OGH 1Ob27/90 (1Ob28/90)

OGH1Ob27/90 (1Ob28/90)19.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht bzw. Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois U***, Hilfsarbeiter, Kramsach, Siedlung 350, vertreten durch Dr. Friedrich Kral, Rechtsanwalt in Kufstein, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 80.939,75 s.A. infolge Revision der klagenden Partei und Rekurses der beklagten Partei gegen das Teilurteil bzw. den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 11. Juni 1990, GZ 12 R 21/90-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 26. Jänner 1990, GZ 8 a Cg 28/89-25, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt bzw. beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben; das Teilurteil des Berufungsgerichtes sowie das erstinstanzliche Urteil werden, soweit in letzterem das Begehren auf eine restliche Haftentschädigung von S 50.000,- abgewiesen wurde, durch Teilurteil dahin abgeändert, daß die beklagte Partei schuldig ist, der klagenden Partei den Betrag von S 50.000,- samt 4 % Zinsen seit 1. 3. 1988 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen. Die Entscheidung über die Prozeßkosten bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Einzelrichter beim Landesgericht Innsbruck erkannte den Kläger mit Urteil vom 10. 3. 1980, GZ 22 Vr 505/80-11, im Sinne des Strafantrages der Staatsanwaltschaft des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs.1 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs.1 und 84 Abs.1 StGB schuldig, verurteilte ihn hiefür zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und legte ihm zur Last, er habe 1.) am 14. 8. 1979 seine Stieftochter Rosemarie T*** durch Schläge ins Gesicht und

2.) am 9. 9. 1979 seine Ehefrau Rosa U*** durch einen Fußtritt vorsätzlich am Körper verletzt; letztere habe dabei einen Bruch des rechten Daumens, somit eine an sich schwere und mit einer länger als 24tägigen Gesundheitsstörung verbundene Verletzung, erlitten.

In der Hauptverhandlung am 10. 3. 1980 hatte sich der Kläger in beiden Anklagefakten nicht schuldig bekannt; Rosa U*** und Rosemarie T***, die als Zeugen geladen waren, hatten nach Belehrung gemäß § 152 StPO erklärt, nicht aussagen zu wollen. Dem Begehren der Staatsanwaltschaft im Strafantrag, bestimmte Aktenstücke - darunter die Gendarmerieerhebungen samt den darin enthaltenen Angaben der beiden Frauen vor dem Gendarmeriepostenkommando Wörgl - gemäß § 252 Abs.2 StPO zu verlesen, hatte der Einzelrichter, wie in der Niederschrift über die Hauptverhandlung beurkundet ist, entsprochen.

Den Schuldspruch stützte das Erstgericht im wesentlichen auf die seiner Ansicht nach "hinlänglich deutlichen und bestimmten" Angaben der Rosa U*** und der Rosemarie T*** vor der Gendarmerie; die Verantwortung des Klägers, er habe am 14. 8. 1979 seine Stieftochter zwar auf den Hinterkopf geschlagen, sie dabei aber nicht verletzt, und am 9. 9. 1979 seiner Ehefrau nicht den Daumen gebrochen (ihr rechter Daumen sei bereits einige Tage vorher verbunden gewesen), wurde für widerlegt erachtet.

Gegen dieses Urteil erhob der Kläger volle Berufung. Vom Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht wurde nur Josefine U*** als Zeugin vernommen und der wesentliche Inhalt des Aktes 12 Cg 703/79 des Landesgerichtes Innsbruck (Scheidungsstreit der Eheleute U***) verlesen; weitere in der Berufungsausführung gestellte Beweisanträge lehnte das Gericht zweiter Instanz ab, weil die Beweisthemen, zu welchen diese Zeugen vernommen werden sollten, teils unwesentliche Nebenumstände beträfen, teils aber vom Kläger nicht konkret bezeichnet seien. Mit Urteil vom 4. 6. 1980, 3 Bs 204/80, gab das Oberlandesgericht Innsbruck der Berufung des Klägers nicht Folge. Es traf gleiche Tatsachenfeststellungen wie das Erstgericht und stützte diese in erster Linie auf die seiner Überzeugung nach einleuchtenden, glaubwürdigen und folgerichtigen Angaben der beiden Verletzten vor der Gendarmerie.

Der Kläger verbüßte die Freiheitsstrafe in der Zeit vom 22. 9. 1980 bis 22. 3. 1981.

Schon am 1. 9. 1980 hatte er sich an die Europäische Kommission für Menschenrechte (in der Folge kurz EKMR) gewandt und mit Schriftsatz vom 16. 9. 1982 S 150.000,- als Entschädigung für den Freiheitsverlust, S 28.000,- als Verdienstentgang und ferner den Ersatz der Kosten und Auslagen im Verfahren vor den Behörden der Konvention, die er schließlich mit S 33.578,15 bezifferte, begehrt. Die EKMR erklärte seine Beschwerde wegen Verletzung des Art. 6 Abs.1 und Abs.3 lit.d MRK am 8. 7. 1983 für zulässig, verneinte in ihrem Bericht vom 11. 10. 1984 aber mehrheitlich das Vorliegen einer Verletzung der genannten Bestimmung.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (in der Folge kurz EGMR) sprach mit Urteil vom 24. 11. 1986 (= EuGRZ 1987, 147) aus, in dem mit rechtskräftiger Verurteilung des Klägers beendeten Strafverfahren sei Art. 6 MRK verletzt worden, und verpflichtete die R*** Ö*** unter Anwendung des Art. 50 MRK zur Zahlung von S 100.000,- als Entschädigung für den Freiheitsverlust, S 28.000,-

