OGH Ds2/13

OGHDs2/1317.4.2013

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 17. April 2013 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Jensik, Dr. Höllwerth und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer im Disziplinarverfahren gegen den Richter des Landesgerichts Dr. G*, über die wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts Linz vom 29. November 2012, GZ Ds 6/11 27, nach mündlicher Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators Erster Generalanwalt Dr. Plöchl, des Beschuldigten und dessen Verteidigerin MMag. Eva Kathrein zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:E103748

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Beschuldigte hat die mit 300 Euro bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Dr. G* einer Pflichtverletzung nach § 101 Abs 1 RStDG (§ 58 Abs 1 und 5 iVm § 57 Abs 3 RStDG) schuldig erkannt, weil er als Richter nach § 101 Abs 2 zweiter Satz StPO in einem unter anderem gegen zwei hochrangige Staatsanwälte wegen deren Ermittlungstätigkeit in einem anderen Strafverfahren geführten Ermittlungsverfahren gegenüber einem Redakteur der APA geäußert habe, einer der beiden habe sich für ihn überraschend der Aussage entschlagen, die vom anderen übermittelte schriftliche Stellungnahme aber sei sehr oberflächlich gewesen, dieser habe ursprünglich überhaupt nicht kommen wollen und sei erst erschienen, als er ihm angedroht habe, ihn wie jeden anderen Beschuldigten vorführen zu lassen. Der Beschuldigte habe dadurch gegen § 58 Abs 1 RStDG verstoßen, wonach der Richter über alle ihm ausschließlich aus seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist, gegenüber jedermann, dem er über solche Tatsachen nicht eine dienstliche Mitteilung zu machen hat, zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Darüber hinaus falle ihm eine Verletzung des § 58 Abs 5 RStDG zur Last, wonach der Richter seine Ansicht über die von ihm zu erledigenden Rechtssachen außerdienstlich nicht äußern darf. Dies falle umso mehr ins Gewicht, als der Beschuldigte „entgegen Punkt III.6 des Erlasses des Bundesministeriums für Justiz vom 12. November 2003 über die Zusammenarbeit mit den Medien, JMZ 4410/9 Pr1/2003, diese Auskünfte selbst erteilt hat, anstatt den Redakteur an die zuständige Medienstelle zu verweisen“.

Da es sich bei den beiden von der Mitteilung betroffenen Staatsanwälten „um höchste Repräsentanten in der Justiz“ handle, sei das Ansehen „ihres“ Berufsstands im Sinne des § 57 Abs 3 RStDG gefährdet worden.

Gemäß § 101 Abs 3 RStDG wurde vom Ausspruch über die Verhängung einer Disziplinarstrafe abgesehen.

Der Verzicht des RStDG auf die in der StPO vorgesehene Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe bedeutet, wie der Berufungswerber zutreffend erkennt, dass der von den Kategorien der (die Schuldfrage betreffenden) Nichtigkeitsgründe erfasste Fehlerbereich von der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld erfasst wird (§ 139 Abs 1 erster Fall RStDG). Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld meint demnach im RStDG die Berufungspunkte des § 464 Z 1 und 2 erster Fall StPO.

Da in Betreff von Berufungen nach der StPO (mit Ausnahme jener wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe [§ 464 Z 1 StPO]) keine Begründungsobliegenheit, vielmehr nur eine Obliegenheit gilt, den Berufungspunkt zu bezeichnen, für die Berufung gegen Disziplinarerkenntnisse aber neben dieser (§ 139 Abs 1 RStDG) auch die Obliegenheit gilt, „die Umstände, durch die“ der Berufungspunkt „begründet werden soll, bestimmt anzugeben“ (§ 139 Abs 2 RStDG), besteht Bindung an das Berufungsvorbringen. Denn das RStDG verzichtet auf eine dem § 89 Abs 2b StPO vergleichbare Vorschrift, wonach eine Bindung an die „Beschwerdepunkte“ nicht bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Ausspruch über die Schuld erhobenen Berufung des Beschuldigten kommt Berechtigung nicht zu.

