OGH 20Ds17/22p

OGH20Ds17/22p26.4.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 26. April 2023 durch die Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Angermaier und Mag. Eigner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fitzthum als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 23. Mai 2022, GZ *, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts Dr. Meyenburg sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers Mag. Marcel‑Philip Kraml zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0200DS00017.22P.0426.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt und hiefür gemäß § 16 Abs 1 [gemeint] Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 3.500 Euro verurteilt.

[2] Danach hat er

1) entgegen §§ 9 Abs 1, 10 Abs 2 RAO und § 21 Abs 1 zweiter Fall RL‑BA 2015 am 23. April 2021 Rechtsanwalt Dr. * L* im Rahmen einer gemeinsam mit den jeweiligen Mandanten geführten E‑Mail‑Korrespondenz mit beleidigenden und unsachlichen Äußerungen bloßgestellt und herabgewürdigt [indem er um 17:52 Uhr schrieb, er fände es „beschämend“, dass Rechtsanwalt Dr. L* versuche, „derart unverhältnismäßige Forderungen zu erheben“, und um 18:21 Uhr erklärte, es wäre „geradezu peinlich“, „einseitig derartige absurde (!) Forderungen aufzustellen“, er frage sich ernstlich, ob Rechtsanwalt Dr. L* „überhaupt ansatzweise die Hintergründe“ verstehe und „überhaupt ausreichende (wirtschaftliche) Erfahrung mitbringe“, das Verlangen einer Bankgarantie innerhalb einer Woche sei „entweder einfach unverschämt oder unüberlegt …“; ES 4 f];

2) entgegen § 19 RL‑BA 2015 ab 23. April 2021 die Mandanten des Rechtsanwalts Dr. L* [nämlich * D* und * H*; ES 3] unter Umgehung desselben direkt kontaktiert, um diese zu beraten und mit diesen Vertragsverhandlungen zu führen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe.

[4] Ihr kommt keine Berechtigung zu:

[5] Soweit der Berufungswerber zum Schuldspruch zu 1 den (auf Feststellungsebene angesiedelten – vgl RIS‑Justiz RS0092437; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 62/1) Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerungen (ES 7 f und 10) in Zweifel zieht und diese – unter Berufung auf das Recht der freien Meinungsäußerung (Art 10 MRK) und die Billigung eines „emotionalen Überschwangs“ „insbesondere aufgrund der überaus dringlichen Situation“ – als „noch gerechtfertigt“ bezeichnet, bringt er keine Argumente vor, die geeignet wären, Bedenken gegen die zu den maßgeblichen Feststellungen führende Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken: Danach wurde die Annahme, wonach der Beschuldigte die polemischen und mit dem Ansinnen verfassten Äußerungen, Dr. L* vor den Beteiligten bloßzustellen, ihn abzuqualifizieren und zu beleidigen, ohne einen sachlichen Kern und ohne für die bevorstehenden Verhandlungen dienlichen Zweck tätigte (ES 7 f, 10), schlüssig und nachvollziehbar aus den – für überzeugend befundenen (ES 8) – Angaben des Dr. L* und den vorliegenden Schriftstücken erschlossen. Als Beweggrund für dieses Verhalten wurde das Bemühen des Beschuldigten erwogen, seine Freundin * B* gegenüber D* und H* zu bevorzugen, wobei Rechtsanwalt Dr. L* dem entgegenstand (ES 8).

[6] Die Kritik, der Disziplinarrat habe die Einlassung des Beschuldigten – ohne sich mit ihr im Einzelnen auseinanderzusetzen – nur mittels „Scheinbegründung“ verworfen, übersieht, dass es durchaus zulässig ist, (wie hier) nur denjenigen Teilen einer Aussage zu folgen, die durch andere Beweisergebnisse (konkret mittels Urkunden und der Aussage des Zeugen L* – vgl ES 8 f) unterstützt werden (RIS‑Justiz RS0098372). Aus welchen konkreten Passagen seiner schriftlichen Stellungnahme der Beschuldigte Einwände gegen die Beweiswürdigung ableiten möchte, macht er nicht klar, sondern hält dem Erkenntnis nur eigene Überlegungen entgegen.

[7] Inwiefern das Verhalten des Beschuldigten (ersichtlich gemeint im Sinn des § 9 Abs 1 RAO) bloß wegen einer geplanten Generalversammlung der G* GmbH gerechtfertigt sein sollte, ist nicht erkennbar.

[8] Im Übrigen rechtfertigt § 9 Abs 1 RAO zwar grundsätzlich alle sachlichen, durch eine entsprechende Information des Mandanten gedeckten Äußerungen des Rechtsanwalts, die dieser für die Durchsetzung der Ansprüche seiner Partei für dienlich erachtet, mögen damit auch schwere Vorwürfe gegen den Gegner oder Dritte verbunden sein. Darüber hinaus gehende, der Anspruchsdurchsetzung nicht dienliche beleidigende, polemische oder sonst unsachliche Äußerungen oder Ausfälle widerstreiten jedoch den Gesetzen, wobei die Grenzen des § 9 Abs 1 RAO und des Art 10 MRK überschritten werden, wenn sich der Rechtsanwalt unsachlicher und/oder erkennbar beleidigender Äußerungen bedient (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/ Vitek, RAO11 § 9 RAO Rz 16 mwN).