als Verdienstentgang und S 33.578,15 an Verfahrenskosten abzüglich ffr 5.470,50, die der Europarat dem Kläger als Verfahrenshilfe erstattet hatte, an diesen. Der EGMR vertrat dabei die Auffassung, die Strafgerichte beider Instanzen seien aufgrund des Strafantrages der Staatsanwaltschaft zur Verlesung der Angaben der beiden Frauen bei der Gendarmerie verpflichtet gewesen, eine solche Verlesung stehe mit Art. 6 Abs.1 und Abs.3 MRK auch durchaus im Einklang, doch hätten die beiden Frauen den Kläger durch ihre Aussageverweigerung daran gehindert, ihnen zu ihren Aussagen bei der Gendarmerie Fragen zu stellen, und es seien (im Rechtsmittelverfahren beantragte) Beweise, die deren Glaubwürdigkeit erschüttern hätten sollen, nicht zugelassen worden. Der Kläger sei jedenfalls auf der Grundlage von "Zeugenaussagen" verurteilt worden, bei deren Verwertung seine Verteidigungsrechte erheblich eingeschränkt gewesen seien. Unter diesen Umständen habe der Kläger kein faires Verfahren gehabt und es liege deshalb eine Verletzung von Art. 6 Abs.1 MRK iVm den sich aus Art. 6 Abs.3 lit.d MRK ergebenden Grundsätzen vor.

Gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 4. 6. 1980 erhob die Generalprokuratur am 25. 2. 1987 Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Mit Urteil vom 21. 7. 1987, 11 Os 24,25/87, hob der Oberste Gerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Die formlosen Niederschriften der Angaben von Auskunftspersonen durch Gendarmerieorgane seien als Schriftstücke, die für die Sache von Bedeutung sind, zu verlesen gewesen, doch sei dem Oberlandesgericht Innsbruck infolge der ungerechtfertigten Verweigerung weiterer Beweisaufnahmen eine Verletzung von Art. 6 Abs.1 MRK und § 3 StPO iVm den §§ 473 und 474 StPO unterlaufen.

Bei der für den 13. 1. 1988 anberaumten Berufungsverhandlung sprach das Oberlandesgericht Innsbruck den Kläger gemäß § 259 Z 3 StPO vom Anklagevorwurf frei. Mit Beschluß vom selben Tag sprach es aus, dem Kläger stehe für die durch die Verurteilung im Verfahren 22 Vr 505/80 des Landesgerichtes Innsbruck entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile ein Ersatzanspruch gemäß § 2 Abs.1 lit.c StEG zu.

Der Kläger begehrt nun im Amtshaftungswege, gestützt auf § 2 Abs.1 lit.c StEG, § 1329 ABGB, Art. 5 Abs.5 MRK und § 1 AHG die Verurteilung der beklagten Partei zum Ersatz des weiteren mit S 80.939,75 bezifferten Schadens; es gebühre ihm eine zusätzliche Haftentschädigung von S 50.000,- und der Ersatz der weiteren Kosten im Verfahren vor den Konventionsbehörden in Höhe von S 30.939,75. Die vom EGMR zuerkannte Entschädigung decke seinen immateriellen Schaden nicht zur Gänze; im Verfahren vor dem EGMR seien die ihm aufgelaufenen Kosten nicht vollständig verzeichnet worden. Die beklagte Partei wendete insbesondere ein, eine zusätzliche Haftentschädigung komme deshalb nicht in Betracht, weil das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz den Ersatz immateriellen Schadens nicht kenne, eine Entschädigung nach Art. 5 Abs.5 MRK nicht zustehe und im übrigen der Anspruch nach Art. 5 MRK ebenso wie ein allfälliger Anspruch nach dem Amtshaftungsgesetz verjährt sei. Das weitere Kostenersatzbegehren sei ausgeschlossen, weil der Kläger sämtliche Kosten im Verfahren vor dem EGMR verzeichnen hätte müssen. Außerdem würden die Klagsansprüche auch der Höhe nach bestritten. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte fest, dem Kläger seien die ihm vom EGMR zugesprochenen Beträge an Haftentschädigung und Verdienstentgang in Höhe von insgesamt S 128.000,- bisher nicht ausbezahlt, sondern zur Aufrechnung mit Unterhaltsrückständen einbehalten worden. Der Klagevertreter habe dem Kläger für dessen Vertretung vor dem EGMR und in einem Unterhaltsverfahren vor dem Bezirksgericht Kufstein einen ermäßigten Pauschalhonorarbetrag von S 77.000,- in Rechnung gestellt und davon die zugesprochenen Kosten (S 33.578,15) abgezogen. Die Differenz von S 33.421,85 habe der Kläger bisher nicht bezahlt. Die vom Klagevertreter in Rechnung gestellten Kosten seien auf den Zeitraum zwischen der Beschwerde an die EKMR (1. 9. 1980) und der Verhandlung vor dem EGMR (17. 2. 1986) entfallen. Das Bezirksgericht Kufstein habe den Kläger mit Beschluß vom 11. 11. 1988 zur Erstattung von Unterhaltsvorschüssen von S 7.161,- für dessen am 7. 4. 1973 geborenen Sohn Eduard U*** in Teilbeträgen ab 1. 12. 1988 bei Terminsverlust verpflichtet.