Richterausgeschlossenheit auf die vom Gesetz selbst verlangte Teilnahme am Verweisungsbeschluss zu gründen, unterstellt dem (den durch § 115 Abs 2 erster Satz RStDG verwiesenen Vorschriften der §§ 43 bis 45 StPO gegenüber speziellen) RStDG ‑ ohne Beleg ‑ (gesetzesplan-gemäßen) inneren Widerspruch. Richterausgeschlossenheit unter diesem Blickwinkel scheidet demnach aus. Verfassungskonforme Auslegung setzt nämlich voraus, dass deren Ergebnis im äußersten Wortsinn der auszulegenden Vorschrift Deckung findet.

Mit der Behauptung von Verfassungswidrigkeit wird Richterausgeschlossenheit als Nichtigkeitsgrund nicht geltend gemacht, weil ein in erster Instanz erkennendes Gericht mit der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes keinen Rechtsfehler begeht (Art 89 Abs 1 B‑VG). Die der Sache nach angestrebte Anfechtung des § 115 RStDG wegen Bedenken gegen dessen Anwendung aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit (infolge Verstoßes gegen den gerichtliche Unabhängigkeit garantierenden Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) entfällt schon unter dem Aspekt der Rechtsnatur des Berufungsverfahrens, das auf eine eigenständige Entscheidung des Berufungsgerichts in der Sache abzielt (vgl statt aller: Meyer‑Ladewig EMRK3 Art 6 Rz 88), sodass sich Erwägungen zur Anwendbarkeit der reklamierten Grundrechtsverheißung auf Disziplinarverfahren ohne Strafausspruch erübrigen (Meyer‑Ladewig EMRK3 Art 6 Rz 23 ff; vgl zuletzt: EGMR 19. 2. 2013, Nr 47195/06, Müller‑Hartburg gegen Österreich).

Zur Rechtsfrage einer Pflichtverletzung der Art und Schwere, die § 101 Abs 1 RStDG für die (prozessual einem Schuldspruch im Sinn des § 260 Abs 1 Z 2 StPO entsprechende) „Verhängung einer Disziplinarstrafe“ (von deren „Ausspruch“ [im Sinn des § 260 Abs 1 Z 3 StPO] nach § 101 Abs 3 erster Satz RStDG abgesehen werden kann und vorliegend auch wurde) verlangt, ist von folgenden Überlegungen auszugehen.

Nach dem zweiten Satz von III.6. des vorstehend erwähnten Medienerlasses des Bundesministeriums für Justiz haben außer dem Mediensprecher oder seinem Vertreter „alle anderen in der Dienststelle Tätigen“ „selbst keine Auskünfte“ an Medien zu erteilen. Diese generelle Weisung galt nach § 57 Abs 2 RStDG auch für den Beschuldigten, der sich auf Unkenntnis dieser Weisung nicht berufen hat.

Soweit sich das strikte Verbot, über den Inhalt von Zivil‑ und Strafverfahren Auskünfte an Medienmitarbeiter zu geben, an daran mitwirkende Richter wendet, zielt es just auf die Sicherung des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine von sachfremden Einflüssen unbeeinflusste Rechtsprechung und ist Ausdruck strikter Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit von Richtern. Medienkontakte, die Richter mit Bezug auf Zivil‑ und Strafverfahren, in denen sie selbst als Richter mitwirken, unterhalten, sind demnach nicht nur pflichtwidrig. Da nämlich die verletzte Pflicht auf das zentrale Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in von persönlichen Interessen losgelöstes richterliches Handeln zielt, beschädigen auf konkrete Verfahren, an denen der Richter selbst mitwirkt oder in jüngster Zeit mitgewirkt hat, bezogene, nicht dienstlich veranlasste Äußerungen, in derart erheblichem Maß das Ansehen des richterlichen Berufsstands, dass jedenfalls die von § 101 Abs 1 RStDG für die Bewertung eines solchen Verhaltens als Dienstvergehen erforderliche Art und Schwere dann erreicht wird, wenn sie eine Bewertung des prozessualen Verhaltens eines durch die Äußerung betroffenen Beschuldigten beinhaltet.

