European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00032.21V.0302.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die (an ihrer Ost- bzw Westgrenze zueinander) benachbarten Liegenschaften der Streitteile grenzen mit ihrer jeweiligen Nordgrenze an Grundstücke eines Dritten. Zugunsten der Grundstücke beider Streitteile ist im jeweiligen A2‑Blatt ein Recht der Führung und Erhaltung einer Wasserleitung auf diesen nördlich situierten Grundstücken eingetragen. Die zur Liegenschaft des Beklagten führende Wasserleitung kommt aber tatsächlich nicht von Norden, sondern von einem im Süden angrenzenden Grundstück und ist in der Liegenschaft der Kläger entlang der Grundgrenze zwischen den Streitteilen verlegt.
[2] Während das Erstgericht die Klage (mit der neben der Entfernung der Wasserleitung auch die Beseitigung von Zaunfundamenten und einer Regenwasserleitung samt der Unterlassung von derartigen Störungen angestrebt worden war) zur Gänze abgewiesen hatte, gab das Berufungsgericht (nur) dem zur Wasserleitung gestellten Entfernungsbegehren statt, weil es die Offenkundigkeit dieser Servitut verneinte und einen (insoweit) lastenfreien Erwerb der Klägerin nach § 1500 ABGB bejahte.
[3] Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision des Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
Rechtliche Beurteilung
[4] 1. Lastenfreier Erwerb iSd § 1500 ABGB von nicht verbücherten ersessenen oder vertraglich vereinbarten Servituten (vgl RIS‑Justiz RS0011631 [T5]; 9 Ob 11/20p; RS0012151) ist nur möglich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren, vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen. Bei Offenkundigkeit der Dienstbarkeit ist Gutgläubigkeit zu verneinen (vgl RS0011676).
[5] 2. Zur „Offenkundigkeit“ einer im Grundbuch nicht eingetragenen Servitut und allenfalls bestehenden Nachforschungspflichten bestehen bereits durch eine Vielzahl von höchstgerichtlichen Entscheidungen gefestigte Leitlinien:
[6] Für die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit ist wesentlich, ob man – vom dienenden Grundstück aus betrachtet – bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer (bestimmten) Dienstbarkeit vermuten lassen (RS0011633). Bedenken über die Vollständigkeit des Grundbuchstandes können sich aus der Natur ergeben, wenn Spuren auf dem Grundstück oder sichtbare Anlagen oder sonstige Einrichtungen vorgefunden werden, die ihrem Zweck nach das Dienen des Grundstücks offenkundig erkennen und daher das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (RS0034803 [T7, T19]). Dann müssen auch Nachforschungen vorgenommen werden. Woraus sich die Offenkundigkeit für den Erwerber ergibt bzw aus welchen Umständen sich für diesen die Pflicht (und die Tiefe) von Nachforschungen ergibt, hat derjenige zu behaupten und zu beweisen, der sich auf das Bestehen der Servitut beruft (vgl RS0034870). In der Beantwortung von Fragen zum Bestehen und zum Umfang der Nachforschungspflicht liegt wegen ihrer Einzelfallbezogenheit (vgl RS0034803 [T12, T19]) in der Regel nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn dem Berufungsgericht eine klare Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (vgl RS0034803 [T16]).
[7] 3. Für die Offenkundigkeit des Bestehens der Servitut der Führung einer Wasserleitung (über einen Teil des Grundstücks der Kläger) berief sich der Beklagte auf die Sichtbarkeit eines rechteckigen Schachts im Ausmaß von ca 150 cm x 110 cm. Dieser Schacht ist mittig auf der von Norden nach Süden verlaufenden (gemeinsamen Ost- bzw West-)Grenze der Grundstücke der Streitteile errichtet. Er liegt ca 2 m von deren Nordgrenze entfernt.
[8] Das Berufungsgericht sah diesen jeweils zur Hälfte auf den Grundstücken liegenden Schacht, der den Klägern nach den Feststellungen des Erstgerichts bekannt war, nicht als eine „Einrichtung“ an, aus der sich für sie ein „offenkundiges“ Recht der Führung der Wasserleitung über ihr Grundstück zugunsten des Beklagten hätte ergeben müssen. Diese Ansicht begründete es (unter Verweis auch auf die zu 1 Ob 188/17d = RS0034803 [T21] = RS0034870 [T3] ergangene Entscheidung) damit, dass sich aus der Urkundensammlung zu dem für die Kläger und den Beklagten (als Eigentümer ihrer Liegenschaften) im jeweiligen A2-Blatt eingetragenen Recht der Wasserleitung der Verlauf einer solchen vom Norden her bis zum nördlichsten Punkt der Grundgrenze der Grundstücke der Streitteile ergebe. Der Schacht habe sich ohne weiteres mit der (zugunsten der Streitteile) verbücherten Dienstbarkeit einer von Norden kommenden Wasserversorgungsleitung erklären lassen und daher keine weitergehenden Erkundigungspflichten ausgelöst. Gehe man mit dem Erstgericht davon aus, dass die Kläger im Rahmen einer Nachforschungspflicht zumindest den Deckel des Schachts hätten öffnen müssen, hätten sie dort nur „eine West‑Ost‑verlaufende“ Wasserleitung erkennen können. Dieser Verlauf haben keinen Anlass für die Mutmaßung geboten, es sei eine Wasserleitung – entgegen der verbücherten Dienstbarkeit – von Süden kommend zur Gänze auf dem Grundstück der Kläger (entlang der West‑Ost‑Grenze zwischen den Grundstücken der Streitteile) verlegt worden.