Rechtlich meinte das Erstgericht, der Entschädigungsanspruch nach Art. 50 MRK umfasse auch die vom Beschwerdeführer zur Wahrung seiner von der Konvention gewährleisteten Rechte ausgelegten Kosten. Die nun vom Kläger geltend gemachten Kosten seien vor Schluß der Verhandlung vor dem EGMR aufgelaufen und hätten dort verzeichnet werden können. Da weder behauptet noch nachgewiesen sei, daß der EGMR auch bei vollständiger Verzeichnung nur einen Teil der Kosten zugesprochen hätte, scheide im Sinne des § 2 Abs.2 AHG ein Schadenersatzanspruch wegen verursachter Prozeßkosten aus. Auch aus § 1329 ABGB oder Art. 5 MRK könne ein solcher Ersatzanspruch nicht abgeleitet werden. Da der vom EGMR zuerkannte Entschädigungsbetrag den immateriellen Schaden des Klägers zur Gänze abdecke, stehe diesem deshalb ein weiterer Ersatzanspruch nicht zu. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, soweit damit ein Teilbegehren von S 50.000,- abgewiesen worden war, als Teilurteil, hob es im restlichen Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung durch das Erstgericht auf und sprach aus, daß die ordentliche Revision bzw. der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig seien. Der Anspruch auf weitere Haftentschädigung bestehe schon dem Grunde nach nicht zu Recht. Auf die Bestimmungen des Strafgerichtlichen Entschädigungsgesetzes könne sich der Kläger deshalb nicht berufen, weil die Schadloshaltung danach nur Vermögensschäden umfasse. Ein Bedürfnis nach berichtigender Auslegung bestehe nicht, weil nach § 11 StEG weitergehende Schadenersatzansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz unberührt blieben. Auch auf Art. 5 Abs.5 MRK, § 1329 ABGB oder § 1 AHG könne sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen, weil Ansprüche nach diesen Bestimmungen verjährt seien. Die Strafhaft habe am 22. 3. 1981 geendet. Die nicht auf das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz gestützten Ersatzansprüche seien erstmals mit Aufforderungsschreiben vom 6. 10 1988 geltend gemacht worden. Damals sei die Verjährungszeit des § 6 Abs.1 AHG bereits abgelaufen gewesen. Die für den Verjährungsbeginn entscheidende Kenntnis des Schadens und eines Organverschuldens sei schon mit Beendigung der Haft aufgrund der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck nach einem später als fehlerhaft erkannten Verfahren gegeben gewesen. Als der Kläger bei der EKMR Beschwerde erhoben habe, hätte er aus der dort geltend gemachten Konventionsverletzung auch einen Amtshaftungsanspruch ableiten können. Die erleichterte Prozeßführung nach erfolgreicher Beschwerde bei den Konventionsbehörden schiebe den Beginn der Verjährung nicht hinaus. Die Verjährung sei durch die Antragstellung an die EKMR nicht unterbrochen worden, weil der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem EGMR keine Parteistellung genossen habe und dessen Entscheidung unmittelbare Wirkungen nur auf völkerrechtlicher Ebene und damit keine Bindungswirkung für inländische Gerichtsentscheidungen entfalte. Aber selbst bei gegenteiliger Annahme, daß die Antragstellung bei der EKMR am 16. 9. 1982 die seit dem Haftende am 22. 3. 1981 laufende Verjährung unterbrochen hätte, wäre doch zum Zeitpunkt des Aufforderungsschreibens am 6. 10. 1988 bereits Verjährung eingetreten, weil die Verfassung des Aufforderungsschreibens erst fast zwei Jahre nach Entscheidung durch den EGMR nicht als "gehörige Fortsetzung" der Klage angesehen werden könne. Der Zeitraum bis zur Antragstellung bei der EKMR und jener der Untätigkeit nach der Entscheidung des EGMR betrügen zusammen mehr als drei Jahre. Angesichts der Verjährung des Anspruches auf Ersatz des immateriellen Schadens nach sämtlichen vom Kläger herangezogenen Rechtsgrundlagen - gleiches wie für die Amtshaftung gelte auch für die Entschädigung nach Art. 5 Abs.5 MRK bzw. die Haftung nach § 1329 ABGB - müßten die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr erörtert werden.

Dem Berufungswerber sei hingegen darin zuzustimmen, daß aus der Rettungspflicht gemäß § 2 AHG für den strittigen Kostenersatzanspruch nichts zu gewinnen sei. Es sei schon fraglich, ob diese Einwendung überhaupt auf Ansprüche nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz übertragbar wäre; im Hinblick auf die schon erwähnten Besonderheiten des Verfahrens vor den Konventionsbehörden, die über Entschädigungen einschließlich des Kostenersatzes nach Ermessen entschieden, müsse die Verpflichtung des Klägers zur Kostenverzeichnung bei sonstigem Anspruchsausschluß verneint werden. Die vom Erstgericht ins Treffen geführte Verzeichnungspflicht setze eine vom Ermessen unabhängige verfahrensrechtliche Kostenersatzregelung voraus. Zufolge des bindenden Beschlusses des Oberlandesgerichtes Innsbruck über die Ersatzpflicht der beklagten Partei nach § 2 StEG sei der Kostenersatzanspruch des Klägers zu bejahen, weil die Kosten als "durch die strafgerichtliche Anhaltung oder Verurteilung" im Sinne des § 1 StEG adäquat verursacht anzusehen seien. Allerdings könne der Kostenersatzanspruch der Höhe nach noch nicht abschließend beurteilt werden, weil hiezu keine Feststellungen getroffen seien; diese werde das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren nachzuholen haben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt; der Rekurs der beklagten Partei ist zwar zulässig, doch kommt ihm keine Berechtigung zu.

