OGH 20Ds6/21v

OGH20Ds6/21v2.11.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Mitterlehner als Anwaltsrichter in Gegenwart von OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten und des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 11. Jänner 2021, AZ D 13/20, 7 DV 25/20, TZ 35, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, des Kammeranwalts Mag. Kammler und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133123

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Der Berufung des Beschuldigten wird nicht Folge gegeben.

In Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit wird der Ausspruch über die teilbedingte Strafnachsicht aus dem angefochtenen Erkenntnis ersatzlos ausgeschaltet.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Kammeranwalt auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschuldigte des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) schuldig erkannt, weil er gegenüber der C*, trotz bestehender Rechtsschutzdeckung für deren Vertretung gegen U* und obwohl hiezu keine Vereinbarung getroffen wurde,

a./ mit Honorarnote Nr 17/167 vom 16. Februar 2017 für die in II. Instanz erbrachten Leistungen bei einer Bemessungsgrundlage von 25.200 Euro ein Zeithonorar (Abrechnung nach Stunden) von brutto 9.177,18 Euro geltend machte, nachdem von der Rechtsschutzversicherung nur die tariflichen Kosten von 1.105,60 Euro sowie von der C* die darauf entfallende Umsatzsteuer von 281,12 Euro bezahlt worden waren;

b./ mit Honorarnote Nr 17/296 vom 17. März 2017 für die in I. Instanz erbrachten Leistungen einen unter Zugrundelegung eines doppelten Einheitssatzes abgerechneten restlichen Honoraranspruchs von brutto 2.230 Euro (4.230 Euro abzüglich 2.000 Euro Selbstbehalt), der von der Rechtsschutzversicherung aufgrund der Versicherungsbedingungen nicht bezahlt wurde, geltend machte.

[2] Er wurde hiefür zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße in Höhe von 4.000 Euro verurteilt, wobei ein Teilbetrag in Höhe von 2.000 Euro gemäß § 16 Abs 2 DSt (idF BGBI I 2020/19; vgl ES 10) unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

[3] Gegen dieses Erkenntnis richten sich die unter anderem Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie die Berufung des Kammeranwalts, in der dieser Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO geltend macht, und wegen des Ausspruchs über die Strafe.

 

Zur Berufung des Beschuldigten:

[4] Entgegen der Behauptung (Z 9 lit b) mangelnder Strafwürdigkeit der Tat (§ 3 DSt) ist das Verschulden des Beschuldigten in concreto nicht bloß als geringfügig im Sinn von erheblich hinter den typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibend (RIS‑Justiz RS0056585, RS0089974) anzusehen, hat er es doch bei der Einforderung von Honorar gegenüber seiner Mandantin nach den im angefochtenen Erkenntnis nachvollziehbar dargestellten Erwägungen mehrfach an Genauigkeit und Sorgfalt fehlen lassen. Soweit der Beschuldigte in diesem Zusammenhang ins Treffen führt, dass die C* seine Forderung im (anhängigen) Zivilverfahren vor dem Bezirksgericht Linz bestreiten könne, und keine Sachverhaltsdarstellung der C*, sondern eine pflichtgemäße Anzeige nach § 25 RL‑BA 2015 von Amts wegen zum Disziplinarverfahren geführt habe, übersieht er einerseits, dass das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes jeweils mit Legung der inkriminierten Honorarnoten vollendet war (RIS‑Justiz RS0120096), und entfernt sich andererseits vom Inhalt des angefochtenen Erkenntnisses (vgl aber RIS‑Justiz RS0099810).

[5] Eine Anwendung des § 3 DSt scheidet demnach schon aus diesen Gründen aus; es muss daher nicht darauf eingegangen werden, ob die Tatfolgen in concreto noch als unbedeutend anzusehen sind.

[6] Der Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld gelingt es nicht, Bedenken gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken.

[7] Dazu reicht die schlichte Bestreitung der im Erkenntnis enthaltenen Feststellungen durch den Beschuldigten unter Wiederholung seiner bisherigen, vom Disziplinarrat umfassend erörterten (ES 6 ff) Verantwortung, insbesondere zu einer – angeblich mündlich getroffenen – Honorarvereinbarung samt Hinweis auf die „familiäre und organschaftliche Parteistellung“ der Zeugen, nicht hin.

[8] Mit Blick auf die widerspruchsfreie und lebensnahe Bewertung der wesentlichen Verfahrensergebnisse durch den Disziplinarrat, der überzeugend und logisch nachvollziehbar dargetan hat, weshalb er der Darstellung der Vertreter der GmbH folgte, versagt auch die Reklamation der Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“.

[9] Der Berufung des Beschuldigten wegen Schuld war daher – in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Kammeranwalts und der Generalprokuratur – nicht Folge zu geben.

[10] Auch die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist nicht berechtigt. Die mit 4.000 Euro bemessene Geldbuße ist in Anbetracht des Umstands, dass der Beschuldigte zu seinen Einkommensverhältnissen keine Angaben machte und sorgepflichtig für eine Tochter im Alter von 16 Jahren ist, und im Hinblick darauf, dass gerade bei Honorarabrechnungen vom Anwalt größte Sorgfalt und peinlichste Genauigkeit verlangt werden, schuld- und tatangemessen, dies unter der schon durch die erste Instanz richtig erfolgten Berücksichtigung der Unbescholtenheit als Milderungsgrund und der Wertung des Vorliegens zweier Angriffe als erschwerend, während die vom Beschuldigten in seiner Berufung verlangte Berücksichtigung seiner „Unbesonnenheit“ als weiterer Milderungsgrund nicht erfolgen kann.

