European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0210DS00001.20I.1116.000
Spruch:
In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass Grund zur Disziplinarbehandlung in mündlicher Verhandlung hinsichtlich des Verdachts vorliegt, ***** habe sich in der von ihm am 30. Oktober 2018 zu AZ MBA 04‑S 50804/18 beim Magistrat der Stadt Wien eingebrachten „Bescheidbeschwerde“ und „Dienstaufsichtsbeschwerde“, insbesondere durch die in diesem Schriftsatz enthaltenen Äußerungen,
(1) die gesetzliche Zuständigkeit von „irgendwelchen Wiener Gemeindebediensteten“ als Behörde erster Instanz, denen „die Gegebenheiten jenseits des Wienerwaldes wohl wenig vertraut sind“, wäre „[v]öllig uneinsehbar und Schikane“,
(2) die zu 1 bezeichneten Organwalter würden „formularhaft‑ignorante Beharrungsbescheide“ erlassen, weil es ihnen „wohl zu mühsam ist, [...] ein ordentliches Ermittlungsverfahren einzuleiten“,
(3) die zu 1 bezeichneten Organwalter stünden aufgrund des Umstands, dass die GIS Gebühren Info Service GmbH ihren Sitz im selben Wiener Gemeindebezirk wie die betreffende Magistratsbehörde hat, in „einer besonderen personellen Verflochtenheit und interessensmäßigen Nahebeziehung“ zur genannten GmbH, es könne deren „nötige Objektivität und Unvoreingenommenheit jedenfalls nicht angenommen werden“ und es bestehe eine „offenkundige Befangenheit der Magistratsbehörde“,
(4) der „Behörde“ sei angesichts einer (aus dem Wortlaut des in Rede stehenden Straferkenntnisses des Magistrats der Stadt Wien vom 3. Oktober 2018 nicht ersichtlichen) „ungebührlich herablassende[n] Bescheidbegründung [...] „offenkundiger Rassismus“ und den „Wiener Gemeindebediensteten“ [...] „offenkundige Pflichtvergessenheit“ vorzuwerfen und
(5) es sei „[a]llgemein bekannt“, dass „die Österreichische Post mittlerweile bundesweit mit der Erfüllung ihrer Aufgaben heillos überfordert und als habituell untüchtig einzustufen ist“, dass „es bei der Post gerade auch in Salzburg System hat, Zustellungen, soweit überhaupt Post auf den Weg gebracht wird, gar nicht erst zu versuchen“, Hinterlegungsanzeigen „nicht einmal an der Zustelladresse selbst, sondern einfach irgendwo in der Gegend“ zu verstreuen und dass „gerade auch im hier verfahrensgegenständlichen Zustellungszeitraum eine funktionierende Postzustellung jedenfalls auch in der Landeshauptstadt Salzburg und insbesondere im betroffenen Stadtteil T***** nicht mehr stattgefunden hat“,
einer unsachlichen, erkennbar beleidigenden und der Anspruchsdurchsetzung nicht dienlichen Schreibweise bedient und dadurch die belangte Behörde, die Österreichische Post AG sowie deren jeweilige Mitarbeiter in einer die von § 9 RAO vorgegebenen Grenzen schuldhaft übertretenden Weise angegriffen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss wurde festgestellt, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung hinsichtlich des Verdachts vorliege, Rechtsanwalt ***** habe durch die aus dem Spruch ersichtlichen Äußerungen schuldhaft die Pflichten seines Berufs verletzt und die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt.
Nach der Begründung dieser Entscheidung war über F***** O***** ein Verwaltungsstrafverfahren wegen einer Übertretung des Rundfunkgebührengesetzes eingeleitet worden, dem der Vorwurf zu Grunde lag, die Genannte habe einer schriftlichen Aufforderung der GIS Gebühren Info Service GmbH (im Folgenden: GIS) zur Mitteilung darüber, welche Rundfunkeinrichtungen sie an ihrer Wohnanschrift betreibe, nicht Folge geleistet. In ihrem Einspruch gegen die diesbezügliche Strafverfügung des Magistrats der Stadt Wien führte F***** O***** unter anderem aus, sie habe keine Zuschrift der GIS erhalten, bereits in der Vergangenheit Probleme mit Postzustellungen gehabt und dies auch gemeldet. Der Magistrat der Stadt Wien verwarf dieses Vorbringen und stellte ohne weitere Erhebungen fest, dass das Auskunftsbegehren der GIS durch Hinterlegung zugestellt worden sei, aus welchem Grund der untätig gebliebenen F***** O***** die Verletzung des § 2 Abs 5 Rundfunkgebührengesetz iVm § 4 Abs 1 Rundfunkgebührengesetz anzulasten sei, wofür eine Geldstrafe von 100 EUR verhängt wurde.