A. Zur Revision des Klägers:

Das Gericht zweiter Instanz hielt den Anspruch

auf - zusätzliche - Haftentschädigung deshalb für verjährt, weil die dreijährige Verjährungszeit des § 6 Abs.1 AHG bei Übermittlung des Aufforderungsschreibens längst abgelaufen gewesen sei, der Kläger aber - wollte man annehmen, daß seine Beschwerde bei den Behörden der Konvention die Verjährung unterbrochen habe - die "Klage" nach der Urteilsfindung durch den EGMR nicht gehörig fortgesetzt habe. Dem hält der Kläger vor allem entgegen, die Amtshaftungsgerichte wären an den Schuldspruch der Strafgerichte gemäß § 268 ZPO gebunden gewesen, sodaß er eine Amtshaftungsklage bis zur Aufhebung des Urteiles des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 4. 6. 1980 mit Aussicht auf Erfolg nicht habe erheben können.

Die Auffassung des Klägers träfe in der Tat zu, wäre auch das Amtshaftungsgericht der im § 268 ZPO angeordneten Bindungswirkung unterworfen gewesen, wenn der Ersatzanspruch aus einer strafgerichtlichen Verurteilung abgeleitet wird. Solange der Zivilrichter an den Inhalt des rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichtes gebunden wäre, bliebe es ihm verwehrt, bei der Beurteilung des Ersatzanspruches davon abweichende Schlüsse zu ziehen. Wohl hat der Verfassungsgerichtshof die genannte Bestimmung mit Erkenntnis vom 12. 10. 1990, G 73/89-11 (kundgemacht in BGBl 706/1990), als verfassungswidrig aufgehoben, ohne eine Frist für das Außerkrafttreten festzusetzen; da § 268 ZPO auch Personen, die sich am Strafverfahren nicht oder nur eingeschränkt beteiligen können, der dort angeordneten Bindungswirkung unterwerfe, verstoße er gegen das im Art. 6 Abs.1 MRK verankerte Recht jeder Partei auf Gehör durch das deren Sache entscheidende Gericht. Gemäß Art. 140 Abs.7 B-VG ist die aufgehobene Bestimmung jedoch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof - wie hier - nichts anderes ausspricht, sodaß sich das Bindungsproblem im vorliegenden Fall bei der Beurteilung der vom Gericht zweiter Instanz bejahten Verjährung noch mit aller Schärfe stellt. Daran kann auch nichts ändern, daß § 268 ZPO eine Verfahrensbestimmung ist und Änderungen des Verfahrensrechtes mangels Übergangsrechtes auch im laufenden Verfahren sofort wirksam sind. Im vorliegenden Fall ist die Bindungswirkung Vorfrage der eingewendeten Verjährung und damit Merkmal eines bei Zutreffen der Einwendungsbehauptungen schon vor der Aufhebung der Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof abgeschlossenen materiellrechtlichen Tatbestandes.

Mit der Frage, ob bei aufrechter strafgerichtlicher Verurteilung Amtshaftungsansprüche mit der Begründung erhoben werden könnten, daß es sich dabei um ein Fehlurteil handle, hat sich der Oberste Gerichtshof - soweit überblickbar - bisher nicht beschäftigt. In der Entscheidung vom 24. 11. 1966, 1 Ob 246/66, - in diesem Verfahren war der Amtshaftungsanspruch darauf gestützt worden, daß im Zuge des Strafverfahrens ein Karton mit Unterlagen verloren gegangen sei, mit deren Hilfe der Kläger, wären die Unterlagen im Prozeß verfügbar gewesen, seinen Behauptungen zufolge seine Unschuld hätte beweisen können - ist die erwähnte Frage ausdrücklich unerörtert gelassen worden. Da das Amtshaftungsgericht grundsätzlich die Zivilprozeßordnung anzuwenden hat, läge es nahe, auch dieses (Zivil-)Gericht - im Rahmen des Art. 140 Abs.7 B-VG - der im § 268 ZPO vorgesehenen Bindungswirkung rechtskräftiger verurteilender strafgerichtlicher Erkenntnisse zu unterwerfen. Vrba-Zechner (Kommentar zum Amtshaftungsrecht, 103) vertreten demgegenüber die Auffassung, im Amtshaftungsverfahren bestehe das Bindungsproblem schon deshalb nicht, weil es nicht Zweck dieses Verfahrens sei, die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung zu korrigieren, sondern Schadenersatz zu gewähren, soweit die Verurteilung auf rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten zurückzuführen sei. Die Kompetenz hiezu ergebe sich unmittelbar aus dem Amtshaftungsgesetz und dessen verfassungsrechtlicher Grundlage, die Rechtskraft der betroffenen Entscheidung sei geradezu Voraussetzung des Entstehens von Amtshaftungsansprüchen; dabei werde zwischen gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungen nicht unterschieden. Die Bindungswirkung könne die aus verfassungsrechtlicher Grundlage abgeleiteten Ersatzansprüche nicht beseitigen.

Auch Schragel (AHG2 Rz 264) meint, Art. 23 Abs.1 B-VG und das darauf gegründete Amtshaftungsgesetz könnten dahin verstanden werden, daß im Amtshaftungsverfahren aufgrund dieser lex specialis unabhängig vom Ergebnis anderer Verfahren zu beurteilen sei, ob das Verhalten eines Organs rechtswidrig und schuldhaft gewesen und dem Kläger daraus ein Schaden entstanden sei. Die rechtspolitische Absicht des § 268 ZPO scheine darin zu liegen, den Zivilrichter an Tatsachenfeststellungen zu binden, um die höheren Wahrheitsgarantien des Strafverfahrens dem Zivilprozeß nutzbar zu machen und überflüssigen Prozeßaufwand zu vermeiden, aber auch um die Möglichkeit voneinander abweichender Tatsachenfeststellungen bei identem Sachverhalt auszuschalten (so auch Fasching, LB2 Rz 858). Trotz der daran geknüpften Wertung, daß diese rechtspolitischen Gesichtspunkte geringer wiegen dürften als die Zielsetzungen, die der Amtshaftung zugrundeliegen, gelangt Schragel aber zum Schluß, das Amtshaftungsgesetz scheine dennoch die volle Geltung des § 268 ZPO zu bejahen, weil § 12 Abs.2 AHG das Gericht an "ein sonstiges rechtskräftiges gerichtliches Straferkenntnis über das Verschulden des Organs" binde.

