OGH 20Ds4/21z

OGH20Ds4/21z2.11.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Hofer als Anwaltsrichter in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten und des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 11. Jänner 2021, AZ D 14/20, 5 DV 41/20, TZ 30, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, LL.M.(WU), des Kammeranwalts Mag. Kammler und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0200DS00004.21Z.1102.000

 

Spruch:

 

Der Berufung des Beschuldigten wird nicht Folge gegeben.

In Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit wird der Ausspruch über die bedingte Strafnachsicht aus dem angefochtenen Erkenntnis ersatzlos ausgeschaltet.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Kammeranwalt auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt und hierfür zu einer Geldbuße von 3.500 Euro verurteilt, welche gemäß § 16 Abs 2 DSt unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Als mildernd wertete der Disziplinarrat die Unbescholtenheit, als erschwerend keinen Umstand.

[2] Danach hat er ab Sommer 2019 die Vertretung von H***** und K***** W***** als Bestandgeber aus dem Bestandvertrag vom 7. Juli 1975 mit dem S***** W***** als Bestandnehmer betreffend zwei Grundstücke in W***** übernommen und die zu diesem Bestandvertrag am 28. September abgeschlossene Zusatzvereinbarung errichtet, obwohl Dr. ***** H*****, Rechtsanwalt in *****, im Frühjahr 2019 die Vertretung der Bestandgeber für die Errichtung einer Zusatzvereinbarung zum Bestandvertrag übernommen hatte und dieses Vertretungsverhältnis zum Zeitpunkt der Übernahme der Vertretung der Bestandgeber durch den Beschuldigten noch aufrecht war und auch nicht aufgelöst wurde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie die Berufung des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 3. Fall StPO und wegen des Ausspruchs über die Strafe.

[4] In ihren Gegenausführungen beantragen die Rechtsmittelwerber der Berufung des jeweiligen Berufungsgegners nicht Folge zu geben.

 

Zur Berufung des Beschuldigten:

[5] Gemäß § 20 RL‑BA 2015 darf der Rechtsanwalt die Vertretung einer Partei anstelle eines anderen Rechtsanwalts ohne dessen Einverständnis nur übernehmen, wenn der Klient das bestehende Vertretungsverhältnis ohne Verzug auflöst. Verboten wird die Übernahme der Vertretung einer Partei, welche in dieser Sache bereits durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten wird, ohne dass dieser damit einverstanden ist. Dadurch soll verhindert werden, dass zwei Rechtsanwälte ohne Abstimmung für den selben Mandanten arbeiten. Unter Vertretung ist die Vertretung vor Gericht oder Behörden, aber auch außergerichtlich zu verstehen. Eine bloß interne Beratung und eine Begutachtung der Tätigkeit des anderen Rechtsanwalts fällt nicht unter das Verbot. Bei jeglicher nach außen wirkender Tätigkeit (zB Kontakt mit Gericht, Behörde und Vertragspartnern des Mandanten) muss allerdings das Einverständnis des bisher tätigen Rechtsanwalts eingeholt und mit diesem abgestimmt werden, wer in welchen Bereichen nach außen auftritt, sofern das bisherige Vertretungsverhältnis nicht ohne Verzug aufgelöst wird (vgl Engelhart in Engelhart et al RAO10 § 20 RL‑BA 2015 Rz 2, 3).

[6] Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld macht geltend, die Tätigkeit des Beschuldigten hätte sich nur auf eine vom Vertragsverfasser abgelehnte zusätzliche Klausel für die Zusatzvereinbarung bezogen, eine bestimmte namentlich genannte Familie von Vereinsfunktionen beim Bestandnehmer und durch ein Betretungsverbot von der Benützung des Bestandgegenstands auszuschließen, die Auflösung des Vertretungsverhältnisses mit Dr. H***** wäre damit nicht Voraussetzung für seine Vertretungstätigkeit gewesen.