Indem der Berufungswerber selbst einräumt, sich als nach § 101 Abs 2 zweiter Satz StPO mit der Vernehmung Beschuldigter befasster Richter im Zusammenhang mit der schriftlichen Äußerung eines von ihnen darüber ausgelassen zu haben, „dass eine schriftliche Stellungnahme nicht die Qualität bzw Tiefe einer Einvernahme erreichen kann“ (S 10 der Berufung), und weiters, über die Möglichkeit dessen zwangsweiser Vorführung räsoniert zu haben, nicht ohne die Mitteilung des Journalisten, wonach der Beschuldigte „gesagt“ habe, er werde „überhaupt nicht kommen“, zu bestätigen (S 10 f der Berufung), gesteht er den in einer solchen Bewertung bestehenden Bedeutungsinhalt seiner Auskunft selbst zu. Die im angefochtenen Erkenntnis darüber hinaus konstatierten, vom Berufungswerber in Frage gestellten Äußerungen sind vor diesem Hintergrund bedeutungslos.

Da die Schuldfrage (§ 101 Abs 1 RStDG) nicht vom Verhalten des Beschuldigten in dem gegen ihn geführten Disziplinarverfahren abhängt, der vorstehend erwähnte Beitrag zur Wahrheitsfindung vielmehr nur die Sanktionsfrage (§ 104 Abs 1 und 2 RStDG) beeinflussen könnte, von einer Sanktion aber abgesehen wurde (§ 101 Abs 3 erster Satz RStDG), ist er nicht Gegenstand der erhobenen Berufung.

Da schließlich die Voraussetzungen für die Annahme eines Dienstvergehens in § 101 Abs 1 RStDG unberührt geblieben sind, ist das Tatzeitrecht gegenüber demjenigen des Erkenntnisses nicht milder, sodass sich die Frage von Planwidrigkeit des RStDG und ‑ darauf beruhend ‑ analoger Anwendung des § 61 StGB nicht stellt.

Umfang und Schwierigkeit der vom Berufungswerber gegen das angefochtene Erkenntnis vorgetragenen Einwendungen rechtfertigen ohne Weiteres mit 300 Euro bemessene Kosten des Berufungsverfahrens. Besondere Vermögensverhältnisse, die einem derartigen Kostenausspruch entgegenstünden, hat der Berufungswerber nicht geltend gemacht (§ 140 Abs 3 letzter Satz [§ 137 Abs 2 zweiter Satz] RStDG).

Um Missverständnisse, welche sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Erkenntnisses ergeben könnten, zu vermeiden, sei darauf hingewiesen, dass Prozessverhalten von leitenden Staatsanwälten in einem gegen sie selbst geführten Ermittlungsverfahren durchaus Gegenstand von Auskunftserteilung durch Medienstellen sein darf. Die Öffentlichkeit mag durchaus gerechtfertigtes Interesse daran haben, zu erfahren, wie weit maßgebliche Vertreter des Rechtsstaats dessen Regeln in eigener Sache zu akzeptieren bereit sind, ohne eine gegenüber anderen Menschen abweichende Behandlung durch Gerichte und Staatsanwaltschaften für sich zu reklamieren. In diesem Sinn stellt sachliche Information sicher, dass Medien ihrer von Art 10 MRK geschützten Rolle als „public watchdog“ gerecht werden können.

Dass das Ermittlungsverfahren nach § 12 Abs 1 zweiter Satz StPO „nicht öffentlich“ ist, bedeutet keineswegs, dass es „geheim“ abzulaufen hätte.

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