Diesen Zweifeln vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Bejahte man die im § 268 ZPO angeordnete Bindungswirkung auch für das Amtshaftungsverfahren, wäre damit die Strafgerichtsbarkeit - also ein Bereich der Vollziehung, dem besonders weitreichende Eingriffe in die persönliche Rechtssphäre des einzelnen überantwortet sind - von der Amtshaftung im Ergebnis so weit ausgenommen, als Ersatzansprüche aus der rechtskräftigen Verurteilung abgeleitet werden. Eine solche Ausnahme kann aber weder § 1 AHG noch dessen verfassungsgesetzlicher Grundlage, dem Art. 23 Abs.1 B-VG, entnommen werden, die die Ersatzpflicht des Rechtsträgers ohne Unterschied an die rechtswidrige und schuldhafte Zufügung des Schadens durch deren Organe in Vollziehung der Gesetze knüpfen. Dieser umfassende Rechtsschutz wäre in einem wichtigen Bereich weitgehend entwertet, bände das Amtshaftungsgesetz das Gesetz durch - implizierte - Verweisung auf die Verfahrensvorschriften der Zivilprozeßordnung an den Inhalt des Vollziehungsaktes und verwehrte es ihm damit die Prüfung des Organverhaltens auf dessen Rechtswidrigkeit und Verschulden. Eine solche Privilegierung eines Teilbereichs der Vollziehung kann dem im Vergleich zur Zivilprozeßordnung und deren hier zu beurteilenden, mittlerweile aufgehobenen Bindungsnorm sowohl jüngeren als auch spezielleren, unmittelbar auf einem Verfassungsauftrag (Art. 23 Abs.4 B-VG) beruhenden Gesetz schon deshalb nicht unterstellt werden, weil die verfassungspolitisch orientierte Zielsetzung der Amtshaftung und deren umfassender Rechtsschutz ungleich schwerer wiegen als der erklärte Zweck des § 268 ZPO, eine Überprüfung des Strafprozesses durch den Zivilrichter zu vermeiden, damit das "Vertrauen in die Gerechtigkeit der erflossenen strafgerichtlichen Erkenntnisse" nicht erschüttert werde (RV 688 BlgAH, 9. Sess., 264 f); dieser Zweck ist mit den Zielen einer umfassenden Amtshaftung aber nachgerade unvereinbar, weil sich die Überprüfung strafgerichtlicher Urteile gar nicht vermeiden läßt, soll über Ersatzansprüche entschieden werden, die der Kläger aus solchen Erkenntnissen ableiten will.

Es ist deshalb im Ergebnis Vrba-Zechner zuzustimmen, daß die aus der Rechtskraft behördlicher Akte erfließende Bindungswirkung der selbständigen Prüfung des solchen Akten der Vollziehung zugrunde liegenden Organverhaltens durch das Amtshaftungsgericht schon deshalb nicht entgegenstehen kann, weil die der Amtshaftung inhärenten Zielsetzungen in weiten Bereichen der Vollziehung sonst nicht verwirklicht werden könnten. Diese Erwägungen müssen uneingeschränkt auch für strafgerichtliche Verurteilungen gelten; sie können auch durch Hinweise auf die im § 12 Abs.2 zweiter Satz AHG angeordnete Bindungswirkung nicht entkräftet werden: Das dort genannte rechtskräftige strafgerichtliche Erkenntnis über das Verschulden eines Organes ist nicht Gegenstand des Amtshaftungsanspruches; es steht dessen Durchsetzung nicht nur nicht im Wege, sondern erleichtert sie vielmehr.

Die Bindung des Zivilrichters an rechtskräftige

strafgerichtliche Erkenntnisse, die trotz Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof zufolge Art. 140 B-VG sonst noch zu beachten wäre, stand der erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche des Klägers somit nicht im Wege, sodaß er sich darauf zur Entkräftung der Verjährungseinrede nicht berufen kann. Dennoch ist der Anspruch auf die (restliche) Haftentschädigung noch nicht verjährt. Der Kläger stützt diesen Anspruch vor allem auch auf Art. 5 Abs.5 MRK iVm § 1 AHG. Er rief im Hinblick auf die rechtskräftige Erledigung des Strafverfahrens, das mit seiner Verurteilung geendet hatte, aber noch vor Antritt der über ihn verhängten Freiheitsstrafe die EKMR an und machte in diesem Verfahren - unter anderem - auch eine Haftentschädigung von S 150.000,- geltend.

Bei dieser Ausgangslage stellt sich die Frage, ob die Antragstellung bei der EKMR noch dazu in einem Fall, in welchem der Beschwerdeführer Ansprüche erhob, deren - teilweise - Durchsetzung er danach beim zuständigen österreichischen Gericht weiterbetrieb, in sinngemäßer Anwendung des § 1497 ABGB gleich einer Klage die - mit dem Ende des Strafvollzugs in Gang gesetzte - Verjährung des auf Art. 5 Abs.5 MRK iVm § 1 AHG gestützten Haftentschädigungsanspruches unterbricht. Die Rechtsprechung mißt auch anderen Rechtsverfolgungsschritten - vor allem dem Anschluß des Verletzten als Privatbeteiligter im Strafverfahren (SZ 29/72 ua), aber auch der Klage vor dem Schiedsgericht