Der Beschuldigte verfasste als Parteienvertreter der F***** O***** am 30. Oktober 2018 ein als „Bescheidbeschwerde“ und „Dienstaufsichtsbeschwerde“ bezeichnetes Rechtsmittel an das Verwaltungsgericht Wien, in dem er die aus dem Spruch ersichtlichen Ausführungen tätigte.
Das Verwaltungsgericht Wien gab der Beschwerde mit Erkenntnis vom 18. Oktober 2019 Folge, hob die angefochtene Entscheidung auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Zugleich brachte es der Salzburger Rechtsanwaltskammer zur Anzeige, dass sich der Beschuldigte im Schriftsatz vom 30. Oktober 2018 einer „beleidigenden Schreibweise“ bedient habe.
Im Rahmen der Würdigung der inkriminierten Äußerungen auf ihre disziplinarrechtliche Relevanz gelangte der Disziplinarrat – ohne Feststellungen zum konkreten Bedeutungsinhalt der Äußerungen zu treffen – zur Überzeugung, dass es sich zwar um „eine sehr angriffige und energische Wortwahl“ handle, die „hart an der Grenze der erlaubten Angriffsmittel“ liege, aber – mit Blick auf „sämtliche Ausführungen des Disziplinarbeschuldigten“ sowie das „zu Grunde liegende Verwaltungsverfahren“, welches „den Betroffenen“ tatsächlich „sehr ungerecht erscheinen musste“ – „disziplinarrechtlich nicht vorwerfbar“ sei (BS 5 f).
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen gerichtete, einen Einleitungsbeschluss anstrebende Beschwerde des Kammeranwalts ist – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – im Recht.
Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), darf vom Disziplinarrat nur dann gefasst werden, wenn nicht einmal der Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (RIS‑Justiz RS0056969 und RS0057005; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 28 DSt Rz 9).
Vom – eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Lichte des § 212 Z 2 StPO [§ 77 Abs 3 DSt]) nur dann auszugehen, wenn das Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Beschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973 [T5], jüngst 21 Ds 1/19p).
Von einem Rechtsanwalt wird wegen seiner hohen Bildung und seiner Tätigkeit im Rahmen der Rechtspflege verlangt, sich gegenüber einer Behörde eines sachlichen und korrekten Tones zu bedienen (vgl RIS‑Justiz RS0055208 sowie Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 9 RAO Rz 16). Ausfälle gegen eine Behörde und eine beleidigende Schreibweise in Eingaben stellen in objektiver Hinsicht einen Verstoß gegen die Berufspflichten dar (RIS‑Justiz RS0056183). Bereits das fahrlässige Überschreiten des aus § 9 Abs 1 RAO zulässigen Maßes in Schriftsätzen verletzt daher die Berufspflichten und beeinträchtigt überdies die Ehre und das Ansehen des Standes (vgl RIS‑Justiz RS0120395).
Unter Hinweis auf den Wortlaut der aus dem Spruch ersichtlichen – auch ohne Feststellungen zum konkreten Bedeutungsinhalt (vgl RIS‑Justiz RS0092437 [T4] und RS0092588) für die Prüfung der Verdachtslage nach § 28 DSt ausreichenden – Äußerungen im Schriftsatz vom 30. Oktober 2018 macht die Beschwerde hinreichend deutlich geltend, dass aus dem Blickwinkel des § 28 DSt genügend Anhaltspunkte für die Verdachtsannahme vorliegen, der Beschuldigte habe sich als Parteienvertreter durch die dargestellten Angriffe gegen Mitarbeiter des Magistrats der Stadt Wien und der Österreichischen Post AG unsachlicher, beleidigender, nicht der Anspruchsdurchsetzung dienlicher Äußerungen und damit auch einer nicht durch § 9 Abs 1 RAO gedeckten pauschalierenden Polemik (vgl dazu Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 16 mwN) bedient, die ihm – zumal bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt subjektiv erkennbar und vermeidbar – als der Verteidigung seiner Mandantin nicht dienlich, sondern unsachlich und beleidigend vorwerfbar wäre (vgl RIS‑Justiz RS0055208, RS0055897, RS0056312 und RS0120395).
Da die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Verfehlung somit nicht auszuschließen ist und über allfällige Zweifel an der disziplinären Verantwortlichkeit des Beschuldigten nur in einer mündlichen Disziplinarverhandlung entschieden werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0110142), war die Einstellung (§ 28 Abs 3 DSt) unzulässig und demzufolge der angefochtene Beschluss – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.
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