[7] Dieses Vorbringen orientiert sich allerdings nicht an den gesamten vom Disziplinarrat in ausführlicher Begründung (ES 4 ff) herangezogenen Beweisergebnissen. Dass die Aufnahme der Ausschließungsklausel auch Gegenstand der Vertretungstätigkeit von Dr. H***** war, ergibt sich – wie vom Disziplinarrat zutreffend erwogen (ES 5) – schon daraus, dass dieser einen solchen Passus nicht in die Zusatzvereinbarung aufnehmen wollte. Der Beschuldigte übergeht insbesondere die Aussage der Zeugin K***** W***** (TZ 16), Dr. H***** hätte die Ausschließungsklausel nicht in den Vertrag aufnehmen, wohl aber in einer Nebenvereinbarung festhalten wollen (TZ 16). Daraus resultiert die Überschneidung hinsichtlich dieses Beratungsfeldes. Wenn der Berufungswerber darauf verweist, die Vertretungsklausel, wonach er von den Bestandgebern mit der Errichtung der Zusatzvereinbarung beauftragt wurde, sei irrtümlich aufgenommen worden, weckt er keine Bedenken an den Feststellungen des Disziplinarrats, weil unstrittig ist, dass er eine der vorliegenden Versionen der Zusatzvereinbarung (Beilage ./3) zur Gänze errichtet hat und auch die Bestandnehmerseite von einem Rechtsanwalt vertreten war, dem er mit Schreiben Beilage ./11 in Vertretung der Bestandgeber den Wortlaut der Ausschließungsklausel vorschlug. In demselben Schreiben kündigte der Beschuldigte dem Rechtsvertreter des Bestandnehmers an, bei Ablehnung dieser Ausschließungsklausel würden seine Mandanten mit anderen Interessenten einen Bestandvertrag abschließen. Damit stellte er die gesamte Zusatzvereinbarung, mit deren Errichtung nach den unbekämpften Feststellungen Dr. H***** beauftragt war, in Frage. Zu Recht nahm der Disziplinarrat – wenngleich disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – daher nicht bloß eine auf die Ausschließungsklausel eingeschränkte Beratungstätigkeit an (ES 6). Der Inhalt dieses Schreibens steht logisch in Einklang mit der Vertretungsklausel in Punkt XX Abs 2 der Beilage ./3. Einen bedenklichen Ermessensgebrauch des Disziplinarrats im Zuge der Beweiswürdigung vermag der Beschuldigte nicht aufzuzeigen. Sein weiterer Vortrag, er habe die Zusatzvereinbarung lediglich aufgrund des Wunsches des Bestandnehmers verfasst, kann ihn nicht entlasten, weil er selbst seine Befugnisse zu prüfen hat.

[8] Mit seiner auf Z 10 (der Sache nach Z 9 lit b), gestützten Rechtsrüge reklamiert der Beschuldigte die Anwendung von § 3 DSt. Nach den Feststellungen war dem Beschuldigten bekannt, dass die Bestandgeber Rechtsanwalt Dr. H***** mit der Errichtung einer Zusatzvereinbarung zum Bestandvertrag vom 7. Juli 1975 beauftragt hatten und dass das Vertretungsverhältnis bei Aufnahme seiner Tätigkeit nicht aufgelöst war. Seine Rechtsrüge legt nicht überzeugend dar, weshalb im Gegenstand sein Verschulden absolut und im Vergleich zu typischen Fällen der Deliktsverwirklichung geringfügig sein soll (vgl Lehner in Engelhart et al RAO10 § 3 DSt Rz 5), mithin ein Bagatelldelikt vorliege (vgl Lehner in Engelhart et al RAO10 § 3 DSt Rz 1).

[9] In seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe verweist der Beschuldigte erkennbar auf sein Vorbringen zur Nichtigkeit gemäß Z 9 lit b, wonach sein Verschulden als geringfügig anzusehen sei und die Tat keine bzw nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen habe.

[10] Die Schuld des Berufungswerbers ist keinesfalls als gering anzusehen. In seiner verantwortlichen Stellungnahme TZ 12 bezeichnet er Rechtsanwalt Dr. H***** als Vertragserrichter, der beauftragt werden sollte, die vom Beschuldigten entworfene Ausschließungsklausel in den Verlängerungsvertrag (gemeint in die Zusatzvereinbarung) mitaufzunehmen. Nach dem konstatierten Sachverhalt hat sich der Beschuldigte nie um das Einverständnis des zuerst beauftragten Vertragsverfassers bemüht und noch in seiner Rechtsmittelschrift geht er davon aus, das zu diesem bestehende Vertretungsverhältnis der Bestandgeber hätte weiter bestanden. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der Beschuldigte über § 20 RL‑BA 2015 einfach hinweggesetzt hat.

[11] Der Berufungswerber räumt selbst ein (TZ 35), dass die Bestandgeber trotz seiner Tätigkeit auch noch Dr. H***** zu bezahlen hatten. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass Normzweck von § 20 RL‑BA 2015 auch die Vermeidung einer Störung eines bestehenden Mandatsverhältnisses ist (vgl Engelhart in Engelhart et al RAO10 § 20 RL‑BA 2015 Rz 2). Nach dem insofern nicht bestrittenen Inhalt dessen Anzeige hatte Dr. H***** im Sommer 2019 längere Zeit von der Angelegenheit nichts gehört. Als er sich bei den Bestandgebern erkundigte, musste er erfahren, dass die Angelegenheit längst abgeschlossen war. Fallbezogen stellt diese Störung des Mandatsverhältnisses einen immateriellen Schaden dar, der bereits die Anwendung des Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 13 erster Fall StGB ausschließt (vgl RIS‑Justiz RS0096979; 30 Ds 2/19a).

[12] Der Berufung des Beschuldigten war somit insgesamt der Erfolg zu versagen.