(SZ 39/63) - Unterbrechungswirkung im Sinne des § 1497 ABGB bei, sofern nur der bei Beendigung des Strafverfahrens noch nicht rechtskräftig zuerkannte Anspruch in angemessener Frist im Streitverfahren geltend gemacht bzw nach Beseitigung des Schiedsspruchs aus materiellrechtlichen Gründen ohne ungerechtfertigte Verzögerung das Verfahren vor dem ordentlichen Gericht eingeleitet wird (Schubert in Rummel, ABGB, § 1497 Rz 6 und 11). Ebenso wie das Strafgericht (bei Verweisung auf den Zivilrechtsweg) und das Schiedsgericht (bei Stattgebung eines auf § 595 ZPO gestützten Klagebegehrens) entscheidet auch der EGMR nicht in jedem Fall über die vom Verletzten geltend gemachten Entschädigungsansprüche endgültig: Der EGMR kann es vielmehr beim Ausspruch einer Konventionsverletzung bewenden lassen oder sich darauf beschränken, dem Verletzten bloß einen Teil der geltend gemachten Entschädigung zuzusprechen. In gleicher Weise wie bei anderen angemessenen Rechtsverfolgungsschritten erscheint es daher gerechtfertigt, der Antragstellung des Verletzten bei den Konventionsbehörden in Analogie zu § 1497 ABGB die Wirkung einer Unterbrechung der sonst drohenden Verjährung des Ersatzanspruches nach innerstaatlichem Recht beizumessen. Die Einbindung des Verfahrens vor den Konventionsbehörden in die innerstaatliche Rechtsordnung auch in dieser Hinsicht erscheint vor allem deshalb geboten, um den Verletzten vor Rechtsnachteilen im innerstaatlichen Bereich - insbesondere auch der Verjährung - zu schützen, wenn er die ihm von der Konvention gewährten Rechtsbehelfe in Anspruch nimmt: Der Gesetzgeber wollte gewiß den in ihren Rechten Verletzten mit dem Beitritt zu der zudem noch in den Rang eines Verfassungsgesetzes erhobenen Konvention nur zusätzlichen Rechtsschutz angedeihen lassen. Dieser Schlußfolgerung kann auch nicht entgegengehalten werden, daß die Entscheidungen des EGMR unmittelbare Wirkungen nur auf völkerrechtlicher Ebene entfalten und damit für österreichische Gerichtsentscheidungen keine Bindungswirkung äußern (SZ 55/18 ua), weil die Verletzte berechtigt ist, im Verfahren vor den Konventionsbehörden Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Zuerkannte Beträge hat der belangte Vertragsstaat unverzüglich an den Beschwerdeführer auszuzahlen (Art. 53 MRK; Peukert aaO Art. 50 Rz 39; Frowein in Frowein-Peukert aaO Art. 53 Rz 1).

Ist demnach die Verjährung der Ersatzansprüche des Klägers durch die Antragstellung bei der EKMR als unterbrochen anzusehen, so darf ihm seine Untätigkeit während des von der Generalprokuratur mittels Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes vor dem Obersten Gerichtshof eingeleiteten Verfahrens und des daran anschließenden zweiten Rechtsganges beim Oberlandesgericht Innsbruck nicht etwa als "nicht gehörige Fortsetzung der Klage", die die Anspruchsverjährung trotz des der Klage gleichzuhaltenden Rechtsverfolgungsschrittes eintreten ließe, zum Vorwurf gemacht werden. Unter nicht gehöriger Fortsetzung der Klage versteht die Rechtsprechung die beharrliche Untätigkeit des Klägers (SZ 45/97 uva); dabei kommt es aber nicht etwa auf die Dauer der Untätigkeit, sondern vor allem darauf an, ob die Untätigkeit gerechtfertigt erscheint (SZ 58/112; Schubert aaO Rz 10).

Das Zuwarten des Klägers bis zur Beendigung des Strafverfahrens war schon deshalb gerechtfertigt, weil die angestrebte Rechtsverfolgung im Falle eines für ihn günstigen Ausgangs dieses Verfahrens jedenfalls ganz wesentlich erleichtert wurde. Gleiches gilt auch für die Aufforderung der beklagten Partei durch den Kläger im Anschluß an das fortgesetzte Strafverfahren und das freisprechende Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 13. 1. 1988, zumal die Aufforderung gemäß § 8 AHG (idF vor der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989) Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsweges war.

Wohl sind nach der Anfang Dezember 1988 erfolgten Beantwortung der Aufforderung vom 6. 10. 1988 bis zur Klagseinbringung etwa vier Monate verstrichen, doch darf darin angesichts der äußerst schwierigen Rechtsmaterie noch keine die Anspruchsverjährung auslösende Untätigkeit des Klägers erblickt werden, zumal in diesen Zeitraum auch noch Gerichtsferien fielen, während deren Dauer eine nachhaltige rechtsanwaltliche Tätigkeit nicht erwartet werden konnte. Der auf Art. 5 Abs.5 MRK iVm § 1 AHG gestützte Ersatzanspruch ist somit entgegen der Auffassung des Gerichtes zweiter Instanz noch nicht verjährt.

