European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0240DS00019.22M.0426.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt) und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) für schuldig erkannt und hierfür gemäß § 38 Abs 2 DSt iVm § 16 Abs 1 Z 1 DSt zu einer Geldbuße in Höhe von 3.000 Euro verurteilt.
[2] Danach hat er sein Honorar aus dem Verfahren * des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz gegenüber seinem Klienten * F* B* über einen Zeitraum von Juli 2018 bis (letztlich) 20. September 2019 nicht, sohin über einen Zeitraum von 14 Monaten verspätet abgerechnet und damit (schuldhaft) gegen seine Verpflichtungen aus § 9 RAO iVm § 19 RAO verstoßen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen den Strafausspruch richtet sich die Berufung des Kammeranwalts, in der er zwar (allgemein) „die Unrichtigkeit der Bemessung des Strafausmaßes“ kritisiert, in seinem Berufungsantrag allerdings ausdrücklich bloß eine Umwandlung der unbedingt verhängten Geldbuße in eine bedingte Strafe begehrt.
[4] Die Berufung ist nicht berechtigt.
[5] Der Gesetzgeber hat (erst) mit dem BRÄG 2020, BGBl Nr I 2020/19, die Möglichkeit bedingter und teilbedingter Strafnachsicht der Geldbuße geschaffen (§ 16 Abs 2 DSt). Nach der Übergangsbestimmung des § 80 Abs 6 DSt trat (ua) § 16 Abs 2 DSt mit 1. April 2020 in Kraft. Eine bedingte Strafnachsicht ist daher (nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut) erst auf Disziplinarvergehen anzuwenden, die nach dem 31. März 2020 begangen wurden. Nach den Feststellungen des Disziplinarrats waren die disziplinären Handlungen des Beschuldigten aber (spätestens) mit 20. September 2019 abgeschlossen, sodass eine Anwendung der bedingten oder teilbedingten Strafnachsicht entgegen der Berufung des Kammeranwalts nicht möglich ist.
[6] Im Übrigen hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in seinen Erkenntnissen 20 Ds 3/21b, 20 Ds 4/21z und 20 Ds 6/21v (RIS‑Justiz RS0133799) mit der Frage beschäftigt, ob eine an § 61 StGB orientierte Auslegung der Übergangsbestimmung die rückwirkende Anwendung der bedingten Strafnachsicht gebiete. Er hat das ebenso verneint, wie einen möglichen Verstoß gegen grundrechtliche Vorgaben (König in Murko/Nunner-Krautgasser, Anwaltliches und notarielles Berufsrecht, § 16 DSt Rz 36; kritisch Buresch, AnwBl 2022/90, 178).
[7] Zu einer – im Schrifttum angeregten – Vorlage an den Verfassungsgerichtshof zwecks Aufhebung des § 80 Abs 6 DSt als Art 7 EMRK widersprechend, sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, weil das anwaltliche Disziplinarverfahren kein Strafverfahren darstellt (EGMR 19. 2. 2013, 47195/06; 24 Os 6/16m), § 80 Abs 6 DSt also mangels strafrechtlichen Norminhalts von Art 7 EMRK nicht erfasst wird.
[8] Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof scheitert darüber hinaus daran, dass das österreichische Disziplinarrecht für Rechtsanwälte nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, also bei der „Durchführung des Rechts der Union“ nicht anzuwenden ist (vgl etwa C‑617/10 ; C‑390/12 oder C‑198/13 ).
[9] Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
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