[9] Soweit das zum Schuldspruch zu 2 erstattete Vorbringen unter Hinweis darauf, dass (auch) der Beschuldigte über eine Vollmacht der Gesellschafter * D* und * H* verfügte (ES 3), die verfehlte Unterstellung des Sachverhalts unter § 19 RL‑BA 2015 reklamiert (Z 9 lit a), wird nicht die Gesamtheit der insofern maßgeblichen Konstatierungen (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0099810; Lehner in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 49 DSt Rz 6/7 mwN) ins Kalkül gezogen (ES 3 ff):

[10] Danach vertrat der Beschuldigte sowohl die G* GmbH, als auch deren Gesellschafter * B*, * D* und * H*. Als die Gesellschafter D* und H* im Zusammenhang mit einer in Aussicht genommenen Kapitalerhöhung der G* GmbH verhindern wollten, dass ihre Mitgesellschafterin * B* die Mehrheit der Anteile und solcherart die Gesellschaft kontrolliere, wurde ihrerseits Rechtsanwalt Dr. L* für Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung und den daraus resultierenden Folgen beigezogen. Dr. L* korrespondierte mit dem Beschuldigten über den Entwurf eines „Letter of Intent“ (LOI), welcher das Verhalten der Gesellschafter während der bevorstehenden Generalversammlung (bei der auch der vormalige Lebenspartner der * B*, die zu diesem Zeitpunkt bereits die Freundin des Beschuldigten war, als Gesellschafter-Geschäftsführer abberufen werden sollte – vgl ES 3) regeln sollte. Um nachteilige Folgen einer Kapitalerhöhung für die Anteilsverhältnisse seiner Mandanten D* und H* zu verhindern, schlug Dr. L* die Beibringung einer Bankgarantie vor. Insofern bildeten die Gesellschafter B*, D* und H* keine homogene Interessengemeinschaft, sondern es bestand ein Interessenkonflikt zwischen ihnen, bei welchem D* und H* eine „andere Partei“ (gegenüber * B*) darstellten (ES 11).

[11] Zudem ersuchte Dr. L* den Beschuldigten – in Reaktion auf die Äußerungen laut Schuldspruch zu 1 – von einer direkten Kontaktaufnahme mit D* und H* Abstand zu nehmen (ES 6).

[12] Jedenfalls lief das Verhalten des Beschuldigten, sich direkt mit * D* ohne Einbeziehung des Dr. L* abzustimmen und eine veränderte Version des LOI (Letter of Intent) an alle Beteiligten per E-Mail zu versenden (ES 6), dem von § 19 RL‑BA 2015 geschützten Kollegialitätsprinzip zuwider. Dieses Umgehungsverbot dient nämlich nicht nur dem Schutz gegnerischer Mandanten vor Überrumpelung, sondern auch der Aufrechterhaltung korrekter kollegialer Beziehungen innerhalb der Anwaltschaft, weil das Übergehen eines Gegenanwalts diesen (und damit letztlich den ganzen Stand) in seiner Bedeutung herabsetzt (RIS-Justiz RS0106284; Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO11 § 19 RL‑BA 2015 Rz 4 ff und 14 f; Feil/Wennig AnwR8 § 18 RL‑BA 1977 Rz 1).

[13] Mit der bloßen Bestreitung des Vorliegens eines rechtlichen Zusammenhangs mit dem Mandat Dris. L* sowie mit den Behauptungen, im Interesse sämtlicher Beteiligten agiert zu haben und die Treuepflicht zum Klienten gehe der Kollegialitätspflicht vor, wird weder ein materiell‑rechtliches Defizit aufgezeigt noch werden Bedenken gegen die insofern maßgebliche Beweiswürdigung des Disziplinarrats geweckt.

[14] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war demnach in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nicht Folge zu geben.

[15] Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten ausgehend von durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen (ES 12 – vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 16 DSt Rz 17) eine Geldbuße von 3.500 Euro und wertete dabei die Begehung von zwei Disziplinarvergehen und die vorsätzliche, in einem Fall sogar absichtliche Begehung (obwohl Fahrlässigkeit ausreichend gewesen wäre) als erschwerend, den bisher ordentlichen Lebenswandel hingegen als mildernd.

[16] Nach ständiger Judikatur sind die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) auch für das anwaltliche Disziplinarverfahren sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).

[17] Soweit der Beschuldigte seinen Äußerungen „maximal einen geringen Unrechtswert“ beimisst und behauptet, die Generalversammlung am 3. Mai 2021 sei im Sinne und zur Zufriedenheit aller Beteiligten abgewickelt worden, zeigt er keine mildernden Umstände auf. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Strafbemessung wirkt hingegen schwer, dass der Beschuldigte die Äußerungen schriftlich – und solcherart überlegt – vorgetragen hat (vgl 22 Ds 1/22z).

[18] Auf Grundlage der Schuld (§ 32 StGB) sowie unter Berücksichtigung der dargestellten Bemessungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) und des Umstands, dass die vom Disziplinarrat gefundene Sanktion ohnedies im unteren Bereich der nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt möglichen Geldbuße angesiedelt ist, ist die ausgesprochene Geldbuße einer Reduktion nicht zugänglich.

[19] Der Berufung war somit insgesamt ein Erfolg zu versagen.

[20] Der Ausspruch über die Verfahrenskosten gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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