Ist der Haftentschädigungsanspruch somit noch nicht verjährt, gilt es nun die übrigen Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Die beklagte Partei führt gegen die Berechtigung des Anspruches ins Treffen, ein auf Art. 5 Abs.5 MRK gestützter Entschädigungsanspruch scheitere schon an Art. 5 Abs.1 lit.a MRK und dessen Auslegung durch den EGMR; außerdem sei dem Kläger das durch den Freiheitsentzug erlittene Ungemach durch die ihm vom EGMR zuerkannte Entschädigungssumme von S 100.000,- ohnehin abgegolten worden. Keine dieser Einwendungen ist jedoch berechtigt:

Gemäß Art. 5 Abs.1 MRK darf die Freiheit einem Menschen nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden, unter anderem wenn er rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird (lit.a). Nach der Praxis der Konventionsbehörden ist die Haft wegen des formellen Charakters des Eingriffsvorbehaltes nach der soeben zitierten Konventionsstelle gerechtfertigt, wenn sie in Vollstreckung eines Strafurteils erfolgt (Peukert aaO Art. 5 Rz 41; Trechsel in EuGRZ 1980, 522). Der Freiheitsentzug beruht nun in der Tat auf den Entscheidungen der Strafgerichte im ersten Rechtsgang, letztlich also auf dem Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 4. 6. 1980. Es kann ungeprüft bleiben, ob der im Art. 5 Abs.5 MRK statuierte Entschädigungsanspruch, dessen Beurteilung von der Konvention in erster Linie den von ihr vorgesehenen Behörden überantwortet ist, für dessen Verfolgung im innerstaatlichen (Amtshaftungs-)Verfahren den sich aus Art. 5 Abs.1 lit.a MRK ergebenden Beschränkungen unterworfen sei, wäre doch bei Bejahung dieser Frage eine ähnliche Privilegierung der Strafgerichtsbarkeit die Folge, wie sie bei Bejahung der Bindungswirkung des § 268 ZPO auch im Amtshaftungsverfahren anzunehmen gewesen wäre. Auch bei Bejahung dieser Einschränkung wäre für den Standpunkt der beklagten Partei deshalb nichts gewonnen, weil die Verurteilung des Klägers zur Freiheitsstrafe vom Obersten Gerichtshof infolge Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mit Urteil vom 21. 7. 1987 beseitigt und der Kläger schließlich sogar im erneuerten Verfahren vom Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 13. 1. 1988 gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde. Die Freiheitsstrafe ist somit ohne gesetzliche Grundlage und daher in Verletzung des Art. 5 Abs.1 lit.a MRK vollzogen worden (vgl. die ähnlich gelagerten Fälle in SZ 54/108 und SZ 60/117). Der Kläger kann deshalb seinen - zusätzlichen - Haftentschädigungsanspruch wirksam auf Art. 5 Abs.5 MRK iVm § 1 AHG stützen.

Die Rechtsprechung gewährt auf der Grundlage der vorher genannten Konventionsbestimmung Schadenersatz wegen Verletzung der sönlichen Freiheit selbst ohne Verschulden und auch für immaterielle Schäden (SZ 60/117 mwN ua; Schragel aaO Rz 4 und 160). Da immaterieller Schaden bei konventionswidrigem Freiheitsentzug stets entsteht, muß er deshalb weder nachgewiesen noch substantiiert werden (SZ 60/117; Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 5 Anm. 41).

Daß die Entscheidung des EGMR über die Höhe der nach Art. 50 MRK zuerkannten Entschädigung die österreichischen Gerichte nicht bindet, soweit der Verletzte auf Verstöße gegen Art. 5 MRK gestützte Amtshaftungsansprüche vor diesem geltend macht, hat der erkennende Senat bereits in der Entscheidung SZ 55/18 ausgesprochen; daran ist schon deshalb festzuhalten, weil das Amtshaftungsgericht bei Ausmessung dieses (besonderen) Schmerzengeldanspruches innerstaatliches Recht zu beachten hat (vgl. hiezu insbesondere JBl. 1988, 46), wogegen der EGMR solche Ansprüche auf Art. 50 MRK stützt. Die Erwägungen dieses Gerichtshofes, dessen Entscheidung die beklagte Partei für die Angemessenheit der Entschädigung zumindest im Zweifel als ausschlaggebend ansehen will, könnten im vorliegenden Fall diese Aufgabe schon deshalb nicht übernehmen, weil sie erkennbar bloß einen Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Standpunkten der Streitteile im Verfahren vor den Konventionsbehörden vor Augen hatten (vgl. S. 25 in Beil H 1). Da die Verletzung der Gefühlswelt des Betroffenen durch rechtswidrige Haft nach außen hin nicht notwendig in Erscheinung treten muß, kann sie im allgemeinen weit weniger leicht objektiviert werden als etwa der immaterielle Schaden bei Körperverletzungen. Es kommt aber auch dem Ersatz des immateriellen Schadens Genugtuungsfunktion zu. Bei der Ausmessung eines solchen Schadens infolge rechtswidriger Haft stehen Dauer und Intensität des ausgestandenen Ungemachs im Vordergrund. Weitere bestimmende Faktoren sind die psychophysische Situation des Betroffenen, die Beschaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit und die Schwankungsbreite seiner Psyche; die soziale Stellung ist indessen ohne Relevanz (JBl. 1990, 456; JBl. 1988, 46 mwN). Der Kläger begehrte für die sechsmonatige Haft - insgesamt - eine Entschädigung von S 150.000,-, somit einen Betrag, dessen Zuspruch er nach allgemeiner Erfahrung auch erwarten dürfte, wenn er körperliche Schmerzen leichter Intensität in der gleichen Dauer nachweisen könnte. Berücksichtigt man nun nicht nur, daß der Vollzug der Freiheitsstrafe den Verlust der Freizügigkeit und die mit dem Zusammenleben mehrerer Personen auf engstem Raum verbundenen Unlustgefühle, regelmäßig aber auch Frustration und Zukunftsangst im Hinblick auf dadurch geminderte Berufschancen danach zur Folge hat, sondern das seelische Ungemach mitunter weit weniger leicht zu ertragen ist als geringere körperliche Schmerzen, so scheint das begehrte Schmerzengeld als Haftentschädigung durchaus angemessen. Damit wird - auf die Haftdauer umgelegt - weniger zuerkannt als in der Entscheidung JBl. 1988, 46, dagegen mehr als in JBl. 1990, 456; es ist jedoch zu beachten, daß die erstere Entscheidung auf ein durch die Haft verstärktes Asthmaleiden des Verletzten Bedacht zu nehmen hatte, wogegen der Geschädigte in letzterem Verfahren keine höhere Entschädigung begehrt hatte, sodaß der Oberste Gerichtshof dort auch keinen höheren Betrag zusprechen konnte.

