European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0220DS00017.22B.0614.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat er als Rechtsvertreter des Minderjährigen * F* in einem – auch der Neuen Mittelschule G* und der Bezirkshauptmannschaft S* übermittelten (ES 5) – Schreiben vom 18. November 2020 die Bildungsdirektion Kärnten aufgefordert, eine die Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Bewältigung der COVID‑19‑Folgen im Schulwesen für das Schuljahr 2020/21 (COVID‑19-Schulverordnung 2020/21 – C‑SchVO 2020/21 ) BGBl II 2020/384 in der ab dem 4. September 2020 geltenden Fassung missachtende (ES 4) und solcherart rechtswidrige Anordnung über das Tragen eines Mund‑Nasen-Schutzes in der Schule zu erlassen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen wegen des Vorliegens der Nichtigkeitsgründe (siehe dazu RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) der Z 1 und 9 (richtig) lit a des § 281 Abs 1 StPO und wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung des Beschuldigten geht – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – fehl.
[4] Der Einwand der Besetzungsrüge (Z 1), der Disziplinarrat sei infolge Beteiligung des zuvor abgelehnten (§ 33 Abs 2 DSt) Anwaltsrichters Dr. Kempf an der Entscheidung nicht gehörig besetzt gewesen, entfernt sich von der Aktenlage, wonach dem erkennenden Senat neben der Vorsitzenden die Anwaltsrichter Mag. Lorber und Mag. Dr. Medwed angehörten (OZl 22). Das Anführen des Namens „Dr. Kempf“ in der Ausfertigung des Disziplinarerkenntnisses beruht auf einem offensichtlichen Schreibfehler (OZl 29) und ist solcherart unter dem Aspekt des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes irrelevant.
[5] Hinzugefügt sei, dass nach dem ungerügten Protokoll über die Disziplinarverhandlung (OZl 24) dem Beschuldigten und seinem Verteidiger unmittelbar nach der Eröffnung der Disziplinarverhandlung die Senatsmitglieder vorgestellt worden sind und weder der Beschuldigte noch sein Verteidiger gegen die Senatsbesetzung einen Einwand erhoben hat (OZl 24 S 1). Hievon ausgehend wäre selbst bei Vorliegen des behaupteten Besetzungsmangels der – auch im anwaltlichen Disziplinarverfahren geltenden (RIS‑Justiz RS0107029; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 49 DSt Rz 6/2 mwN) – Rügeobliegenheit nicht entsprochen worden.
[6] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) übergeht die zum – auf der Tatsachenebene angesiedelten (RIS‑Justiz RS0092437 [T1]) – Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung, nämlich der Aufforderung zur Missachtung geltenden Rechts und solcherart zum Setzen eines rechtswidrigen Verhaltens, getroffenen Konstatierungen des Disziplinarrats (ES 2 f iVm ES 4 und ES 5) und verfehlt daher den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
[7] Hinzugefügt sei, dass der Disziplinarrat ersichtlich (nur) von einem sorgfaltswidrigen Verhalten des Beschuldigten ausging (ES 5), wobei der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab eine Rechtsfrage betrifft (vgl RIS‑Justiz RS0089407), der objektive Sorgfaltsverstoß grundsätzlich auch die subjektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert (RIS‑Justiz RS0088909 [T1], Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 6 Rz 90) und konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte den objektiven Sorgfaltsanforderungen nicht hätte nachkommen können, aus seiner Verantwortung gerade nicht abzuleiten sind (OZl 24 S 2 ff).
[8] Soweit die Berufung den Feststellungen des Disziplinarrats unter Bezugnahme auf mehrere dem inkriminierten Schreiben angeschlossene Beilagen, auf das – bloß (verwaltungsinterne) Weisungen (dazu Muzak, B‑VG6 Art 20 B‑VG Rz 3 ff) betreffende – Remonstrationsrecht nach § 44 Abs 4 BDG, auf ein – nicht die in Rede stehende Verordnung betreffendes – Erkenntnis des Verfassungs-gerichtshofs und auf (aus Art 1 GRC und Art 3 MRK abgeleitete) „Kinderrechte“ eigenständige Erwägungen im Tatsächlichen gegenüberstellt und daraus für sich günstige Schlussfolgerungen reklamiert, verfehlt sie einmal mehr den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.
[9] Die Behauptung von Befangenheit des Untersuchungskommisärs und des Kammeranwalts ist von vornherein ungeeignet, einen Nichtigkeitsgrund darzustellen (RIS‑Justiz RS0129718 und RS0056819).
[10] Sofern die Berufung auch als solche wegen des Ausspruchs über die Schuld im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) zu verstehen ist, entfernt sie sich von den gesetzlichen Anfechtungskriterien, weil sie nicht erklärt, den Ersatz welcher konkreter, in den Entscheidungsgründen festgestellter und den Schuldspruch nach Maßgabe rechtsrichtiger Subsumtion tragender Tatsachen sie begehrt (Ratz, WK‑StPO § 464 Rz 6 und 8).
[11] Der Antrag, den „gesamten Akt des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung“ zur C‑SchVO 2020/21 BGBl II 2020/384 zum Beweis dafür beizuschaffen, dass „dieser keine Begründung oder Evidenz für die Anordnung des Tragens einer den Mund‑ und Nasenbereich abdeckenden Schutzvorrichtung enthielt“, war abzuweisen, weil das Beweisthema für die Beurteilung des Tatverdachts ohne Bedeutung ist (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt [siehe dazu Schmoller, WK‑StPO § 55 Rz 85 f]).
[12] Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten nach § 16 Abs 1 Z 1 DSt die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises und wertete dabei keinen Umstand als erschwerend, die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit als mildernd.
[13] Nach ständiger Judikatur sind die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) auch für das anwaltliche Disziplinarverfahren sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).
[14] Demzufolge tritt der Umstand, dass der Beschuldigte zwei Disziplinarvergehen (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) begangen hat, erschwerend hinzu (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB).
[15] Auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der dargestellten Strafbemessungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) und des Umstands, dass der Disziplinarrat ohnedies die geringste der in § 16 Abs 1 DSt vorgesehenen Disziplinarstrafen ausgesprochen hat, war auch der als erhoben zu betrachtenden (§ 49 letzter Satz DSt) Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ein Erfolg zu versagen.
[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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