 

Zur Berufung des Kammeranwalts:

[11] Der Kammeranwalt zeigt in seiner Berufung wegen Nichtigkeit indes zutreffend auf, dass durch die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht unter Anwendung des § 16 Abs 2 DSt idF BGBI I 2020/19 in unvertretbarer Weise gegen die Bestimmungen über die Strafbemessung verstoßen wurde (§ 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO).

[12] Denn die Übergangsbestimmung des § 80 Abs 6 vierter Satz DSt idF BGBl I 19/2020 sehe die Anwendung des § 16 Abs 2 DSt in der Fassung des Berufsrechtsänderungsgesetzes (BRÄG) 2020, welcher die Möglichkeit der bedingten Nachsicht einer Geldbuße eröffnete, ausnahmslos für Disziplinarvergehen vor, die nach dem 31. März 2020 begangen wurden, weshalb fallbezogen teilbedingte Nachsicht der verhängten Geldbuße nicht in Betracht komme.

 

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

[13] Mit dem BRÄG 2020, BGBl I 19/2020, wurde die Möglichkeit bedingter und teilbedingter Strafnachsicht der Disziplinarstrafe der Geldbuße geschaffen (§ 16 Abs 2 DSt). Nach der Übergangsbestimmung des § 80 Abs 6 DSt trat (ua) § 16 Abs 2 mit 1. April 2020 in Kraft und ist auf Disziplinarvergehen anzuwenden, die nach dem 31. März 2020 begangen werden. Mit Ablauf eben dieses Tages trat § 39 DSt („Schuldspruch ohne Strafe“) außer Kraft, ist aber weiter auf Disziplinarvergehen anzuwenden, die vor dem 1. April 2020 begangen wurden.

[14] Zunächst ist festzuhalten, dass es im DSt keine generelle Verweisungsnorm auf die Bestimmungen des StGB gibt, vielmehr bloß punktuell auf einzelne Normen dieses Gesetzes rekurriert wird (etwa in § 16 Abs 5 und Abs 8 DSt). Art I Abs 1 des StRAPG (BGBl 422/1974) ordnet die Anwendung des Allgemeinen Teils des StGB lediglich auf Taten an, die in anderen auf Gesetzesstufe stehenden, als Bundesrecht geltenden Rechtsvorschriften mit gerichtlicher Strafe bedroht werden, sofern diese Gesetze nichts anderes bestimmen. § 61 StGB findet daher mangels einer entsprechenden – allgemeinen oder konkreten – Verweisungsnorm im Bereich des DSt keine Anwendung.

[15] Im angefochtenen Erkenntnis wird vermeint – und der Beschuldigte schließt sich dem in seiner Gegenäußerung zur Berufung des Kammeranwalts (TZ 43) an – dass § 80 Abs 6 DSt nicht „anführt“, dass bedingte Nachsicht einer Geldbuße „nur“ auf nach dem 31. März 2020 begangene Disziplinarvergehen anzuwenden sei, vielmehr ergebe „ausdrückliche Analogie“ dieser Bestimmung die Möglichkeit der Anwendung der in Rede stehenden Rechtswohltat auch auf vor dem Stichtag gesetzte Taten.

[16] Der klare Wortlaut des § 80 Abs 6 DSt lässt indes keine planwidrige Lücke erkennen, weshalb Analogie schon vom Ansatz her nicht in Frage kommt. Die Auslegung durch den Disziplinarrat würde vielmehr der genannten Norm jeglichen Sinn und Anwendungsbereich nehmen, was ihr schon methodisch entgegensteht (vgl etwa Kramer, Juristische Methodenlehre3 105 mwN).

[17] Bei der grundrechtlichen Prüfung – Art 7 Abs 1 zweiter Satz MRK unter Berücksichtigung von Art 49 Abs 1 dritter Satz GRC – ist der Vergleich der zum Tat- und zum Urteilszeitpunkt geltenden Gesetze in ihrer Gesamtheit vorzunehmen (Kröll in Holoubek/Lienbacher GRC‑Komm Art 49 Rz 29 mwN).

[18] Vor dem BRÄG 2020 gab es im DSt zwar nicht die Möglichkeit bedingter Nachsicht einer Geldbuße, wohl aber den klar weniger eingriffsintensiven § 39 („Schuldspruch ohne Strafe“). Die Gesamtbetrachtung erweist das Sanktionenrecht des DSt nach dem 1. April 2020 folglich nicht als milderes Gesetz iSv Art 49 Abs 1 dritter Satz GRC. Damit kann auch die – im Übrigen keineswegs unbestritten gebliebene (Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 24 Rz 161) – Entscheidung des EGMR vom 17. September 2009, Zl 10249/03 (Scoppola/Italien) gerade wegen ihres ausdrücklichen Bezugs auf Art 49 Abs 1 GRC im Gegenstand dahinstehen.

[19] In Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit war daher – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, aber entgegen den Ausführungen des Beschuldigten dazu – wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden und der Kammeranwalt mit seiner – ersichtlich ebenfalls nur den Entfall der bedingten Strafnachsicht anstrebenden – Berufung wegen Strafe darauf zu verweisen.

[20] Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich der Oberste Gerichtshof zu der vom Beschuldigten angeregten Anrufung des Verfassungsgerichtshofs aus den dargelegten Gründen nicht veranlasst sah.

[21] Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

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