Dem Kläger ist deshalb in Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidung mittels Teilurteiles eine Haftentschädigung von S 50.000,- zuzuerkennen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 392 Abs.2 und § 52 Abs.2 ZPO.

B. Zum Rekurs der beklagten Partei:

Diese bestreitet zunächst überhaupt, daß die Kosten der Vertretung des Verletzten im Verfahren vor den Konventionsbehörden von der Ersatzpflicht gemäß § 1 StEG umfaßt seien, weil die Anrufung der MRK-Instanzen kein im österreichischen Rechtssystem zur Rechtsverfolgung nötiger Verfahrensschritt sei.

Die Kosten der Vertretung vor den Konventionsbehörden müssen jenen der Vertretung im innerstaatlichen Verfahren, deren Ersatzfähigkeit als Folge der Verurteilung im Sinne des § 1 StEG auch die beklagte Partei nicht in Zweifel zieht, schon aus jenen Erwägungen gleichgehalten werden, die zur Bejahung der Verjährungsunterbrechung infolge Antragstellung bei den Konventionsbehörden führten. Da der Gesetzgeber durch die Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention wohl nur bloß zusätzlichen Rechtsschutz gewähren wollte, erscheint es nur folgerichtig zu sein, den Verletzten, der die Rechtsbehelfe der Konvention in Anspruch nimmt, auch vor dadurch ausgelösten Rechtsnachteilen im innerstaatlichen Rechtsbereich zu schützen. Daher müssen dem Verletzten die Kosten der Vertretung vor den Konventionsbehörden bei zweckmäßigen Verfahrensschritten als Vermögensnachteil im Sinn des § 1 StEG grundsätzlich ersetzt werden. Im übrigen ist dem Gericht zweiter Instanz darin beizupflichten, daß der Kläger zur Verzeichnung seiner gesamten Vertretungskosten im Verfahren vor den Konventionsbehörden bei sonstigem Ausschluß weiterer Ersatzansprüche nicht verpflichtet war. Die im § 2 Abs.2 AHG verankerte besondere Rettungspflicht, nach der unter anderem auch schuldhaft nicht angesprochene Kosten keinen Amtshaftungsanspruch auslösen können (vgl. Schragel aaO Rz 195), kann nicht ohne weiteres auf Ansprüche nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz, das den Ausschluß des Ersatzanspruches wie § 2 Abs.2 AHG nicht vorsieht, übertragen werden. Auch sieht weder die Konvention noch das innerstaatliche Recht den § 54 Abs.1 ZPO vergleichbaren Verlust der nicht verzeichneten Kosten der Vertretung vor den Konventionsbehörden vor. Das ist auch deshalb gerechtfertigt, weil der EGMR über den Ersatz der Kosten und Auslagen allein nach billigem Ermessen entscheidet und bei der Prüfung der Angemessenheit verzeichneter anwaltlicher Kosten innerstaatliche Gebührensätze nicht für maßgebend hält, sondern bestenfalls als Ansatzpunkte mitberücksichtigt (Peukert aaO Art. 50 Rz 28 und 36). Beim Kostenzuspruch billigte der EGMR übrigens den Anspruch zwar "zur Gänze" im Betrag von S 33.578,15, aber abzüglich der Verfahrenshilfevergütung von ffr. 5.470,50 (S. 25 in Beil. H 1), obwohl der Kläger die als Verfahrenshilfe geleistete Vergütung in seinem Schriftsatz (Beil F) ohnehin schon bei der Ermittlung des angesprochenen Kostenbetrages von S 33.578,15 abgezogen hatte. Wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend bemerkt, setzte eine durch Präklusion nicht angesprochener Kosten sanktionierte Verzeichnungspflicht ein vom Ermessen unabhängiges Kostenersatzrecht voraus, das der Europäischen Menschenrechtskonvention aber fremd ist. Der von der beklagten Partei an die unterlassene Verzeichnung von Kosten geknüpfte Schluß auf einen - stillschweigenden - Verzicht darauf scheitert schon an dessen strengen Voraussetzungen (§ 863 ABGB), weil die Unterlassung auch auf ganz andere Beweggründe als ernstlich gewollten Verzicht zurückzuführen sein konnte, etwa auf Unkenntnis der Rechtslage oder auf ein Versehen des Klagevertreters. Aus den gleichen Erwägungen kann die beklagte Partei aus der teilweise unterlassenen Kostenverzeichnung keinen Verzicht des Klagevertreters seinem Mandanten gegenüber ableiten; da der Kläger aus den dargelegten Erwägungen auch im vorliegenden Verfahren Kostenersatz verlangen kann, könnte er sich auch dem Klagevertreter gegenüber nicht darauf berufen, daß diesem wegen mangelhafter Interessenwahrung bei der Vertretung vor den Konventionsbehörden kein Honoraranspruch zustünde.

Ob und inwieweit das Kostenersatzbegehren berechtigt ist, vor allem ob die Kosten vom Kläger zur notwendigen und zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (vgl. § 41 Abs.1 ZPO) aufgewendet worden und angemessen sind, kann erst nach der vom Berufungsgericht zu Recht aufgetragenen Verfahrensergänzung durch das Erstgericht verläßlich beurteilt werden.

Dem Rekurs der beklagten Partei ist deshalb ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.1 ZPO.

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