 

Zur Berufung des Kammeranwalts:

[13] Gestützt auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO macht der Kammeranwalt geltend, die Übergangsbestimmung des § 80 Abs 6 4. Satz DSt idF BGBl I 19/2020 sehe die Anwendung des § 16 Abs 2 DSt in der Fassung des Berufsrechtsänderungsgesetzes (BRÄG) 2020, welcher die Möglichkeit der bedingten Nachsicht einer Geldbuße eröffnete, ausnahmslos für Disziplinarvergehen vor, die nach dem 31. März 2020 begangen wurden, weshalb fallbezogen teilbedingte Nachsicht der verhängten Geldbuße nicht in Betracht komme.

[14] Die Generalprokuratur ist dem Begehren des Kammeranwalts im Ergebnis beigetreten.

 

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[15] Mit dem BRÄG 2020, BGBl I 19/2020, wurde die Möglichkeit bedingter und teilbedingter Strafnachsicht der Disziplinarstrafe der Geldbuße geschaffen (§ 16 Ab 2 DSt). Nach der Übergangsbestimmung des § 80 Abs 6 DSt trat (ua) § 16 Abs 2 mit 1. April 2020 in Kraft und ist auf Disziplinarvergehen anzuwenden, die nach dem 31. März 2020 begangen werden. Mit Ablauf eben dieses Tages trat § 39 DSt („Schuldspruch ohne Strafe“) außer Kraft, ist aber weiter auf Disziplinarvergehen anzuwenden, die vor dem 1. April 2020 begangen wurden.

 

[16] Zunächst ist festzuhalten, dass es im DSt keine generelle Verweisungsnorm auf die Bestimmungen des StGB gibt, vielmehr bloß punktuell auf einzelne Normen dieses Gesetzes rekurriert wird (etwa in § 16 Abs 5 und Abs 8 DSt). Art I Abs 1 des StRAG (BGBl 422/1974) ordnet die Anwendung des Allgemeinen Teils des StGB lediglich auf Taten an, die in anderen auf Gesetzesstufe stehenden, als Bundesrecht geltenden Rechtsvorschriften mit gerichtlicher Strafe bedroht werden, sofern diese Gesetze nichts anderes bestimmen. § 61 StGB findet daher mangels einer entsprechenden – allgemeinen oder konkreten – Verweisungsnorm im Bereich des DSt keine direkte Anwendung (anders gelagert [keine Übergangsbestimmung, analoge Anwendung des § 61 StGB zur Vermeidung der Verletzung des Gleichheitsgebots] VfGH 11. 6. 2002, Slg Nr 16518).

 

[17] Im angefochtenen Erkenntnis wird vermeint, dass § 80 Abs 6 DSt nicht „anführt“, dass bedingte Nachsicht einer Geldbuße „nur“ auf nach dem 31. März 2020 begangene Disziplinarvergehen anzuwenden sei, vielmehr ergebe „ausdrückliche Analogie“ dieser Bestimmung die Möglichkeit der in Rede stehenden Rechtswohltat auch auf vor dem Stichtag gesetzte Taten.

[18] Der klare Wortlaut des § 80 Abs 6 DSt lässt indes keine planwidrige Lücke erkennen, weshalb Analogie schon vom Ansatz her nicht in Frage kommt. Die Auslegung durch den Disziplinarrat würde vielmehr der genannten Norm jeglichen Sinn und Anwendungsbereich nehmen, was ihr schon methodisch entgegensteht (vgl etwa Kramer, Juristische Methodenlehre3 105 mwN).

[19] Bei der grundrechtlichen Prüfung – Art 7 Abs 1 zweiter Satz MRK unter Beachtung von Art 49 Abs 1 dritter Satz EGCh – ist der Vergleich der zum Tat- und zum Urteilszeitpunkt geltenden Gesetze in ihrer Gesamtheit vorzunehmen (Kröll in Holoubek/Lienbacher GRC‑Komm Art 49 Rz 29 mwN).

[20] Vor dem BRÄG 2020 gab es im DSt zwar nicht die Möglichkeit bedingter Nachsicht einer Geldbuße, wohl aber den klar weniger eingriffsintensiven § 39 („Schuldspruch ohne Strafe“). Die Gesamtbetrachtung erweist das Sanktionenrecht des DSt nach dem 1. April 2020 folglich nicht als milderes Gesetz iSv Art 49 Abs 1 dritter Satz EGCh. Damit kann auch die – im Übrigen keineswegs unbestritten gebliebene (Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 24 Rz 161) – Entscheidung des EGMR vom 17. September 2009, Zl 10249/03 (Scoppola/Italien) gerade wegen ihres ausdrücklichen Bezugs auf Art 49 Abs 1 GRCh im Gegenstand dahinstehen.

[21] In Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit war daher wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden, die Berufung wegen Strafe darauf zu verweisen und die Kostenersatzpflicht des Beschuldigten auszusprechen (§§ 38 Abs 2, 54 Abs 5 DSt).

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