit ansteckenden Krankheiten behaftet“ durch einen Staatsanwalt geeignet, das Ansehen des – in dienstlichen Belangen zur Unvoreingenommenheit, Objektivität und Sachlichkeit verpflichteten – Berufsstands zu gefährden. Davon ausgehend wäre eine solche Äußerung – auch im Licht des Art 10 EMRK – in dieser Form unzulässig und würde eine Pflichtverletzung iSd § 57 Abs 3 RStDG begründen.
Ob der inkriminierten Äußerung dieser– vorliegend von der Berufung bekämpfte – Bedeutungsinhalt tatsächlich zukam, kann jedoch schon im Hinblick darauf dahinstehen, dass – nach den Feststellungen – die Äußerung lediglich gegenüber dem für die sachgerechte Nutzung des Gerichtsgebäudes zuständigen Beamten getätigt wurde und keine (vom Beschuldigten intendierte) Publizität des dienstlichen „Zwei-Personen-Gesprächs“ gegeben war (vgl RIS-Justiz RS0054927, zuletzt 25 Ds 3/17h mwN zu § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt), sowie dass der Beschuldigte damit auch seine Besorgnis über den Hygiene- und Gesundheitszustand der Flüchtlinge, die in einem auch von ihm frequentierten Sozialraum des Gerichtsgebäudes Deutschkurse absolvieren sollten, zum Ausdruck bringen wollte. Denn eine gegebenenfalls zu bejahende (einmalige) Pflichtverletzung würde diesfalls nach ihrer Art und Schwere und im Hinblick auf das Fehlen erschwerender Umstände kein Dienstvergehen iSd § 101 Abs 1 RStDG darstellen.
Dass die Schuldberufung des RStDG nicht bloß ein iudicium novum ohne Rücksicht auf das erstinstanzliche Erkenntnis meint, ergibt sich aus § 140 Abs 2 RStDG. Das angefochtene Erkenntnis war demnach zur Gänze aufzuheben, der Beschuldigte – unter Verweisung seines Rechtsmittels darauf – von der ihm als Dienstvergehen zur Last gelegten Pflichtverletzung freizusprechen und klarzustellen, dass die Kosten des Verfahrens vom Bund zu tragen sind.
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