[9] 4. Diese Beurteilung begegnet keinen Bedenken, wobei auch keine erhebliche Rechtsfrage darin liegt, dass es sich im zu 1 Ob 188/17d entschiedenen Fall um Einbauten handelte, die der (damalige) Erwerber als Hinweis auf eine bestimmte zu Lasten des von ihm erworbenen Grundstücks einverleibte Dienstbarkeit (und nicht – wie hier – eines zu seinen Gunsten ersichtlich gemachten Rechts) deuten durfte. Dass in der Natur vorhandene Einbauten vom Erwerber auf ihre Übereinstimmung mit dem gesamten Grundbuchstand zu hinterfragen sind und dabei unbeachtlich ist, ob es sich bei den Eintragungen um solche zugunsten oder zulasten des Eigentümers einer Liegenschaft handelt, liegt auf der Hand. Dies ergibt sich als ganz naheliegend aus dem schon in etlichen Fällen vom Höchstgericht zu § 1500 ABGB erläuterten Zweck des Gutglaubensschutzes und der damit verbunden Pflicht zur Überprüfung des „Naturzustands“ mit dem (gesamten) Grundbuchstand („Vertrauen auf die öffentlichen Bücher“). Einem Erwerber ist zweifelsfrei nicht nur dann kein Vorwurf zu unterlassenen Nachforschungen zu machen, wenn sich die von ihm wahrgenommene (oder erkennbare) Einrichtung mit einer (anderen) verbücherten Last (zur Dienstbarkeit eines Dritten wie in 1 Ob 188/17b) in Übereinstimmung bringen lässt, sondern auch in dem Fall, dass sich die Einbauten (wie hier) mit einem verbücherten Recht erklären lassen.
[10] Der Beklagte behauptet in seiner Revision dazu nur, dass der Schacht (im Faktischen) keinen Hinweis auf eine Dienstbarkeit in herrschender, sondern nur einen auf eine in dienender Stellung geboten hätte. Dies stützt er auf das Vorhandensein eines Wasserschiebers, der allerdings im Süden und außerhalb der Grundstücke der Streitteile situiert ist. Aufgrund welcher Umstände (überhaupt oder) zwingend auf einen Zusammenhang zwischen dem Schacht und dem auf einem im Süden angrenzenden Grundstück (eines weiteren Dritten) befindlichen, weit entfernten Wasserschieber geschlossen werden sollte, erklärt er nicht. Dass es hier viel näher lag, die ganz nahe der Nordgrenze situierte Baulichkeit mit dem Recht der Führung einer Wasserleitung über die im Norden anschließenden Grundstücke in Verbindung zu bringen, bedarf keinesfalls einer Korrektur. Ausführungen zu einer angeblich fehlenden (subjektiven) Gutgläubigkeit der Kläger scheitern am festgestellten Sachverhalt. Das Erstgericht ging davon aus, dass der Schacht den Klägern zwar vor der Unterfertigung des Kaufvertrags bekannt war, sie aber angesichts des im Grundbuch eingetragenen „Servitutsrechtes“ davon ausgegangen waren, dass der Schacht im Zusammenhang mit einer aus Norden herbeiführenden Leitung stehe.
[11] 5. Ein vom Beklagten behaupteter Verstoß gegen das Neuerungsverbot (weil sich das Berufungsgericht in seiner Begründung auf eine erstmals in der Berufung enthaltene Skizze [die als Bild in den Text der Berufung aufgenommen worden war], somit eine im Verfahren erster Instanz nicht vorgelegte Urkunde gestützt haben soll) liegt nicht vor. Die Kläger veranschaulichten mit dieser bildlichen Darstellung nur ihre (auch in Worte gefasste) Schlussfolgerung (dass eine von Westen nach Osten verlaufende Wasserleitung zwanglos mit einer vor ihrer „Verzweigung“ [oder Richtungsänderung] von Norden kommenden Wasserleitung „vereinbar“ ist). Das Berufungsgericht vollzog diesen Gedanken (unter Verweis auch auf die Skizze) lediglich nach.
[12] 6. Zu dem vom Beklagten erhobenen Schikaneeinwand erläuterte ihm das Berufungsgericht, dass auch wenn die Kläger nun selbst eigene Leitungen in jenem Bereich verlegt haben, zwischen den jeweiligen Interessen der Beteiligten (an der Belassung bzw Beseitigung der Einbauten) kein krasses Missverhältnis besteht (vgl RS0026265), wenn – wie hier – die „fremde“ Leitung nahezu in der Länge der gesamten gemeinsamen Grenze und ca 1,55 m weit im Grund der Kläger verläuft und diese im Fall von Gebrechen oder einer Wartung Arbeiten auf ihrem Grundstück zu befürchten haben. Mit dieser (nachvollziehbaren) Begründung, befasst sich der Beklagte nicht.
[13] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Ihnen steht daher Kostenersatz für die als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme anzusehende Revisionsbeantwortung zu; allerdings nur auf Basis des Revisionsinteresses als Bemessungsgrundlage. Dieses Interesse liegt allein in dem vom Beklagten bekämpften Ausspruch über die Verpflichtung zur Entfernung der Wasserleitung. Dieses Begehren haben die Kläger mit 4.000 EUR bewertet.
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