European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0240DS00002.22M.0921.000
Spruch:
Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben. Der Berufung wegen Strafe wird Folge gegeben und über den Beschuldigten eine Geldbuße von 1.000 Euro verhängt.
Der Beschuldigte hat auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, im zweiten Rechtsgang (24 Ds 4/20b) ergangenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte infolge Verletzung der §§ 9 Abs 1 und 10 Abs 1 RAO und des § 10 Abs 1 Z 2, 3 und 4 RL-BA 2015 der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat er trotz aufrechten Mandats gegenüber der N* GmbH (im Folgenden: N* GmbH) im Februar 2017 an der Errichtung der konkurrierenden Ne* GmbH (im Folgenden: Ne* GmbH) mitgewirkt, dadurch gegen die Interessen seiner Mandantin N* GmbH gehandelt und somit gegen seine Verpflichtung, mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit die Vertretung dieser Gesellschaft zu führen, schuldhaft verstoßen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656) Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.
[4] Soweit die Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) das Vorliegen einer echten/materiellen (im Sinn einer eigentlichen) Doppelvertretung (Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 10 RAO Rz 9/1 ff) sowie ein zwischen den beteiligten Gesellschaften bestehendes Konkurrenzverhältnis bestreitet und von einer uneigentlichen Doppelvertretung sowie einem fehlenden sachlichen Zusammenhang iSd § 10 Abs 1 RAO ausgeht, weil die Gesellschafter der neu gegründeten Ne* GmbH keine „Gegenpartei“ im Verhältnis zur N* GmbH darstellen, ignoriert sie prozessordnungswidrig den festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581 und 584).
[5] Danach hat der Beschuldigte im Februar 2017 für die künftigen Gesellschafter der Ne* GmbH, darunter auch H*, der vor seinem Wechsel Laborleiter der N* GmbH war, teils in bewusster Umgehung von Gesellschaftern der von ihm gleichzeitig vertretenen N* GmbH (insbesondere von W*), trotz zu dieser Zeit zu AZ * beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz mit den gefährdeten Parteien W* und G* geführten Provisorialverfahrens (in dem die Rechtsanwaltskanzlei des Disziplinarbeschuldigten die N* GmbH als Gegnerin der gefährdeten Parteien vertrat), durch Verfassen des Gesellschaftsvertrages und Betreibung der durchgeführten Firmenbucheintragung an der Gründung der infolge desselben Geschäftszwecks (Betrieb eines *) im direkten Konkurrenzverhältnis zur durch ihn gleichzeitig und langjährig seit dem Jahr 2001 vertretenen N* GmbH stehenden Ne* GmbH mitgewirkt, wodurch er zur Schaffung eines unmittelbaren Konkurrenzunternehmens, zu dem der Großteil der bisherigen Angestellten (13 oder 14 von 17) und auch ein Teil des Kundenstocks wechselte mit gleicher Betriebsadresse gegenüber der von ihm ebenfalls vertretenen N* GmbH beitrug (ES 4 ff).
[6] Inwiefern der Beschuldigte solcherart nicht iSd § 10 Abs 1 RAO gleichzeitig die N* GmbH und die Gesellschafter der neu gegründeten Ne* GmbH trotz infolge des zwischen den beiden Gesellschaften bestehenden Konkurrenzverhältnisses widerstreitender Interessenlagen in ihrer wirtschaftlichen Gestion vertreten bzw ihnen Rat erteilt hat (RIS‑Justiz RS0055492, RS0106253; Rohregger aaO Rz 10; § 1 DSt Rz 37/3 und 38) und fallbezogen bei inhaltlicher Prüfung keine – weit zu verstehende und ungeachtet formaler gesellschaftsrechtlicher Betrachtung von Beteiligungsverhältnissen – materielle (auch dem äußeren Anschein nach bestehende) Interessenkollision iSd § 10 RL‑BA 2015, jedenfalls aber eine fallbezogen zureichend zu besorgende Gefährdung der Interessen der N* GmbH vorliege (Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 10 RL‑BA 2015 Rz 14 f) und keine Verletzung der Treuepflicht (auch iSd § 9 Abs 1 RAO) wegen Interessenkollision anzunehmen sei (RIS‑Justiz RS0117715, RS0118082, RS0116766, RS0054977; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 10, § 10 RAO Rz 11 f, § 1 DSt Rz 37 ff, 40/2, § 10 RL‑BA 2015 Rz 19), wird nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS‑Justiz RS0116565; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588).
