European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0280DS00012.21K.0823.000
Spruch:
Der Berufung wegen Schuld wird in Ansehung der Schuldsprüche 1./ und 3./ nicht Folge gegeben.
Aus deren Anlass wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch 2./ von Amts wegen und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich verwiesen.
Mit seiner den Schuldspruch 2./ betreffenden Berufung wegen Schuld und seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * – neben einem in Rechtskraft erwachsenen Freispruch – [richtig:] der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 9. Dezember 2019 vor dem Bezirksgericht Mödling
1./ gegenüber dem Beklagtenvertreter Mag. A* S* geäußert, dieser „habe erst jetzt gelernt, was ein Vorhalt sei“ und diesen dadurch unsachlich in Streit gezogen,
2./ mit dem Beklagten DI Dr. R* W* „herumgestritten“ und dabei geäußert „dass es keinen Sinn habe, bis zum OGH zu rennen, mit einem Anwalt, der das gerne macht“ und der Beklagtenvertreter „einen diesbezüglichen Ruf hätte“ und
3./ dem Beklagten DI Dr. R* W* vorgeworfen, dass er „vermuteterweise paranoid“ sei.
[3] Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße in der Höhe von 2.000 Euro verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die – undifferenziert ausgeführte – Berufung des Disziplinarbeschuldigten „wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe“ (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen im Rahmen der Berufung wegen Schuld vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]).
[5] Ein Rechtsanwalt ist zwar gemäß § 9 Abs 1 RAO befugt, alles was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen. Unsachliche oder beleidigende Äußerungen sind aber weder unter dem Gesichtspunkt gewissenhafter Vertretung (RIS‑Justiz RS0055897 [T9]) noch unter jenem der Meinungsfreiheit (RIS‑Justiz RS0056168 [T11]) zulässig. Insbesondere besteht der dem beruflichen Wirken der Anwaltschaft abgeforderte und von ihr auch zu Recht erwartete Beitrag zur Rechtspflege unter anderem in ihrer Einflussnahme darauf, dass Konflikte mit ausschließlich sachorientierter Argumentation emotionsfrei ausgetragen werden (Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 1 DSt S 869). In diesem Zusammenhang verlangt § 21 Abs 1 RL‑BA 2015 im Umgang mit anderen Rechtsanwälten die Einhaltung des Prinzips der Kollegialität und verbietet insbesondere, diese unnötig in Streit zu ziehen oder persönlich anzugreifen. Unabhängig davon, ob – wie von der Berufung zu 1./ thematisiert – nach der ZPO ein „ganzer Schriftsatz“ Inhalt eines „Vorhalts“ sein kann, hat der Disziplinarbeschuldigte durch die bezughabende Formulierung „er habe erst jetzt gelernt, was ein Vorhalt“ sei, womit er dem gegnerischen Anwalt mangelnde Kenntnis der ZPO vorgeworfen hat (disloziert ES 5), nicht bloß seinen Rechtsstandpunkt bezüglich des Inhalts von Vorhalten nach der ZPO sachlich vertreten, sondern damit vielmehr – weil zur Erreichung einer Besserstellung seiner Mandantin von vornherein ungeeignet – die Grenze zulässiger sachlicher Kritik am Wirken des gegnerischen Anwalts überschritten. Dem diesbezüglichen, erkennbar eine Rechtsrüge (Z 9 lit a) beinhaltenden Vorbringen war daher ein Erfolg zu versagen.
[6] Insoweit der Rechtsmittelwerber zu 3./ die Subsumtion des Disziplinarrats unter Berufung darauf in Frage zu stellen trachtet (Z 9 lit a StPO), dass DI Dr. W* den Disziplinarbeschuldigten „nachher“ wegen einer Rechtsvertretung kontaktiert und sich daher „vom Disziplinarbeschuldigten offenbar nicht so sehr beleidigt und herabsetzt gefühlt habe“, übersieht er, dass es sich bei jener Äußerung (auch; ES 6) um eine unsachliche, nicht der Anspruchsdurchsetzung dienende gehandelt hat, die den von § 9 RAO vorgegebenen Rahmen pflichtgemäßer Berufsausübung verlässt (vgl RIS‑Justiz RS0072230; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 16).
Zur amtswegigen Maßnahme zu 2./:
[7] Für die Beurteilung der konstatierten Äußerung als „diffamierend“ fehlt es an Feststellungen zu deren konkretem Bedeutungsinhalt. Feststellungen zum Bedeutungsinhalt können nämlich durch die bloße Wiedergabe des – im vorliegenden Fall durchaus interpretativen Spielraum bietenden – Wortlauts der Äußerung nicht ersetzt werden; eine solche dient allenfalls der Begründung getroffener Konstatierungen (vgl RIS‑Justiz RS0092437 [insb T4]). Bereits dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert eine Aufhebung des Erkenntnisses im Umfang des Spruchpunkts 2./. Ein Eingehen auf das – der Sache nach beweiswürdigende Erwägungen zum ohnedies nicht konstatierten Bedeutungsinhalt anstellende – Berufungsvorbringen erübrigt sich daher.
[8] Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten * wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher in Ansehung der Schuldsprüche 1./ und 3./ nicht Folge zu geben.
[9] Aus deren Anlass war das Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Schuldspruch 2./ von Amts wegen (§ 77 Abs 3 DSt iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) und demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zu verweisen.
[10] Mit seiner den Schuldspruch 2./ betreffenden Berufung wegen Schuld und seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Disziplinarbeschuldigte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
[11] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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