OGH 20Ds10/23k

OGH20Ds10/23k21.6.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 21. Juni 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann‑Prentner als weitere Richterin und durch die Rechtsanwälte Dr. Broesigke und Dr. Stortecky als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Loibl, LL.M. (WU), BSc, in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 29. März 2023, GZ D 22/04‑35 und D 22/06‑30 (6 DV 23/01) nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Nordmeyer, des Kammeranwalts Mag. Philipp, des Disziplinarbeschuldigten und seines Verteidigers Mag. Sackmann zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0200DS00010.23K.0621.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

1./ Rechtsanwalt Dr. R* G* (am 21. September 2020; vgl ES 5) unnötig in den Streit gezogen, indem er diesen selbst und „dessen“ Rechtsanwaltsgesellschaft im Namen seiner Mandanten ohne besonders sorgfältige Prüfung des Sachverhalts auf Rückzahlung eines zu viel bezahlten Betrags geklagt hat (AZ D 22/06);

2./ eine Treuhandschaft (vereinbart am 5. bzw 7. Mai 2021 mit der [richtig:] B * GmbH in Gründung und der H* GmbH, jeweils als Treugeber; vgl ES 5 sowie ON 19 in AZ D 22/04) unzulässigerweise nicht über das elektronische Treuhandbuch der Rechtsanwaltskammer Wien geführt und das diesbezügliche Fremdgeld lediglich auf einem Sammelanderkonto verwahrt (AZ D 22/04).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite. Sie verkennt, dass der Disziplinarrat ersichtlich (nur) von einem sorgfaltswidrigen Verhalten des Beschuldigten ausging (ES 7 f und 9 f), wobei der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab eine Rechtsfrage betrifft (RIS‑Justiz RS0089407 [T3 und T4]) und der objektive Sorgfaltsverstoß grundsätzlich auch die subjektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert (RIS‑Justiz RS0088909). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Berufungswerber den objektiven Sorgfaltsanforderungen nicht hätte nachkommen können, werden nicht aufgezeigt und ergeben sich auch nicht aus seiner Verantwortung (ON 34 S 5 ff in AZ D 22/04 und ON 29 S 5 ff in AZ D 22/06).

[5] Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (der Sache nach Z 9 lit b) wendet mangelnde Strafwürdigkeit (§ 3 DSt) der unterlassenen Abwicklung der Treuhandschaft über das elektronische Anwaltliche Treuhandbuch (eATHB) ein (AZ D 22/04).

[6] Ein Rechtsanwalt hat bei der Abwicklung von Treuhandschaften besondere Sorgfalt an den Tag zu legen. Die Missachtung von Standesvorschriften, die im Zusammenhang mit der Übernahme von Treuhandschaften stehen, eignet sich im besonderen Maße, das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung in den Berufsstand der Rechtsanwälte zu beeinträchtigen. Die Verletzung von Treuhandpflichten stellt daher ein gewichtiges Standesvergehen dar.

[7] Ein Verstoß gegen den Kernbereich der Treuhandanforderungen liegt dabei nicht erst dann vor, wenn der Rechtsanwalt den Treuhandauftrag materiell verletzt, sondern schon dann, wenn er bloß den (formalen) Vorgaben der Treuhandeinrichtung (§ 27 Abs 1 lit g RAO), insbesondere den Vorschriften des Treuhandstatuts, zuwiderhandelt (RIS‑Justiz RS0123722 [T5]).

[8] Dass auch Berufskollegen die hier maßgebliche Änderung des Statuts des eATHB nicht bekannt war, entschuldigt den Berufungswerber ebenso wenig wie der Umstand, dass die Abwicklung über das eATHB mangels bekannter Bankdaten der Geldempfänger faktisch nicht möglich war; unter diesen Umständen hätte der Beschuldigte die Treuhandschaft nämlich gar nicht übernehmen dürfen (§ 10a Abs 2 RAO; vgl 26 Ds 2/21z).

[9] Mit Blick darauf, dass dem Beschuldigten überdies die entgegen § 43 Abs 3 RL‑BA nicht auf einem gesonderten Anderkonto, sondern auf einem Sammelanderkonto erfolgte Verwahrung des Fremdgeldes zur Last liegt (ES 8) und unter Bedachtnahme (vgl RIS‑Justiz RS0056702; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 3 DSt Rz 5) auf den weiteren Vorwurf der Verletzung des § 21 Abs 1 RL‑BA 2015 (AZ D 22/06) kann von einem im gegebenen Fall geringfügigen Verschulden, das erheblich hinter typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibt (RIS‑Justiz RS0089974, RS0056585), keine Rede sein.

[10] Soweit die weitere Rechtsrüge (der Sache nach abermals Z 9 lit b) ergänzende Konstatierungen zur Entstehung und zur Abwicklung der Treuhandschaft begehrt, legt sie nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (siehe aber RIS‑Justiz RS0116565), weshalb auf dieser Feststellungsbasis ein Vorgehen nach § 3 DSt indiziert wäre (vgl RIS‑Justiz RS0099689 [T10]).

[11] Nach den wesentlichen Feststellungen zum Verstoß gegen § 21 Abs 1 RL‑BA (AZ D 22/06) hat der Beschuldigte die vor Einbringung einer Klage gegen einen Standeskollegen gebotene sorgfältige Prüfung des Sachverhalts unterlassen und dadurch verkannt, dass die Klage nicht gegen die gegnerische Rechtsanwaltsgesellschaft und den einschreitenden Rechtsanwalt persönlich, sondern deren Mandanten, in deren Namen die Aufrechnungserklärung erfolgte, zu richten gewesen wäre (ES 9).

[12] Konstatierungen zur Unvertretbarkeit der Beurteilung der Passivlegitimation bedurfte es der Berufungsbehauptung (Z 9 lit a, nominell auch im Rahmen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im engeren Sinn) zuwider nicht, weil die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht eine Rechtsfrage darstellt und solcherart nicht Gegenstand von Tatsachenfeststellungen ist (vgl RIS‑Justiz RS0130194).

[13] Dass die getroffene Auswahl der beklagten Parteien korrekt war, wird ohne rechtlich nachvollziehbare Begründung bloß behauptet (vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0016346, RS0033782).

[14] Der im Rahmen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld die Verantwortung des Beschuldigten (ON 29 S 10 in AZ D 22/06) wiederholende Einwand, er habe sich sehr wohl zuvor überlegt, wen er klagen sollte, vermag keine Bedenken gegen die Feststellung des Disziplinarrats, der Beschuldigte habe eine sorgfältige Prüfung des Sachverhalts vor Klagseinbringung unterlassen (ES 9), zu wecken.

[15] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung nicht Folge zu geben.

[16] Über den Disziplinarbeschuldigten wurde eine zur Gänze für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Geldbuße von 6.000 Euro verhängt.

[17] Bei der Strafbemessung wertete der Disziplinarrat den ordentlichen Lebenswandel und die lange Verfahrensdauer als mildernd, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes).

[18] Ausgehend von den vom Disziplinarrat zutreffend erfassten Strafbemessungsgründen und unter Berücksichtigung der als durchschnittlich angenommenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten (ES 4, 10) bestand kein Anlass, die Strafbemessung zu korrigieren. Der implizit erhobenen Strafberufung (§ 49 letzter Satz DSt) war daher ebenfalls ein Erfolg zu versagen.

[19] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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