[7] Dass der (Mit‑)Gesellschafter R* der N* GmbH (zunächst) nicht auch Gesellschafter der neu gegründeten Ne* GmbH wurde (siehe jedoch die Konstatierungen zur zunächst treuhändigen Haltung dessen Geschäftsanteile durch die seitens des Beschuldigten [dem auch die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder und die Benennung des Stiftungsprüfers zukommt] gestiftete A*-Privatstiftung und die mittlerweile durch Ziehung eingeräumter Optionsrechte geänderten Geschäftsanteile, wodurch R* nunmehr Mehrheitsgesellschafter der Ne* GmbH ist; ES 3 f, ES 5 dritter Absatz), ist fallbezogen aufgrund gebotener inhaltlicher Betrachtung der gleichzeitig durch den Beschuldigten wahrgenommenen widerstreitenden Interessenlagen nicht entscheidend.
[8] Dass die Gründung der Ne* GmbH nicht (auch) zugunsten des R* erfolgt sei, ignoriert feststellungs‑ und damit prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581 und 584) die zwischen diesem und weiteren künftigen Mitgesellschaftern bereits im Jahr 2016 unter – vom Beschuldigten gebilligter – Geheimhaltung vor dem Mitgesellschafter (der N* GmbH) W* geführten Gespräche über die zunächst ohne formale Beteiligung des R* beabsichtigte Neugründung und die zugunsten R* mit entsprechenden (auch wahrgenommenen) Optionsrechten ausgestaltete Treuhandkonstruktion betreffend Geschäftsanteile an der Ne* GmbH (ES 5 dritter und letzter Absatz; arg: „wurden die vereinbarten Optionsrechte gezogen, sodass nunmehr Herr R* Mehrheitsgesellschafter dieser Gesellschaft ist“).
[9] Soweit der Beschuldigte Feststellungen zur subjektiven Tatseite vermisst, ist er auf die Konstatierungen auf ES 9 dritter Absatz zu verweisen, wonach zumindest fahrlässiges Handeln angelastet wird (vgl auch ES 2 erster Absatz: „schuldhaft“).
[10] Auch der Schuldberufung im engeren Sinn war ein Erfolg zu versagen, weil sich der Disziplinarrat im Rahmen seiner empirisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Tat auseinandersetzte und seine Feststellungen überzeugend begründete, sodass gegen die Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage keine Bedenken bestehen.
[11] Über den Beschuldigten wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis die Disziplinarstrafe einer Geldbuße von 1.500 Euro ausgesprochen. Dabei hat der Disziplinarrat ausgehend von einer als angemessen erachteten Geldbuße von 2000 Euro im Hinblick auf die schon bis zum Tag seines Erkenntnisses überlange Verfahrensdauer 500 Euro abgezogen.
[12] Allerdings verzögerte sich das Verfahren erster Instanz nach Verkündung des Erkenntnisses weiterhin unangemessen, sodass sich der Oberste Gerichtshof zum Ausgleich der unverhältnismäßigen Verfahrensdauer (Art 6 MRK) zu einer weiteren Reduktion um abermals 500 Euro veranlasst sah. Daher war über dem Beschuldigten die aus dem Spruch ersichtliche Geldbuße zu verhängen.
[13] Der Ausspruch über die Verfahrenskosten gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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